Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 68



110 IV 68

22. Urteil des Kassationshofes vom 29. Oktober 1984 i.S. K. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 223 und 125 StGB. Fahrlässige Verursachung einer Explosion und
fahrlässige schwere Körperverletzung.

    Wer als Betriebsleiter einem Dritten Geräte zur Verwendung von
Flüssiggas überlässt, ohne ihn über die speziellen Unfallgefahren zu
instruieren, verletzt seine Sorgfaltspflicht.

Sachverhalt

    A.- W. K. ist Geschäftsführer der Firma Z. in Biel. Sein Bruder
P. K. hatte als Unterakkordant von dieser Firma den Auftrag erhalten,
im Rahmen des vor dem Abschluss stehenden Umbaus einer Metzgerei in
Biel den Boden des Tiefkühlraumes zu streichen. Am 15. Dezember 1978,
d.h. am Tage der Wiedereröffnung der Metzgerei, stellte P. K. fest,
dass der vom Bauführer dringend verlangte Anstrich nicht möglich war,
ohne dass der gefrorene Boden aufgetaut und erwärmt wurde. Er ersuchte
seinen Bruder, ihm für diese Arbeit einen Gasbrenner zur Verfügung zu
stellen. W. K. entsprach dem Begehren, übergab seinem Bruder den Schlüssel
zum Magazin und stellte ihm den Mitarbeiter Ba. als Chauffeur für den
Transport zur Verfügung. P. K. und Ba. holten einen Gasbrenner und eine
Gasflasche. Sie stellten beides im Tiefkühlraum auf und entzündeten
bei offener Türe um ca. 10.00 Uhr die Flamme, um durch die Erwärmung
des Raumes den Boden zu heizen. Darauf entfernten sie sich. Als P. K.
um ca. 14.00 Uhr wieder erschien, war die Flamme des Gasbrenners erloschen
und die Türe zum Kühlraum zugestossen. Gemeinsam mit Bü. und Sch. prüfte
P. K. die Situation. Wahrscheinlich weil Bü. mit seinem Feuerzeug den
Brenner in Funktion zu setzen versuchte, kam es dann zu einer Verpuffung
("Explosion" im Rechtssinn) des ausgeströmten Gases. Es wurden 6 Personen
verletzt, am schwersten Bü., der über ein Jahr arbeitsunfähig war. Der
Sachschaden belief sich auf Fr. 15'000.--.

    B.- In Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils hat das Obergericht
des Kantons Bern (2. Strafkammer) am 13. Dezember 1983 W. K. der
fahrlässigen Verursachung einer Explosion und der fahrlässigen schweren
Körperverletzung schuldig erklärt und ihn zu einer Busse von Fr. 600.--
(bei Bewährung löschbar nach 2 Jahren) verurteilt.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt W. K. eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde.

    Die ebenfalls eingereichte staatsrechtliche Beschwerde hat der
Kassationshof am 29. Oktober 1984 abgewiesen.

    Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird beantragt, das angefochtene Urteil
sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung des Beschwerdeführers
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach den Feststellungen der Vorinstanz führte folgende
Ursachenreihe zum Schadenereignis: P. K. und Ba. setzten den ihnen für
das Wärmen des Bodens von W. K. überlassenen Gasbrenner im Kühlraum der
Metzgerei in Funktion. Die Flamme der während Stunden nicht beaufsichtigten
Einrichtung erlosch mangels Sauerstoffzufuhr. Das Gas strömte aus und
es entstand im Raum ein Gemisch, das beim Versuch, den Brenner wieder
in Betrieb zu setzen, schnell abbrannte (verpuffte, im Rechtssinne:
"explodierte").

    An dieser Kausalkette ist der Beschwerdeführer dadurch beteiligt, dass
er seinem Bruder die Flüssiggas-Flasche und den Brenner für den Einsatz im
Kühlraum überliess, ohne ihn über die Gefahren der Flüssiggas-Verwendung
und die dabei zu beachtenden Vorschriften zu instruieren.

