Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 283



110 II 283

58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juni 1984 i.S. X.-AG
gegen W. (Berufung) Regeste

    Girovertrag mit Kontokorrentabrede; Überweisungsauftrag.
Sorgfaltspflicht der beauftragten Bank.

    1. Ein einzelner Überweisungsauftrag ist innerhalb des Girovertrags
als Weisung an die generell beauftragte Bank zu betrachten (E. 1).

    2. Führt die unsorgfältige Ausführung eines Überweisungsauftrags
zur Einziehung des Überweisungsbetrags durch einen ausländischen Staat,
so steht der Bank gegenüber ihrem Kunden kein Anspruch auf Verwendungs-
oder Schadenersatz gemäss Art. 402 OR zu (E. 2 u. 3).

    3. Banken-AGB; Tragweite einer Klausel, wonach der Kunde bei
Fremdwährungsguthaben die Gefahr von gesetzlichen und behördlichen
Beschränkungen trägt (E. 4).

Sachverhalt

    A.- W. unterhielt bei der Bank X.-AG in Zürich ein Kontokorrentkonto in
italienischer Währung. Im Auftrag von W. ersuchte die X.-AG am 18. Dezember
1981 per Telex ihre Korrespondenzbank in Mailand, einen Betrag von 19,4
Millionen Lire auf ein Nummernkonto bei der Bank Y. in Lugano per Telex
zu überweisen. Unter Hinweis auf italienische Devisenbestimmungen, die
keine Devisentransfers auf anonyme Konten im Ausland zulassen, hielt
die italienische Korrespondenzbank den Betrag zurück und forderte die
X.-AG und die Bank in Lugano auf, ihr Namen und Adresse des begünstigten
Kontoinhabers mitzuteilen. Dieser Aufforderung kamen die beiden Banken
nicht nach, weshalb die italienischen Behörden den Betrag einzogen. Die
X.-AG belastete am 21. Dezember 1981 das Konto von W. mit dem Betrag von
19,4 Millionen Lire. W. warf der X.-AG vor, ihre Sorgfaltspflicht verletzt
zu haben und forderte sie auf, die Belastung rückgängig zu machen bzw. ihr
den entsprechenden Betrag umgerechnet in Schweizerfranken (Fr. 30'070.-)
zu vergüten.

    B.- Im Oktober 1982 klagte W. gegen die X.-AG auf Bezahlung von
Fr. 30'070.- nebst Zins zu 25% seit dem 21. Dezember 1981 zum Wert vom
21. Dezember 1981.

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage am 14. November
1983 ausgenommen mit Bezug auf die Zinsforderung gut und verpflichtete
die Beklagte, der Klägerin Fr. 30'070.- zu bezahlen.

    Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten hat das
Kassationsgericht des Kantons Zürich am 23. März 1983 abgewiesen.

    C.- Die Beklagte hat gegen das handelsgerichtliche Urteil auch
Berufung eingelegt mit dem Antrag, die Klage abzuweisen, eventuell sie
unter angemessener Herabsetzung der Schadensumme teilweise abzuweisen,
subeventuell den Prozess zur Durchführung eines Beweisverfahrens an das
Handelsgericht zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Parteien haben einen Girovertrag mit Kontokorrentabrede
geschlossen, der den Bestimmungen über den einfachen Auftrag (Art. 394
ff. OR) untersteht (vgl. dazu BGE 100 II 370 E. 3b mit Hinweisen, ferner
BUCHER, recht 1984, S. 100). Danach verpflichtete sich die Beklagte,
für die Klägerin den bargeldlosen Zahlungsverkehr zu besorgen und
insbesondere Zahlungen durch Überweisung zu vermitteln, wobei die
gegenseitigen Ansprüche der Parteien über die Kontokorrentrechnung
abgewickelt werden sollten. Ein einzelner Überweisungsauftrag, wie
der streitige, ist innerhalb des gesamten Vertragsverhältnisses als
Weisung an die generell beauftragte Bank zu betrachten (KLEINER, Die
allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, Giro und Kontokorrentvertrag,
2. Aufl. S. 40; vgl. auch BGE 77 II 369).

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 402 Abs. 1 OR hat der Auftraggeber dem Beauftragten die
in richtiger Ausführung des Auftrags gemachten Auslagen und Verwendungen
zu ersetzen. Er haftet dem Beauftragten ausserdem für den aus dem Auftrag
erwachsenen Schaden, soweit er nicht zu beweisen vermag, dass dieser ohne
sein Verschulden entstanden ist (Art. 402 Abs. 2 OR).

    Die Belastung des Kontos der Klägerin durch die Beklagte mit dem
Betrag von 19,4 Millionen Lire beruhte entweder auf Verwendungs- oder auf
Schadenersatz im Sinn dieser Bestimmung. Ist ein Anspruch aus Art. 402 OR
nicht begründet, so hat die Beklagte die Buchung bereits aus diesem Grund
rückgängig zu machen (vgl. BGE 94 II 40 E. 4 u. 5; BUCHER aaO S. 99),
und die Frage, ob die Forderung auch aus Schadenersatz nach Art. 398 OR
begründet sei, wie die Vorinstanz angenommen hat, erübrigt sich.

Erwägung 3

    3.- a) Der Anspruch auf Verwendungsersatz gemäss Art. 402 Abs. 1 OR
setzt voraus, dass die Beklagte den Auftrag gehörig erfüllt, die streitige
Überweisung somit in sorgfältiger und getreuer Geschäftsführung ausgeführt
hat (BGE 51 II 558 E. 1, 560 E. 3; 59 II 253 E. 5).

