Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 54



110 IV 54

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Mai 1984 i.S.
Eidgenössische Steuerverwaltung gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer.

    Wer seiner Pflicht zur Erteilung von Auskünften nach Art. 21 Abs. 4
VStV (SR 642.211) nicht oder nur ungenügend nachkommt, macht sich einer
Übertretung i.S. von Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG schuldig, ohne dass
noch eine konkrete Gefährdung der Durchführung der Steuer nachgewiesen
werden muss.

Sachverhalt

    A.- Nach Art. 39 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer
(VStG; SR 642.21) hat der Steuerpflichtige der Eidgenössischen
Steuerverwaltung (EStV) über alle Tatsachen, die für die Steuerpflicht
oder für die Steuerbemessung von Bedeutung sein können, nach bestem
Wissen und Gewissen Auskunft zu erteilen. Er hat insbesondere
Steuerabrechnungen, Steuererklärungen und Fragebogen vollständig und
genau auszufüllen, seine Geschäftsbücher ordnungsgemäss zu führen und
sie, die Belege und andere Urkunden auf Verlangen beizubringen. Nach
Art. 21 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung vom 19. Dezember 1966 zum
Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (VStV; SR 642.211) hat jede
inländische Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung
unaufgefordert der EStV innert 30 Tagen nach Genehmigung der Jahresrechnung
den Geschäftsbericht oder eine unterzeichnete Abschrift der Jahresrechnung
(Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung) sowie eine Aufstellung nach
amtlichem Formular einzureichen, woraus der Kapitalbestand am Ende des
Geschäftsjahres, das Datum der Generalversammlung, die beschlossene
Gewinnverteilung und ihre Fälligkeit ersichtlich sind, und die Steuer
auf den mit Genehmigung der Jahresrechnung fällig gewordenen Erträgen zu
entrichten. Wird die Jahresrechnung nicht innert sechs Monaten nach Ablauf
des Geschäftsjahres genehmigt, so hat die Gesellschaft der EStV vor Ablauf
des siebenten Monates den Grund der Verzögerung und den mutmasslichen
Zeitpunkt der Rechnungsabnahme mitzuteilen (Art. 21 Abs. 4 VStV).

    Gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG wird (sofern nicht eine der
Strafbestimmungen der Art. 14-16 VStrR zutrifft) mit Busse bis
zu Fr. 20'000.- bestraft, wer die gesetzmässige Durchführung der
Verrechnungssteuer gefährdet, indem er vorsätzlich oder fahrlässig im
Steuererhebungsverfahren der Pflicht zur Anmeldung als Steuerpflichtiger,
zur Einreichung von Steuererklärungen, Aufstellungen und Abrechnungen,
zur Erteilung von Auskünften und zur Vorlage von Geschäftsbüchern und
Belegen nicht nachkommt.

    B.- Die W. AG, die den Steuerbehörden gegenüber durch S. vertreten
wurde, reichte seit ihrer Gründung bis Ende 1977 jeweils ordnungsgemäss
eine entsprechende Jahresrechnung mit zugehörigem Formular 103
(Steuerdeklaration für die Verrechnungssteuer auf dem Ertrag inländischer
Aktien und Genussscheine) bei der EStV ein. Dagegen wurden die Unterlagen
pro 1978 und 1979 nicht eingereicht. Nachdem das Geschäftsjahr der
W. AG am 31. Dezember 1979 geendet hatte, ersuchte S. am 30. Juni 1980
um Fristerstreckung mit der Begründung, der Abschluss liege noch nicht
vor. Weitere solche Fristerstreckungsgesuche ergingen am 31. Dezember 1980
und am 31. März 1981. Mit Schreiben vom 20. Mai 1981 forderte die EStV
S. auf, bis zum 31. Mai 1981 die Deklaration nach Formular 103 sowie die
unterzeichnete Abschrift der Jahresrechnung 1978 und 1979 einzureichen,
ansonsten ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet würde. S. teilte der
EStV am 1. Juni 1981 mit, dass er seine Verpflichtungen erfüllt habe und
daher kein Anlass zu einem Strafverfahren bestehe; gleichzeitig überwies
er die Jahresrechnung 1978 mit der Bemerkung, dass die Jahresrechnung 1979
vermutlich im August 1981 vorliegen werde, so dass er eine Verzögerung
bis 31. August 1981 melde. Am 3. Juli 1981 stellte die EStV dem S.
ein sogenanntes Schlussprotokoll zu, worin sie in Aussicht nahm, ihn
mit Fr. 1'000.- zu büssen. Dieser äusserte sich dazu nicht, meldete aber
am 30. Oktober 1981, dass die Jahresrechnung 1979 vom Verwaltungsrat erst
im November 1981 verabschiedet werden könne und die Generalversammlung im
Dezember 1981 stattfinde. Weitere "Meldungen im Sinne von Art. 21 Abs. 1
und 4 VStV" erstattete er am 31. Dezember 1981 und am 29. Januar 1982. Die
EStV teilte ihm am 1. März 1982 mit, dass bezüglich der Unterlagen für
das Jahr 1979 ein Strafverfahren gegen die W. AG eröffnet worden sei. Am
31. März 1982 schrieb S. der EStV, es sei das Geschäftsjahr 1979 und
1980 zusammengelegt worden und der entsprechende Abschluss werde dem
Verwaltungsrat im Monat April 1982 zur Verabschiedung zuhanden der
Generalversammlung vorgelegt; die entsprechenden Unterlagen könnten
voraussichtlich bis Ende Mai 1982 eingereicht werden.

