Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 III 53



110 III 53

15. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 20. Dezember 1984 i.S. W. (Rekurs) Regeste

    Art. 92 Ziff. 3 SchKG.

    Ist ein Bürocomputer ein zur Ausübung des Berufes als selbständiger
Buchhalter und Treuhänder notwendiges Werkzeug?

Sachverhalt

    A.- Auf Begehren des Vermieters retinierte das Betreibungsamt
Basel-Stadt für eine gegenüber dem Mieter W. erhobene Mietzinsforderung
verschiedene Gegenstände im Schätzungswert von insgesamt Fr. 8'830.--. Als
Gegenstand Nr. 9 wurde ein Bürocomputer "Questar Honeywell Bull" (mit
Bildschirm und Printer) zu einem Schätzungswert von Fr. 4'000.-- in die
Retention einbezogen.

    B.- Der Schuldner beschwerte sich über die Retention bei der
Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons
Basel-Stadt, weil er mehrere retinierte Gegenstände als Kompetenzstücke im
Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG anerkannt wissen wollte. Mit Entscheid vom
30. Oktober 1984 hiess die Aufsichtsbehörde die Beschwerde teilweise gut,
indem sie die als Nummern 8, 11, 12 und 13 bezeichneten Gegenstände aus
der Retention entliess. Im übrigen wies sie die Beschwerde ab, soweit
darauf einzutreten war; das bedeutete, dass der erwähnte Bürocomputer
retiniert blieb.

    Gegen diesen Entscheid erhob der Schuldner Rekurs bei der
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Diese heisst
den Rekurs teilweise gut; sie weist die Sache zur weiteren Abklärung des
Sachverhalts und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Rekurrent stellt keinen ausdrücklichen Antrag. Doch geht aus
seiner Eingabe klar hervor, dass er den Bürocomputer als ein zur Ausübung
des Berufes notwendiges Gerät im Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG betrachtet
und sich deshalb auf den Standpunkt stellt, das Retentionsrecht sei nach
Massgabe von Art. 272 Abs. 3 OR ausgeschlossen. Nach dem offensichtlichen
Willen des Rekurrenten soll der Bürocomputer nicht in die Retentionsurkunde
aufgenommen werden; und er legt denn auch dar, weshalb dieses Gerät für
die Ausübung seines Berufes als selbständiger Buchhalter unentbehrlich
sei. Der Rekurrent rügt somit eine falsche Anwendung von Art. 92 Ziff. 3
SchKG durch die kantonalen Behörden. Auf seine Eingabe, welche die
Erfordernisse des Art. 79 OG erfüllt, ist einzutreten.

Erwägung 3

    3.- a) Die kantonale Aufsichtsbehörde bestreitet nicht, dass der
Bürocomputer ein zur Führung von Buchhaltungen nützliches Hilfsmittel sein
mag, betrachtet ihn aber dennoch nicht als ein für die Berufsausübung
des Rekurrenten unentbehrliches Gerät. Soweit der Rekurrent im Computer
gespeicherte Daten sicherzustellen habe, führt die Aufsichtsbehörde aus,
könne er sie mit Hilfe des Printers ausdrucken und auf diese Weise für
seine Kunden und zur allfälligen manuellen Weiterverarbeitung festhalten.

    Der Rekurrent behauptet demgegenüber, heute besitze jedes Treuhandbüro
zur Führung der Buchhaltungen einen Computer. Ohne einen solchen sei
ein Treuhandbüro nicht mehr konkurrenzfähig. Beim Verzicht auf den
Computer müsste er in Zukunft mit Durchschreibebuchhaltungen arbeiten,
was Mehrarbeit und entsprechend höhere Kosten und Preise zur Folge hätte.

    Nach der Darstellung des Betreibungsamtes Basel-Stadt verfügt nicht
jedes Treuhandbüro über einen Computer. Vor allem Treuhänder, die in ihrem
Büro keine Angestellten beschäftigen, kommen nach dem Dafürhalten des
Betreibungsamtes ohne Computer aus. Es betrachtet deshalb den Bürocomputer,
den der Rekurrent als Kompetenzstück beanspruchen möchte, nicht als ein
für dessen Berufsausübung unentbehrliches Gerät.

