Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 III 20



110 III 20

6. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 30. April 1984 i.S. G. (Rekurs) Regeste

    Pfändung eines umstrittenen Lohnes.

    Die Betreibungsinstanzen sind nicht zuständig, um die umstrittene
Höhe der Lohnforderung des Betriebenen gegenüber seinem Arbeitgeber
zu bestimmen. Stimmen die Lohnangaben von Arbeitnehmer und Arbeitgeber
nicht überein, oder bestehen Indizien dafür, dass deren übereinstimmenden
Angaben unzutreffend sind, muss das Betreibungsamt den Lohn gemäss den
Angaben des Betreibenden als bestrittene Forderung pfänden.

Sachverhalt

    A.- R. G. hat U. G. für einen Betrag von Fr. 7'767.- betrieben. Bei
der Fortsetzung der Betreibung hat das Betreibungsamt Spreitenbach
festgestellt, dass der Betriebene über nichts Pfändbares verfügt. Es hat
seinen Notbedarf auf Fr. 1'740.- festgesetzt und festgehalten, dass U.
G. von seinem Arbeitgeber, der U. G. AG, bloss einen Lohn von Fr. 1'350.-
beziehe. Eine Lohnpfändung komme deshalb selbst bei Berücksichtigung
einer Beteiligung an den Haushaltskosten im Betrage von Fr. 200.-
durch seine Frau nicht in Frage. R. G. verlangte daraufhin sinngemäss
eine Nachpfändung. Er machte geltend, U. G. verdiene in Wirklichkeit
Fr. 4'000.- im Monat und die Ehefrau habe einen Beitrag von Fr. 1'750.- zu
leisten. Eine Lohnquote von Fr. 4'010.- sei deshalb pfändbar. Er verlangte
auch, dass die Lohnverhältnisse bei der Ausgleichskasse kontrolliert und
das Postcheckkonto überprüft werde. Das Betreibungsamt wies diese Begehren
ab und verlangte lediglich einen Lohnausweis beim Arbeitgeber.

    B.- Auf Beschwerde von R. G. hin stellte der Präsident des
Bezirksgerichts Baden, als untere kantonale Aufsichtsbehörde, fest,
dass der Notbedarf von U. G. tatsächlich Fr. 1'740.- ausmache. Bei der
Befragung durch den Gerichtspräsidenten hatte U. G. auf seinen Angaben
beharrt, wonach er einen Monatslohn von Fr. 1'350.- und seine Frau als
Halbtagsangestellte und einziger Verwaltungsrat einen solchen von Fr. 650.-
beziehe. Der Gerichtspräsident wies deshalb das Betreibungsamt an, dem
Gläubiger das Formular 11 zukommen zu lassen, damit er erklären könne,
um welchen Betrag seiner Ansicht nach der Verdienst des Betriebenen dessen
Notbedarf übersteige. Daraufhin sei dieser Betrag als bestrittene Forderung
zu pfänden, und der Gläubiger könne seine Rechte gemäss Art. 131 Abs. 2
SchKG geltend machen.

    C.- Gegen diesen Entscheid erhob R. G. beim Obergericht des Kantons
Aargau als obere kantonale Aufsichtsbehörde Beschwerde. Er verlangte,
dass die Einkommensverhältnisse von U. G. und dessen Frau zu überprüfen
und eine Lohnquote von Fr. 4'010.- zu pfänden sei. Mit Entscheid vom
8. März 1984 hiess das Obergericht die Beschwerde teilweise gut und
wies das Betreibungsamt an, eine Lohnpfändung von monatlich Fr. 1'675.-
vorzunehmen und der U. G. AG anzuzeigen, dass sie rechtsgültig nur noch
an das Betreibungsamt leisten könne.

    D.- Mit frist- und formgerechtem Rekurs an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts verlangte U. G. die Aufhebung
dieses Entscheides und die Anordnung, "die Lohnpfändung betreffend die
vom Gläubiger gemachten Lohnanrechte als bestrittene Forderung unter
Anwendung des Formulars 11" vorzunehmen.

    Dem Gesuch um aufschiebende Wirkung des Rekurses wurde durch Verfügung
des Präsidenten der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. April
1984 stattgegeben.

    Das Betreibungsamt Spreitenbach hat keine Vernehmlassung
eingereicht. R. G. beantragt in seinen Gegenbemerkungen vom 10. April 1984
die sofortige Aufhebung der aufschiebenden Wirkung, das Nichteintreten
beziehungsweise die Abweisung des Rekurses und die Einholung der schon
längst geforderten Auskünfte betreffend die Einkommensverhältnisse.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die obere kantonale Aufsichtsbehörde ging davon aus, dass es
nicht Aufgabe des Betreibungsamtes sein könne, über die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgedehnten Beweis zu führen. Im
vorliegenden Fall könnten aber die Lohnangaben des Schuldners nicht
stimmen. Der behauptete Lohn sei weder der Arbeitsleistung des Schuldners
als Geschäftsführer noch den Geschäftsverhältnissen (Fr. 1,2 bis 1,4
Millionen Umsatz pro Jahr) angemessen. Auch müsse man sich fragen, wie der
Schuldner bei den behaupteten Einkommensverhältnissen seinen Rechtsanwalt
für die verschiedenen Verfahren in bezug auf die vorliegende Betreibung
bezahlen könne, da er ja nicht im Armenrecht prozessiere. Es müsse
davon ausgegangen werden, dass er entweder einen bedeutend grösseren
Lohn beziehe oder aber die Bezüge aus der Familien - AG bewusst und
ungerechtfertigterweise niedrig halte, um seinen Schuldnerverpflichtungen
nicht nachkommen zu müssen. Unter diesen Umständen rechtfertige es sich,
den gesamten gemäss Lohnausweis ausbezahlten Lohn von Fr. 1'350.- und die
Hälfte des Lohnes der Ehefrau, die sie an die ehelichen Lasten beizutragen
habe, zu pfänden.

