Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 42



110 IV 42

15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Mai 1984 i.S. A. und
H. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 37 Abs. 2 SVG, Art. 18 Abs. 1 und 36 Abs. 3 VRV, Art.  100 Ziff. 2
SVG.

    1. Pflichtwidriges Anhalten eines Strassendienstwagens auf der Fahrbahn
einer Autostrasse (E. 2).

    2. Adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem
Tod eines Mitfahrers (E. 3).

    3. Sorgfaltspflicht des Vorgesetzten (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 29. September 1982, um 07.20 Uhr, fuhr eine Arbeitsequipe des
bernischen Tiefbauamtes in einem Landrover auf der Autostrasse Biel-Lyss
mit dem Auftrag, das Gras der Strassenböschung zu mähen. A. sass am
Steuer, der Vorgesetzte H. neben ihm auf dem Beifahrersitz, während
drei weitere Angestellte auf dem Rücksitz Platz genommen hatten. Die
Autostrasse ist 9 m breit und dreispurig, wobei abwechslungsweise je zwei
Spuren während einer bestimmten Strecke dem Verkehr in einer Richtung
zur Verfügung stehen. Nachdem H. den Befehl zum Anhalten gegeben hatte,
stoppte A. den Landrover auf der rechten der zwei hier dem Verkehr in
Richtung Lyss zur Verfügung stehenden Spuren. H. stieg ab und war im
Begriff, das Signal "Bauarbeiten" am Strassenrand hinter dem Fahrzeug
aufzustellen, als sich ein Kranwagen näherte, dessen Führer das Hindernis
im letzten Augenblick durch ein Ausweichen auf die Überholspur gerade
noch umfahren konnte. Ein diesem Fahrzeug dicht folgender Car konnte
dagegen weder rechtzeitig ausweichen noch anhalten, fuhr frontal gegen
den linken Heckteil des Landrovers, den A. kurz zuvor wieder in Bewegung
gesetzt hatte, um auf das Gras hinauszufahren, und schob dieses Fahrzeug
mit Wucht ca. 42 m weit ins angrenzende Feld hinaus. Dabei erlitt M. einen
tödlichen Genickbruch, während die zwei anderen Mitfahrer auf dem Rücksitz
und A. sowie eine Reiseführerin des Cars leicht verletzt wurden.

    B.- Am 15. Juni 1983 verurteilte der Gerichtspräsident II von
Nidau A. und H. wegen fahrlässiger Tötung zu bedingt aufgeschobenen
Gefängnisstrafen von 20 bzw. 30 Tagen.

    Das Obergericht des Kantons Bern sprach die beiden am 18. November 1983
ausser der fahrlässigen Tötung der groben Verletzung von Verkehrsregeln
schuldig, bestätigte aber den erstinstanzlichen Entscheid im Strafpunkt.

    C.- A. und H. führen in gemeinsamer Eingabe Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, sie seien einzeln von der Anschuldigung der fahrlässigen Tötung
und der groben Verletzung von Verkehrsregeln freizusprechen, eventuell
sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz legt A. zur Last, gegen Art. 37 Abs. 2 SVG,
Art. 18 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 3 VRV verstossen und damit den Unfall
und den Tod des M. verursacht zu haben.

    a) Nach Art. 37 Abs. 2 SVG dürfen Fahrzeuge dort nicht angehalten oder
aufgestellt werden, wo sie den Verkehr behindern oder gefährden könnten;
womöglich sind sie auf Parkplätzen aufzustellen. Art. 18 Abs. 1 VRV
präzisiert dies dahin, dass Fahrzeugführer nach Möglichkeit ausserhalb
der Strasse zu halten haben. Sodann verpflichtet Art. 36 Abs. 3 VRV,
der als Sonderregel für Autobahnen und Autostrassen erlassen wurde,
den Fahrzeugführer, nur auf signalisierten Parkplätzen zu halten und
für Nothalte Pannenstreifen und Abstellplätze für Pannenfahrzeuge zu
benützen. Diese im vorliegenden Fall anwendbare Bestimmung macht klar,
dass das Anhalten auf den Fahrbahnen solcher Strassen wegen der dort
gefahrenen hohen Geschwindigkeiten äusserst gefährlich ist, weshalb nur
auf von der Fahrbahn klar geschiedenen Parkplätzen und nur im Notfall auf
den Pannenstreifen und entsprechenden Abstellplätzen gehalten werden darf.

    b) Nach dem angefochtenen Urteil weist die Autostrasse Biel-Lyss
jedenfalls auf der Unfallstrecke keine solchen von der Fahrbahn getrennten
Verkehrsflächen auf, auf welchen der Beschwerdeführer den Landrover hätte
anhalten können. Dagegen stellt die Vorinstanz für den Kassationshof
verbindlich fest, es wäre für den geländegängigen Landrover kein Problem
gewesen, auf das Grasband ausserhalb der Fahrbahn hinauszufahren; auch
habe H. erklärt, der "normale Fahrer", d.h. der ordentliche Fahrer der
Equipe, wäre von sich aus hinausgefahren. Hätte der Landrover aber nach
dem Gesagten ohne weiteres ausserhalb der Autostrasse angehalten werden
können, hätte A. dies unbedingt tun müssen, zumal er - wie die Vorinstanz
erneut verbindlich feststellt - um die Gefährlichkeit der Autostrasse
Biel-Lyss wusste. Indem er es unterliess, verstiess er schuldhaft gegen
die vorgenannten Verkehrsregeln.

