Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 V 1



110 V 1

1. Auszug aus dem Urteil vom 11. April 1984 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen Friederich und Versicherungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 5 Abs. 2 AHVG. Die in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebende
Frau, die den gemeinsamen Haushalt führt und dafür von ihrem Partner
Naturalleistungen (in Form von Kost und Logis) und allenfalls zusätzlich
ein Taschengeld erhält, ist hinsichtlich dieser Tätigkeit beitragsrechtlich
als Unselbständigerwerbende zu betrachten. Die Naturalleistungen sowie
das allfällige Taschengeld stellen somit massgebenden Lohn im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 AHVG dar (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Kurt Friederich lebte seit dem 1. Oktober 1979 in seiner Wohnung
mit der geschiedenen Adelheid A. und deren beiden Kindern zusammen. Sie
besorgte den gemeinsamen Haushalt und widmete sich der Erziehung ihrer
Kinder; daneben ging sie keiner Erwerbstätigkeit nach. Am 7. November
1980 heirateten Kurt Friederich und Adelheid A. Die Ausgleichskasse
des Kantons Bern betrachtete Adelheid A. als Hausbedienstete von
Kurt Friederich und verpflichtete diesen zur Entrichtung paritätischer
Sozialversicherungsbeiträge, welche für die Zeit vom 1. Oktober 1979 bis
31. Oktober 1980 aufgrund eines Monatslohnes von Fr. 552.-- (Fr. 450.--
für Verpflegung und Unterkunft plus Fr. 102.-- für Kleider und Taschengeld)
auf insgesamt Fr. 804.95 festgesetzt wurden.

    B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Bern hiess die von Kurt
Friederich dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 26. Mai 1982 gut,
hob die angefochtene Verfügung auf und überwies die Akten der Verwaltung
zur näheren Abklärung der Beitragspflicht der als Nichterwerbstätige
qualifizierten Adelheid A.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides und Wiederherstellung der Kassenverfügung. Während sich Kurt
Friederich nicht hat vernehmen lassen, schliesst die als Mitinteressierte
zur Stellungnahme eingeladene Adelheid Friederich-A. auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Streitig ist die Rechtsfrage, ob die Praxis in dem Sinne
zu ändern sei, dass die in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebende
Frau, die den gemeinsamen Haushalt führt und dafür von ihrem Partner
Naturalleistungen (in Form von Kost und Logis) und allenfalls zusätzlich
ein Taschengeld erhält, hinsichtlich dieser Tätigkeit beitragsrechtlich
nicht mehr als Unselbständigerwerbende, sondern als Nichterwerbstätige
oder als Selbständigerwerbende zu qualifizieren ist.

    b) Nach bisheriger Rechtsprechung gelten Unterhaltsleistungen, die
ein Mann der mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Frau für
deren Haushaltführung gewährt, beitragsrechtlich als massgebender Lohn
im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass
die in einer solchen Gemeinschaft lebende Frau im Gegensatz zur Ehefrau
nach Gesetz nicht verpflichtet ist, den Haushalt zu führen, und dass
auch dem Mann aus dem blossen Zusammenleben keine gesetzlichen Pflichten
gegenüber der Frau, namentlich keine Unterhaltspflichten erwachsen. Die
Art der von der Frau ausgeübten Haushalttätigkeit darf aber nach dieser
Praxis nicht nur danach beurteilt werden, wie die Beteiligten ihr
Verhältnis subjektiv auffassen; vielmehr ist die Rechtslage aufgrund
des objektiven Sachverhaltes zu beurteilen (EVGE 1951 S. 230 Erw. 1;
ZAK 1951 S. 34; nicht veröffentlichte Urteile Renner vom 12. Oktober
1967 und Schmutz vom 3. September 1974). An der erwähnten Praxis hat das
Eidg. Versicherungsgericht in den nicht veröffentlichten Urteilen Bieri vom
21. August 1979 und Huwiler vom 6. Mai 1982 sowie im Urteil Hertenstein vom
10. Juni 1983 (Ergänzungsleistungen zu einer Invalidenrente betreffend;
ZAK 1983 S. 459) festgehalten, wenngleich im Urteil Huwiler vom 6. Mai
1982 eingeräumt wurde, dass sich die (gesellschaftlichen) Anschauungen
über die eheähnliche Gemeinschaft in letzter Zeit gewandelt hätten.

