Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 52



110 II 52

12. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. März 1984 i.S.
Henid-Finanz AG gegen Seiler Hoch- und Tiefbau AG (Berufung) Regeste

    Art. 368 Abs. 2 OR und Art. 169 Abs. 1 der SIA-Norm 118.

    Nach diesen Bestimmungen verliert der Bauherr seinen
Minderungsanspruch, wenn er für die Nachbesserung einen Dritten beizieht,
statt dem Unternehmer zuerst Gelegenheit zu geben, die Mängel innerhalb
angemessener Frist selber zu beseitigen.

Sachverhalt

    A.- Die Seiler Hoch- und Tiefbau AG hat 1977/78 die Baumeisterarbeiten
für zwei Mehrfamilienhäuser in Oberengstringen ausgeführt. Im Oktober 1979
traten im Mauerwerk Wasserschäden auf, die nach Auffassung des Bauherrn,
der Henid-Finanz AG, unfachgemäss erstellten Dilatationsfugen in den
Fassaden zuzuschreiben waren.

    Im März 1982 klagte die Henid-Finanz AG gegen die Baufirma auf Ersatz
von Fr. 17'229.05 nebst Zins, die sie für die Sanierung der Fassaden
durch Dritte bezahlt habe; sie behielt sich zudem ein Nachklagerecht für
weiteren Schaden vor.

    Die Beklagte bestritt eine Ersatzpflicht und beantragte, die Klage
abzuweisen. Sie machte geltend, dass die Klägerin ihr entgegen Art. 169
der von den Parteien übernommenen SIA-Norm 118 keine Gelegenheit zur
Nachbesserung gegeben habe.

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 8. Juli
1983 ab, weil die Klägerin der Beklagten, welche die Nachbesserung
nicht verweigert habe, dazu nie eine Frist angesetzt habe; sie habe mit
dieser Arbeit vielmehr eigenmächtig Dritte beauftragt und dadurch ihren
Minderungsanspruch verwirkt; von missbräuchlichem Verhalten der Beklagten
könne keine Rede sein.

    B.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingereicht, die
vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Klägerin macht geltend, eine Verwirkung des
Minderungsanspruches sei entgegen der Meinung des Handelsgerichts
ausgeschlossen, wenn der Bauherr dem Unternehmer keine Gelegenheit zur
Verbesserung des Werkes gegeben habe. Diesfalls werde der Bauherr vielmehr
ersatzpflichtig, müsse sich folglich den Schaden, den er dem Unternehmer
durch seine Unterlassung zugefügt habe, auf seinen Minderungsanspruch
anrechnen lassen.

    Die Auffassung des Handelsgerichts stützt sich auf Art. 169 Abs. 1
SIA-Norm 118, der bestimmt, dass der Bauherr bei jedem Mangel zunächst
einzig das Recht hat, vom Unternehmer die Beseitigung des Mangels
innerhalb angemessener Frist zu verlangen. Mängelrechte gemäss Abs. 1
Ziff. 1 bis 3 kann er grundsätzlich erst ausüben, wenn der Unternehmer
die Mängel innerhalb der gesetzten Frist nicht behebt; vor Ablauf der
Verbesserungsfrist stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Unternehmer
sich ausdrücklich geweigert hat, die Verbesserung vorzunehmen, oder
wenn er hiezu offensichtlich nicht imstande ist (Abs. 2). Der Wortlaut
dieser Regelung ist klar und lässt keinen Raum zum Streit darüber,
ob sie nach dem, was über das Verhalten der Beklagten in tatsächlicher
Hinsicht feststeht, auch für den vorliegenden Fall gelte. Die Regelung
wird in der Lehre ebenfalls in diesem Sinne verstanden; sie versetzt den
Unternehmer in die Lage, den Bauherrn an der Ausübung des Minderungs- und
Wandelungsrechts zu hindern, wenn er bereit und imstande ist, die Mängel
frist- und sachgerecht zu beheben (GAUCH, Der Unternehmer im Werkvertrag,
N. 959 und 1046; REBER, Rechtshandbuch für Bauunternehmer, Bauherr,
Architekt und Bauingenieur, S. 152; GAUTSCHI, N. 19 zu Art. 368 OR). Bei
fehlender Aufforderung zur Nachbesserung innert einer bestimmten Frist kann
daher dem Bauherrn kein Minderungsanspruch entstehen, auch nicht in dem von
der Klägerin umschriebenen Umfang; wenn der Bauherr grundlos einen Dritten
für die Nachbesserung beizieht, tut er das auf eigene Kosten und Gefahr.

    An diesem Ergebnis würde sich im vorliegenden Fall übrigens selbst dann
nichts ändern, wenn gemäss dem Hinweis der Klägerin auf GAUTSCHI (N. 5b
zu Art. 368 OR) anzunehmen wäre, die Unterlassung einer Fristansetzung
zur Nachbesserung heisse nicht, dass der Bauherr jeden Minderungsanspruch
gegen den Unternehmer verliere. Die Klägerin meint, der Bauherr könne vom
Unternehmer selbst diesfalls das fordern, was der Unternehmer dadurch
erspart, dass er die Nachbesserung nicht selber vornehmen muss. Sie
behauptet aber nicht, im kantonalen Verfahren entsprechende Angaben
zur Ermittlung und Berechnung ihres Anspruches und des Schadens, der
darauf anzurechnen sei, gemacht zu haben; auch dem angefochtenen Urteil
ist darüber nichts zu entnehmen. In der Klage hat sie sich vielmehr
ausdrücklich darauf beschränkt, die ihr von der Spezialfirma Hotz in
Rechnung gestellten Instandstellungskosten geltend zu machen und sich
weitere Ansprüche vorzubehalten.