Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 488



110 II 488

92. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1984 i.S.
S. gegen I. und U. (Berufung) Regeste

    Art. 12 EGG. Voraussetzungen für die Eignung zur Selbstbewirtschaftung
eines landwirtschaftlichen Gewerbes.

    An die Eignung des Vorkaufsberechtigten zur Selbstbewirtschaftung
eines landwirtschaftlichen Gewerbes gemäss Art. 12 EGG dürfen nicht zu
strenge Anforderungen gestellt werden. Es genügt ein Durchschnittsmass
von beruflichen, persönlich/moralischen und physischen Fähigkeiten,
die nach den orts- und landesüblichen Vorstellungen notwendig sind,
um ein landwirtschaftliches Gut sachgemäss zu bewirtschaften.

Sachverhalt

    A.- Franz I. verkaufte am 23. Juli 1982 seine landwirtschaftliche
Liegenschaft mit Wohnhaus und zwei Ställen, Wiese und Wald, insgesamt knapp
zehn Hektaren, seiner Nachbarin Marie U. für Fr. 100'000.--. Im Kaufvertrag
liess sich der Verkäufer das unentgeltliche Wohnrecht am ganzen Haus auf
Lebenszeit sowie das Recht einräumen, in der Kaufliegenschaft 3-4 Stück
Vieh für sich zu halten, ohne hiefür eine Entschädigung zahlen zu müssen.

    Die Tochter des Verkäufers, Elisabeth S., erklärte innert Frist,
das Vorkaufsrecht zum Ertragswert gemäss Art. 6 und 12 des BG über die
Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG) auszuüben, und reichte
gegen ihren Vater und die Käuferin eine entsprechende Klage ein. Das
Bezirksgericht hiess diese mit Urteil vom 24. Juli 1983 gut.

    Die beiden Beklagten zogen dieses Urteil an das Kantonsgericht weiter,
welches die Berufung am 6. Juni 1984 guthiess, das angefochtene Urteil
aufhob und die Klage abwies.

    Dagegen reichte die Klägerin beim Bundesgericht Berufung ein mit
dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und dasjenige des
Bezirksgerichts zu bestätigen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Gewichtiger ist der Einwand in der Berufungsschrift, das
Kantonsgericht habe zu hohe Anforderungen an die Eignung der Klägerin und
ihres Ehemannes gestellt. Es trifft zu, dass entsprechend der Formulierung
von Art. 12 EGG kein strenger Beweis der Eignung verlangt werden kann. Der
Gesetzgeber hat sich damit begnügt, dass der Vorkaufsberechtigte - wie der
übernahmewillige Erbe nach Art. 620 Abs. 1 ZGB - für die Bewirtschaftung
"als geeignet erscheine". Das bedeutet, dass die angerufenen Behörden
nach freiem Ermessen zu entscheiden haben (vgl. F. STEIGER, Zur
Frage des Anwendungsbereiches und der Geltungskraft des bäuerlichen
Erbrechts sowie der allgemeinen Voraussetzungen der Integralzuweisung
eines landwirtschaftlichen Gewerbes, Diss. Bern 1966, S. 112 und 115;
ESCHER, N. 35 zu Art. 620 ZGB; TUOR/PICENONI, N. 16 zu Art. 620 ZGB; BGE
47 II 261, 56 II 251). Das heisst indessen nicht, dass beim Nachweis der
Eignung lediglich die Regeln über das Glaubhaftmachen angewendet werden
müssten. Die Klägerin hat vielmehr all jene Tatsachen nachzuweisen,
aus deren Gesamtwürdigung der Richter die Überzeugung gewinnen kann,
es sei wahrscheinlich, dass sich die Vorkaufsberechtigte angesichts
der konkreten Übernahmebedingungen auf dem Heimwesen behaupten und den
Betrieb sachgerecht führen könne. An diese Prognose und Wertung dürfen
gewiss nicht allzu strenge Massstäbe gelegt werden. Es muss nicht absolut
sicher und undiskutabel, sondern bloss wahrscheinlich sein, dass sich die
Berechtigte als selbständige Bewirtschafterin eines landwirtschaftlichen
Betriebs von der Grösse und Art des vorliegenden bewähren werde, wobei
die Vorinstanz zutreffenderweise in Analogie zu Art. 621 Abs. 3 ZGB auch
die Eignung des Ehegatten mit in ihre Überlegungen einbezogen hat, was
denn auch nicht bestritten ist.

    Es dürfen demzufolge nach Lehre und Rechtsprechung keine allzugrossen
Anforderungen an die Eignung des Berechtigten und seines Ehepartners
gestellt werden. Es genügt ein Durchschnittsmass derjenigen beruflichen,
persönlich/moralischen und physischen Fähigkeiten, die nach den orts- und
landesüblichen Vorstellungen notwendig sind, um ein landwirtschaftliches
Gut von der konkreten Grösse und Beschaffenheit sachgemäss zu
bewirtschaften (vgl. STEIGER, aaO, S. 113 und 114; auch BGE 70 II 19/20).