Erwägung 2

    2.- Dem Beschwerdeführer wird Fahrlässigkeit vorgeworfen.  Seine
strafrechtliche Verantwortung für die eingetretenen Folgen (Explosion
und Körperverletzung) hängt davon ab, ob sein Verhalten im Sinne von
Art. 18 Abs. 3 StGB eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit darstellt und
ob gegebenenfalls das pflichtwidrige Verhalten für die eingetretenen
tatbestandsmässigen Folgen kausal war.

    Die Lehre von der Garantenstellung, auf welche die Vorinstanz
Bezug genommen hat, wurde in der Doktrin vor allem zur Abgrenzung der
vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikte entwickelt. Sie befasst sich
daher in erster Linie mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein
vorsätzliches Unterlassen dem vorsätzlichen Handeln gleichzusetzen ist und
zur Verurteilung wegen eines Begehungsdeliktes führen kann. Im Bereich der
Fahrlässigkeitsdelikte stellt sich diese Frage nicht in gleicher Weise,
da als Fahrlässigkeit von vornherein auch eine Unterlassung in Frage
kommen kann und die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit sehr häufig in einer
die Sorgfaltspflicht verletzenden Unterlassung besteht. Wenn es darum
geht, das Bestehen und das Ausmass der Sorgfaltspflicht zu begründen,
so kann es allerdings zweckmässig sein, auf die Grundlagen der Lehre
von der Garantenstellung zurückzugreifen (vgl. dazu STRATENWERTH, AT I,
S. 420; BGE 108 IV 5 ff.). Die Vorsichtspflicht im Sinne von Art. 18
Abs. 3 StGB lässt sich aber in den meisten Fällen direkt und einfacher
begründen ohne Bezugnahme auf die Kriterien des Garanten, die im Bereich
der vorsätzlichen Unterlassungsdelikte restriktiv sein müssen.

Erwägung 3

    3.- Wer über eine Einrichtung verfügt, deren Gebrauch besondere, nicht
ohne weiteres erkennbare oder allgemein bekannte Unfallrisiken mit sich
bringt, hat nicht nur selber die Regeln zur Vermeidung dieser Risiken zu
beachten, sondern auch dafür zu sorgen, dass Drittpersonen, denen er die
Verwendung seiner Einrichtung gestattet, über die Unfallrisiken und die
zu beachtenden Vorschriften gebührend orientiert sind.

    Geräte für die Verwendung von Flüssiggas sind solche Einrichtungen,
welche spezielle Unfallgefahren bewirken können und eine entsprechende
Instruktion des für die Bedienung Verantwortlichen erfordern. Dass
der Gebrauch von Flüssiggas mit Risiken verbunden ist, denen durch
besondere Vorsicht und Einhaltung bestimmter Regeln begegnet werden
muss, ergibt sich aus den einschlägigen Brandschutzvorschriften und
Flüssiggas-Richtlinien sowie aus den Publikationen der SUVA (vgl. SJZ 1977
S. 205). Der Beschwerdeführer als Leiter eines Betriebes, in welchem oft
Gasbrenner verwendet werden, musste über die Gefahren dieser Geräte und
die Notwendigkeit entsprechender Instruktion bei Abgabe an Drittpersonen
orientiert sein. Er bestreitet nicht, die Vorsichtspflicht gekannt zu
haben, wenn er sich auch um die Vorschriften nie besonders kümmerte.

