Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 46



110 IV 46

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. März 1984
i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 15 Abs. 1 Verantwortlichkeitsgesetz.

    Wurde eine Ermächtigung des EJPD zur Strafverfolgung eines
Bundesbeamten während der Untersuchung und des erstinstanzlichen
Verfahrens nicht eingeholt, der unterinstanzliche Entscheid aber an
eine obere kantonale Instanz mit voller tatsächlicher und rechtlicher
Kognition weitergezogen und jener Mangel durch diese Instanz behoben, so
sind die der nachträglichen Beibringung der Ermächtigung vorausgegangenen
prozessualen Handlungen nicht nichtig.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht geltend, es hätte seine strafrechtliche
Verfolgung wegen fahrlässiger Tötung der Ermächtigung des EJDP bedurft
und eine solche sei während des ganzen erstinstanzlichen Verfahrens
weder verlangt noch erteilt worden. Die Folge müsse Nichtigkeit der
prozessualen Handlungen sein, welcher Mangel mit der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden könne.

    a) Nach Art. 15 Abs. 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes (VG; SR 170.32)
bedarf die Strafverfolgung von Beamten wegen strafbarer Handlungen, die
sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, ausgenommen wegen
Widerhandlungen im Strassenverkehr, einer Ermächtigung des EJPD. Dabei
handelt es sich um eine bundesrechtlich geregelte Prozessvoraussetzung,
deren Missachtung mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gerügt
werden kann, zumal sie in casu mit der Bundesstrafrecht betreffenden
Hauptfrage zusammenhängt.

    b) Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer Beamter im Sinne der
vorgenannten Bestimmung ist und die fahrlässige Tötung bei einer amtlichen
Verrichtung begangen hat. Zu seiner Verfolgung wegen dieses Delikts
hätte deshalb schon vom erstinstanzlichen Richter die Ermächtigung des
EJPD eingeholt werden müssen (R. HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen
Strafprozessrechts, S. 44 § 19, I). Das ist nicht geschehen, hat doch erst
das Obergericht dieselbe besorgt. Da aber für das Verfahren vor dieser
Instanz die genannte Prozessvoraussetzung erfüllt war, stellt sich die
Frage, ob damit der Mangel im erstinstanzlichen Verfahren nicht geheilt
wurde. Das Verantwortlichkeitsgesetz gibt darauf keine Antwort. Das
Schrifttum befasste sich bereits mit dem analogen Fall der Ermächtigung
zur Verfolgung von Militärpersonen. Dabei wird die Auffassung vertreten,
dass ohne Ermächtigung durchgeführte Untersuchungshandlungen nichtig
seien (K. HAURI, Militärstrafgesetz, S. 549 N. 11 zu Art. 219), während
in der kantonalen Praxis unter bestimmten Voraussetzungen das Gegenteil
angenommen wurde (SJZ 66/1970, S. 92 Nr. 51). Diese Aussagen betreffen
indessen nur den Fall, in welchem überhaupt keine Ermächtigung eingeholt
wurde, nicht auch die Frage, wie es sich verhalte, wenn - wie hier -
nach dem erstinstanzlichen Urteil die kantonale Rechtsmittelinstanz für
ihr Verfahren eine solche beschafft hat. In einem kantonalen Urteil aus
dem Jahre 1940 wurde eine Heilung des Mangels durch eine nachträgliche
Ermächtigung für Amtshandlungen im Verfolgungsstadium bejaht, für das
Urteil aber ausgeschlossen (ZR 39/1940, S. 182 Nr. 88 Ziff. 4). Dem
kann beigepflichtet werden, sofern es sich um ein Urteil handelt, das
nur noch mit einem ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angefochten
werden kann. Dagegen besteht kein Grund, Nichtigkeit auch dann anzunehmen,
wenn der Entscheid an eine obere kantonale Instanz weitergezogen wurde,
die zu einer vollständigen tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung
des gesamten bisherigen Verfahrens befugt war. Für diesen Fall steht der
Heilung des Mangels im erstinstanzlichen Verfahren durch die Einholung
der Ermächtigung zu Beginn des Rechtsmittelverfahrens nichts entgegen,
zumal dann nicht, wenn sich schon in erster Instanz gezeigt hat, dass die
gegen den Beamten erstattete Strafanzeige keineswegs ungerechtfertigt war;
denn Art. 15 Abs. 1 VG bezweckt den Schutz des Beamten vor Belästigung
durch völlig ungerechtfertigte Strafanzeigen und gleichzeitig einen
reibungslosen Gang der Verwaltung (BGE 87 I 85 E. 2).

    Wie sich aus dem oben Gesagten (Erw. 1 und 2) ergibt, war das gegen X.
angehobene Strafverfahren keineswegs ungerechtfertigt, sondern vielmehr
begründet. Zudem wurde das Urteil des erstinstanzlichen Richters mit
der Appellation an das Obergericht weitergezogen, welches Rechtsmittel
nach Art. 304 bern. StrV Suspensiv- und Devolutiveffekt hat und damit
eine revisio in facto et in iure ermöglicht. Das erstinstanzliche Verfahren
unterlag damit in seiner Gesamtheit der Überprüfung durch das Obergericht,
und dessen Entscheid ersetzte das Urteil des Gerichtspräsidenten von
Trachselwald (M. WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, N. 1 und
2 zu Art. 304). Unter diesen Umständen wäre es überspitzter Formalismus,
der vom Obergericht eingeholten Ermächtigung die heilende Wirkung
abzusprechen und das gesamte Verfahren als nichtig zu betrachten. Das
Begehren des Beschwerdeführers, das angefochtene Urteil wegen Nichtigkeit
des kantonalen Verfahrens aufzuheben, ist deshalb unbegründet.