    Dass die Beklagte für die Überweisung den Dienst ihrer italienischen
Korrespondenzbank in Anspruch nehmen durfte, wird von der Klägerin nicht
bestritten. Entscheidend ist daher, wie diese Transaktion vorgenommen
worden ist.

    Auch ein im Bankgeschäft nicht bewanderter Laie weiss, dass eine
Lire-Transaktion von einer italienischen Bank auf ein schweizerisches
Nummernkonto aufgrund der italienischen Devisengesetzgebung mit
Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Seit mehreren Jahren ist allgemein
bekannt, dass Italien gegen die Ausfuhr von Devisen massive gesetzliche
Restriktionen erlassen hat. Für eine schweizerische Grossbank wie
die Beklagte war es deshalb oberstes Gebot, bei der Einschaltung einer
Korrespondenzbank in Mailand für eine Überweisung auf ein Nummernkonto
in Lugano grösste Vorsicht walten zu lassen. Die italienischen
Gesetzesbestimmungen, gestützt auf welche im vorliegenden Fall die
italienischen Behörden aufgrund des Überweisungsauftrags der Beklagten
an die Mailänder-Bank zugegriffen haben, mussten der Beklagten bekannt
sein. Sie anerkennt auch, darüber im Bild gewesen zu sein. Entsprechend
war die Beklagte verpflichtet, ihr Personal strikte anzuweisen, bei
Überweisungsaufträgen wie dem vorliegenden nur die Empfängerbank in der
Schweiz, nicht aber den betreffenden Bankkunden oder dessen Nummernkonto
anzugeben. Bei brieflichen Überweisungen pflegt die Beklagte denn auch
so vorzugehen, wie die Vorinstanz verbindlich feststellt.

    Die Beklagte hat demnach die streitige Überweisung nicht mit der
gehörigen Sorgfalt ausgeführt, weshalb sie aus Art. 402 Abs. 1 OR keinen
Anspruch auf Ersatz ihrer Verwendungen ableiten kann.

    b) Da nach dem Gesagten der ihr entstandene Schaden auf ihre eigene
Unsorgfalt zurückgeht, kann sie auch nicht gestützt auf Art. 402 Abs. 2
OR auf die Klägerin zurückgreifen. Verluste aus fehlerhafter Ausführung
des Auftrags treffen den Beauftragten selber (BGE 59 II 256 E. 5).

Erwägung 4

    4.- Die Beklage beruft sich noch auf Art. 10 ihrer Allgemeinen
Geschäftsbedingungen (AGB), welcher unbestritten Bestandteil der
Kontokorrentabrede bildet. Sie macht geltend, danach trage der Kunde die
Gefahr für ausländische staatliche Massnahmen, wie sie im vorliegenden
Fall zur Blockierung und Einziehung des Überweisungsbetrags geführt
hätten. Ausserdem sei in dieser Bestimmung die Haftung für Hilfspersonen
sowie die Haftung der Bankorgane für leichtes Verschulden wegbedungen
worden.

    a) Art. 10 der AGB hält fest, dass die Guthaben des Kunden in fremder
Währung auf den Namen der Bank, jedoch auf Rechnung und Gefahr der Kunden
bei Korrespondenten inner- oder ausserhalb des betreffenden Währungsgebiets
liegen und die Kunden insbesondere die Gefahr von gesetzlichen oder
behördlichen Beschränkungen sowie die Steuern und Lasten in allen
beteiligten Ländern tragen.

    Der Satz: "Der Kunde trägt insbesondere die Gefahr von gesetzlichen
oder behördlichen Beschränkungen ..." kann, nach dem Vertrauensgrundsatz
ausgelegt, nur bedeuten, dass der Kunde das Risiko einer plötzlichen
Änderung der ausländischen Devisengesetzgebung trägt. Wären etwa sämtliche
Guthaben der Beklagten in Italien aus Gründen gesperrt und eingezogen
worden, die nicht sie zu vertreten hätte, dann wäre sie berechtigt gewesen,
diesen Verlust, soweit sie Lire-Beträge der Klägerin in Italien angelegt
hatte, auf die Klägerin zu überwälzen. Vorliegend kann keine Rede davon
sein, dass der Verlust der 19,4 Millionen Lire auf einen solchen Grund
zurückzuführen ist. Der Verlust erklärt sich vielmehr daraus, dass die
Beklagte die Überweisung unsorgfältig ausgeführt hat. Dass auch in einem
solchen Fall der Kunde den Schaden tragen müsse, ergibt sich aus Art. 10
der AGB nicht, womit die Frage offenbleiben kann, ob eine derartige
Klausel überhaupt gültig wäre.

    b) Art. 10 der AGB enthält nach seinem klaren Wortlaut auch keine
Wegbedingung der Haftung für leichtes Verschulden der Beklagten oder derer
Hilfspersonen. Aus den gesamten Umständen des Vertragsschlusses ergibt
sich ebenfalls kein Hinweis für eine solche Wegbedingung. Entgegen
der Darstellung der Beklagten hat auch das Handelsgericht sich in
dieser Beziehung nicht festgelegt, sondern bloss festgehalten, die
Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten sei jedenfalls nicht so leicht,
dass sie unter eine allfällige Wegbedingung fiele. Ob die Beklagte als
Bank dazu überhaupt berechtigt wäre (zu den Bedenken in dieser Beziehung
vgl. BGE 109 II 119 E. 3), kann deshalb offenbleiben, ebenso ob Art. 100
Abs. 2 OR oder Art. 101 Abs. 3 OR anzuwenden wäre.