    Das BSV schliesst sich in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde dieser
Rechtsprechung an und macht überdies geltend, eine andere Praxis würde
insofern heikle Abgrenzungsfragen aufwerfen, als im Einzelfall zu prüfen
wäre, ob eine eheähnliche Gemeinschaft und damit Nichterwerbstätigkeit
der Frau oder aber ein Anstellungsverhältnis und mithin unselbständige
Erwerbstätigkeit vorliegt. Auch könne nicht geleugnet werden, dass
die Frau, welche anderweitig kein Erwerbseinkommen erzielt und über
kein Vermögen verfügt, in finanzieller Hinsicht tatsächlich von ihrem
Partner abhängig sei. Ausserdem habe sich die Rechtslage bezüglich der
eheähnlichen Gemeinschaft seit 1950, als die erwähnte Praxis begründet
worden sei (vgl. ZAK 1951 S. 34), bis heute nicht geändert, weshalb der
vom Gesetzgeber gewollten unterschiedlichen Behandlung solcher Verhältnisse
einerseits und der Ehe anderseits Rechnung getragen werden müsse.

    c) Demgegenüber betrachtet die Vorinstanz die in einer eheähnlichen
Gemeinschaft lebende Frau beitragsrechtlich als Nichterwerbstätige. Sie
geht im wesentlichen davon aus, dass die eheähnliche Gemeinschaft heute
nicht mehr als sittenwidrig gelte und dass demzufolge diesbezügliche
Strafbestimmungen aufgehoben worden seien oder kaum mehr beachtet
würden. Sodann hätten sich die Gerichte schon oft in erb- und
vertragsrechtlichen Fragen mit eheähnlichen Verhältnissen befassen müssen,
und insofern habe "das faktisch und soziologisch längst schon etablierte
Institut immer mehr eine auch rechtliche Anerkennung erfahren". Diese
Tatsache sei auch sozialversicherungsrechtlich zu berücksichtigen. Ferner
könne eine eheähnliche Gemeinschaft nicht als Arbeitsverhältnis im
sozialversicherungsrechtlichen Sinn angesehen werden, weil dieses
ein Unterordnungsverhältnis mit entsprechender Weisungsbefugnis des
Arbeitgebers voraussetze; die eheähnliche Gemeinschaft sei jedoch "ihrem
Wesen nach partnerschaftlich ausgerichtet".

    d) Im Rahmen der AHV-rechtlichen Beitragspflicht könnte man sich
schliesslich auch noch fragen, ob die Haushaltführung der in einer
eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Frau als selbständige Erwerbstätigkeit
zu qualifizieren sei, dies in Anlehnung an die bundesgerichtliche
Rechtsprechung, wonach eine eheähnliche Gemeinschaft unter Umständen
unter dem Gesichtspunkt einer einfachen Gesellschaft im Sinne von Art. 530
ff. OR zu beurteilen ist. Nach dieser Rechtsprechung muss allerdings in
jedem einzelnen Fall näher geprüft werden, ob und inwieweit die konkreten
Umstände die Anwendung der Regeln über die einfache Gesellschaft erlauben,
wobei von der Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften
oder Mitteln nur dort gesprochen werden kann, wo und insoweit bei den
in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Partnern der Wille besteht,
die eigene Rechtsstellung einem gemeinsamen Zweck unterzuordnen, um
auf diese Weise einen Beitrag an die Gemeinschaft zu leisten. Auf die
wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den in einem solchen Verhältnis
lebenden Beteiligten ist aber nach dieser Rechtsprechung Gesellschaftsrecht
stets nur insoweit anwendbar, als ein Bezug zur Gemeinschaft gegeben ist
(BGE 108 II 208 Erw. 4a).

    e) Wie aus der Darstellung der verschiedenen Ausgangspunkte ersichtlich
ist, lassen sich für alle drei Varianten beachtliche Argumente anführen,
wobei allerdings keine davon eine in jeder Hinsicht befriedigende Lösung
bildet. Bei dieser Sach- und Rechtslage fragt es sich, ob hinreichender
Anlass besteht, von der bisherigen konstanten Praxis abzugehen (BGE 108
V 17 Erw. 3b mit Hinweis).

Erwägung 4

    4.- a) Die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts geht
davon aus, dass die zivilrechtliche Gesetzgebung weder den Begriff
der eheähnlichen Gemeinschaft kennt noch spezifische Regeln zu diesem
Sachverhalt enthält. Mit der Vorinstanz ist zwar bezüglich solcher
Verhältnisse ein gesellschaftlicher Wandel in der ethisch-moralischen
Wertung festzustellen, weshalb die diesbezüglichen Strafbestimmungen
in den meisten Kantonen aufgehoben wurden oder in der Praxis kaum
mehr Anwendung finden. In rechtlicher Hinsicht kann jedoch der
vorinstanzlichen Auffassung nicht beigepflichtet werden, wonach jenes
"faktisch und soziologisch längst schon etablierte Institut immer mehr
eine auch rechtliche Anerkennung erfahren" habe und "dieser Tatsache)
... auch sozialversicherungsrechtlich Rechnung zu tragen" sei. Richtig
ist nur, dass - wie die Vorinstanz ausführt - diese Verhältnisse "die
Gerichte schon des öftern beschäftigt (haben), sei es hinsichtlich
erbrechtlicher, rein vertragsrechtlicher oder aber arbeitsrechtlicher
Aspekte", d.h., dass die Gerichte sich gezwungen sahen, streitige
Rechtsfragen aus diesen Verhältnissen unter dem Gesichtspunkt des
geltenden Zivilrechtes zu beurteilen und die entsprechenden Problemkreise
in das bestehende zivilrechtliche System einzuordnen (vgl. BGE 108 II 207
mit Hinweisen). Von einer "rechtlichen Anerkennung" in dem Sinne, dass
von der Gerichtspraxis ein spezielles Rechtsinstitut der eheähnlichen
Gemeinschaft geschaffen worden wäre, kann jedoch keine Rede sein. Es
kann daher nicht darum gehen, einem spezifischen rechtlichen Institut
"sozialversicherungsrechtlich Rechnung zu tragen", sondern nur darum,
den bestehenden Sachverhalt der eheähnlichen Gemeinschaft nach Massgabe
des geltenden Sozialversicherungsrechtes zu würdigen.

