Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 309



110 II 309

62. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Februar 1984 i.S. Schneider
gegen Altmann (Berufung) Regeste

    Art. 28 Abs. 3 BMM; zweijährige Kündigungsschutzfrist.

    1. Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer Kündigung gemäss
Art. 28 Abs. 3 BMM; Passivlegitimation bei Verkauf der Liegenschaft
während des kantonalen Verfahrens (E. 1).

    2. Die Schutzfrist des Art. 28 Abs. 3 BMM gilt auch gegenüber dem
Erwerber der Mietliegenschaft, wenn er den Mietvertrag übernommen hat
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Verena Schneider schloss mit Jacky Wolf am 29. März 1977 einen
Mietvertrag über ein Ladenlokal in der Liegenschaft Storchengasse 21 in
Zürich ab. Sie betreibt dort seither eine Boutique für Lederbekleidung.

    Wolf verkaufte am 15. Juli 1981 die Liegenschaft an die Hotel Storchen
AG. Wegen einer von der neuen Vermieterin angekündigten Mietzinserhöhung
leitete Verena Schneider ein Schlichtungsverfahren aufgrund des
Bundesbeschlusses über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen ein,
das von der Schlichtungsstelle mit Beschluss vom 15. Juni 1982 als durch
aussergerichtlichen Vergleich erledigt abgeschrieben werden konnte.

    Am 29. Oktober 1982 verkaufte die Hotel Storchen AG die Liegenschaft an
Hans Rudolf Altmann, der das Mietverhältnis mit Schreiben vom 9. November
1982 per 30. April 1983 wegen eines geplanten Umbaus kündigte.

    Im Dezember 1982 klagte Verena Schneider beim Mietgericht des Bezirkes
Zürich gegen Altmann mit den Anträgen, die Kündigung vom 9. November 1982
als ungültig zu erklären, eventuell die Mietdauer zu erstrecken. Vor
dem Mietgericht anerkannte der Beklagte, dass die Kündigung erst
auf den nächsten ortsüblichen Termin, den 30. September 1983, wirksam
werden könne. Das Mietgericht stellte mit Urteil vom 31. Januar 1983 die
Gültigkeit der Kündigung vom 9. November 1982 mit Wirkung per 30. September
1983 fest und wies die Klage im übrigen ab.

    Das Obergericht des Kantons Zürich hat mit Beschluss vom 5. August
1983 einen von der Klägerin gegen das Urteil des Mietgerichts erhobenen
Rekurs abgewiesen.

    Die Klägerin hat gegen den Beschluss des Obergerichts Berufung
eingereicht mit den Anträgen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids
die Kündigung des Beklagten vom 9. November 1982 als nichtig zu erklären,
eventuell die Mietdauer nach richterlichem Ermessen zu erstrecken.

    Ihr Hauptbegehren stützt die Klägerin darauf, dass sich der
Käufer einer Liegenschaft, der in den Mietvertrag eingetreten ist, die
zweijährige Kündigungsschutzfrist von Art. 28 Abs. 3 BMM entgegenhalten
lassen müsse. Das Eventualbegehren wird damit begründet, es liege eine
Härte im Sinne von Art. 267a OR vor.

    Der Beklagte beantragt Abweisung der Berufung, eventuell Rückweisung
des Prozesses an die Vorinstanz. Er legt in der Berufungsantwort dar,
er habe am 2. Juni 1983 die Liegenschaft Storchengasse 21 an Hanspeter
Grössenberger verkauft. Dieser habe das Mietverhältnis nicht übernommen
und der Klägerin am 24. Juni 1983 per 30. September 1983 gekündigt. Die von
ihm selbst ausgesprochene Kündigung vom 9. November 1982 wirke im übrigen
auch zu Gunsten von Grössenberger als Erwerber der Liegenschaft. Finde
während eines Erstreckungsverfahrens ein Eigentümerwechsel statt, so
trete von Bundesrechts wegen ein Parteiwechsel ein. Daraus ergebe sich,
dass als Beklagter im vorliegenden Verfahrensstadium Grössenberger
aufzutreten habe. Die Berufung sei aber auch abzuweisen, wenn er immer
noch als Beklagter anzusehen wäre.

