Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IV 15



110 IV 15

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. März 1984 i.S. M. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 140 Ziff. 2 StGB. Berufsmässige Vermögensverwaltung.

    Wer als verantwortlicher Angestellter die seiner Arbeitgeberfirma
(Bank, Treuhandbüro) erteilten Verwaltungsaufträge selbständig besorgt,
ist berufsmässiger Vermögensverwalter.

Sachverhalt

    A.- M. wurde am 23. November 1983 vom Obergericht des Kantons Zürich
(I. Strafkammer) wegen fortgesetzter Veruntreuung im Sinne von Art. 140
Ziff. 1 und 2 StGB (Deliktsbetrag Fr. 900'000.--), fortgesetzter
Unterdrückung von Urkunden im Sinne von Art. 254 Abs. 1 StGB und
fortgesetzter Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zu zwei Jahren Gefängnis, abzüglich 23 Tage Untersuchungshaft, verurteilt.

    B.- Gegen dieses Urteil führt M. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei in dem Sinne aufzuheben, dass
der Beschwerdeführer von der Anklage der fortgesetzten qualifizierten
Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 2 StGB freigesprochen und dass die
Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werde zur Bestrafung (wegen der
übrigen Anklagepunkte) mit höchstens 18 Monaten Gefängnis unter Gewährung
des bedingten Strafvollzuges.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Dem angefochtenen Schuldspruch liegt folgender Sachverhalt
zugrunde:

    M. war Angestellter der Bank X in Zürich, wo er zur Hauptsache
selbständig die Wertschriften der Bankkunden zu verwalten hatte. Auf
1. Januar 1973 wurde er zum Handlungsbevollmächtigten und auf 1. Januar
1979 zum Prokuristen befördert.

    Nachdem der Beschwerdeführer schon 1969 und 1970 je einmal einen
unerlaubten Verkauf von Kundentiteln getätigt hatte, liess er sich in den
Jahren 1971 bis 1979 in insgesamt 37 Fällen Aktien von Kunden der Bank X,
die auf Rechnung der Kunden, aber im Namen der Bank X bei einer andern
Bank hinterlegt waren, zustellen und verkaufte diese Wertschriften über
die Bank Y. Den Erlös von rund Fr. 900'000.-- liess er seinem privaten
Konto gutschreiben und verwendete den ganzen Betrag für eigene Bedürfnisse.

    Durch dieses Vorgehen hat der Beschwerdeführer unbestrittenermassen
Veruntreuungshandlungen begangen. Nach den Feststellungen der Vorinstanz
ist ein einheitlicher Willensentschluss und daher Fortsetzungszusammenhang
anzunehmen.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht hat unter Bezugnahme auf BGE 106 IV 22 angenommen,
der Beschwerdeführer habe als berufsmässiger Vermögensverwalter und zudem
als Organ eines bewilligungspflichtigen Geschäftes (Bank) gehandelt,
daher komme Ziff. 2 von Art. 140 StGB zur Anwendung.

    Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird die Auslegung, welche Art. 140
Ziff. 2 StGB im Präjudiz BGE 106 IV 22 gefunden hat, kritisiert und zudem
bestritten, dass der Beschwerdeführer im Sinne dieser Rechtsprechung
Organqualität besessen habe oder als berufsmässiger Verwalter von
Kundenvermögen unter Art. 140 Ziff. 2 StGB falle.

    a) In BGE 106 IV 22 wurde folgende Regel formuliert: "Wer
als Angestellter einer Bank für die Verwaltung von Kundenvermögen
(mit-)verantwortlich ist, ist daher - entgegen BGE 69 IV 164 f. -
berufsmässiger Vermögensverwalter im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB. Wer
innerhalb einer Bank eine Tätigkeit verrichtet, deretwegen die Bank der
behördlichen Bewilligung bedarf, übt einen durch die Behörde ermächtigten
Beruf im Sinne dieser Bestimmung aus (vgl. BGE 103 IV 18)." Dieses Urteil
wurde kritisiert von SCHULTZ (in ZBJV 1982 S. 19/20) und STRATENWERTH
(BT I, 3. Aufl., S. 193).

