Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 III 75



110 III 75

21. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 9. November
1984 i.S. X. (Rekurs) Regeste

    Verteilung des Erlöses einer Grundpfandverwertung; Sicherstellung
der Ansprüche der Baupfandgläubiger (Art. 117 VZG).

    Der den Baupfandgläubigern vorgehende Pfandgläubiger, der die
Freigabe eines Teils des ihm gemäss Verteilungsplan zustehenden
Betreffnisses verlangt mit der Begründung, es sei nicht sein ganzer
Anteil am Verwertungserlös streitig, hat darzutun, in welchem Umfang die
Sicherstellung von Ansprüchen der Baupfandgläubiger im Sinne von Art. 117
Abs. 2 VZG zum Tragen gekommen sei; er hat mit andern Worten darzulegen,
welche Ansprüche Bauhandwerker und Unternehmer rechtzeitig beim Richter
des Betreibungsortes eingeklagt haben und welche Prozesse dort noch hängig
sind. Das Betreibungsamt darf nicht mehr zurückbehalten als die Summe
der in diesem Sinne streitigen Ansprüche der Baupfandgläubiger und einen
angemessenen Betrag für Zinsen, Prozessentschädigungen und den obsiegenden
Baupfandgläubigern unter Umständen zu ersetzende Prozesskostenvorschüsse.

Sachverhalt

    A.- In dem gegen A. hängigen Grundpfandverwertungsverfahren wurde vom
18. bis 28. Januar 1984 der Verteilungsplan aufgelegt. Danach sollen die
pfandgesicherten Forderungen bis zum sechsten Rang vollumfänglich und
im siebten Rang teilweise gedeckt werden. Die X., deren Forderung im
vierten Rang figuriert, soll Fr. 1'748'181.55 erhalten. In Anwendung
von Art. 117 VZG setzte das Betreibungsamt den Bauhandwerkern, die
gemäss Verteilungsplan alle leer ausgehen sollen, Frist an, um im
Sinne von Art. 841 Abs. 1 ZGB einen allfälligen Anspruch auf Deckung
aus dem den vorgehenden Pfandgläubigern zufallenden Verwertungsanteil
einzuklagen. In der Folge reichten mehrere Bauhandwerker gegen verschiedene
Grundpfandgläubiger, darunter auch gegen die X., Klage ein.

    Mit Eingabe vom 31. Juli 1984 ersuchte die X. das Betreibungsamt, ihr
von der ihr gemäss Verteilungsplan zukommenden Summe einen Teilbetrag von
1,3 Mio. Franken auszuzahlen. Durch Verfügung vom 1. August 1984 wies das
Betreibungsamt dieses Begehren ab mit der Begründung, eine Einwilligung
der klagenden Bauhandwerker zur Auszahlung des verlangten Betrages liege
nicht vor.

    Eine von der X. gegen die betreibungsamtliche Verfügung erhobene
Beschwerde wies die kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom
28. September 1984 ab.

    Die X. hat gegen diesen Entscheid an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts rekurriert mit dem Rechtsbegehren:

    "Der Entscheid ... vom 28. September 1984 sei aufzuheben, und es sei
   das Betreibungsamt ... anzuweisen, der Rekurrentin den ihr im

    Verteilungsverfahren ... zustehenden nicht streitigen Betrag von

    Fr. 1'500'000.-- auszubezahlen, unter Kostenfolge."

    Verschiedene Bauhandwerker und Unternehmer haben sich zum Rekurs
vernehmen lassen, ohne allerdings einen ausdrücklichen Antrag zu stellen.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Verteilung des Verwertungserlöses hat das Betreibungsamt
als einzige Vollstreckungsmassnahme von Amtes wegen vorzunehmen (AMONN,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 3. Aufl., N. 1
zu § 29, S. 246; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach
schweizerischem Recht, I. Bd., Rz. 1 zu § 32, S. 456). Allerdings darf
das Betreibungsamt dann nicht zur Verteilung schreiten, wenn der Erlös
aus der Verwertung eines Grundstücks Gegenstand einer strafrechtlichen
Beschlagnahme bildet (BGE 105 III 1 ff.). Ein weiteres Hindernis
ergibt sich aus Art. 117 VZG. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung setzt
das Betreibungsamt den Bauhandwerkern und Unternehmern, die bei der
Verteilung zu Verlust kommen sollen, eine zehntägige Frist an, um im
Sinne von Art. 841 Abs. 1 ZGB einen allfälligen Anspruch auf Deckung
aus dem den vorgehenden Pfandgläubigern zufallenden Verwertungsanteil
einzuklagen. Wird der Prozess innerhalb der erwähnten Frist anhängig
gemacht, so bleibt die Verteilung hinsichtlich des streitigen Anteils
bis zur gütlichen oder rechtlichen Erledigung des Prozesses aufgeschoben
(Art. 117 Abs. 2 erster Satz VZG). Dagegen schreitet das Betreibungsamt
ohne Rücksicht auf die Ansprüche der zu Verlust kommenden Bauhandwerker
zur Verteilung, falls diese die Klagefrist ungenützt verstreichen lassen
(Art. 117 Abs. 4 VZG). Für die Bauhandwerker hat dies freilich nicht den
Verlust ihrer Ansprüche aus Art. 841 Abs. 1 ZGB zur Folge; sie büssen
nur das Recht ein, im Falle ihres Obsiegens für den ihnen nach dem Urteil
zukommenden Betrag unmittelbar aus dem Verwertungsanteil der im Prozess
unterlegenen vorgehenden Pfandgläubiger befriedigt zu werden (vgl. BGE
96 III 131 E. 4; LEEMANN, N. 35 und 39 zu Art. 841 ZGB).

