Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 V 225



110 V 225

36. Auszug aus dem Urteil vom 26. September 1984
i.S. Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle AG gegen Ausgleichskasse der
schweizerischen Maschinen- und Metall-Industrie und AHV-Rekurskommission
des Kantons Zürich Regeste

    Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 AHVG. Die paritätischen
Sozialversicherungsbeiträge sind - ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der
Lohnzahlung - auf allen Entgelten zu erheben, die für eine Erwerbstätigkeit
ausgerichtet werden, während welcher der Arbeitnehmer der Beitragspflicht
unterworfen war (Bestätigung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Streitig ist, ob die Firma Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle
AG auf den im Jahre 1979 dem Verkaufsagenten Victor X. ausgerichteten
Provisionsvergütungen die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge
abzurechnen hat.

    a) Nach Art. 3 Abs. 1 AHVG in der seit 1. Januar 1979 gültigen Fassung
sind die Versicherten beitragspflichtig, solange sie eine Erwerbstätigkeit
ausüben. Bis zum 31. Dezember 1978 endete die Beitragspflicht für Männer
mit der Vollendung des 65. Altersjahres. Für Victor X., geboren 1901, war
das Ende der Beitragspflicht im Jahre 1966 eingetreten; er wurde jedoch
in der Folge ab 1. Januar 1979 grundsätzlich wieder beitragspflichtig,
da er die Erwerbstätigkeit noch bis Ende 1979 ausübte. Zu prüfen ist,
ob er der Beitragspflicht unterworfen ist bezüglich der Provisionen,
die ihm erst 1979 für bereits mit Vertrag vom 30. April 1974/27. Mai
1975 (zwischen der Firma Oerlikon-Bührle AG und der Firma Y. einerseits
sowie der Regierung von Z. anderseits) vermittelte Lieferungen von
Militärprodukten gutgeschrieben worden sind.

    b) Die Ausgleichskasse ging davon aus, dass es an sich genüge,
wenn die Beitragspflicht entweder im Zeitpunkt der Erwerbstätigkeit
oder im Zeitpunkt der Realisierung des daraus fliessenden Einkommens
bestehe. Folgerichtig stellte sie, ausgehend vom massgebenden
Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG, für den Beitragsbezug auf den
Realisierungszeitpunkt des Erwerbseinkommens (1979) ab, in welchem die
Beitragspflicht für Erwerbstätige im Rentenalter wieder eingeführt war.

    c) Im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren machte Victor X. als
Beigeladener geltend, dass für die Beitragspflicht der Zeitpunkt
massgebend sei, in dem die Provisionen geschuldet, und nicht jener, in
dem sie zu bezahlen seien. Anspruch auf die fraglichen Provisionen habe er
bereits im Jahre 1974 gehabt, d.h. beim Abschluss des mit Z. vermittelten
Vertrages, spätestens aber mit Ablauf seines Rahmenvertrages mit der Firma
Oerlikon-Bührle AG am 31. Dezember 1975. Aufgrund der damals geltenden
Rechtslage sei er angesichts seines Alters von 73 bzw. 74 Jahren nicht
mehr beitragspflichtig gewesen. Die neue Regelung von Art. 3 Abs. 1 AHVG,
wonach auch Personen im Rentenalter auf ihren Einkünften Beiträge zu
entrichten haben, sei erst auf den 1. Januar 1979 in Kraft getreten. Da
die in Frage stehenden Provisionen alle längst vor dem 1. Januar 1979
geschuldet gewesen seien, entfalle eine Beitragspflicht.

    d) Die Vorinstanz ist dieser Auffassung nicht gefolgt mit der
Begründung, das Eidg. Versicherungsgericht habe bezüglich Einkünften aus
selbständiger wie aus unselbständiger Erwerbstätigkeit in konstanter
Rechtsprechung entschieden, dass die Beitragsschuld im Zeitpunkt der
Realisierung des Erwerbseinkommens entstehe. Dies sei in der Regel
der Zeitpunkt, in welchem dem Arbeitnehmer das Entgelt für eine vor
kürzerer oder längerer Zeit geleistete Arbeit ausbezahlt werde bzw. in
welchem der Selbständigerwerbende das Einkommen erziele, was nach Lehre
und Praxis dann der Fall sei, wenn er über das Einkommen verfügen könne.
Nicht entscheidend für die Entstehung der Beitragsschuld sei der Zeitpunkt,
in dem der Lohn geschuldet gewesen oder fällig geworden sei bzw. die Zeit,
während der die Erwerbstätigkeit ausgeübt und der Lohn verdient worden sei.

    e) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde begründet die Firma
Oerlikon-Bührle AG ihren Eventualantrag damit, dass für die Beitragspflicht
die Verhältnisse und die Rechtslage zur Zeit der Erwerbstätigkeit
massgebend seien und nicht diejenigen zur Zeit der Realisierung der
Provisionszahlungen. Beim Abschluss des den Provisionszahlungen zugrunde
liegenden Geschäftes im Jahre 1974 sei Victor X. über 65 Jahre alt
und daher nach der damals geltenden gesetzlichen Regelung nicht mehr
beitragspflichtig gewesen ...