    b) Wie STRATENWERTH in seiner Abhandlung "Qualifizierte Veruntreuung
und Organhaftung" überzeugend darlegte (ZStR 1979/96 S. 90 ff.), ist
zu unterscheiden zwischen dem vom Verfasser anerkannten Grundsatz,
dass bei Delikten im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person die
verantwortlichen Organe belangt werden können, sofern bei ihnen sämtliche
Tatbestandsmerkmale gegeben sind, und der Frage, ob ein nur bei der
juristischen Person vorhandenes Deliktsmerkmal auf die natürliche Person,
die gehandelt hat, zu "übertragen" sei. Die sinngemässe Auslegung des
Täterbegriffs und die Prüfung seiner Anwendbarkeit auf den im konkreten
Fall Verantwortlichen (vgl. BGE 100 IV 38, 99 IV 110, 97 IV 204, 78 IV 38)
ist unbestrittenermassen zulässig. Wenn es aber nicht um die Auslegung des
Täterbegriffes geht, sondern analog wie in den durch Art. 172 und Art. 326
StGB geregelten Fällen, um die Übertragung eines nur bei der juristischen
Person vorhandenen Tätermerkmals auf die handelnde natürliche Person, bei
welcher es nicht vorliegt, dann ist - nach der Auffassung STRATENWERTHS,
die von SCHULTZ geteilt wird - eine gesetzliche Grundlage unerlässlich;
aus Art. 172 und 326 StGB dürfe nicht ein allgemein anwendbares Prinzip
abgeleitet werden, sondern richtig sei der Umkehrschluss, wonach
beim Fehlen einer entsprechenden ausdrücklichen Vorschrift objektive
Deliktsmerkmale, die nur bei der juristischen Person gegeben sind, nicht
auf die handelnde natürliche Person "übertragen" werden dürfen.

    c) In den Fällen der Art. 172 und 326 StGB geht es um Delikte zu
Gunsten der juristischen Person; der als Täter handelnden natürlichen
Person werden dort ex lege objektive Deliktsmerkmale (wie insbesondere die
Schuldnereigenschaft) "zugerechnet", die nach der Struktur der in Frage
stehenden Sachverhalte jeweils nur der juristischen Person zukommen können
(vgl. BGE 97 IV 203 f.).

    Im vorliegenden Fall hingegen handelt es sich weder um Verfehlungen
im Interesse der juristischen Person noch um ein Tätermerkmal, das
nach der Natur der Sache beim effektiv Handelnden nicht vorhanden sein
konnte. Während es beispielsweise logisch ausgeschlossen ist, dass
derjenige, der vor dem finanziellen Zusammenbruch einer juristischen
Person eine der in Art. 163 StGB umschriebenen Handlungen begeht, selber
die in der Strafnorm vorausgesetzte Schuldnereigenschaft besitzt,
ist es eine Frage der Interpretation, ob das Qualifikationsmerkmal
berufsmässiger Vermögensverwaltung im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB auch
dem Angestellten eines Unternehmens zukommt, das sich mit berufsmässiger
Vermögensverwaltung befasst. Das Organ einer juristischen Person, welche
die Schuldnereigenschaft (im Sinne der Art. 163/167, 170, 323/324) hat,
ist nicht selber Schuldner und kann auch auf dem Wege der Interpretation
nicht zum Schuldner "erklärt" werden. Dass der Angestellte, der im Rahmen
der Tätigkeit einer juristischen Person Vermögen Dritter verwaltet, als
"berufsmässiger Vermögensverwalter" im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB
zu gelten habe, ist jedoch weder durch den Gesetzestext noch durch die
ratio legis ausgeschlossen.

    d) Ob den kritischen Äusserungen zur bisherigen Praxis insoweit
zuzustimmen ist, als gefordert wird, die "Übertragung" eines
Tatbestandsmerkmals, das nur bei der juristischen Person vorliegt, auf
die handelnde natürliche Person setze eine ausdrückliche gesetzliche
Ermächtigung (analog Art. 172/326 StGB) voraus, kann hier offen
bleiben. Denn selbst wenn man - abweichend von der Begründung einzelner
Präjudizien (vgl. BGE 100 IV 41, 97 IV 204) - dieser Auffassung zustimmt,
so hat dies im vorliegenden Fall nicht eine Rückkehr zur frühern
Praxis (BGE 69 IV 164) zur Folge. Die Frage, ob der Angestellte als
berufsmässiger Vermögensverwalter qualifiziert werden kann, wenn er sich
im Rahmen der juristischen Person als Verwalter anvertrauten Vermögens
betätigt, ist damit nicht entschieden; denn dabei geht es nicht um die
"Übertragung" eines Tatbestandselementes, das nur bei der juristischen
Person vorhanden ist, auf die natürliche Person, sondern ganz einfach
um die Auslegung des Täterbegriffs bei der Verwaltung von Fremdvermögen
im Rahmen einer juristischen Person (oder allgemeiner: im Rahmen eines
grössern Unternehmens).

