Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 II 132



110 II 132

27. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Mai 1984 i.S. B.
gegen S. (Berufung) Regeste

    Anfechtung einer Schuldanerkennung wegen Drohung (Art. 29 und 30 OR).

    1. Rückweisung der Streitsache gemäss Art. 52 OG, weil das angefochtene
Urteil widersprüchliche Feststellungen über das Ergebnis der Beweisführung
enthält (Art. 51 Abs. 1 lit. c OG).

    2. Art. 30 Abs. 2 OR, Drohung mit einem Prozess (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 7. Mai 1973 unternahm S. mit einem Wagen des Garagisten B. und
in dessen Begleitung eine Probefahrt, bei welcher der Wagen von der
Strasse geriet und über eine Böschung in einen Bach stürzte. B. brach sich
beide Arme und ist nach wiederholten Spitalaufenthalten heute nur noch
beschränkt arbeitsfähig. Er erhielt Versicherungszahlungen von rund Fr.
111'000.- und bezieht eine IV-Rente von monatlich Fr. 3'039.- (Stand
1982). Er musste seinen Garagenbetrieb aufgeben und geriet in finanzielle
Schwierigkeiten. Weil er die Versicherungsleistungen für ungenügend hielt,
stellte er jahrelang an S. zusätzliche Forderungen. In einer "Vereinbarung"
vom 7. März 1981 versprach S., B. "für den verursachten Auto-Unfall"
Fr. 40'000.- zu bezahlen.

    Am 1. Juni 1982 erhob S. beim Bezirksgericht des Greyerzerlandes gegen
B. eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Schuldanerkennung. Das Gericht
kam nach Beweiserhebung zum Schluss, der Kläger habe seine Unterschrift
unter schwerer und ernsthafter Drohung gegeben, und erklärte mit Urteil
vom 18. Januar 1983 die Schuldanerkennung als nichtig. Der Beklagte erhob
Berufung an das Kantonsgericht Freiburg mit dem Antrag, dieses Urteil
aufzuheben und den Kläger zur Zahlung von Fr. 40'000.- nebst 5% Zins seit
16. August 1982 zu verpflichten. Indes bestätigte das Kantonsgericht am
15. Juni 1983 das angefochtene Urteil.

    Der Beklagte hat dieses Urteil mit Berufung und staatsrechtlicher
Beschwerde angefochten. Mit der vorliegenden Berufung beantragt er, es
aufzuheben und den Kläger zur Zahlung von Fr. 40'000.- nebst 5% Zins seit
16. August 1982 zu verpflichten, eventuell die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Kantonsgericht stellt als unbestritten fest, dass der Kläger
die Schuldanerkennung fristgerecht angefochten habe (Art. 31 Abs. 2
OR). Unter Hinweis auf die einschlägige Literatur legt es sodann die
Rechtslage zu Art. 29 und 30 OR zutreffend dar. Daraus folgt namentlich,
dass sich Unverbindlichkeit nur dann ergibt, wenn der Vertrag infolge
der Furchterregung überhaupt oder mit dem gegebenen Inhalt abgeschlossen
wurde. Richtig ist sodann, dass die Drohung sich gegen Leib und Leben, aber
auch gegen Freiheit oder Vermögen richten kann. Furcht vor Geltendmachung
eines Rechts wird jedoch nur dann berücksichtigt, wenn eine Notlage des
Betroffenen benützt wird, um übermässige Vorteile zu erlangen (Art. 30
Abs. 2 OR).

Erwägung 3

    3.- Der kantonale Richter hat in tatsächlicher Hinsicht zu ermitteln
und festzustellen, worin im Einzelfall die Drohung bestand, dass sie zu
Furcht geführt hat und dass der Vertrag deswegen abgeschlossen wurde.

    a) Nach dem angefochtenen Urteil scheiden von vornherein gewisse
Tatsachen aus, welche das Bezirksgericht noch für erheblich hielt:
einerseits die Feststellungen zur Frage, ob der Beklagte zum Querulanten
geworden sei; anderseits der Umstand, dass der Beklagte die Haustüre
abschloss, nachdem er den Kläger ins Haus eintreten liess; schliesslich
auch eine Beeinflussung des Klägers durch Selbstmorddrohung des Beklagten.