    C.- Die EStV erliess am 23. April 1982 gegen S. einen Strafbescheid
und verurteilte ihn zur Bezahlung einer Busse von Fr. 1'000.-. Am 6. Mai
1982 teilte sie diesem darüber hinaus mit, dass sie die Zusammenlegung
der zwei Geschäftsjahre 1979 und 1980 nicht akzeptiere. Gemeinsam mit
seiner Einsprache gegen den Strafbescheid reichte S. der EStV am 24. Mai
1982 das Formular 103 mit dem Geschäftsabschluss für die Jahre 1979 und
1980 per 31. Dezember 1980 ein, worauf die genannte Verwaltungsstelle
am 2. Juli 1982 (getrennte) Jahresrechnungen und Formulare 103 für
die Jahre 1979 und 1980 verlangte. Hiegegen erhob S. am 14. Juli 1982
Einsprache, deren Behandlung die EStV bis zur gerichtlichen Beurteilung
der Strafverfügung aussetzte.

    D.- Am 16. Juni 1983 sprach der Einzelrichter des Bezirksgerichts
Horgen S. der Widerhandlung gegen Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG schuldig
und verfällte ihn in eine Busse von Fr. 1'000.-.

    Das Obergericht des Kantons Zürich sprach S. am 15. Dezember 1983
von Schuld und Strafe frei.

    E.- Die EStV führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht anerkennt, dass Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG nicht
nur die Verletzung der Pflicht zur Einreichung der in Art. 21 Abs. 1 VStV
genannten Belege und Unterlagen und der daran anschliessenden Bezahlung der
Steuer erfasst, sondern auch die Missachtung der in Abs. 4 dieses Artikels
verlangten Obliegenheiten (Mitteilung des Grundes der Verzögerung und des
mutmasslichen Zeitpunkts der Rechnungsabnahme vor Ablauf des siebenten
Monats nach Beendigung des Geschäftsjahres). Auch hat die Vorinstanz
in casu eine Pflichtverletzung des Beschwerdegegners im letzteren Sinne
bejaht. Sie hat diesen aber dennoch deswegen freigesprochen, weil Art. 62
Abs. 1 VStG erfordere, dass durch die tatbestandsmässige Handlung die
"Durchführung" der Verrechnungssteuer gefährdet werde und eine solche
Gefahr hier nicht geschaffen worden sei.

