Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 329



110 II 329

66. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. März 1984
i.S. Meyes gegen Kleiner (Berufung) Regeste

    Bäuerliches Erbrecht.

    1. Die Selbstbewirtschaftung ist nicht in jedem Fall gesetzliche
Voraussetzung für die ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen
Gewerbes (E. 3).

    2. Verlangen mehrere Bewerber die Integralzuweisung und würde
keiner von ihnen den Betrieb selber bewirtschaften, sind die persönlichen
Verhältnisse massgebend. Dabei verdient der Zweck des bäuerlichen Erbrechts
mitberücksichtigt zu werden. Fall, da die engere Verbundenheit zum Hofe
entscheidend ins Gewicht fällt (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Anna Meyes und Wera Kleiner sind je zur Hälfte
Gesamteigentümerinnen der landwirtschaftlichen Liegenschaft
Steffisburg-Grundbuchblatt Nr. 1396. Mit Klage vom 12. Januar 1982 stellte
Wera Kleiner (Klägerin) das Begehren, das Grundstück sei körperlich zu
teilen und die Parteien seien in bezug auf ihr bisheriges Gesamteigentum
gerichtlich auseinanderzusetzen. Anna Meyes (Widerklägerin) schloss
auf Rückweisung, eventuell Abweisung der Klage und widerklageweise auf
ungeteilte Zuweisung des landwirtschaftlichen Heimwesens zum Ertragswert an
sie, eventuell auf flächengleiche Teilung. In ihrem ersten Parteivortrag
berichtigte die Klägerin ihr Klagebegehren dahingehend, dass sie anstelle
der körperlichen Teilung des umstrittenen Heimwesens nunmehr auch die
ungeteilte Zuweisung an sich und damit Abweisung der Widerklage beantragte.

    Der Appellationshof des Kantons Bern (III. Zivilkammer) als einzige
kantonale Instanz wies am 16. Juni 1983 Klage und Widerklage ab. Mit
Berufung an das Bundesgericht beantragt die Widerklägerin die Aufhebung
des Urteils des Appellationshofs und die ungeteilte Zuweisung des
landwirtschaftlichen Heimwesens zum Ertragswert an sie. Die Klägerin erhob
Anschlussberufung. Sie verlangt die Abweisung der Berufung, die Aufhebung
des angefochtenen Urteils und die Zuweisung des landwirtschaftlichen
Heimwesens ungeteilt zum Ertragswert an sie. Der Appellationshof hat sich
zu Berufung und Anschlussberufung nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Für die ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen
Gewerbes müssen objektive und subjektive Voraussetzungen erfüllt
sein. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass sämtliche vom Gesetz
vorgesehenen objektiven Voraussetzungen gegeben sind. Fest steht auch,
dass grundsätzlich beide Erbinnen zur Übernahme des Heimwesens als
geeignet erscheinen. Soweit sich die Parteien gegen diese Feststellung
im angefochtenen Urteil wenden, ist ihre Kritik nicht zulässig (Art. 63
Abs. 2 OG; BGE 83 II 118, 92 II 224/25). Das Bundesgericht hat vorerst
nur zu prüfen, ob der Appellationshof trotz erfüllter Voraussetzungen
ohne Verletzung von Bundesrecht beiden Bewerberinnen die Übernahme hat
versagen dürfen.

    b) Das Obergericht hat die Zuweisung des Heimwesens an eine Partei
verweigert, weil dies dem Zweckgedanken des bäuerlichen Erbrechts
widerspräche. Es werde von beiden Parteien nicht beabsichtigt,
den Landwirtschaftsbetrieb für nachfolgende Generationen zu sichern,
und es entspreche keinem agrarpolitischen Bedürfnis, den im gemeinen
Erbrecht geltenden Grundsatz der Gleichbehandlung der Erben mit Hilfe
der Sonderbestimmungen des bäuerlichen Erbrechts zu durchbrechen.

