Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 88



110 Ib 88

14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
2. Mai 1984 i.S. G. und M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige
Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS).

    Befugnisse der Bundesbehörde und der ausführenden kantonalen Behörden
nach dem Bundesgesetz zum RVUS; Sonderregelung zu Beginn des Verfahrens
(E. 2a).

    Rechtsschutz gegenüber Anordnungen der Bundesbehörde und der
ausführenden kantonalen Behörden; Verhältnis zwischen den bundesrechtlichen
und den kantonalen Rechtsmitteln (E. 2c).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- ...

    Das Bundesgesetz zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von
Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1975
(im folgenden BG-RVUS) enthält keine dem Art. 23 des Bundesgesetzes
über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG)
entsprechende Vorschrift, welche die Kantone verpflichtet, gegen die
Verfügungen der ausführenden Behörden ein Rechtsmittel einzuräumen. Art. 17
Abs. 1 BG-RVUS sieht indes vor, dass Verfügungen der "letzten Instanzen
der Kantone" der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
unterliegen, und Art. 19 Abs. 1 BG-RVUS ermächtigt die Zentralstelle,
gegen Verfügungen einer kantonalen Behörde selbständig die "einschlägigen
kantonalen Rechtsmittel" zu ergreifen. Aus diesen Vorschriften ergibt
sich, dass die Verfügungen, welche die kantonalen Behörden in Ausführung
eines amerikanischen Rechtshilfebegehrens treffen, mit dem nach dem
anwendbaren kantonalen Recht vorgesehenen Rechtsmittel anfechtbar sind. ...

    a) Die Befugnisse der Zentralstelle und jene der ausführenden
kantonalen Behörden werden in den Art. 10-12 BG-RVUS umschrieben. Diesen
Vorschriften in Verbindung mit den Art. 3, 5 und 8 BG-RVUS ist zu
entnehmen, dass die Zentralstelle (gemäss Art. 28 Ziff. 1 RVUS und Art. 1
Ziff. 4 BG-RVUS das Bundesamt für Polizeiwesen) nicht bloss zu prüfen
hat, ob ein Ersuchen den Formerfordernissen des Vertrages entspricht
und die Leistung der Rechtshilfe nicht als offensichtlich unzulässig
erscheint. Sie hat ausserdem aufgrund des im Ersuchen geschilderten
Sachverhaltes zu beurteilen, ob die dem amerikanischen Verfahren zugrunde
liegenden Handlungen nach schweizerischem Recht strafbar sind (Art. 10
BG-RVUS). Im weitern kann sie nötigenfalls vorsorgliche Massnahmen nach
Art. 8 BG-RVUS verfügen, und sie hat - ohne Anhören der Beteiligten - die
Anordnungen für die Ausführung des Ersuchens nach Art. 5 BG-RVUS zu treffen
(Art. 10 BG-RVUS). Diese bestehen u.a. darin, die Straftaten zu bezeichnen,
für deren Verfolgung die Rechtshilfe gewährt wird, zu bestimmen, ob und
gegebenenfalls unter welchen Bedingungen die Rechtshilfe geleistet wird,
soweit dazu nicht das Departement zuständig ist, und darüber zu befinden,
ob eine weitere Verwendung von Informationen aufgrund von Art. 5 Ziff. 2
RVUS zulässig ist (Art. 5 Abs. 2 lit. a, b und h BG-RVUS). Erst wenn
die Zentralstelle diese Anordnungen getroffen hat, überweist sie die
Akten an die ausführende Behörde (Art. 10 BG-RVUS). Ihre Aufgaben sind
demnach um einiges weiter gefasst als jene, die das Bundesamt aufgrund
von Art. 78 IRSG zu erfüllen hat, bevor es ein Ersuchen (das sich auf
alle Formen von Rechtshilfe mit Ausnahme der Auslieferung beziehen kann)
an die kantonale Behörde zum Vollzug weiterleitet. Dementsprechend haben
im Einspracheverfahren nach Art. 16 BG-RVUS das Bundesamt - und in der
Folge allenfalls das Bundesgericht auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin -
von Anfang an über die Zulässigkeit der Rechtshilfe zu befinden, während
der Entscheid über diese Frage im Rahmen von Art. 79 IRSG in erster Linie
den kantonalen Behörden zusteht.

