Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 48



110 IV 48

17. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 11. Mai 1984 i.S. I. AG
gegen Bundesamt für Energiewirtschaft Regeste

    Art. 66 VStrR; Einziehungsverfahren.

    1. Ein förmlicher Beschluss ist im Verwaltungsstrafrecht als
Gültigkeitsvoraussetzung für die Eröffnung eines Einziehungsverfahrens
nicht vorgesehen.

    2. Die Einziehung von Vermögenswerten gemäss Art. 66 VStrR ist nicht
eine Strafe, sondern eine Massnahme.

Sachverhalt

    A.- 1.- Mit Strafbescheiden vom 19. September 1983 verfällte das
Bundesamt für Energiewirtschaft (BEW) M., Verwaltungsratspräsident der I.
AG, und S., Monteur der M. GmbH, in Bussen von Fr. 2'000.- bzw. Fr. 500.-,
weil die I. AG spätestens seit Sommer 1980 in der Schweiz durch Arbeiter
der M. GmbH zahlreiche elektrische Hausinstallationen ausgeführt hatte,
ohne die dazu notwendige Bewilligung des stromliefernden Werkes oder eine
Sonderbewilligung des Eidgenössischen Starkstrom-Inspektorats zu besitzen,
und weil sie dabei grössere Mengen nicht geprüften und bewilligten
Materials verwendet hatte. Beide Strafbescheide erwuchsen in Rechtskraft.

    2.- Mit einem der I. AG zugestellten Schlussprotokoll vom 27. Dezember
1982 wurde diese darauf hingewiesen, dass gegen sie ein Strafverfahren
eröffnet und gemäss Art. 66 VStrR erwogen werde, ob der von ihr erzielte
Gewinn eingezogen werden müsse. Am 28. Februar 1983 teilte dann allerdings
das BEW der I. AG mit, es habe gegen sie selber kein Strafverfahren,
sondern nur ein selbständiges Einziehungsverfahren einleiten wollen und
es beruhten die anderslautenden Ausführungen im besagten Schlussprotokoll
auf einem Versehen.

    B.- Am 25. April 1984 verfügte der untersuchende Beamte des BEW
"zur Abklärung der Höhe einer allfälligen Ersatzforderung gemäss
Art. 58 Abs. 4 StGB" die Beschlagnahme "sämtlicher Geschäftsbücher,
Geschäftskorrespondenzen und Buchungsbelege der I. AG aus den Jahren
1980, 1981 und 1982", verbunden mit der Aufforderung, die beschlagnahmten
Gegenstände dem BEW bis zum 21. Mai 1984 herauszugeben. Die Verfügung
wurde der I. AG am 26. April 1984 zugestellt.

    C.- Mit einer vom 30. April 1984 datierten und am gleichen Tag zur
Post gegebenen Eingabe ficht die I. AG die vorgenannte Verfügung mit
Beschwerde bei der Anklagekammer des Bundesgerichts an und beantragt die
Aufhebung der Verfügung.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Beschlagnahmeverfügung
sei aus verschiedenen Gründen nicht zulässig. Einmal sei ihr selber
kein Einziehungsverfahren eröffnet worden. Sodann verstiesse ein solches
Verfahren gegen den Grundsatz "ne bis in idem", weil die das Verfahren
abschliessenden Strafbescheide rechtskräftig geworden seien und deshalb
gegen die gleichen Personen nicht erneut ein Verfahren eingeleitet werden
dürfe. Auch müsse über die Einziehung im Endentscheid selber befunden
werden, was hier nicht geschehen sei. Ferner handle es sich bei der
Einziehung von Vermögenswerten nicht um eine Massnahme, sondern es habe
jene, wie vom Bundesgericht in BGE 105 IV 171 entschieden worden sei,
pönalen Charakter; habe aber das Einziehungsverfahren Strafcharakter, so
erfasse die Sperrwirkung der rechtskräftig gewordenen Strafbescheide auch
die Einziehung. Schliesslich verletze die Beschlagnahme Art. 66 VStrR,
weil nach dieser Bestimmung ein selbständiges Einziehungsverfahren nur
zulässig sei, wenn das Untersuchungsverfahren nicht zu einem Strafbescheid
geführt habe.

