Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 82



110 Ib 82

13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8.
Februar 1984 i.S. X-Bank und M. gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige
Rechtshilfe in Strafsachen.

    1. Art. 2 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 und 5. Darunter fällt nicht der
Bannbruch gemäss Art. 76 ZG (E. 4b aa).

    2. Art. 3 Abs. 1 lit. a. Wegen Handlungen gegen wirtschaftspolitische
Massnahmen, wie der Bannbruch gemäss Art. 76 ZG, kann die Rechtshilfe
gemäss dieser Bestimmung verweigert werden (E. 4b bb).

    3. Art. 4 Abs. 3. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Am 25. März 1983 richtete das Justizdepartement der Vereinigten
Staaten von Amerika an das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) gestützt auf
den Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige
Rechtshilfe in Strafsachen (im folgenden: der Vertrag) ein Begehren um
Rechtshilfe im Rahmen eines beim US Attorney for the Central District
of California hängigen Strafverfahrens gegen M., einen gegenwärtig in
der Schweiz wohnhaften amerikanischen Staatsangehörigen, den in Moskau
wohnhaften Sowjetbürger B. und den im Kanton Zürich wohnhaften Schweizer L.

    Zur Begründung des Gesuchs werden folgende Tatsachen
vorgebracht. M. kaufte in den USA Computer und Computerbestandteile und
schickte sie an L., der damals Direktor einer Zürcher Speditionsfirma
war. Dieser spedierte die Güter an E. T., ein sowjetisches
Staatsunternehmen, für das B. als Experte tätig ist. Da die Ausfuhr
solchen Materials aus Amerika einer Bewilligung bedarf, haben M. und
L. den Behörden die Erklärung abgegeben, dass es sich um Kühlschränke,
Fernsehapparate und Plattenspieler handle. Als Endempfänger nannten sie
eine anscheinend nicht existierende Gesellschaft in Zürich. Zwölf solche
Lieferungen im Wert von mehreren Millionen Dollar zwischen April 1980
und Februar 1982 seien von M. u.a. beglichen worden durch Zahlungen auf
Konten bei einer Bank in Zürich.

    Die USA verlangten, dass die Bank Dokumente betreffend Konten
herausgeben solle, die M. und die von ihm beherrschten Gesellschaften
allenfalls eröffnet hätten.

    B.- Am 8. April 1983 forderte das BAP die amerikanischen Behörden
auf, ihr Ersuchen zurückzuziehen, da seine Erledigung geeignet wäre,
wesentliche Interessen der Schweiz, insbesondere ihre Neutralität,
zu beeinträchtigen. Das amerikanische Justizdepartement weigerte
sich jedoch mit Schreiben vom 16. Mai 1983, weil es nicht um die
amerikanisch-sowjetischen Beziehungen gehe, sondern lediglich um die
illegale Ausfuhr amerikanischer Waren. Nach Einholung von Berichten des
Bundesamtes für Aussenwirtschaft und der Direktion für Völkerrecht teilte
das BAP den amerikanischen Behörden mit, dass es auf ihr Ersuchen eintrete,
unter Vorbehalt des Entscheids des Justiz- und Polizeidepartements über
die Rechtshilfe nach Ermessen gemäss Art. 3 des Vertrages. Gemäss Art. 10
des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1975 zum Vertrag (BGRUS) überwies das BAP
das Ersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich zur Ausführung. Eine
Kopie des Überweisungsschreibens wurde der betroffenen Bank zugestellt,
unter Hinweis auf ihre Einsprachemöglichkeit.

    M. und die Bank erhoben gesondert Einsprache.

    Mit Verfügungen vom 25. Oktober 1983 wies das BAP die Einsprachen
ab. In beiden Verfügungen wird der Entscheid des Departements nach
Art. 3 Ziff. 1 lit. a des Vertrags vorbehalten, wenn der Umfang der
Rechtshilfeleistung feststeht.