Erwägung 4

    4.- Die sinngemässe Interpretation des Qualifikationsgrundes hat
von den Überlegungen auszugehen, die den Erwägungen in BGE 106 IV 22
zugrundegelegt wurden: Die Bankkunden, welche den Banken Vermögenswerte
zur Verwaltung übergeben, haben ihr Gut nicht einem abstrakten Gebilde,
sondern den fachkundigen Leuten des Bankunternehmens anvertraut
zur getreuen und berufsmässigen Verwaltung. Für die Bestimmung der
strafrechtlichen Verantwortung kann nicht auf die zivilrechtliche
Ausgestaltung des Vertrauensverhältnisses abgestellt werden. Dass
der als Verwalter tätige Angestellte nicht selber Vertragspartner
des Vermögenseigentümers ist, sondern seine Arbeitgeberfirma, kann in
strafrechtlicher Sicht vernünftigerweise keine Auswirkungen haben; dieser
Umstand verringert die strafrechtliche Verantwortung der effektiv die
Veruntreuung begehenden natürlichen Person nicht. Es besteht kein Grund,
berufsmässige Vermögensverwaltung nur dann als erschwerenden Umstand
zu betrachten, wenn der Geschädigte zivilrechtlich unmittelbar mit dem
Täter in Verbindung stand, nicht aber wenn der Täter als Angestellter
eines Unternehmens handelte, welches sich mit Vermögensverwaltung
befasst. Wäre Art. 140 Ziff. 2 StGB im Sinne der gegen die bisherige
Rechtsprechung vorgebrachten Einwände restriktiv zu interpretieren, so
würde gerade der Qualifikationsgrund der berufsmässigen Vermögensverwaltung
einen grossen Teil seiner praktischen Bedeutung verlieren, weil die
berufsmässige Verwaltung fremden Vermögens heute in vielen Fällen
nicht durch Einzelpersonen, sondern im Rahmen grösserer Unternehmen
(Banken, Treuhandbüros usw.) erfolgt, wobei es letztlich für die hier
erörterte Problematik gar nicht darauf ankommt, ob der Vertragspartner des
Geschädigten und Arbeitgeber des Täters die Rechtsform einer juristischen
Person hat. In allen Fällen, in denen die natürliche Person, welche
die berufsmässige Verwaltung des fremden Vermögens besorgt, nicht selber
Vertragspartner des Geschädigten, sondern Angestellter des Vertragspartners
ist, könnte Art. 140 Ziff. 2 StGB - nach den erhobenen kritischen Einwänden
- gar nicht mehr zum Zuge kommen. Es besteht jedoch kein sachlicher Grund,
die höhere Strafdrohung von Art. 140 Ziff. 2 StGB davon abhängig zu
machen, ob der ungetreue berufsmässige Vermögensverwalter als direkter
Vertragspartner des Geschädigten handelte oder als verantwortlicher
Angestellter eines Unternehmens (Bank, Treuhandbüro, Verwaltungsfirma),
das zivilrechtlich die Verwaltung des Vermögens übernommen hat.

Erwägung 5

    5.- Aus den Feststellungen der Vorinstanz und aus dem an sich
unbestrittenen Sachverhalt ergibt sich klar, dass der Beschwerdeführer bei
der Bank X die Tätigkeit eines berufsmässigen Vermögensverwalters ausübte
und die inkriminierten Veruntreuungshandlungen im Rahmen dieser Tätigkeit
beging. Die Rüge einer unrichtigen Auslegung von Art. 140 Ziff. 2 StGB
erweist sich somit als unbegründet.

    Wie der Kreis der unter der strengeren Strafdrohung von Art. 140
Ziff. 2 StGB stehenden Mitarbeiter allenfalls innerhalb der personellen
Hierarchie eines solchen (Vermögensverwaltungen besorgenden) Unternehmens
zu ziehen ist, braucht hier nicht weiter untersucht zu werden. Der
Beschwerdeführer hatte (als Leiter der Wertschriftenabteilung) bei der
Verwaltung der anvertrauten Wertschriften von Drittpersonen einen Grad
von Selbständigkeit, der keine Zweifel darüber offen lässt, dass er unter
dem Aspekt von Art. 140 Ziff. 2 StGB als berufsmässiger Vermögensverwalter
zu qualifizieren ist.

Erwägung 6

    6.- Ob Ziff. 2 von Art. 140 StGB auch deswegen anzuwenden wäre, weil
das Bankgeschäft ein behördlich bewilligtes Gewerbe ist und die hier in
Frage stehenden Veruntreuungen bei der Vermögensverwaltung im Betrieb einer
Bank begangen wurden, kann offen bleiben, nachdem der Qualifikationsgrund
der berufsmässigen Vermögensverwaltung auf jeden Fall gegeben ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.