Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 172



110 II 172

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Februar 1984 i.S. X.
AG gegen Y. (Berufung) Regeste

    Art. 340c Abs. 2 OR, Dahinfallen des Konkurrenzverbots wegen Auflösung
des Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer aus einem vom Arbeitgeber zu
verantwortenden Anlass; Art. 328 Abs. 1 OR, Schutz der Persönlichkeit
des Arbeitnehmers.

    1. Der Arbeitnehmer verwirkt das Recht, sich auf einen Auflösungsgrund
zu berufen, in der Regel nicht dadurch, dass er nicht innerhalb einer
kurz bemessenen Bedenkfrist die Kündigung erklärt.

    2. Verneinung des Vorliegens von Auflösungsgründen im Sinn von
Art. 340c Abs. 2 OR, die der Arbeitnehmer damit begründet, im Vergleich
zu den anderen Arbeitnehmern ungenügende Lohnerhöhungen erhalten zu haben
sowie ohne Grund und in verletzender Form in seinem Tätigkeitsbereich
eingeschränkt worden zu sein.

    3. Der Arbeitgeber darf den Tätigkeitsbereich eines langjährigen
Arbeitnehmers nicht ändern oder einschränken, ohne vorher das Gespräch
mit ihm darüber gesucht zu haben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 340c Abs. 2 OR fällt das Konkurrenzverbot dahin,
wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem begründeten, vom
Arbeitgeber zu verantwortenden Anlass auflöst. Das Obergericht lehnt es
ab, diese Bestimmung anzuwenden, weil es die Behauptung des Beklagten,
er habe verschiedene der Klägerin anzulastende Kündigungsgründe gehabt,
für unzutreffend betrachtet. Der Beklagte sieht darin eine Verletzung
von Art. 340c Abs. 2 OR; er hält vor Bundesgericht nur noch an zwei von
den fünf im kantonalen Verfahren geltend gemachten Gründen fest, nämlich
der Behauptung, im Vergleich mit den anderen Arbeitnehmern ungenügende
Lohnerhöhungen erhalten zu haben und ohne Grund und in verletzender Form
als Laborchef abgesetzt worden zu sein.

    a) Der Beklagte bringt vor, die Klägerin habe den Arbeitsvertrag
dadurch verletzt, dass sie Ende 1978 Fräulein G. zur Laborchefin ernannt
und ihn in der entsprechenden Stellung abgesetzt habe, ohne vorher
mit ihm Rücksprache zu nehmen, ja sogar während er sich im Spital
aufgehalten habe. Die Führung des Betriebslabors sei für ihn nicht
nur eine arbeitsvertragliche Pflicht gewesen, sondern auch das Recht,
als anerkannter Wissenschaftler und einziger Chemiker bei der Klägerin
als Chef des Betriebslabors den ihm zustehenden Platz einzunehmen
und sich nicht weniger qualifizierten Mitarbeitern unterordnen zu
müssen. Im Vorgehen der Klägerin liege ein Vertrauensbruch, weshalb ihm
die Weiterführung seiner Tätigkeit nicht mehr zuzumuten gewesen sei. Er
habe daher begründete Veranlassung gehabt, eine neue Stelle zu suchen und
dann zu kündigen. Dass er nicht sofort gekündigt habe, sei verständlich,
da er zunächst eine neue Stelle habe suchen müssen.

    Das Obergericht stellt demgegenüber fest, die Ernennung von Fräulein
G. zur Laborchefin sei vor allem aus betriebswirtschaftlichen und
organisatorischen Gründen erfolgt. Im übrigen habe eine personalpolitische
Überlegung eine wichtige Rolle gespielt, da Fräulein G. mit der Beförderung
zur Laborchefin zum Verbleiben in der Firma habe veranlasst werden
können. Die Auswirkungen der Umstrukturierung auf den Beklagten hätten sich
in einem erträglichen Rahmen gehalten; denn weder seien seine Stellung als
Prokurist noch sein Einkommen tangiert worden und seine hauptsächlichsten
Betätigungsgebiete - insbesondere seine wissenschaftliche Tätigkeit -
seien praktisch unberührt geblieben. Das Obergericht beanstandet zwar die
Art und Weise des Vorgehens der Klägerin, findet aber, dass sich daraus
allein kein begründeter Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses
ergeben habe. Schliesslich nimmt es an, in der Unterlassung der Kündigung
auf den nächsten vertraglichen Termin sei ein Verzicht des Beklagten auf
die Geltendmachung des Grundes zu erblicken.