    c) Diese Auffassung vermag vor Bundesrecht nicht standzuhalten. Beide
Erbinnen erfüllen die subjektiven Voraussetzungen für eine Übernahme
des Hofes ohne Selbstbewirtschaftung und dürfen deshalb nicht von dieser
ihnen von Gesetzes wegen zustehenden Möglichkeit ausgeschlossen werden
(vgl. dazu TUOR/PICENONI, Kommentar, N. 10 der Vorbemerkungen zu Art. 620
ZGB, N. 12 zu Art. 620; BGE 92 II 224). Umstritten ist denn auch gar nicht
die Integralzuweisung als solche, sondern lediglich, welche der beiden
Konkurrentinnen den Hof zum Ertragswert zugeteilt erhalten soll. Unter
solchen Umständen geht es nicht an, die Parteien auf Art. 625bis ZGB zu
verweisen. Die Vorinstanz setzt sich damit auch in Widerspruch zu ihren
eigenen agrarpolitischen Überlegungen. Die Möglichkeit eines Verkaufs
im Sinne des Art. 625bis ZGB ist grundsätzlich erst als ultima ratio
vorzusehen (BGE 92 II 225, TUOR/PICENONI, N. 22 zu Art. 620, N. 8 zu
Art. 625bis ZGB; NEUKOMM/CZETTLER, aaO, S. 121).

    Der angefochtene Entscheid erweist sich aber gerade auch unter
agrarpolitischen Gesichtspunkten, auf die sich die Vorinstanz grundsätzlich
zu Recht berufen hat (vgl. TUOR/PICENONI, N. 12 der Vorbemerkungen
zu Art. 620, NEUKOMM/CZETTLER, aaO, S. 15), als nicht haltbar. Die
Bestimmungen des bäuerlichen Erbrechts haben vor allem zum Zweck, einen
gesunden und leistungsfähigen Bauernstand zu erhalten und existenzfähige
landwirtschaftliche Betriebe vor der Zersplitterung zu bewahren (BGE 95
II 395 mit Hinweisen, BGE 107 II 35; NEUKOMM/CZETTLER, aaO, S. 16). Beide
Parteien wollen den Bauernhof als solchen erhalten und vermeiden, dass
dieser durch den von der Vorinstanz ins Auge gefassten Verkauf für einen
Erwerber, der das Heimwesen allenfalls zur Selbstbewirtschaftung übernähme,
wirtschaftlich untragbar würde. Eine Veräusserung des Heimwesens würde
selbst dann, wenn eine der Erbinnen vom Recht des Art. 625bis ZGB Gebrauch
machen würde, noch keine Gewähr dafür bieten, dass das Heimwesen nicht
später zerstückelt oder aber dass es zu blosser Kapitalanlage und damit der
agrarpolitischen Zwecksetzung zuwider erworben würde. Wie die Klägerin
mit Recht darlegt, muss diese Lösung für Fälle vorbehalten bleiben,
wo entweder keiner der Erben Anspruch auf Integralzuweisung erhebt oder
alle Ansprecher als völlig ungeeignet für eine Übernahme - sei es zur
Selbstbewirtschaftung, sei es für die Verpachtung - erscheinen. Das aber
trifft für den vorliegenden Fall gerade nicht zu.

    Die Vorinstanz hat als entscheidend betrachtet, dass keine der
Ansprecherinnen für sich in Anspruch nehmen könne, es gehe um den Schutz
der Bindung zwischen einer den Beruf ausübenden Bauernfamilie und ihrem
landwirtschaftlichen Gewerbe (BGE 95 II 396). Für beide Parteien sei
eine Sicherung des Landwirtschaftsbetriebes für nachfolgende Generationen
nicht beabsichtigt. Das wird von beiden Parteien bestritten. Soweit die
Parteien und namentlich die Widerklägerin dabei Tatsachen behaupten,
die im angefochtenen Entscheid nicht festgehalten sind, sind diese
Vorbringen nicht zu hören. Das ändert jedoch nichts daran, dass die
Argumentation des Appellationshofes bundesrechtswidrig ist. Wäre die
Sicherung des Heimwesens für nachfolgende Generationen allein der Zweck
der Integralzuweisung, so wären zum vorneherein ledige Erben von einer
Integralzuweisung ausgeschlossen, da diese in der Regel den Betrieb
nicht für Nachkommen und damit nicht für nachfolgende Generationen
übernehmen können. Die Widerklägerin hat daher zu Recht gerügt, dass die
Betrachtungsweise der Vorinstanz zu eng ist und dem Sinn der Vorschriften
des bäuerlichen Erbrechts nicht gerecht wird.

