Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 V 318



110 V 318

51. Urteil vom 5. November 1984 i.S. Riesen gegen Bernische Kranken-
und Unfallkasse und Versicherungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 12bis Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 KUVG, Art. 16 Vo III. Höhe des
Krankengeldes für die Hausfrau. Verbot des Versicherungsgewinns.

Sachverhalt

    A.- Die verheiratete Marianne Riesen besorgt den Haushalt und geht
daneben seit März 1980 als Schwesternhilfe in einem Spital halbtags
einer Erwerbstätigkeit nach. Sie ist bei der Bernischen Kranken- und
Unfallkasse unter anderem für ein tägliches Krankengeld von Fr. 15.--
versichert. Vom 15. Juni bis 13. Juli 1981 war sie krankheitshalber
vollständig arbeitsunfähig. Für diese Zeit bezahlte ihr die Kasse 28
Taggelder zu Fr. 5.--, insgesamt somit Fr. 140.--, aus. Mit Verfügung vom
3. November 1982 lehnte sie es ab, das volle versicherte Krankengeld von
Fr. 15.-- pro Tag zu gewähren.

    B.- Beschwerdeweise beantragte Marianne Riesen, es sei die Kasse
zu verpflichten, das volle versicherte Krankengeld von Fr. 15.--
auszurichten. Die infolge der Arbeitsunfähigkeit entstandenen
zusätzlichen Kosten seien von der Kasse nicht berücksichtigt worden. Eine
Überversicherung, wie sie in der angefochtenen Verfügung erwähnt werde,
sei nicht nachgewiesen.

    Mit Entscheid vom 18. Mai 1983 wies das Versicherungsgericht des
Kantons Bern die Beschwerde ab.

    C.- Gegen diesen Entscheid richtet sich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Marianne Riesen, die im wesentlichen
beantragen lässt, es sei das Taggeld ohne Nachweis besonderer
krankheitsbedingter Aufwendungen auf Fr. 15.-- festzusetzen.

    Die Kasse trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragt deren Gutheissung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 26 Abs. 1 KUVG darf dem Versicherten aus der Versicherung
kein Gewinn erwachsen. Hierzu präzisiert Art. 16 Vo III über die
Krankenversicherung, dass als Versicherungsgewinn jene Leistungen gelten,
"welche die volle Deckung des Erwerbsausfalles, der Krankenpflegekosten
und anderer krankheitsbedingter nicht anderweitig gedeckter Kosten des
Versicherten übersteigen". Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass
die Auszahlung des vollen versicherten Krankengeldes von Fr. 15.--
im Tag zu einem Versicherungsgewinn führen würde; die nach Art. 16 Vo
III zu berücksichtigenden Positionen würden diesen Betrag bei weitem
übersteigen. Ungedeckte Krankenpflegekosten macht die Beschwerdeführerin
nicht geltend.

Erwägung 2

    2.- Vorweg ist als unbestritten festzuhalten, dass die
Beschwerdeführerin in der hälftigen ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit
keinen Einkommensausfall erlitten hat, weil das Spital als ihr Arbeitgeber
gemäss Art. 324a Abs. 1 OR den Krankenlohn entrichten musste. Hingegen
machte sie zunächst gegenüber der Kasse und dann wiederum in der
vorinstanzlichen Beschwerde einen "Lohnausfall" in ihrem "Beruf" als
Hausfrau geltend. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kommt sie auf
dieses Begehren nicht mehr zurück. Wie der kantonale Richter zutreffend
dargelegt hat, besorgt die Beschwerdeführerin den Haushalt im Rahmen der
ehelichen Gemeinschaft und deren Pflichten, wofür kein "Lohn" geschuldet
und im vorliegenden Fall effektiv auch nicht entrichtet worden ist.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen ist somit, ob und allenfalls in welcher Höhe "andere
krankheitsbedingte nicht anderweitig gedeckte Kosten" entstanden sind.
Solche Kosten weist die Beschwerdeführerin nicht nach. Sie können nach der
Praxis aber ohne besondern Nachweis auch dann berücksichtigt werden, "wenn
sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu entstehen pflegen und sich im
üblichen Rahmen halten" (RSKV 1977 Nr. 296 S. 152 Erw. 2e, bestätigt durch
BGE 105 V 196 und RSKV 1982 Nr. 475 S. 32 Erw. 2); "diesbezüglich muss der
Kasse ein weiter Ermessensspielraum belassen werden" (RSKV 1977 Nr. 296
S. 152). In diesem Zusammenhang ist vorweg festzuhalten, dass die Praxis
bei diesen nicht konkret nachgewiesenen Kosten sachlich und betraglich
enge Grenzen gezogen hat, dies in der Meinung, auf diese Weise das Verbot
des Versicherungsgewinns zu gewährleisten. So wurden in BGE 105 V 197
die Auslagen, die mit dem Arbeitsausfall einer Hausfrau üblicherweise zu
entstehen pflegen, mit Fr. 3.-- pro Tag beziffert, wobei höhere Ansätze
beim Vorliegen besonderer Umstände vorbehalten wurden. Indessen ist
zu berücksichtigen, dass jenes Urteil einen Sachverhalt aus dem Jahre
1976 betraf, während sich der heute zu beurteilende Tatbestand im
Jahre 1981 realisiert hat. Mit Rücksicht auf die in der Zwischenzeit
eingetretene Geldentwertung hielt sich die Beschwerdegegnerin gemäss
bisher geltender Praxis im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens, wenn
sie der Beschwerdeführerin ein Taggeld von Fr. 5.-- gewährte.