    a) Im Verständnis der Vorinstanz setzt Art. 62 Abs. 1 lit. a
VStG eine konkrete Gefährdung der Durchführung der Steuer als Folge
der tatbestandsmässigen Handlung voraus. Indessen erscheint es schon
aufgrund des Gesetzeswortlauts als zweifelhaft, ob nach dieser Bestimmung
zusätzlich zu jener Handlung eine solche Gefahr erwiesen sein muss, macht
sich nach Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG doch strafbar, wer die gesetzmässige
Durchführung der Verrechnungssteuer gefährdet, indem er vorsätzlich oder
fahrlässig im Steuererhebungsverfahren der Pflicht zur Einreichung
von Steuererklärungen, Aufstellungen und Abrechnungen usw. nicht
nachkommt. Nach dieser Fassung liegt der gesetzgeberische Akzent eindeutig
auf der Vernachlässigung der vorgeschriebenen Mitwirkungspflicht, die eo
ipso eine Gefahr für die gesetzmässige Durchführung der Steuer einschliesst
und deshalb an sich strafwürdig ist. In dieselbe Richtung weist die
Natur der hier in Frage stehenden Steuer. Die Verrechnungssteuer ist eine
sogenannte Selbstveranlagungssteuer; die Feststellung der Steuerforderung
geht ausschliesslich vom Steuerpflichtigen selber aus, indem dieser sich
unaufgefordert bei der EStV anzumelden, die vorgeschriebene Abrechnung
mit Belegen einzureichen und gleichzeitig die Steuer zu entrichten hat
(Art. 38 Abs. 1 und 2 VStG). Das steuerfordernde Gemeinwesen mischt
sich in die Veranlagung nicht ein, sondern beschränkt sich zu deren
Sicherung auf eine amtliche Kontrolle oder Aufsicht (BLUMENSTEIN, System
des Steuerrechts, 3. Aufl. 1971, S. 351 und 385 ff.). Um der EStV die in
Art. 40 VStG vorgesehene Kontrolle zu ermöglichen, hat der Steuerpflichtige
ihr die seiner Veranlagung zugrunde liegenden Belege, namentlich den
Geschäftsbericht oder eine unterzeichnete Abschrift der Jahresrechnung usw.
(Art. 21 Abs. 1 VStV) einzureichen. Dass dies rechtzeitig, d.h. innert
angemessener Frist nach Beendigung des Geschäftsjahres zu geschehen hat,
versteht sich von selbst, wird doch die amtliche Kontrolle geschäftlicher
Abläufe mit zunehmender zeitlicher Entfernung von den zu kontrollierenden
Fakten stets schwieriger. Aus diesem Grunde sieht Art. 21 Abs. 4 VStV,
der übrigens an die Art. 698 Abs. 2 Ziff. 3 i.V.m. Art. 699 Abs. 2 und
Art. 724 OR anschliesst, vor, dass bei Nichtgenehmigung der Jahresrechnung
innert sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres die Gesellschaft
der EStV vor Ablauf des siebenten Monats den Grund der Verzögerung und
den mutmasslichen Zeitpunkt der Rechnungsabnahme mitzuteilen hat. Damit
soll gewährleistet werden, dass die EStV im Fall einer Verzögerung der
Selbstveranlagung rechtzeitig kontrollieren kann, ob die Säumnis durch
stichhaltige Gründe bedingt ist oder ob blosse Nachlässigkeit, Trölerei
oder gar absichtliche Machenschaften dahinterstehen. Gibt die Gesellschaft
keine oder ungenügende Gründe für die Säumnis an, besteht Ungewissheit
darüber, wie es sich damit verhält. Durch diese Ungewissheit aber wird
der Entscheid der EStV über das weitere Vorgehen erschwert und damit
die Durchführung der amtlichen Kontrolle beeinträchtigt. Das aber muss
zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG
genügen, ohne dass darüber hinaus eine konkrete Gefährdung der Durchführung
der Verrechnungssteuer oder gar des Steuerbezugs selber nachgewiesen werden
müsste (W. R. PFUND, Das Steuerstrafrecht, 1954, S. 71); denn die genannte
Bestimmung, die als Strafe bloss Busse vorsieht und sicherstellen will,
dass der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachkommt, stellt
einen blossen Ungehorsamstatbestand dar, der ähnlich den Art. 323 und 324
StGB bereits mit der Begehung der tatbestandsmässigen Handlung erfüllt
ist. Das hat die Vorinstanz verkannt.

    b) Da nach ihrem Urteil feststeht, dass S. als verantwortliches Organ
der W. AG seiner Pflicht zur Erteilung der Auskünfte nach Art. 21 Abs. 4
VStV zum Teil überhaupt nicht, zum Teil nur ungenügend nachgekommen ist,
ist der objektive Tatbestand des Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG gegeben. Der
angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache zurückzuweisen,
damit die Vorinstanz sich noch zum subjektiven Tatbestand ausspreche und
entsprechend dem Ergebnis ihrer neuen Prüfung verfahre.