Erwägung 6

    6.- Die Klägerin legt dar, dass sie und ihr Ehemann diesen
Anforderungen in beruflicher, moralisch/physischer und wirtschaftlicher
Hinsicht entsprächen und dass die Eignung ihnen in Verletzung des
EGG abgesprochen worden sei bzw. dass viel zu hohe, ja übersteigerte
Anforderungen an ihre Eignung gestellt würden. Würde dem Kantonsgericht
gefolgt, würde eine ganze Generation von Landwirten in Berggegenden
(die heute ca. 50jährigen) diskriminiert, die - der Regel entsprechend
- auf dem elterlichen Hof geblieben seien und keine weitere Ausbildung
genossen hätten. Mit dieser Kritik verkennt die Klägerin jedoch, dass
besondere Einwände gegen ihre Eignung und diejenige ihres Ehemannes
erhoben werden, die im konkreten Fall das Durchschnittsmass an Eignung
zur Selbstbewirtschaftung selbst für einen mittleren und "strengwärchigen"
Bergbauernbetrieb als nicht gegeben erscheinen lassen.

    a) Zutreffend ist, dass die Eignung der Klägerin und ihres Ehemannes
in moralisch/physischer Hinsicht vom Kantonsgericht nicht in Abrede
gestellt worden ist. Insbesondere der Ehemann der Klägerin gilt als
rechtschaffen, arbeitsam und solid. Das Kantonsgericht hat auch nicht
verkannt, dass die Klägerin ihr ganzes Leben lang auf dem elterlichen
Betrieb zugebracht und dort stets Hand angelegt hat. Desgleichen ist
unbestritten, dass ihr Ehemann während 22 Jahren für seine Schwiegereltern
gearbeitet hat und - wie sich den Akten entnehmen lässt - von diesen
schlimmer als ein Knecht ausgebeutet worden ist. Fest steht auch, dass
weder die Klägerin noch ihr Mann einen Beruf erlernt haben. Sie waren
demnach bis vor wenigen Jahren stets als Hilfskräfte für ihre Eltern
bzw. Schwiegereltern tätig. Entgegen ihren Behauptungen haben sie jedoch
keineswegs die Bewirtschaftung gemeinsam betrieben, sondern diese lag nach
den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz allein in den Händen des
Vaters bzw. der Mutter der Klägerin.

    b) Dennoch liesse sich kaum die Eignung zur Selbstbewirtschaftung
verneinen, wenn es allein auf diesen Umstand ankäme. Die langjährige Arbeit
auf dem Hof der Eltern spricht für eine enge Verbindung der Klägerin und
ihres Ehemannes mit diesem Betrieb, und einer der in Art. 1 EGG genannten
Zwecke deutet in der Tat darauf hin, den Hof der Klägerin und ihrer Familie
zu überlassen, nachdem sogar Kinder mit landwirtschaftlicher Ausbildung und
- wie behauptet wird - Interesse an einer Arbeit auf diesem Hof vorhanden
sind. Das Gesetz zielt u.a. auch darauf ab, die Bindung zwischen Familie
und Heimwesen zu festigen.

    Indessen erschöpft sich der Zweck der landwirtschaftlichen
Gesetzgebung nicht darin, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt
hat. Es geht ebensosehr um den Schutz des bäuerlichen Grundbesitzes
als Träger eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes, um die
Förderung, Schaffung und Erhaltung landwirtschaftlicher Betriebe. Unter
dem Gesichtspunkt dieser weiteren Zweckbestimmung fällt nun aber stark
ins Gewicht, dass sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann sich bisher als
völlig hilflos erwiesen haben, ihre recht schwierige Lebenssituation aus
eigenen Kräften zu meistern. Für die selbständige Bewirtschaftung eines
mittleren Bauernbetriebs genügt es heute nicht mehr, von Jugend an darin
mitgearbeitet zu haben. Es genügt auch nicht, einen solchen Betrieb einfach
so weiter bewirtschaften zu wollen, wie dies seit Jahrzehnten gehandhabt
wurde (vgl. BGE 70 II 19). Angesichts des ständigen Wandels in der
Landwirtschaft und ihrer im allgemeinen recht schwierigen Lage, angesichts
ständiger Änderungen in den Produktionsformen und Konsumgewohnheiten
muss vom Berechtigten und seinem Ehepartner wenigstens die Fähigkeit
erwartet werden, solchen Anforderungen einigermassen zu genügen sowie
disponieren und die notwendigen grösseren und kleineren Entscheidungen
selbst fällen zu können. Dieses Minimum an Eigenschaften eines modernen
landwirtschaftlichen Betriebsführers scheint nun aber beiden Ehegatten
S. völlig abzugehen. Die Vorinstanz stellt verbindlich fest, es fehle
an jeglicher Erfahrung in der Betriebsführung und an Anstrengungen,
die Kenntnisse zu erweitern. Derartige Kenntnisse hätten sich die
Klägerin und ihr Ehemann selbst bei minimaler Schulbildung im Verlaufe
der vergangenen Jahre (z.B. durch Arbeit auf andern Höfen, durch den
Besuch von Kursen u.a.m.) verschaffen können, ohne dass deswegen zu
hohe Ansprüche an sie gestellt worden wären. Wie sich vor allem aus
der Parteibefragung klar ergab, waren aber beide von einer geradezu
erschreckenden Passivität, und anscheinend fehlte ihnen auch jegliches
Interesse. Auf diesem Hintergrund ist die in der Berufungsschrift zu
Unrecht beanstandete Bemerkung der Vorinstanz zu verstehen, dass der
Klägerin selbst Kenntnisse einer einfachen Buchführung völlig abzugehen
scheinen, wie sie heute auf einem mittleren Bauernbetrieb unerlässlich
seien. Mehr als die Fähigkeit, ein Haushaltbuch zu führen, dürfte damit
zwar wohl nicht verlangt werden. Aber die Klägerin übersieht mit ihrer
Kritik, dass die Führung eines Bauernbetriebs in der heutigen Zeit mit
ihren sozialstaatlichen Einrichtungen dem Betriebsleiter eine Vielzahl
von Pflichten auferlegt (z.B. Lohn- und Einnahme-Abrechnungen für die
Beitragsbemessung der AHV/IV, für den Anspruch auf landwirtschaftliche
Kinderzulagen und auf Beiträge und Subventionen aller Art usw.). Die
minimale Kenntnis einer einfachen Buchhaltung würde die Erfüllung solcher
"Buchführungs-Pflichten" erleichtern. Sie durfte von der Vorinstanz ohne
Verletzung von Bundesrecht gefordert werden.