    C.- Mit separaten Verwaltungsgerichtsbeschwerden beantragen
die Bank und M. Aufhebung der Verfügungen des BAP und Ablehnung der
Rechtshilfe. M. beantragt eventualiter, die Rechtshilfe sei auf Akten zu
beschränken, die sich auf die Überführung von Waren aus den USA in die
Schweiz beziehen, und subeventualiter, die Sache sei zu neuer Entscheidung
an das BAP zurückzuweisen.

    Das BAP beantragt Abweisung der Beschwerden, soweit darauf einzutreten
sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass die im
Rechtshilfeersuchen aufgeführten Tatsachen von den darin angegebenen
Bestimmungen des amerikanischen Rechts erfasst werden. Auch stellen
sie nicht in Abrede, dass diese Tatsachen den Tatbestand einer nach
schweizerischem Recht strafbaren Handlung erfüllen, nämlich jenen des
Art. 76 des Zollgesetzes (ZG) betreffend den Bannbruch, und dass sie
zusätzlich vom Bundesbeschluss über aussenwirtschaftliche Massnahmen
vom 28. Juni 1972 sowie der Verordnung über die Warenausfuhr vom
20. Februar 1974 erfasst werden. Das Bundesgericht hat somit auf
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin nicht zu prüfen, ob das Ersuchen
den Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit respektiert, was nach
Art. 4 Abs. 2 lit. a des Vertrags Voraussetzung der Anwendung von
Zwangsmassnahmen ist. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz
nicht erfordert, dass der ersuchende und der ersuchte Staat die fragliche
Handlung in ihren Gesetzgebungen unter demselben rechtlichen Gesichtswinkel
erfassen. Die Normen brauchen nicht identisch zu sein; es genügt, dass die
im Rechtshilfegesuch umschriebenen Tatsachen in jedem der beiden Rechte
einen Straftatbestand erfüllen (Art. 4 Abs. 4 des Vertrags; vgl. BGE 92
I 115).

    b) Hingegen bringen die Beschwerdeführer vor, die besondere Natur
der fraglichen Widerhandlungen stehe der Gewährung der Rechtshilfe
entgegen. Sie seien nämlich nicht gemeinrechtliche Delikte, sondern
solche wirtschaftspolitischer Natur. Der ersuchte Staat sollte daher
nicht Rechtshilfe leisten, denn die Verfolgung dieser Delikte diene
nicht der Bekämpfung der Kriminalität, sondern der Durchsetzung
wirtschaftspolitischer Vorstellungen.

    aa) Art. 76 ZG, der im wesentlichen auf die im Rechtshilfegesuch
umschriebene deliktische Tätigkeit anwendbar sein soll, bedroht den
Bannbruch, d.h. die Verletzung von Verboten oder Beschränkungen der
Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr von Waren mit Strafe, sofern nicht ein
besonderer Erlass hiefür eigene Strafvorschriften aufstellt. Als solcher
figuriert er nicht unter den vom Vertrag ausgeschlossenen Delikten gemäss
dessen Art. 2 Abs. 1 lit. c. Näher zu prüfen sind in dieser Hinsicht
allein Ziff. 1 und 5 dieser Bestimmung.

    Ziff. 1 betreffend das politische Delikt verweist für dessen Begriff
auf das Recht des ersuchten Staates. Nach dem schweizerischen Recht liegt
ein politisches Delikt nur vor, wenn die strafbaren Handlungen im Rahmen
eines Kampfes um die Macht im Staate ausgeführt oder wenn sie verübt
wurden, um jemanden dem Zwang eines jede Opposition ausschliessenden
Staates zu entziehen; zwischen solchen Taten und den angestrebten Zielen
muss eine enge, direkte und klare Beziehung bestehen (BGE 108 Ib 409
E. 7b; 106 Ib 301 E. 4, 308 E. 3b und Zitate). Unter diese Umschreibung
fällt offenkundig die Verletzung protektionistischer, die Freiheit des
internationalen Handels beschränkender Massnahmen nicht. Ziff. 5 handelt
von der Verletzung von Vorschriften über Steuern sowie über Zollabgaben,
staatliche Monopolgebühren und den Zahlungsverkehr mit dem Ausland. Sie
bezieht sich somit auf Fiskaldelikte, d.h. ausschliesslich auf Handlungen,
die gegen Regeln über Festsetzung und Erhebung öffentlicher Abgaben
jeder Art gerichtet sind (Urteil Grabowsky vom 16. November 1977,
E. 4). Darunter fällt Art. 76 ZG nicht. Er schützt grundsätzlich nicht
öffentliche Abgaben, sondern in der Regel besondere wirtschaftliche
Interessen (Botschaft des Bundesrates vom 1. März 1966 betreffend
die Genehmigung von sechs Konventionen des Europarates, BBl 1966 I
477; H. SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 465 N. 18;
TH. GUT, Die fiskalischen und militärischen Vergehen im schweizerischen
Auslieferungsrecht, S. 119 N. 7).