    Demgegenüber beruft er sich vergeblich auf BGE 90 IV 232, um die
dort für den Fall höherer Gewalt angedeutete Ausnahme von der Regel
für sich in Anspruch zu nehmen; denn von höherer Gewalt kann in casu
nicht die Rede sein. Aus BGE 102 II 281 aber kann A. deswegen nichts zu
seinen Gunsten ableiten, weil im damals beurteilten Fall der Lastwagen
innerorts und zum Auf- und Abladen von Waren angehalten hatte, was
hier nicht zutraf. Schliesslich ändert am Gesagten auch nichts, dass
Rücklichter und Rundleuchte des Landrovers eingeschaltet waren und das
Fahrzeug aus 100 bis 150 m Entfernung gesehen werden konnte. Das entband
den Beschwerdeführer nicht der Pflicht, den Wagen dennoch ausserhalb der
Fahrbahn anzuhalten. Im übrigen hatte das Bundesgericht in BGE 94 IV 131,
der einen ebenfalls auf der Autostrasse Biel-Lyss erfolgten Unfall betraf,
dem damaligen Beschwerdeführer, der eine Panne gehabt hatte, vorgehalten,
er hätte diese auf dem 3-4 m breiten Grasstreifen beheben sollen. Was
aber für den Fall einer Panne gilt, muss a fortiori für den vorliegenden
Fall Geltung haben, wo es dem Beschwerdeführer ohne weiteres möglich
gewesen wäre, den fahrtüchtigen Landrover auf das Grasband zu lenken,
um ihn daselbst anzuhalten.

Erwägung 3

    3.- Wie die Vorinstanz ausdrücklich und für den Kassationshof
verbindlich feststellt (BGE 101 IV 152 E. 2b mit Zitaten), war die
schuldhafte Missachtung der vorgenannten Verkehrsregeln durch A. für
den Unfall und damit für den Tod des M. "natürlich kausal". Soweit
sich der Beschwerdeführer hiergegen wendet, ist er nicht zu hören. Es
ist aber auch die rechtserhebliche Ursachenfolge gegeben; nach der
allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge war
nämlich das Verhalten des Beschwerdeführers geeignet, zu den tatsächlich
eingetretenen Folgen zu führen (BGE 103 IV 291 E. 2). Darüber hilft nicht
hinweg, dass im Augenblick des Zusammenstosses sich das Fahrzeug wieder in
langsamer Bewegung befand. Das schafft die Tatsache nicht aus der Welt,
dass es zuvor unzulässigerweise auf der Fahrbahn angehalten worden war
und wegen dieses Halts sich im Zeitpunkt des Unfalls noch in der Fahrbahn
befand. Übrigens entschloss sich A. nach dem angefochtenen Urteil deswegen,
den Wagen langsam in Bewegung zu setzen und auf das Grasband zu fahren,
weil er festgestellt hatte, dass der Führer des überholenden Kranwagens
das Hindernis offenbar erst im letzten Moment wahrgenommen hatte und
deswegen nur knapp an diesem vorbeigekommen war.

Erwägung 4

    4.- Dem Strasseninspektor-Stellvertreter und Vorgesetzten der
Arbeitsequipe H. wirft die Vorinstanz vor, seine Sorgfaltspflicht in
mehrfacher Hinsicht verletzt zu haben. Einmal habe er A. aufgefordert
anzuhalten und, als dieser es auf der Fahrbahn tat, ihn nicht angewiesen,
aufs Gras hinauszufahren. Zum andern hätte er für die Fahrt an den
Arbeitsort einen späteren Zeitpunkt wählen können, als ausgerechnet die
Hauptverkehrszeit am Morgen. Und schliesslich hätte er ein Absperren der
Fahrbahn, die er für das Aufladen des Grases vorgesehen habe, schon in
diesem Zeitpunkt anordnen sollen.

    Hiergegen wird in der Beschwerde nichts vorgebracht, was zu einer
Aufhebung des angefochtenen Urteils führen müsste. Der Hinweis darauf,
dass H. nach dem Aussteigen - eine brennende Stablampe in der Hand und das
Gefahrensignal tragend - auf den Landrover aufmerksam machte, entlastet ihn
nicht von dem Vorwurf, dass er es überhaupt nicht hätte zulassen dürfen,
dass das Fahrzeug auf der Fahrbahn angehalten wurde. Dass er A. gegenüber
"keine weiteren Weisungspflichten" gehabt habe, trifft nicht zu. Er war
nach dem angefochtenen Urteil der Vorgesetzte der Equipe und als solcher
nicht nur für deren Sicherheit, sondern auch dafür verantwortlich, dass
sich diese bei Verrichtung ihrer Arbeit an die gesetzlichen Vorschriften
und namentlich an die Verkehrsregeln hielt. Zutreffend stellt deshalb die
Vorinstanz fest, er hätte A. anweisen müssen, den Landrover aufs Gras
hinauszuführen. Dazu war er nicht nur befugt, sondern als Vorgesetzter
nach Art. 100 Ziff. 2 SVG auch verpflichtet. Indem er es unterliess,
hat er gleich A. und aus den bereits für diesen angeführten Gründen für
den Tod des M. einzustehen.