    Aus einem vom Beklagten eingereichten Beschluss des Mietgerichts
Zürich vom 17. Oktober 1983 ergibt sich, dass die Klägerin gegen
Grössenberger ein Begehren um Erstreckung des Mietverhältnisses
eingereicht hat. Das Mietgericht hat dieses Verfahren bis zum Vorliegen
des Bundesgerichtsurteils sistiert. Das Gericht nimmt an, Grössenberger
sei als Erwerber der Liegenschaft auch im bundesgerichtlichen Verfahren
Partei. Das Bundesgericht könne die Kündigung von Altmann als gültig
betrachten und das Mietverhältnis allenfalls erstrecken. Dann werde
das Verfahren vor dem Mietgericht entweder gegenstandslos oder die Klage
müsse mangels Vorliegen einer gültigen Kündigung abgewiesen werden. Das
Bundesgericht könne die seinerzeitige Kündigung von Altmann jedoch auch für
ungültig betrachten. Erst dann stelle sich für das Mietgericht die Frage,
ob die Kündigung vom 24. Juni 1983 gültig sei und ob das Mietverhältnis
erstreckt werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Passivlegitimation des Beklagten ist aufgrund des für das
Berufungsverfahren geltenden Novenverbots (Art. 55 Abs. 1 lit. c und Art.
61 Abs. 1 OG) ohne weiteres zu bejahen. Alle Tatsachen, mit welchen der
Beklagte den Parteiwechsel begründen will, waren ihm schon im Juni 1983,
also vor der Urteilsfällung durch das Obergericht am 5. August 1983
bekannt, so dass er sie bereits im kantonalen Verfahren hätte vorbringen
können. Ob neue Tatsachenbehauptungen geltend gemacht werden könnten,
wenn die Liegenschaft erst im Verlauf des Berufungsverfahrens verkauft
worden wäre, braucht nicht entschieden zu werden.

    Im übrigen ist die Passivlegitimation des Beklagten in bezug auf das
Feststellungsbegehren auch unabhängig vom Novenverbot zu bejahen. Die
Klägerin hat gegenüber dem Beklagten ein berechtigtes Interesse an
der Feststellung der Nichtigkeit der Kündigung vom 9. November 1982;
insbesondere im Hinblick auf eine allfällige Schadenersatzpflicht des
Beklagten wegen Nichterfüllung des Mietvertrags, denn er hat diesen nach
eigenen Angaben nicht auf Grössenberger überbunden. Dagegen ist aus diesem
Grund fraglich, ob gegenüber Grössenberger ein Feststellungsinteresse
bestehen würde. Davon abgesehen wäre ein Parteiwechsel aufgrund der
gemäss Art. 40 OG auf das Verfahren anwendbaren Vorschriften des
Bundesgesetzes über den Bundeszivilprozess (BZP) nicht zulässig. Nach
Art. 17 Abs. 1 BZP ist ein Parteiwechsel in der Regel nur mit Zustimmung
der Gegenpartei gestattet. Die in Art. 17 Abs. 3 BZP angeführten Ausnahmen
der Gesamtnachfolge oder der Rechtsnachfolge kraft besonderer gesetzlicher
Bestimmung sind vorliegend nicht gegeben.

Erwägung 2

    2.- Mit ihrem Hauptbegehren verlangt die Klägerin, die Kündigung vom
9. November 1982 als nichtig zu erklären. In tatsächlicher Hinsicht steht
fest, dass der Beklagte beim Kauf des Mietobjekts in den Mietvertrag
zwischen der Klägerin und Wolf eingetreten ist. Der Beklagte konnte
sich daher, wie das Obergericht zutreffend annimmt, nicht auf das
ausserordentliche Auflösungsrecht nach Art. 259 Abs. 2 OR stützen. Das
Schreiben vom 9. November 1982 stellt vielmehr eine normale Kündigung
im Sinne von Art. 267 OR dar. Ebenfalls anerkannt ist, dass die Hotel
Storchen AG im Hinblick auf die zweijährige Kündigungsschutzfrist von
Art. 28 Abs. 3 BMM bis 15. Juni 1984 nicht kündigen durfte. Umstritten
ist aber, ob diese Schutzfrist auch vom Beklagten zu beachten war - so
dass seine Kündigung vom 9. November 1982 als nichtig zu betrachten wäre -
oder ob sie nur gegenüber dem ursprünglichen Eigentümer wirkte.

    Das Obergericht meint dazu, Art. 28 Abs. 3 BMM verleihe keinen
absoluten Schutz vor einer Kündigung. Als Ausnahme sei ausdrücklich
der Fall von Art. 259 Abs. 2 OR erwähnt, das heisst der zweijährige
Kündigungsstopp bleibe gegenüber dem Neuerwerber des Mietobjekts unwirksam,
der bestehende Mietverträge von seinem Vorgänger nicht übernommen habe und
gemäss Art. 259 Abs. 2 OR eine "Kündigung" ausspreche. Aus der ratio legis
des in Art. 28 Abs. 3 BMM vorgesehenen Kündigungsschutzes ergebe sich aber,
dass sich auch der neue Vermieter, der die Mietverträge übernommen habe,
über die an seinen Vorgänger gerichtete zweijährige Schonfrist hinwegsetzen
könne. Die Kündigungsschutzfrist umfasse nicht auch ein Veräusserungsverbot
in der fraglichen Zeit. Dabei rechtfertige es sich nicht, den Umstand,
ob nun die Veräusserung mit oder ohne Übernahme der Mietverträge erfolge,
verschieden zu behandeln. An der Überbindung der Mietverträge sei in
erster Linie der Verkäufer als bisheriger Vermieter interessiert, um
keinen Vertragsbruch zu begehen. Die Kündigungsmöglichkeit des Erwerbers
müsse davon unberührt bleiben, da sonst die Veräusserungsmöglichkeit von
vornherein faktisch stark eingeschränkt wäre.