    Unbestritten ist, dass W. K. im konkreten Fall den Gasbrenner
und die Gasflasche seinem Bruder zum Gebrauch überliess, ohne ihn zu
instruieren oder abzuklären, ob er Erfahrung im Umgang mit einem solchen
Gasverbrauchsgerät habe. Diese Sorglosigkeit bei der Überlassung des
Gerätes an eine Drittperson wird dem Beschwerdeführer als Fahrlässigkeit
zur Last gelegt; insbesondere hätte P. K. auf das Risiko bei Verwendung
in Unterflurräumen aufmerksam gemacht und vor unbeaufsichtigtem Betrieb
des Gasbrenners nachdrücklich gewarnt werden müssen.

    a) Gegen diese Vorwürfe wird in der Nichtigkeitsbeschwerde eingewendet,
W. K. habe das Gasverbrauchsgerät nicht einfach seinem Bruder überlassen,
sondern ihm für die Erledigung des Auftrages den Mitarbeiter Ba. zur
Verfügung gestellt, der mit Gasflaschen und Brennern vertraut war. Nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer seinen
Mitarbeiter Ba. in erster Linie als Chauffeur, nicht als Fachmann für den
Einsatz und die Bedienung des Gasbrenners zur Verfügung gestellt. Wohl
wirkte Ba. nachher beim Aufstellen des Gasbrenners mit, aber P. K.,
der in der Verwendung von Flüssiggas keine Erfahrung hatte, trug die
Verantwortung für das Trocknen des Bodens. Dass der Beschwerdeführer den
Mitarbeiter Ba. als Chauffeur mitschickte, kann er nicht hinterher als
Entschuldigung für das Unterlassen jeder Instruktion anführen.

    b) Der Beschwerdeführer wusste, dass ein längere Zeit dauernder
Einsatz des Gasbrenners geplant war. Das ergab sich aus dem Zweck der
Verwendung. Es war auch erkennbar, dass der Kühlraum sich möglicherweise
unter Flur befinde und dass die genügende Luftzufuhr problematisch sein
könnte. In dieser Situation war es dringend geboten, bei der Erteilung
der Erlaubnis zur Verwendung des Gasbrenners auf die speziellen Risiken
hinzuweisen und dauernde Überwachung des Gerätes zu empfehlen. Dass
W. K. sich um die möglichen Gefahren gar nicht kümmerte und die Verwendung
des Flüssiggas-Gerätes ohne jede Instruktion gestattete, widerspricht
der elementaren Vorsichtspflicht des Halters einer solchen Einrichtung.

    c) Dieser Verstoss gegen die Sorgfaltspflicht kann auch nicht mit
dem Einwand entschuldigt werden, der Beschwerdeführer habe angenommen,
das Aufwärmen und Trocknen des Bodens erfolgten im direkten Flammenkontakt
mit dem Brenner in der Hand; auf jeden Fall habe er nicht damit rechnen
müssen, sein Bruder werde die Flamme unbeaufsichtigt lassen.

    Bei einer derartigen Trocknungsarbeit war vorauszusehen, dass der
Brenner über längere Zeit verwendet werden musste. Der Gedanke, mit dem
Brenner den Raum zu heizen, wie das offenbar etwa bei Aufenthaltsräumen
in Neubauten gemacht wird, lag daher nicht fern. Auf jeden Fall hätte
der Beschwerdeführer bei pflichtgemässer Sorgfalt allen Grund gehabt,
mit seinem Bruder genau zu besprechen, wie der Gasbrenner eingesetzt
werden soll, und ihn zur nötigen Vorsicht anzuhalten. Er konnte und
durfte sich nicht darauf verlassen, die offene Flamme werde gewiss nicht
unbeaufsichtigt bleiben.