    b) Der in Art. 117 Abs. 2 VZG vorgesehene Aufschub hat nach dem
Gesagten Ausnahmecharakter, so dass das Betreibungsamt die sofortige
Verteilung des Verwertungserlöses nur mit Zurückhaltung verweigern
darf. Soweit Baupfandgläubiger auf die Erlösanteile der vorgehenden
Pfandgläubiger von vornherein nicht greifen können, weil ihre Pfandausfälle
oder jedenfalls die innert der Frist des Art. 117 Abs. 1 VZG eingeklagten
Forderungen die Höhe der den vorgehenden Gläubigern gemäss Verteilungsplan
zugewiesenen Beträge nicht erreichen, darf das Betreibungsamt deshalb die
Verteilung nicht aufschieben. Die Vorinstanz hat dies nicht verkannt,
führt sie doch aus, es sei unbefriedigend, dahin entscheiden zu müssen,
dass die gesamten der Rekurrentin gemäss Verteilungsplan zufallenden
Fr. 1'748'181.55 bis zur Erledigung der eingeleiteten Prozesse im Sinne von
Art. 117 VZG sichergestellt bleiben müssten, wenn berücksichtigt werde,
dass die Summe aller baupfandrechtlich gesicherten Forderungen lediglich
Fr. 1'059'634.85 betrage und der Prozessgewinn vermutlich noch wesentlich
darunter liegen werde. Die kantonale Aufsichtsbehörde weist jedoch
andererseits darauf hin, dass das Rechtsbegehren der Rekursgegner gemäss
Klage vom 28. Mai 1984 auf Bezahlung eines gerichtlich zu bestimmenden
Betrages über Fr. 8'000.-- nebst Zins seit wann rechtens laute, dass unter
anderem auch eine Klageänderung möglich sei und dass nicht bekannt sei,
welche Summe die anderen Baupfandgläubiger einklagen würden.

Erwägung 2

    2.- Ein Pfandgläubiger, der die Freigabe eines Teils des ihm gemäss
Verteilungsplan zustehenden Betreffnisses verlangt mit der Begründung, es
sei nicht sein ganzer Anteil am Verwertungserlös streitig, hat letzteres
nachzuweisen; er hat darzulegen, in welchem Umfang die Sicherstellung
von Ansprüchen der Baupfandgläubiger im Sinne von Art. 117 Abs. 2 VZG zum
Tragen gekommen sei. Das bedeutet, dass er - und zwar in abschliessender
Weise - darzutun hat, was für Bauhandwerker und Unternehmer rechtzeitig
beim Richter des Betreibungsortes welche Ansprüche eingeklagt haben und
welche Prozesse dort noch hängig sind. Dieser Nachweis wird am einfachsten
mit einer entsprechenden Aufstellung des erwähnten Richters erbracht
werden können, hat doch allein dieser einen Gesamtüberblick über die von
den Baupfandgläubigern gestützt auf die betreibungsamtliche Fristansetzung
bei ihm eingeleiteten, noch hängigen Prozesse.

