Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 92



110 IV 92

29. Urteil des Kassationshofes vom 16. November 1984 i.S. X. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 286 StGB; Hinderung einer Amtshandlung.

    Die verbale Weigerung, sich einem Atemlufttest (wegen angeblichen
Fahrens in angetrunkenem Zustand) zu unterziehen, stellt keine Hinderung
einer Amtshandlung dar.

Sachverhalt

    A.- Am 3. Mai 1983, abends ca. 21.15 Uhr, begaben sich Polizeigefreiter
S. und Gemeindepräsident H. wegen eines Streites der Eheleute X. in deren
Wohnung in Lützelflüh. Herr X. war angetrunken, als er ihnen die Türe
öffnete. Nach den Angaben der Ehefrau war der Mann zwischen 20.00 und
21.00 Uhr, nachdem er Alkohol getrunken hatte, mit seinem Personenwagen
"Opel" gefahren. X. bestritt dies energisch. Gefreiter S. und der
Gemeindepräsident stellten nach 21.00 Uhr fest, dass das Kühlwasser des
Opel lauwarm war. Der Polizeigefreite forderte den X. auf, zum "Blasen"
(Atemlufttest), eventuell für eine Blutprobe mitzukommen. X. weigerte sich,
dieser Aufforderung Folge zu leisten. Der Polizeibeamte sagte ihm darauf,
wenn er nicht zur Blutprobe mitkomme, so sei dies im Ergebnis praktisch
dasselbe, wie wenn die Probe positiv wäre. Eine amtliche Anordnung der
Blutprobe durch den hiefür zuständigen Untersuchungsrichter (Art. 55
Abs. 3 SVG) hat S. nicht veranlasst, weil er annahm, die Aussagen der
Zeugen (Gemeindepräsident, Polizeigefreiter) dürften als Beweis der
Angetrunkenheit genügen.

    B.- Während der erstinstanzliche Richter (a.o. Gerichtspräsident von
Trachselwald) X. wegen Vereitelung einer Blutprobe zu 20 Tagen Gefängnis
verurteilte, erachtete das Obergericht den Tatbestand von Art. 91 Abs. 3
SVG nicht als erfüllt, sprach X. aber am 13. März 1984 der Hinderung
einer Amtshandlung im Sinne von Art. 286 StGB schuldig und setzte die
Strafe auf 8 Tage Haft fest.

    C.- Gegen dieses Urteil des Obergerichts führt
X. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil
sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Das Obergericht hat die Verurteilung wegen Vereitelung der Blutprobe
aufgehoben, weil eine amtliche Anordnung im Sinne von Art. 91 Abs. 3
SVG nicht erfolgt war. Es betrachtete jedoch die Aufforderung des
Polizeigefreiten S. als amtliche Anordnung des Atemlufttests und die
verbale Weigerung des X. als Hinderung einer Amtshandlung im Sinne von
Art. 286 StGB.

    a) Art. 91 Abs. 3 SVG erfasst unter anderem die Hinderung von
Amtshandlungen, welche der Feststellung des Blutalkoholgehaltes
dienen. Die Bestimmung bildet in diesem Sinne eine Sondernorm für das
Gebiet des Strassenverkehrs, welche für den speziellen Bereich den Gang der
Rechtspflege umfassend schützen will (BGE 103 IV 52). Zu prüfen ist daher,
ob Art. 286 StGB subsidiär mangelnde Kooperation bei der Feststellung des
Blutalkoholgehaltes (im Zusammenhang mit dem Strassenverkehr) erfassen
kann, wenn die Voraussetzungen für die Bestrafung gemäss Art. 91 Abs. 3
SVG nicht erfüllt sind, insbesondere wenn - wie im vorliegenden Fall -
auf die amtliche Anordnung einer Blutprobe verzichtet wurde, weil der
Polizeibeamte dieses Beweismittel nicht für erforderlich hielt.

    Der Atemlufttest dient gemäss Art. 138 Abs. 3 VZV der Vorprobe; er
ist eine (fakultative) Vorstufe bei der Feststellung der Angetrunkenheit,
welche aber durch Blutprobe zu erfolgen hat (Art. 138 Abs. 1 VZV). Nachdem
die amtlich angeordnete Blutprobe durch die Spezialbestimmung von
Art. 91 Abs. 3 SVG geschützt ist und bei Widerstand des Betroffenen
durch eine Verfügung der zuständigen Instanz stets die Voraussetzung
für die Anwendbarkeit dieser Norm geschaffen werden kann, erscheint es
als überflüssig, die Ablehnung des Atemlufttests noch gesondert gemäss
Art. 286 StGB zu ahnden. Dadurch würde strafbare Widersetzlichkeit
in einem Verhalten gesehen, das vor der gemäss Art. 55 SVG/138 VZV
notwendigen amtlichen Anordnung erfolgt, während eine strafrechtliche
Sanktion richtigerweise nur Platz greifen kann, sofern das gesetzliche
Verfahren zur Feststellung der Angetrunkenheit von den zuständigen Organen
wirklich durchgeführt und vom Betroffenen behindert wird.

    b) Die negative Äusserung als Reaktion auf die Aufforderung
des Polizeibeamten kann schon an sich nicht als Hinderung einer
Amtshandlung qualifiziert werden (vgl. STRATENWERTH, Bes. Teil II,
3. Aufl. S. 282). Mit seiner Weigerung hat X. zwar die Mitwirkung bei der
beabsichtigten Feststellung seiner allfälligen Angetrunkenheit abgelehnt,
aber dem amtlichen Handeln keine Hindernisse in den Weg gelegt. Wenn der
Polizeibeamte die ins Auge gefasste Abklärung des Alkoholisierungsgrades
hätte durchsetzen wollen, dann wäre der nächste Schritt die Beschaffung
einer untersuchungsrichterlichen Anordnung gewesen. S. hat darauf
verzichtet, ohne dass er daran von X. gehindert worden wäre. Durch den
Verzicht auf die Blutprobe kam das Verfahren formell nie in jenes Stadium,
in welchem die Sondernorm von Art. 91 Abs. 3 SVG eingreifen könnte und
daher auch Handlungen der Selbstbegünstigung ex lege strafbar wären.
Für ihren speziellen Bereich regelt diese Sondernorm die Strafbarkeit
der Widersetzlichkeit sinngemäss abschliessend. Die Ablehnung einer
polizeilichen Aufforderung, welche der amtlichen Anordnung der Blutprobe
vorangeht, kann nicht durch extensive Auslegung des Begriffs "Hinderung"
unter Art. 286 StGB subsumiert werden.

    c) Gegen eine Bestrafung der Weigerung im vorliegenden Fall spricht
schliesslich die Erwägung, dass der blosse Ungehorsam gegen eine amtliche
Verfügung gemäss Art. 292 StGB zu beurteilen ist. Für eine Verurteilung
nach dieser Bestimmung fehlt in casu der dort verlangte ausdrückliche
Hinweis auf die gesetzliche Strafdrohung. Auch unter dem Aspekt von
Art. 292 StGB verbietet sich eine subsidiäre Anwendung von Art. 286 in
einem Fall, der wegen Fehlens einer gesetzlichen Voraussetzung nicht als
Ungehorsam geahndet werden darf. Mehr als blossen Ungehorsam stellt die
verbale Ablehnung einer Aufforderung nicht dar. Lautstärke und Intensität
der ablehnenden Äusserung können nicht dazu führen, dass die Weigerung
zur Hinderung einer Amtshandlung würde.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der
2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 13. März 1984
aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die
Vorinstanz zurückgewiesen.