    b) Als unbestritten oder erstellt hält sodann das Kantonsgericht fest:
dass die Unterredung der Parteien anfänglich ruhig verlief und der Beklagte
mit Unterlagen seine finanziellen Schwierigkeiten beweisen wollte; dass er
den Kläger für die Folgen des Unfalls verantwortlich machte und von ihm Fr.
50'000.- verlangte, obwohl er Fr. 100'000.- für begründet hielt; dass er
sich aufregte und die Stimme erhob, als der Kläger die Haftung bestritt
und ihm erklärte, er sei von den Versicherungen genügend entschädigt
worden; dass der Kläger vor dem Beklagten keine Angst hatte, aber wegen
seinen Äusserungen angeblich moralisch bedrückt und dass der Beklagte ganz
niedergeschlagen war; dass die Ehefrau des Beklagten dem Kläger erklärte,
wenn sie nicht wäre, hätte der Beklagte eine Dummheit gemacht, d.h. sich
etwas angetan, er habe ihr gegenüber schon von Selbstmord gesprochen;
angesichts dieser Äusserungen wolle es der Kläger für ratsam gehalten
haben, statt einem Familiendrama beizuwohnen etwas Geld zusammenzubringen
und die Schuldanerkennung zu unterzeichnen. Und etwas später heisst es
im angefochtenen Urteil: Freilich räume der Kläger ein, er sei durch
die Unterzeichnung der Schuldanerkennung entlastet worden (gemeint in
seinem Gewissen), er sei aber nur teilweise beruhigt gewesen, weil er
nicht gewusst habe, wie er das Geld aufbringen sollte. Und sodann: Der
Kläger wolle die Schuldanerkennung unterzeichnet haben, weil die Sache
nach Darstellung des Beklagten sonst mehr gekostet hätte.

    c) Alle diese Feststellungen des angefochtenen Urteils und die
entsprechenden Vorbringen des Klägers lassen weder eine Bedrohung erkennen
noch darauf schliessen, dass die Schuldanerkennung aus begründeter Furcht
unterschrieben wurde. Gleichwohl kommt die Vorinstanz zum Schluss, der
Kläger habe nach den Umständen damit rechnen müssen, dass es der Beklagte
entweder auf sein Leben, d.h. seine körperliche Integrität, oder mindestens
auf eine Beeinträchtigung seiner persönlichen Freiheit abgesehen hatte. Sie
stützt diesen Schluss auf die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe ihm
gesagt, er werde das Haus nicht verlassen, bevor er die Schuldanerkennung
unterzeichnet habe, sonst werde er diese nie mehr unterschreiben, und
sie hält diese Äusserung trotz Bestreitung durch den Beklagten und
dessen Ehefrau unter Verweisung auf das erstinstanzliche Urteil für
bewiesen. Das Kantonsgericht fügt bei, der Eindruck der Bedrohung dürfte
dadurch verstärkt worden sein, dass sich der Kläger an eine frühere
Äusserung des Beklagten erinnert haben wolle, er habe beabsichtigt, mit
dem Gewehr zum behandelnden Arzt Dr. B. zu gehen. Schliesslich hält es das
Kantonsgericht für bezeichnend, dass der Kläger am Ende der mehrstündigen
Auseinandersetzung so durcheinander gewesen sei, dass er den vom Beklagten
angebotenen Imbiss nicht zu sich nehmen konnte und sich nachher sofort
verzweifelt seiner Ehefrau und andern Leuten anvertraut habe.