Erwägung 4

    4.- Ob die verwendete Flasche (nach ihrem Gewicht) gemäss
den Flüssiggas-Richtlinien ausnahmsweise auch unter Flur
hätte eingesetzt werden dürfen, ist hier nicht zu entscheiden;
denn der Fahrlässigkeits-Vorwurf wird ja nicht einfach durch die
Flüssiggas-Verwendung in einem Unterflurraum begründet. Die Vorinstanz
hat lediglich festgehalten, dass gemäss den Richtlinien Gasflaschen
prinzipiell nicht in Unterflurräumen aufgestellt werden dürfen, und
daran die Folgerung geknüpft, der Umgang mit solchen Gasbrenneranlagen
bedürfe - "insbesondere in Unterflurräumen - zumindest besonderer
Vorsicht ..., zumal der hier verwendete Brenner keine Zündflammsicherung"
besitze. Diese Erwägung ist auch im Lichte des vollständigen Textes der
Richtlinien nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz führt nicht etwa aus, die
Flüssiggas-Verwendung hätte am vorgesehenen Ort vom Beschwerdeführer gar
nicht erlaubt werden dürfen. Als Fahrlässigkeit wird dem Beschwerdeführer
ausschliesslich das Unterlassen jeder Instruktion vorgeworfen.

Erwägung 5

    5.- Die Gasflasche war im vorliegenden Fall nicht oder ganz ungenügend
odoriert. Bei ausreichender Odoration wäre das ausgeströmte Gas durch
seinen Geruch aufgefallen.

    Das Fehlen der Odoration kann nicht dem Beschwerdeführer zur Last
gelegt werden. Auch im angefochtenen Urteil wird ihm diese Mitursache
richtigerweise nicht angelastet. Das Obergericht führt lediglich aus, das
Fehlen der Odorierung könne den Beschwerdeführer nicht stark entlasten,
weil er es zu vertreten habe, dass im Betrieb keine Lagerkontrolle
geführt wurde und daher das Vorhandensein nicht odorierter Flaschen nicht
bekannt war.

    Die genügende Odoration hätte möglicherweise dazu beigetragen, die
Auswirkungen der fehlenden Instruktion zu verhindern, weil der ausgeprägte
Gasgeruch zur Vorsicht veranlasst hätte. Durch dieses Ausbleiben einer
Warnung wird aber die Sorglosigkeit beim Überlassen der Einrichtung weder
aufgehoben, noch vermindert. Anderseits stellt der Vorwurf des Fehlens
einer Lagerkontrolle (betr. Odorierung) kein separates Schuldelement dar,
das bei der Beurteilung des Beschwerdeführers ins Gewicht fallen würde.

Erwägung 6

    6.- Der in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgebrachte Vergleich mit der
Überlassung eines Motorfahrzeuges kann durchaus zutreffend sein, sofern man
die Randbedingungen richtig beachtet. Ein Auto darf man einer Drittperson
höchstens dann ohne weitere Erkundigung zum Gebrauch überlassen, wenn man
nach den Umständen in guten Treuen überzeugt sein darf, dass der Dritte
den für die betreffende Fahrzeugkategorie erforderlichen Führerschein
besitzt. Sobald Zweifel bestehen, hat man sich zu erkundigen.

    Der Beschwerdeführer hatte keinen Grund anzunehmen, sein Bruder
sei mit den besondern Risiken der Flüssiggas-Verwendung vertraut. Er
vergewisserte sich auch nicht über die Erfahrungen von Ba. und machte
ihn nicht zum Verantwortlichen für die geplante Trocknung des Bodens.
Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich vielmehr, dass der
Beschwerdeführer das Gerät seinem Bruder für eine etwas aussergewöhnliche
Verwendung überliess, ohne sich um das Unfallrisiko zu kümmern.

Erwägung 7

    7.- Dass der vorgeworfene Mangel an Instruktion für das Schadenereignis
kausal gewesen sei, wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht in Frage
gestellt. Es darf davon ausgegangen werden, dass ein genügender Hinweis
auf die Gefahren bei unbeaufsichtigtem Betrieb des Brenners und speziell
bei der Verwendung in einem Unterflurraum ohne genügende Luftzufuhr mit
hoher Wahrscheinlichkeit geeignet gewesen wäre, den zur Explosion und
zur Körperverletzung führenden Ablauf zu verhindern, weil der genügend
gewarnte P. K. von einem stundenlangen Betrieb des Gasbrenners ohne
Aufsicht abgesehen hätte.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.