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen ist, ob bei der Frage nach dem Bestehen einer
Beitragspflicht auf die Rechtslage zur Zeit der Erwerbstätigkeit oder
der Realisierung des Einkommens abzustellen ist, wenn die Ausübung der
Erwerbstätigkeit und die Realisierung des damit erzielten Einkommens in
zeitlicher Hinsicht auseinanderfallen.

    a) Das Eidg. Versicherungsgericht ging in mehreren, schon längere
Zeit zurückliegenden Beitragsstreitigkeiten davon aus, dass für die
Entstehung der Beitragsschuld grundsätzlich der Zeitpunkt massgebend sei,
in dem das Erwerbseinkommen realisiert worden ist (EVGE 1966 S. 205 mit
Hinweisen, 1960 S. 43 und 307, 1957 S. 36). Wie hiezu in EVGE 1969 S. 89
präzisierend festgestellt wurde, betrifft dieser Grundsatz lediglich
den Beitragsbezug, d.h. die Frage, in welchem Zeitpunkt die Beiträge vom
massgebenden Lohn zu entrichten sind, nicht dagegen die Beitragspflicht
als solche. Die Bezugsordnung für die paritätischen Beiträge schliesse
an den Regelfall an, dass der Arbeitnehmer seine Lohnzahlung laufend
erhalte. Sofern sich jedoch zwischen der Dauer der Unterstellung und der
zeitlichen Fixierung des Bezuges Diskrepanzen ergäben, sei in der Regel
nicht auf den Zeitpunkt der Realisierung abzustellen. Vielmehr seien
die Beiträge ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Lohnzahlung von allen
Entgelten zu erheben, die ausgerichtet werden für eine Erwerbstätigkeit,
während welcher der Arbeitnehmer der Beitragspflicht unterworfen ist. Die
Frage der Beitragspflicht gehe der Frage, wann beitragspflichtiger Lohn
realisiert wurde, logisch voran, weshalb zwischen dem Realisierungsprinzip
und der Beitragspflicht keine notwendige Verknüpfung gegeben sei. Die im
erwähnten Urteil offengelassene Frage, ob dieser Grundsatz auch gelte,
wenn der Lohn erst nach Erreichen der in Art. 3 Abs. 1 AHVG vorgesehenen
Altersgrenzen ausbezahlt wird, hat das Eidg. Versicherungsgericht in der
Folge bejaht (nicht veröffentlichtes Urteil Schürch vom 29. Oktober 1974).

    In grundsätzlicher Übereinstimmung mit der in EVGE 1969 S. 89
präzisierten Rechtsprechung verneinte das Eidg. Versicherungsgericht die
Beitragspflicht eines über 65jährigen, 1978 weiterhin erwerbstätigen
Versicherten, der den Lohn hiefür erst 1979 erhalten hatte, weil die
Beitragspflicht erwerbstätiger Altersrentner zur Zeit der Erwerbstätigkeit
im Jahre 1978 noch nicht wieder eingeführt war (nicht veröffentlichtes
Urteil Eger vom 5. November 1980). Entsprechend der gesetzlichen
Unterscheidung zwischen der Beitragspflicht als solcher und dem Bezug der
Beiträge (vgl. EVGE 1965 S. 240) wurde festgestellt, dass Art. 3 Abs. 1
AHVG (in der seit 1. Januar 1979 gültigen Fassung), welcher den Kreis der
beitragspflichtigen Personen umschreibt, für die zeitliche Begrenzung
an die Erwerbstätigkeit anknüpft, während für den Beitragsbezug das
Realisierungsprinzip massgebend ist. Dieses kann nur Anwendung finden,
soweit überhaupt eine Beitragspflicht besteht, und bringt zum Ausdruck,
dass die Beiträge vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit
gemäss Art. 14 Abs. 1 AHVG "bei jeder Lohnzahlung" abzuziehen sind.

    Es besteht kein Anlass, von der bisherigen, im vorstehenden Sinne
präzisierten Praxis, welche sich bewährt hat, abzugehen. Nur die dargelegte
Lösung steht im Einklang mit der intertemporalrechtlichen Regel, dass
in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend
sind, die bei Erfüllung des zu Rechtsfolgen (wie der Beitragspflicht)
führenden Tatbestandes (in casu die Erwerbstätigkeit) Geltung haben
(vgl. ZAK 1983 S. 239 Erw. 2b). Daran vermag die Tatsache nichts zu ändern,
dass das Eidg. Versicherungsgericht in einem besonderen Fall von der
dargestellten Rechtsprechung abgewichen ist, indem die Beitragspflicht für
eine 1971 an einen Verwaltungsrat ausgerichtete einmalige Vergütung für
seine Mitarbeit während vieler zurückliegender Jahre auch hinsichtlich
jenes Anteiles bejaht wurde, der auf die Jahre 1946 und 1947 und damit
auf die Zeit vor Inkrafttreten des AHVG entfiel (ZAK 1976 S. 86 Erw. 4b).

    b) Nach dem Gesagten können im vorliegenden Verfahren entgegen der
Auffassung von Ausgleichskasse und Vorinstanz auf den von Victor X. im
Jahre 1979 realisierten Provisionen der Firma Oerlikon-Bührle AG keine
(bundesrechtlichen) Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden, weil
Victor X. zur Zeit der zu diesen Vergütungen führenden Erwerbstätigkeit
der Beitragspflicht nicht unterworfen war, wie das Bundesamt für
Sozialversicherung zutreffend darlegt ...