    Die Beschwerdeführerin beantragt nun aber gerade die Änderung dieser
Praxis. Sie beruft sich dabei vor allem auf einen neueren Entscheid des
Bundesgerichts, "in welchem ein Hausfrauenlohn festgelegt und damit die
Hausfrauenarbeit wertmässig erfassbar gemacht wurde". Offensichtlich
meint sie damit BGE 108 II 434. Das BSV beantragt ebenfalls die
Überprüfung der oben dargelegten Praxis. Es verweist hierfür einerseits
auf das in Entstehung begriffene neue Eherecht, welches die eheliche
Gemeinschaft stärker betone und auch unter krankenversicherungsrechtlichen
Gesichtspunkten "eine etwas andere Betrachtungsweise" rechtfertige. Ferner
beruft es sich auf den zitierten Bundesgerichtsentscheid, der ausdrücklich
den wirtschaftlichen Wert der ausfallenden Hausfrauenarbeit anerkenne
und - wenn er auch nicht analog anzuwenden sei - doch "die geänderten
gesellschaftlichen und rechtlichen Anschauungen" aufzeige. Bei Ausfall der
"Arbeitskraft Ehefrau" erleide die eheliche Gemeinschaft eine Einbusse,
die nach allgemeiner Lebenserfahrung mindestens den Betrag von Fr. 15.--
pro Tag erreiche.

    Ausgangspunkt der Beurteilung aus krankenversicherungsrechtlicher Sicht
ist das Verbot des Versicherungsgewinns, das in Art. 26 KUVG normiert
und in Art. 16 Vo III näher umschrieben ist. Dabei geht es - abgesehen
von dem vorliegend nicht gegebenen Erwerbsausfall - um Aufwendungen,
welche durch die Krankheit verursacht worden sind. Der Versicherte
soll von der Krankenkasse nicht mehr erhalten, als er selber wegen der
Krankheit notwendigerweise verausgaben musste, ohne anderweitig dafür
Deckung zu erhalten. Solche Kosten werden, wie bereits erwähnt, entweder
konkret nachgewiesen oder sie gelten - ohne besondern Nachweis - nach
der allgemeinen Lebenserfahrung als üblich. In jedem Fall setzt aber
Art. 16 Vo III voraus, dass tatsächlich besondere krankheitsbedingte
Kosten entstanden sind. Daran ändert BGE 108 II 434 nichts. In diesem
Urteil hat die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts im Rahmen des
Haftpflichtrechts den abstrakten Wert der Hausfrauenarbeit berechnet,
indem sie von den Kosten ausging, welche durch die Anstellung einer
Haushalthilfe entstehen würden. Sie hielt aber ausdrücklich fest, dass es
für die Frage der Haftpflichtansprüche nicht darauf ankomme, ob tatsächlich
eine Haushalthilfe angestellt wurde oder nicht. Für die Beurteilung der
sozialversicherungsrechtlichen Frage des Versicherungsgewinns kommt
es aber eben gerade darauf an, ob effektive Kosten entstanden sind,
seien diese nachgewiesen oder nach der Lebenserfahrung üblich. Das
Eidg. Versicherungsgericht hat keine Veranlassung, an dieser Konzeption,
auf die sich die Praxis stützt, etwas zu ändern. Insbesondere bietet das
zitierte Urteil der I. Zivilabteilung keinen Grund, den Art. 16 Vo III
anders auszulegen.