    b) Beim Entscheid darüber, ob ein Werkzeug oder Gerät für den
Schuldner zur Ausübung des Berufes notwendig sei, ist den Erfordernissen
einer rationellen und konkurrenzfähigen Berufsausübung Rechnung zu tragen
(AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1983,
§ 23 N. 23; RUEDIN, L'insaisissibilité des instruments professionnels,
in Bl SchKG 45/1981, S. 102). Doch unterliegt das Urteil, ob eine
solche Notwendigkeit im Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG bestehe oder
nicht, entsprechend der Entwicklung der Technik, der handwerklichen
Fertigung und überhaupt der Berufsausübung dem Wandel (FRITZSCHE/WALDER,
Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Zürich 1984,
§ 24 Rz. 13). Einst allgemein geübte Arbeitstechniken können durch die
Entwicklung überholt werden und sich eines Tages als unwirtschaftlich und
nicht mehr konkurrenzfähig erweisen. Vom Computer insbesondere weiss man,
dass er in den verschiedensten Lebensbereichen Einzug hält. Er vereinfacht
die Büroarbeit dadurch, dass sich wiederholende Arbeitsgänge in grösserer
Zahl und dennoch in kürzerer Zeit abgewickelt werden können; Daten lassen
sich auf kleinem Raum speichern und stehen zum Abruf bereit. Richtig
eingesetzt, lassen sich durch den Computer Arbeitslöhne und andere Kosten
einsparen.

    Genau diese Argumentation hat sich der Rekurrent zu eigen gemacht. Es
ist deshalb grundsätzlich nicht entscheidend, dass er allein - also ohne
die Mitarbeit von Angestellten - Buchhaltungen führt. Im Gegenteil lässt
sich erwarten, dass er gerade wegen des Einsatzes des Computers auch
einen grösseren Anfall an Arbeit ohne fremde Hilfe bewältigen kann und
dadurch Kosten spart.

    c) Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Werkzeug zur Ausübung
des Berufes durch den Schuldner notwendig im Sinne von Art. 92 Ziff. 3
SchKG sei und deshalb nicht gepfändet oder retiniert werden könne, muss
auf die konkreten Umstände im Augenblick der Pfändung bzw. Retention
abgestellt werden. Es ist Aufgabe des Betreibungsbeamten und der kantonalen
Aufsichtsbehörden, die entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse abzuklären
(BGE 86 III 49 E. 1).

    Das Betreibungsamt Basel-Stadt ist der Auffassung, ein selbständiger
Buchhalter und Treuhänder sei zur Ausübung seines Berufes nicht
notwendigerweise auf einen Computer angewiesen, und sagt, dass seines
Wissens nicht jedes Treuhandbüro zur Erledigung der Buchhaltungen einen
Computer besitze. Doch stützt das Betreibungsamt diese Aussage nicht
auf eine entsprechende Untersuchung ab. Es hat auch die konkreten
Umstände, unter welchen der Rekurrent seinen Beruf ausübt, nicht
abgeklärt. Insbesondere hat es nicht geprüft, ob der Rekurrent zur
Bewältigung der bisher von ihm übernommenen Buchhaltungsarbeiten mehr
Zeit aufwenden müsste, wenn er anstatt des Bürocomputers sich einer
Durchschreibebuchhaltung oder irgendeiner anderen Arbeitstechnik bediente;
und es hat nicht untersucht, ob bei Wegfall des Computers bisherige oder
künftige Kundschaft ausbleiben und der Rekurrent eine Verdiensteinbusse
erleiden würde.

    Bevor diese Fragen geklärt sind, lässt sich nicht entscheiden,
ob der Bürocomputer, den der Rekurrent als Kompetenzstück beanspruchen
möchte, ein zur Ausübung seines Berufes notwendiges Gerät ist. Die Sache
muss deshalb zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes an die kantonale
Aufsichtsbehörde zurückgewiesen werden. Sollte es sich erweisen, dass
beim Verzicht auf den Computer dem Rekurrenten wesentliche Mehrarbeit
entsteht oder er einen Verlust an Geschäftseinkommen in Kauf nehmen muss,
so wird der Bürocomputer "Questar Honeywell Bull" als zur Ausübung des
Berufes notwendiges Gerät im Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG zu bezeichnen
sein. Diese Eigenschaft wird anderseits dem Computer abgesprochen werden
müssen, wenn die Mehrarbeit, welche dem Rekurrenten durch die Umstellung
auf eine Durchschreibebuchhaltung entsteht, seine Konkurrenzfähigkeit als
selbständiger Buchhalter und Treuhänder nicht beeinträchtigt und nicht
den Verlust bisheriger oder künftiger Mandate zur Folge hat.