    Diese im Rechtshilfeverkehr mit den USA geltende Sonderregelung
wurde im Hinblick auf die Verschiedenheit der Rechtssysteme der beiden
Vertragsstaaten getroffen. Es wäre in Anbetracht der Schwierigkeiten,
die sich daraus ergeben konnten, kaum angebracht gewesen, den Entscheid
über die Zulässigkeit der Rechtshilfe in erster Linie den kantonalen,
also dezentralisierten Behörden zu übertragen. Für die Schweiz drängte
es sich auch mit Rücksicht auf eine einheitliche Rechtsanwendung auf,
der Zentralstelle von Beginn des Verfahrens an ausgedehnte Kompetenzen
einzuräumen. Nicht zufällig wird übrigens im Rechtshilfevertrag mit den
USA und im dazugehörigen Ausführungsgesetz immer von der Zentralstelle
gesprochen, während im IRSG, dessen Vorentwurf ungefähr zur gleichen Zeit
erstellt wurde wie der RVUS, vom Bundesamt die Rede ist.

    c) Das Bundesgesetz zum Rechtshilfevertrag mit den USA gewährt der
durch eine Rechtshilfehandlung berührten Person einen ausgedehnten
Rechtsschutz. Sie kann gegen die Anordnungen der Zentralstelle
Einsprache erheben (Art. 16 BG-RVUS), und gegen die Verfügungen der
ausführenden kantonalen Behörden steht ihr, wie dargelegt wurde,
ein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung. Das bedeutet jedoch nicht,
dass der Betroffene berechtigt wäre, mit dem kantonalen Rechtsmittel
einfach jene Argumente vorzubringen, die er mit der Einsprache geltend
gemacht hat und die vom Bundesamt - und allenfalls vom Bundesgericht auf
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin - beurteilt worden sind. Damit würde
die Aufgabe verkannt, die den ausführenden kantonalen Behörden gemäss
Art. 3 BG-RVUS zugedacht ist. Diese greifen nach Art. 12 BG-RVUS erst dann
in das Rechtshilfeverfahren ein, wenn die Zentralstelle ihnen die Akten
überwiesen hat, d.h. nachdem das Bundesamt die erforderlichen Anordnungen
getroffen hat (vgl. E. 2a). Ob diese vertrags- und gesetzeskonform sind,
muss auf Einsprache hin zwingend durch das Bundesamt überprüft werden,
das sie erlassen hat. Es wäre sinnwidrig, wenn die ausführenden kantonalen
Behörden ihrerseits hierüber zu befinden hätten, wie wenn diesbezüglich
kein Entscheid vorläge. Bei einem solchen Vorgehen könnte es, da der
Einspracheentscheid der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
unterliegt, dazu kommen, dass sich die kantonalen Behörden über den
Entscheid des Bundesgerichts hinwegsetzen könnten, was mit Art. 39 OG
und wohl auch mit Art. 38 OG unvereinbar wäre.

    Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass der Betroffene jene
Rügen, die er im Einspracheverfahren vorgebracht hat und die vom Bundesamt
beurteilt wurden, im Ausführungsverfahren nicht mehr geltend machen
kann. Das kantonale Rechtsmittel, das gegen den Ausführungsentscheid
der ersten Instanz bei der oberen kantonalen Behörde eingelegt werden
kann, dient anderen Zwecken als die Einsprache. Die Ausführung eines
Ersuchens vollzieht sich in erster Linie nach dem kantonalen Recht; dieses
bestimmt Zuständigkeit, Organisation und Amtsführung der ausführenden
kantonalen Behörden, soweit Vertrag, Gesetz oder übriges Bundesrecht
nichts anderes vorsehen (Art. 3 Abs. 1 BG-RVUS). Der Betroffene kann sich
daher mit dem kantonalen Rechtsmittel zunächst über eine Verletzung des
kantonalen Verfahrensrechts beklagen. Im weitern kann er aber auch noch
eine Verletzung des Rechtshilfevertrages oder des Ausführungsgesetzes
rügen, soweit es dabei um Fragen geht, die im Einspracheverfahren nicht
abgeklärt oder die dem Bundesamt nicht unterbreitet wurden, weil das beim
damaligen Stand des Verfahrens noch nicht möglich war. Die wahre Tragweite
der Rechtshilfeleistung wird manchmal erst im Ausführungsverfahren
konkret ersichtlich. So kann es vorkommen, dass gewisse Fragen,
die im Einspracheverfahren in abstrakter Form behandelt wurden, z.B.
die Frage der Verhältnismässigkeit der verlangten Erhebungen oder jene
der Beachtung des Spezialitätsprinzips, beim Vollzug des Ersuchens durch
das Auftauchen neuer Tatsachen in einem veränderten Licht erscheinen. In
solchen Fällen muss den Betroffenen gestattet sein, diese Fragen unter
dem neuen Gesichtspunkt, der sich durch die Vollzugshandlung ergeben
hat, mit dem kantonalen Rechtsmittel vorzubringen. Schliesslich kann
bei der kantonalen Rechtsmittelbehörde auch noch eingewendet werden,
der Ausführungsakt stehe mit den Anordnungen der Zentralstelle nicht
im Einklang.