    b) Zum Argument der Vorinstanz, eine eheähnliche Gemeinschaft
könne nicht als Arbeitsverhältnis angesehen werden, da dieses
ein Unterordnungsverhältnis mit entsprechender Weisungsbefugnis des
Arbeitgebers voraussetze, ist zu bemerken, dass nach der bisherigen Praxis
aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht kein (fiktiver) Arbeitsvertrag
angenommen wurde, sondern es wurde nur - in Ermangelung einer besseren
Lösung - die vom Mann seiner Partnerin gewährte Naturalleistung einem
Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Dabei
trat das Kriterium der Subordination, welches für den Arbeitsvertrag an
sich typisch ist, in den Hintergrund (vgl. dazu STEPHAN THURNHERR, Die
eheähnliche Gemeinschaft im Arbeitsrecht, Diss. Zürich 1982, S. 36 ff.).

    Es ist sodann zu beachten, dass es bei der Abgrenzung der spezifischen
AHV-rechtlichen Begriffe der Erwerbstätigen (mit den Unterkategorien der
Unselbständigerwerbenden und der Selbständigerwerbenden) einerseits und der
Nichterwerbstätigen anderseits praxisgemäss nicht auf die zivilrechtliche
Natur eines Vertragsverhältnisses, sondern auf die wirtschaftlichen
Gegebenheiten ankommt; die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen
unter Umständen Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu
bieten, ausschlaggebend jedoch sind sie nicht (vgl. BGE 98 V 19 Erw. 2,
97 V 137 Erw. 2; s. auch BGE 104 V 126 f. und 101 V 253 f.). In diesem
Zusammenhang ist festzustellen, dass unter Umständen wie den vorliegenden
die Haushaltführung der in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Frau
eine geldwerte Leistung darstellt, für die sie von ihrem Partner eine
entsprechende Gegenleistung (in Form von Kost und Logis, allenfalls
zusätzlich einem Taschengeld) erhält, wobei dieser Leistungsaustausch
auf ausdrücklichem oder stillschweigendem Konsens beruht.

    Daran vermag der verfassungsmässige Grundsatz über die Gleichstellung
der Frau mit dem Mann nichts zu ändern, wäre doch nicht anders zu
entscheiden, wenn in einer eheähnlichen Gemeinschaft der Mann den Haushalt
führte und die Frau ausserhäuslich erwerbstätig wäre.

    Im übrigen würde eine geänderte Rechtsprechung zu praktischen
Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Nichterwerbstätigkeit der Partnerin
zur (unselbständigen) Erwerbstätigkeit der Haushälterin führen, wobei
sich die Verwaltung bei ihren Abklärungen der Natur der Sache nach wohl
regelmässig auf die Darstellung der Beteiligten verlassen müsste. Der
Gesichtspunkt der Praktikabilität im Einzelfall spricht somit ebenfalls
gegen die Annahme von Nichterwerbstätigkeit.

    c) Was schliesslich die Frage anbetrifft, ob die in der eheähnlichen
Gemeinschaft den Haushalt führende Frau als Selbständigerwerbende zu
betrachten sei, muss festgestellt werden, dass sich auch hier kaum
überwindbare Abgrenzungsschwierigkeiten ergäben, sofern man überhaupt
annehmen wollte, der gesellschaftliche Zweck der Haushaltführung als
solcher könne ein erwerblicher sein.

    d) Zusammenfassend ergibt sich somit, dass kein hinreichender
Anlass besteht, von der konstanten Praxis abzugehen, wonach die in einer
eheähnlichen Gemeinschaft lebende Frau, die den gemeinsamen Haushalt führt
und dafür von ihrem Partner Naturalleistungen (in Form von Kost und Logis)
und allenfalls zusätzlich ein Taschengeld erhält, hinsichtlich dieser
Tätigkeit beitragsrechtlich als Unselbständigerwerbende zu erfassen
ist. Die Verwaltung hat die streitigen Unterhaltsleistungen somit zu
Recht als massgebenden Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG qualifiziert.