Erwägung 3

    3.- Der Auffassung des Obergerichts kann aus verschiedenen Gründen
nicht gefolgt werden.

    a) Nach dem Wortlaut sieht Art. 28 Abs. 3 BMM - neben anderen
Bestimmungen, die hier nicht von Bedeutung sind - nur den Fall von
Art. 259 Abs. 2 OR als Ausnahme von der zweijährigen Schutzfrist vor. Die
Tragweite des Vorbehalts ist eindeutig; er umfasst nur diesen besonderen
Beendigungsgrund des Mietverhältnisses, auf den sich der Käufer, der den
Mietvertrag übernommen hat, nicht berufen kann.

    b) Der Grundgedanke von Art. 28 Abs. 3 BMM ist ebenfalls eindeutig. Mit
dieser Regelung soll verhindert werden, dass ein Mieter, der eine
Mietzinserhöhung mit Erfolg angefochten hat oder nach Einleitung des
Schlichtungsverfahrens mit dem Vermieter eine vergleichsweise Einigung
erzielen konnte, um die Früchte seiner Bemühungen gebracht wird (RAISSIG,
Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen, 3. A., S. 45/46; BBl 1972
I 1245). Die Schutzfunktion von Art. 28 Abs. 3 BMM spricht demnach für
die Geltung des zweijährigen Kündigungsverbots gegenüber dem Käufer des
Mietobjekts, der den Mietvertrag übernommen hat.

    c) Der das Mietverhältnis übernehmende Käufer tritt nach Lehre
und Rechtsprechung mit allen Rechten und Pflichten in den Mietvertrag
ein, das heisst er übernimmt den Vertrag so, wie er für den bisherigen
Eigentümer gegolten hat (GUINAND/KNÖPFLER, SJK Nr. 358 S. 10; SCHMID, N. 28
ff. zu Art. 259 OR; BGE 60 II 347/8, 82 II 529 und 532 E. 4). Daraus
folgt, dass eine vertragliche Kündigungsbeschränkung auch für den
neuen Vermieter verbindlich ist. Die Ansicht, es verhalte sich für
eine gesetzliche Kündigungsbeschränkung wie Art. 28 Abs. 3 BMM anders,
wäre allenfalls vertretbar, wenn diese Vorschrift nur zwischen den am
früheren BMM-Verfahren beteiligten Parteien wirken würde. Das wäre aber
unvereinbar mit der bereits erwähnten Schutzfunktion von Art. 28 Abs. 3
BMM; denn die Schutzbedürftigkeit des Mieters verringert sich mit dem
Verkauf des Mietobjekts nicht.

    d) Das Argument des Obergerichts, die Kündigungsmöglichkeit des
Erwerbers müsse von der Schutzfrist des Art. 28 Abs. 3 BMM unberührt
bleiben, weil sonst der Verkauf des Mietobjekts erschwert werde, ist
nach dem Gesagten nicht haltbar. Im übrigen stellt sich das Problem des
erschwerten Verkaufs von vermieteten Liegenschaften nicht wesentlich
anders, wenn diese Frist keine Rolle spielt. Auch in solchen Fällen hat
der Verkäufer einzig die Wahl, entweder die Mietverträge vom Erwerber
übernehmen zu lassen oder sie nicht zu überbinden und gegenüber den
Mietern allenfalls schadenersatzpflichtig zu werden.

    Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Aufzählung der
Vorbehalte in Art. 28 Abs. 3 BMM als abschliessend beurteilt werden muss.

Erwägung 4

    4.- Der Hauptantrag der Berufung ist demnach begründet. Das Urteil
des Obergerichts muss aufgehoben und die Kündigung des Beklagten vom 9.
November 1982 als nichtig erklärt werden. Da ein Mieterstreckungsbegehren
gemäss Art. 267a OR das Vorliegen einer gültigen Kündigung voraussetzt,
braucht auf den Eventualantrag der Klägerin und die vom Beklagten dagegen
erhobenen Einwände nicht eingetreten zu werden.