    Als drohendes Verhalten des Beklagten stellt die Vorinstanz damit
ausschliesslich die Äusserung fest, dass der Kläger vor der Unterzeichnung
der Schuldanerkennung das Haus nicht verlassen werde. Dabei rügt der
Beklagte in diesem Zusammenhang zu Recht ein offensichtliches Versehen
der Vorinstanz; nach dem massgebenden Protokoll drohte der Beklagte
nämlich nicht, "er" (der Kläger) werde sonst nie mehr unterschreiben,
sondern erklärte lediglich "sinon celle-ci ne serait jamais signée"; das
aber brauchte nicht eine drohende Bedeutung zu haben. Sodann beruht der
Schluss der Vorinstanz auf einer Erinnerung des Klägers an eine frühere
Drohung des Beklagten zu Lasten seines Arztes, doch fehlt es dazu an
jeder positiven Feststellung der Vorinstanz. Was die der Unterzeichnung
nachfolgende Reaktion des Klägers gegenüber Drittpersonen betrifft, hält
das Kantonsgericht nur die Verzweiflung fest, die aber auf die Entdeckung
seines "angeblichen Irrtums" zurückgeführt werden könnte. Was schliesslich
den Verzicht auf den angebotenen Imbiss anbelangt, weist der Beklagte
zu Recht darauf hin, dass der Kläger im Strafverfahren erklärt hat:
"J'étais aussi pressé d'aller fourrager."

    d) Die widersprüchlichen Annahmen der Vorinstanz machen eine
Rechtsanwendung unmöglich. Sie erlauben von vornherein nicht, das
angefochtene Urteil zu bestätigen, weil sie nicht belegen, dass begründete
Furcht und nicht andere Überlegungen (Mitleid mit dem Beklagten, Vermeidung
eines Prozesses und entsprechender Risiken) den Kläger zur Unterzeichnung
der Schuldanerkennung veranlasst haben. Anderseits rechtfertigt
sich eine Abweisung der Klage nicht, solange das Kantonsgericht in
tatsächlicher Hinsicht derart vage formuliert hat. Die Sache ist daher zur
Vervollständigung des Sachverhaltes und Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Da das Kantonsgericht mit seiner Urteilsbegründung gegen
die Pflicht verstossen hat, das Ergebnis der Beweisführung festzustellen
(Art. 51 lit. c OG), kommt das Verfahren nach Art. 52 OG zur Anwendung.

Erwägung 4

    4.- Eine Rückweisung erübrigte sich, wenn die Anfechtung der
Schuldanerkennung schon daran scheitern würde, dass der Beklagte damit
gar keinen übermässigen Vorteil erlangt hätte (Art. 30 Abs. 2 OR). Das
Kantonsgericht vermisst Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte vom Kläger
Fr. 100'000.- oder auch nur Fr. 40'000.- hätte fordern können; es sei daher
höchst fragwürdig, ob er in einem Prozess überhaupt etwas herausgeholt
hätte. Damit habe er sich einen finanziellen Vorteil ausbedungen, den
er ohne die psychische Zwangslage des Klägers praktisch mit Sicherheit
nicht erlangt hätte.

    Der Beklagte behauptet ein offensichtliches Versehen, weil er auch
nach der Darstellung des Klägers nie behauptet habe, Fr. 100'000.-
fordern zu können. Es ist richtig, dass nur die Äusserung erstellt ist,
bei Nichtunterzeichnung würde es mehr als Fr. 40'000.- kosten; der
Unterschied und damit das Versehen ist aber ohne Bedeutung.

    Der Beklagte rügt auch eine Verletzung von Art. 8 ZGB, weil er
nicht zum Beweis zugelassen worden sei, dass sein ungedeckter Schaden
mindestens Fr. 100'000.- bzw. Fr. 40'000.- betragen habe. Diese Rüge
ist begründet. Die Vorinstanz kann nicht mit blossen Vermutungen und
ohne Abnahme von Beweisen das Gegenteil als gegeben betrachten. Der Frage
kommt indes nach Art. 30 Abs. 2 OR nur dann Bedeutung zu, wenn angenommen
wird, der Kläger sei nicht ernsthaft an Leib und Leben oder in seiner
Freiheit bedroht, sondern nur in finanzieller Hinsicht mit Hinweis auf
einen allfälligen Prozess und seine schweren finanziellen Folgen unter
Druck gesetzt worden. Ergibt sich nur diese Anfechtungsgrundlage, so wird
auf das Beweisthema einzutreten sein. Dabei wird auch zu berücksichtigen
sein, dass sich die Parteien in einer Vergleichssituation befanden, wie
der Beklagte zu Recht bemerkt. Denn es geht nicht nur darum, wieviel der
Beklagte objektiv gesehen im Prozessfall noch zusätzlich hätte herausholen
können, sondern auch um die Vermeidung der mit einem solchen Prozess
verbundenen Risiken.