    Den Akten ist zu entnehmen, dass während der 28tägigen
Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin keine Haushalthilfe angestellt
worden war. Unter diesem Gesichtspunkt können somit keine Kosten im Sinne
von Art. 16 Vo III berücksichtigt werden.

Erwägung 4

    4.- Effektive Auslagen macht die Beschwerdeführerin insofern geltend,
als an Nachbarn für deren Hilfe "kleine Beträge von 20, 30 Franken"
als Trinkgeld gegeben worden seien; ebenso sei die Schwiegermutter der
Beschwerdeführerin entschädigt worden. Ferner seien Mehrkosten durch
auswärtige Verpflegung entstanden.

    Aus den vorinstanzlichen Einvernahmen geht hervor, dass die
Schwiegermutter der Beschwerdeführerin während deren Arbeitsunfähigkeit
den Haushalt besorgte und meistens auch das Essen zubereitete. Ausserdem
lebte die damals 18jährige Tochter, die das Seminar besuchte, zuhause; es
war ihr wohl zumutbar, im elterlichen Haushalt auch Hand anzulegen. Nach
der allgemeinen Lebenserfahrung bedingen solche Hilfeleistungen seitens
von Familienmitgliedern keine Kosten. Ähnliches gilt, wenn Nachbarn
ausgeholfen haben, zumal dies nur "hie und da" geschah, wie die
Beschwerdeführerin gegenüber der Vorinstanz ausführte.

    Es können daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine Kosten im
Sinne von Art. 16 Vo III berücksichtigt werden, die zu einer Erhöhung
des ermessensweise auf Fr. 5.-- festgesetzten Taggeldes führen würden.

Erwägung 5

    5.- Nach Auffassung des BSV verstösst die Kasse gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben und gegen das Gegenseitigkeitsprinzip, insofern sie
"die Beschwerdeführerin während Jahren für ein Krankengeld von Fr. 15.-- zu
entsprechenden Beiträgen versicherte, im Krankheitsfalle diese Leistungen
jedoch wegen Überversicherung unter Hinweis auf die für Hausfrauen
geltende Praxis verweigert". Dieser Einwand könnte relevant sein und mit
dem Streitgegenstand in Zusammenhang stehen, wenn damit der Antrag auf
Auszahlung des vollen Taggeldes von Fr. 15.-- begründet werden wollte. Das
trifft aber gerade nicht zu, räumt doch das Bundesamt gleichzeitig ein,
"dass allein die Tatsachen des bestehenden Versicherungsvertrages und
der Prämienzahlung noch keinen Anspruch auf die versicherten Leistungen
begründen". Zutreffend beruft es sich dabei auf BGE 105 V 196 (vgl. auch
RSKV 1982 Nr. 475 S. 32). Die bundesamtliche Kritik vermag somit den
Ausgang der Streitsache nicht zu beeinflussen. Im übrigen ist der Hinweis
der Kasse nicht ganz unberechtigt, dass bei einer ambulanten Behandlung
Kosten entstehen können, die nicht zu Lasten der Krankenpflegeversicherung
gehen, sich aber aus der Taggeldversicherung decken lassen, und dass
gerade eine teilerwerbstätige Hausfrau bei einer über die Dauer der
Lohnzahlungspflicht ihres Arbeitgebers hinausgehenden Arbeitsunfähigkeit
einen Erwerbsausfall im Sinne von Art. 16 Vo III geltend machen könnte.

Erwägung 6

    6.- Gesamthaft ist festzustellen und es widerspricht insbesondere
auch nicht dem Vertrauensgrundsatz, dass sich die Kasse im Rahmen des ihr
zustehenden Ermessensspielraumes gehalten hat, indem sie das Taggeld der
Beschwerdeführerin für 1981 auf Fr. 5.-- pro Tag festsetzte.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.