Erwägung 3

    3.- a) Welche Beträge den Bauhandwerkern und Unternehmern an den den
vorgehenden Pfandgläubigern zugewiesenen Anteilen effektiv zustehen, hängt
vom Mehrwert ab, den jene auf dem verwerteten Grundstück geschaffen haben
(vgl. LEEMANN, N. 36 zu Art. 841 ZGB). Bei einer Mehrheit von eingeklagten
vorgehenden Pfandgläubigern ist ausserdem abzuklären, in welchem Verhältnis
deren Anteile am Verwertungserlös zur Befriedigung der Bauhandwerker
und Unternehmer in Anspruch genommen werden können. Zu prüfen ist ferner
auch, ob für die erwähnten Pfandgläubiger erkennbar gewesen sei, dass die
Errichtung ihres Pfandrechts die Handwerker und Unternehmer benachteilige
(Art. 841 Abs. 1 ZGB). Diese (materiellrechtlichen) Fragen zu beurteilen,
kann nur Sache des gemäss Art. 117 Abs. 1 VZG zuständigen Richters
sein. Ausschliesslich in die Kompetenz dieses Richters fällt auch der
Entscheid über die umstrittene Frage, ob Zinsen, Prozessentschädigungen
oder eine vom unterliegenden Pfandgläubiger als Ersatz für einen erbrachten
Prozesskostenvorschuss dem Baupfandgläubiger allenfalls zu leistende
Zahlung durch das Bauhandwerkerpfandrecht gedeckt seien (dazu MAILLEFER,
Le privilège de l'hypothèque légale des artisans et des entrepreneurs,
Diss. Bern 1961, S. 71).

    b) Bei der Beurteilung des Auszahlungsbegehrens eines den
Baupfandgläubigern vorgehenden Gläubigers hat das Betreibungsamt nach dem
Gesagten davon auszugehen, dass von dem dem Gesuchsteller zustehenden
Betreffnis derjenige Teil im Sinne von Art. 117 Abs. 2 VZG streitig
ist, welcher der Summe der von den Baupfandgläubigern nach Massgabe
des Art. 117 VZG rechtzeitig eingeklagten Forderungen entspricht. Wo es
das kantonale Prozessrecht - wie hier - zulässt, dass sich der klagende
Baupfandgläubiger betragsmässig nicht festlegt, sind die Pfandausfälle
der betreffenden Gläubiger gemäss Verteilungsplan einzusetzen, zumal das
den Bauhandwerkern und Unternehmern in Art. 841 ZGB eingeräumte Vorrecht
sich im günstigsten Fall auf Forderungsbeträge in dieser Höhe erstrecken
kann. Darüber hinaus hat das Betreibungsamt einen angemessenen Betrag
für Zinsen, Prozessentschädigungen und von unterliegenden Pfandgläubigern
allenfalls zu ersetzende Prozesskostenvorschüsse zurückzubehalten.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall hatte die Rekurrentin dem Betreibungsamt
lediglich mitgeteilt, dass sieben Baupfandgläubiger gegen sie Klage
eingereicht hätten und dass die Kläger höchstens Fr. 400'000.-- fordern
würden. Ihrem Begehren um Freigabe des nicht umstrittenen Betrages hatte
sie jedoch ein Schreiben vom 16. Juli 1984 beigelegt, worin der Anwalt der
erwähnten Baupfandgläubiger darauf hingewiesen hatte, dass der Streitwert
nicht bestimmt sei und dass ausserdem neben den von ihm vertretenen
noch andere Unternehmer die Rekurrentin zum Aussöhnungsversuch hätten
vorladen lassen. Aufgrund der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen war
das Betreibungsamt nicht in der Lage zu bestimmen, in welcher Höhe der der
Rekurrentin im Verteilungsplan zugewiesene Anteil am Verwertungserlös nicht
strittig sein soll. Es hat deshalb den von der Rekurrentin herausverlangten
Betrag zu Recht nicht freigegeben. Der die betreibungsamtliche Verfügung
bestätigende Entscheid der Vorinstanz ist demnach nicht zu beanstanden.

Erwägung 5

    5.- Die Rekurrentin hat selbstverständlich die Möglichkeit,
unter Beilage der rechtsgenügenden Beweismittel (beispielsweise einer
richterlichen Bestätigung im oben angeführten Sinn) ein neues Gesuch
um Auszahlung eines Teils des ihr gemäss Verteilungsplan zustehenden
Betreffnisses zu stellen. Das Betreibungsamt hätte dann im Sinne der
obenstehenden Erwägungen den zurückzubehaltenden Betrag zu bestimmen und
den freien Anteil im Rahmen der gestellten Anträge auszubezahlen.

Erwägung 6

    6.- Ist der Rekurs nach dem Gesagten abzuweisen, wird der Antrag
der Rekurrentin um Zusprechung einer Parteientschädigung gegenstandslos.
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass gemäss Art. 68 Abs. 2 GebTSchKG
im Beschwerdeverfahren ohnehin keine Parteientschädigung zugesprochen
werden darf.