Erwägung 3

    3.- Diese Einwendungen der Beschwerdeführerin sind samt und sonders
unbegründet.

    a) Aus dem Schreiben des BEW vom 28. Februar 1983 geht
unmissverständlich hervor, dass gegen die I. AG ein selbständiges
Einziehungsverfahren eingeleitet werden wollte und auch eingeleitet
wurde. Zwar war im Schlussprotokoll vom 27. Dezember 1982 zunächst
von der Eröffnung eines Strafverfahrens die Rede gewesen, und es war
die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen worden, dass die Einziehung
des von ihr erzielten Gewinns erwogen werde. Indessen wurde dieses
Schlussprotokoll, das übrigens nie zu einem Strafbescheid gegen die
I. AG selber geführt hatte, in der Folge mit dem vorerwähnten Schreiben
berichtigt. Das genügte zur Eröffnung des Einziehungsverfahrens; denn wie
das Bundesgericht in BGE 106 IV 417 festgestellt hat, ist ein förmlicher
Eröffnungsbeschluss nicht Gültigkeitserfordernis für die Untersuchung im
Verwaltungsstrafrecht. A fortiori kann für die Eröffnung eines blossen
Einziehungsverfahrens nichts anderes gelten. Art. 38 Abs. 1 VStrR schreibt
übrigens nur vor, dass die Eröffnung der Untersuchung aus den amtlichen
Akten ersichtlich sein müsse. Das Schreiben vom 28. Februar 1983 stellt
ohne Zweifel ein solches Aktenstück dar.

    b) Von einer Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" kann keine
Rede sein, weil die rechtskräftigen Strafbescheide nicht gegen die I. AG,
sondern gegen M. und S. gerichtet waren und eine "Sperrwirkung" dieser
Entscheide es bloss verboten hätte, ein neues Verwaltungsstrafverfahren
wegen derselben strafbaren Handlungen gegen die beiden letztgenannten
Personen einzuleiten. Nichts stand jedoch der Eröffnung eines
Einziehungsverfahrens gegen die Beschwerdeführerin entgegen, kommt dieser
doch eigene Rechtspersönlichkeit zu und ist sie deshalb mit den von den
beiden Strafbescheiden betroffenen Personen nicht identisch.

    c) Da - wie bereits bemerkt - gegen die I. AG selber kein Strafbescheid
ergangen ist, kann dem BEW nicht entgegengehalten werden, es hätte über
die Einziehung in den das Verfahren abschliessenden Strafentscheiden
befinden müssen.

    d) Soweit die Beschwerdeführerin vermeint, aus BGE 105 IV 171 etwas
für sich ableiten zu können, geht sie fehl. Im genannten Urteil hat
das Bundesgericht der Einziehung von Vermögenswerten keineswegs den
Charakter einer Massnahme absprechen, sondern unter dem Gesichtspunkt
der Verjährung lediglich einen Unterschied machen wollen zwischen
der Einziehung als (präventiver) Sicherungsmassnahme und der nach
begangener Tat durchzuführenden Abschöpfung von deliktisch erlangten
Vermögensvorteilen. Wenn es dabei das Eigenschaftswort "repressiv" benutzt
hat, so nur deswegen, um eine gewisse Affinität zur Strafe aufzuzeigen,
nicht aber um den Massnahmecharakter der Einziehung zu verneinen.
Selbst wenn aber die Einziehung von Vermögensvorteilen Strafcharakter
hätte, würde das der Beschwerdeführerin nichts helfen, weil gegen sie
gar kein Strafbescheid ergangen ist, in welchem über die Einziehung hätte
entschieden werden können.

    e) Inwiefern schliesslich Art. 66 VStrR verletzt sein sollte, ist
schlechterdings nicht einzusehen. Da sich die Einziehung hier gegen die
I. AG und damit gegen eine "andere Person" als die von den Strafbescheiden
betroffenen "Beschuldigten" richtet, hat das BEW in Anwendung von Art. 66
Abs. 2 VStrR zutreffend ein selbständiges Einziehungsverfahren eröffnet.