Erwägung 4

    4.- Unter den gegebenen Umständen hätte der Appellationshof somit
gestützt auf die Abwägung der persönlichen Verhältnisse die Zuweisung
des landwirtschaftlichen Heimwesens an die eine oder andere Partei zum
Ertragswert vornehmen müssen (BGE 94 II 261 E. 4). Gestützt auf die
Feststellungen im angefochtenen Entscheid kann das Bundesgericht dies im
Berufungsverfahren nachholen.

    a) Der Appellationshof hat für das Bundesgericht verbindlich
festgestellt, dass beide Parteien beabsichtigen, das Heimwesen nicht selbst
zu bewirtschaften. Entscheidend ist daher einzig, ob die persönlichen
Verhältnisse der Parteien für eine Integralzuweisung an die eine oder
andere Bewerberin sprechen, wobei Sinn und Zweck des bäuerlichen Erbrechts
mitberücksichtigt zu werden verdienen (vgl. NEUKOMM/CZETTLER, aaO, S. 15).

    b) Auf seiten der Klägerin hält der Appellationshof fest, dass
deren Ehemann, der bei Beurteilung der Frage der Eignung nach Art. 621
Abs. 3 ZGB mitzuberücksichtigen ist, als Kulturingenieur von Berufs wegen
befähigt wäre, einem Pächter entsprechende Weisungen zu erteilen und ihn zu
beaufsichtigen. Die Klägerin, die das 60. Altersjahr überschritten habe,
erfreue sich einer guten Gesundheit. Nur auf ihrer Seite seien Nachkommen
vorhanden, die allenfalls für eine künftige Übernahme des Heimwesens in
Frage kommen könnten. Keiner der Söhne sei indessen in der Landwirtschaft
tätig und werde es aller Voraussicht nach auch nicht sein. Was die noch
schulpflichtigen Enkel anbelange, sei heute noch völlig ungewiss, ob sie
sich je einer landwirtschaftlichen Berufstätigkeit zuwenden würden. Selbst
wenn dies dereinst bei einem Grosskind tatsächlich eintreffen sollte,
entstünde eine Lücke, während welcher der Hof wohl verpachtet werden
müsste. Gegen die Übernahme durch die Klägerin spricht nach Auffassung
der Vorinstanz, dass diese in örtlicher Hinsicht keinen Bezug zum Hof
und auch über all die Jahre hinweg wenig oder keinen Kontakt mit Hof und
Pächter gepflegt habe.

    c) Zugunsten der Widerklägerin führt die Vorinstanz ins Feld, dass
dieser die Eignung zur Beaufsichtigung eines Pächters nicht abzusprechen
sei. Sie werde ihr vom Pächter denn auch ausdrücklich bescheinigt. Auch
sie habe das 60. Altersjahr überschritten, erfreue sich jedoch ebenfalls
einer guten Gesundheit. Nachkommen, die für eine allfällige spätere
Übernahme des Hofes in Frage kommen, fehlen auf ihrer Seite. Dagegen
spricht ihr der Appellationshof eine bedeutend engere räumliche und
persönliche Verbundenheit mit dem Hof zu. Wie die Vorinstanz verbindlich
feststellt, hat die Beklagte dort schon seit Jahrzehnten gelebt und
gearbeitet. Sie wohnt auch heute noch in einer Wohnung im ersten Stock
des Bauernhauses. Ihr Vater habe den heutigen Pächter nachgezogen, mit
dem sie ein gutes Verhältnis verbinde.

    d) Bei der Beurteilung der persönlichen Verhältnisse fällt entscheidend
ins Gewicht, dass die Widerklägerin eine engere, jahrzehntelange Beziehung
zum Heimwesen hat, dort wohnt, dort gearbeitet hat und ein gutes Verhältnis
zum heutigen Pächter pflegt. Die Vorinstanz hat denn auch ausgeführt, dass
"die Waagschale angesichts der unstreitig engeren Verbundenheit zum Hofe"
auf die Seite der Widerklägerin neige. In Gutheissung der Berufung der
Widerklägerin ist demnach die Zuteilung an sie vorzunehmen. Das führt
konsequenterweise zur Abweisung der Anschlussberufung, auch wenn diese
sich, jedenfalls dem Grundsatze nach, ebenfalls als begründet erweist.

    e) Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil beträgt der
Ertragswert Fr. 131'280.--. Der Appellationshof hat die Expertise
der Gültschatzungskommission nicht in Zweifel gezogen, und auch die
Parteien haben in dieser Hinsicht keine Vorbehalte angebracht. Es kann
daher ohne Rückweisung an die Vorinstanz entschieden werden, dass die
ungeteilte Zuweisung des Heimwesens zum Ertragswert von Fr. 131'280.--
zu erfolgen hat.