    Diesem letzten Argument kann nicht gefolgt werden. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts verwirkt ein Arbeitnehmer das Recht,
sich auf einen Auflösungsgrund im Sinne von Art. 340c Abs. 2 OR zu
berufen, in der Regel nicht dadurch, dass er nicht innerhalb einer
kurz bemessenen Bedenkfrist die Kündigung erklärt (Urteil vom 26. Mai
1983 i.S. K. S.A. gegen L., E. 2a, veröffentlicht in Sem. jud. 1984
S. 32). Gewiss gibt es Fälle, in welchen aufgrund der konkreten Umstände
nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf einen Verzicht oder eine
Verwirkung der Einwendung aus Art. 340c Abs. 2 OR geschlossen werden
muss (vgl. BGE 82 II 144 E. 2). Das ist aber nicht leichthin anzunehmen -
insbesondere im Hinblick auf Art. 362 OR - und trifft vorliegend nicht zu,
da einerseits das Obergericht keinen ausdrücklichen Verzicht festgestellt
hat und andererseits der Beklagte genügend Zeit zur Verfügung haben musste,
um eine neue Stelle zu finden.

    Mit der Vorinstanz ist dagegen festzuhalten, dass die Art und Weise,
wie die Klägerin bei der Umstrukturierung und der Ernennung von Fräulein
G. vorging, nicht in Ordnung war. Der Arbeitgeber hat bei der Ausgestaltung
des Arbeitsverhältnisses auf die Persönlichkeit des Arbeitnehmers Rücksicht
zu nehmen (Art. 328 Abs. 1 OR). Dazu gehört, dass ein Arbeitnehmer nicht
bei seiner Rückkehr von einem Spitalaufenthalt vor vollendete Tatsachen
in bezug auf interne Umstellungen in seinem engeren Arbeitsbereich
gestellt wird. Auch dann, wenn der Arbeitgeber sachliche Gründe für
Umstrukturierungen hat, muss er darüber mit dem Arbeitnehmer das Gespräch
suchen. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt,
den Tätigkeitsbereich eines langjährigen Mitarbeiters zu ändern oder
einzuschränken.

    Dieser Verstoss gegen Art. 328 Abs. 1 OR für sich allein gab
dem Beklagten aber keinen begründeten Anlass zur Kündigung im Sinne
von Art. 340c Abs. 2 OR. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass
die Klägerin, wie das Obergericht verbindlich feststellt, sachliche
Gründe für die Ernennung von Fräulein G. zur Laborchefin hatte und der
Beklagte in seinem Tätigkeitsbereich nicht wesentlich eingeschränkt
wurde. Wäre demgegenüber mit dem Beklagten anzunehmen, das für die
Klägerin bedeutsame Konkurrenzverbot sei wegen ihres nicht einwandfreien
Vorgehens dahingefallen, entstünde ein offensichtliches Missverhältnis
zwischen der Schwere des Fehlers und der daraus zu Lasten der Klägerin
abgeleiteten Folgen. Insoweit verstösst das Urteil des Obergerichts nicht
gegen Bundesrecht.

    b) Den Einwand des Beklagten, er sei verglichen mit anderen
Mitarbeitern in bezug auf die Gewährung des Teuerungsausgleichs und die
Reallohnerhöhung ungleich behandelt worden, weist das Obergericht mit der
Begründung zurück, der Beklagte sei während seiner rund zehnjährigen
Tätigkeit bei der Klägerin in den Genuss einer Reallohnerhöhung
von ca. 86% und einer teuerungsbedingten Lohnerhöhung von ca. 46%
gekommen. Ein Rechtsanspruch auf vollen Teuerungsausgleich und/oder
Reallohnerhöhung ergebe sich weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus
den allgemeinen Anstellungsbedingungen. In Anbetracht der Stellung des
Beklagten im klägerischen Betrieb als Chef-Chemiker könne im Vergleich
zum übrigen Personal ohnehin nicht von willkürlich ungleicher Behandlung
gesprochen werden.

    Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Zwar wird man prinzipiell
in einer ungleichen Behandlung in bezug auf Lohnerhöhungen, gegebenenfalls
in Verbindung mit weiteren Diskriminierungen, einen begründeten Anlass zur
Kündigung im Sinne von Art. 340c Abs. 2 OR sehen können. Im vorliegenden
Fall ist jedoch weder aus den Darlegungen des Beklagten noch aus den
tatsächlichen Feststellungen des Obergerichtes ersichtlich, inwiefern
ihn die Klägerin verglichen mit andern Mitarbeitern derart ungleich
behandelt hat, dass ihm eine Weiterführung des Vertragsverhältnisses
nicht zuzumuten war.

    Der Beklagte beruft sich demnach zu Unrecht auf Art. 340c Abs. 2 OR.

    (Das nicht einwandfreie Vorgehen der Klägerin bei der Absetzung des
Beklagten als Laborchef wurde im Sinne von BGE 105 II 204 E. c bei der
Bemessung der Herabsetzung der Konventionalstrafe berücksichtigt.)