Erwägung 2

    2.- Das Betreibungsamt hat im Rahmen einer Lohnpfändung von Amtes
wegen die tatsächlichen Verhältnisse soweit als möglich abzuklären. Es
hat insbesondere zu prüfen, ob der Schuldner tatsächlich Lohnbezüger ist
oder ob nicht anstelle einer Lohn- eine Verdienstpfändung vorzunehmen
ist (BGE 106 III 13 E. 2). Hingegen kann das Betreibungsamt nicht über
streitige Rechte entscheiden und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich
dabei um den Bestand der in Betreibung gesetzten Forderung oder um das
Eigentum einer gepfändeten Sache handle. Ist der Bestand oder Umfang eines
Rechtes streitig, hat das Betreibungsamt die Parteien an den Richter
zu verweisen. Die Aufsichtsbehörden haben diesbezüglich keine grössere
Kompetenz (BGE 107 III 39 f.). Das hat zur Folge, dass das Betreibungsamt
und die Aufsichtsbehörden nicht zuständig sind, um bei einer Lohnpfändung
die - umstrittene - Höhe der Lohnforderung des Betriebenen gegenüber
seinem Arbeitgeber zu bestimmen. Das Betreibungsamt hat sich vielmehr an
die übereinstimmenden Lohnangaben des betriebenen Arbeitnehmers und dessen
Arbeitgebers zu halten. Stimmen deren Angaben nicht überein, oder bestehen
Indizien dafür, dass die übereinstimmenden Angaben unzutreffend sind, muss
das Betreibungsamt den Lohn als bestrittene Forderung pfänden. Dabei kann
es nicht selbst die Höhe der bestrittenen Forderung festsetzen, sondern
muss sich an die Angaben des Betreibenden halten, die es nötigenfalls
mit der Zusendung des Formulars 11 zu erhalten versucht (BGE 106 III 14
mit Verweisungen, vgl. auch AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts, 3. Aufl. § 23, N. 66, S. 187). Der Rekurrent verlangt zu
Recht die Durchführung dieses von der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde
angeordneten Verfahrens.

    Die beiden kantonalen Aufsichtsbehörden haben sich zwar richtigerweise
geweigert, das Betreibungsamt anzuweisen, bei der Ausgleichskasse des
Betriebenen und beim Postcheckamt Nachforschungen über die Lohnverhältnisse
anzustellen. Der Richter ist aber nicht nur allein zuständig, entsprechende
Beweise zu erheben, sondern auch für das Festsetzen des von einem am
Betreibungsverfahren unbeteiligten Dritten, nämlich vom Arbeitgeber des
Betriebenen, geschuldeten Lohnes. Die Vorinstanz hat mithin Bundesrecht
verletzt, indem sie die Lohnforderung des Rekurrenten gegenüber seiner
Arbeitgeberin festsetzte.

Erwägung 3

    3.- Der Rekursgegner beruft sich zu Unrecht auf Art. 91 SchKG, um
darzulegen, dass das Betreibungsamt die erforderlichen Nachforschungen
zur Festsetzung der Lohnforderung des Rekurrenten hätte anstellen
können. Diese gesetzliche Bestimmung erlaubt es dem Betreibungsamt nur,
den Betriebenen oder allenfalls dessen Schuldner oder dritte Gewahrsinhaber
einzuvernehmen. Falschangaben bei dieser Einvernahme werden gemäss Art. 164
StGB bestraft. Im vorliegenden Fall hat das Betreibungsamt den Betriebenen
und seinen Arbeitgeber einvernommen. Die Organe der Ausgleichskasse und
des Postcheckamtes hätte es nur einvernehmen dürfen, wenn die Forderungen
gegen diese Dritten gepfändet worden wären. Für die AHV-Beiträge ist eine
solche Pfändung ausgeschlossen, und bezüglich des Postcheckkontos hat der
Rekursgegner nie dargelegt, der Rekurrent sei Inhaber eines solchen Kontos.
Überdies dürfte das Postcheckamt in diesem Fall bloss über den Kontostand
Auskunft erteilen, nicht aber über die einzelnen Ein- und Auszahlungen.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid der
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons
Aargau aufgehoben und das Betreibungsamt Spreitenbach angewiesen, den
vom Gläubiger im Formular Nr. 11 anzugebenden Betrag als bestrittene
Forderung zu pfänden.