    c) Die grosse Hilflosigkeit der Klägerin und ihres Ehemannes in der
Bewältigung ihrer Lebenslage zeigt sich auch darin, dass sie u.a. sogar zur
Verwaltung des Lohnes aus der gegenwärtigen Anstellung des Ehemannes eines
Beistandes bedürfen, obwohl sich die äussere Situation in familiärer und
finanzieller Hinsicht stabilisiert hat. Das Ehepaar hat bisher offenbar
auch noch nie Schritte unternommen, um sich in dieser Hinsicht wieder
auf eigene Füsse zu stellen. Im Gegenteil: die Klägerin und vor allem
ihr Ehemann zeichnen sich durch eine ausserordentlich grosse Passivität
und Abhängigkeit von ihrem Beistand aus. Sie verlassen sich nicht nur in
grösseren Angelegenheiten, sondern ganz allgemein gerne auf ihn. Sie haben
sich beide bisher nie Gedanken über die Folgen einer allfälligen Übernahme
des Betriebs in persönlicher und finanzieller Hinsicht gemacht. Das müsste
alles der Beistand ordnen.

    d) Die Vorinstanz durfte auch ohne Verletzung von Bundesrecht die
finanziellen Probleme, die mit der Übernahme zur Selbstbewirtschaftung
im vorliegenden Fall verbunden sind, und die entsprechend höheren
Anforderungen an die Eignung der Klägerin und ihres Ehemannes
hervorheben. Richtig ist zwar, dass im Gegensatz zum bäuerlichen
Erbrecht für die Ausübung des Vorkaufsrechts zum Ertragswert kein
Nachweis erforderlich ist, dass das landwirtschaftliche Gewerbe im
Sinne von Art. 6/12 EGG eine bäuerliche Existenz gewährleiste. Es genügt
vielmehr, dass der Verdienst, der sich aus der Bewirtschaftung des Bodens
erzielen lässt, einen ins Gewicht fallenden Beitrag zum Einkommen des
Bewirtschafters bildet (BGE 97 II 283). Das hindert aber nicht, dass
dennoch die Anforderungen an die Eignung zur Selbstbewirtschaftung auch
hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geprüft werden, hat
doch die Möglichkeit der erleichterten Übernahme des landwirtschaftlichen
Betriebs im Sinne von Art. 12 EGG gerade auch zum Zweck, die Gewähr
für einen gesunden und leistungsfähigen Bauernstand zu bieten. Eine
solche Gewähr ist aber nicht gegeben, wenn Tatsachen dafür sprechen,
dass der Berechtigte bei Übernahme des Hofes auch finanziell auf die
Dauer überfordert wäre. Auf solche Tatsachen hat die Vorinstanz mit
Recht hingewiesen, so etwa auf die Notwendigkeit, Maschinen und Vieh
anzuschaffen, das Wohnhaus zu sanieren und einen angemessenen Lohn für
eine allfällige Mitarbeit des Sohnes zu erwirtschaften. Angesichts der
hohen zu erwartenden Kosten lässt sich auch nicht beanstanden, wenn das
Kantonsgericht die Ersparnisse von rund Fr. 41'000.-- als verhältnismässig
bescheiden und für die Lösung der zu erwartenden Probleme als ungenügend
bezeichnet hat.