    Somit gestattet Art. 2 des Vertrags dem ersuchten Staat nicht,
die Rechtshilfe in Verfahren zu verweigern, die Handlungen gegen
wirtschaftspolitische Massnahmen betreffen, wie den Bannbruch gemäss
Art. 76 ZG.

    bb) Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, der Vertrag sei in
dieser Hinsicht lückenhaft und durch Heranziehung eines ungeschriebenen
Grundsatzes des Rechtshilferechts zu ergänzen, wonach für diese Art von
Delikten die Rechtshilfe unabhängig vom Vertrag ausgeschlossen sei.

    Es ist ohne Belang, dass der Bundesgesetzgeber diesen Grundsatz in
Art. 3 Abs. 3 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe vom
20. März 1981 (IRSG) aufgenommen hat. Denn in allen Fragen, die das
Vertragsrecht ausdrücklich oder stillschweigend abschliessend regelt,
geht es dem Landesrecht vor (BGE 106 Ib 298 E. 1; 105 Ib 296 E. 1a mit
Hinweisen). Dieser Grundsatz, der sich aus der Rangordnung der Normen
ergibt und in Art. 1 Abs. 1 IRSG in Erinnerung gerufen wird, findet in
diesem Fall Anwendung. Dass unter den in Art. 2 des Vertrags aufgezählten
Ausschlussklauseln ein Hinweis auf wirtschaftspolitische Massnahmen fehlt,
ist kein Zufall. Die Verweigerung der Mithilfe bei der Verfolgung solcher
Taten ist vor allem geboten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen
des ersuchten Staates. Gegenstand wirtschaftlicher Ausfuhrverbote und
-beschränkungen sind in der Regel Waren, an denen erfahrungsgemäss
jeweils international gesehen ein Mangel herrscht; Einfuhrverbote
oder -beschränkungen werden aus protektionistischen Gründen oder
als handelspolitisches Druckmittel angeordnet. In jedem Fall sind
diese Beschränkungen für andere Staaten störend und wirtschaftlich
gesehen abträglich (zit. Botschaft, aaO). Die wesentlichen Anliegen des
ersuchten Staates, einschliesslich seiner wirtschaftlichen Interessen,
werden indessen nicht durch Art. 2 des Vertrags gewahrt, der die seiner
Anwendung entgegenstehenden juristischen Gründe aufzählt, sondern durch
Art. 3 Abs. 1 lit. a, welcher es dem ersuchten Staat ermöglicht, die
Rechtshilfe zu verweigern, wenn die Erledigung des Ersuchens geeignet
wäre, die Souveränität, Sicherheit oder ähnliche wesentliche Interessen
seines Landes zu beeinträchtigen. Dabei handelt es sich um eine Bestimmung
vorwiegend politischen Inhalts, da dem ersuchten Staat bei ihrer Anwendung
eine Ermessensbefugnis zusteht und er seinen Entscheid nicht zu begründen
hat (vgl. P. LASZLOCZKY, Concessione discrezionale dell'assistenza
e principio di specialità, in: L'Assistenza internazionale in materia
penale in Svizzera, Milano 1983, p. 141 ss.). Wie der Bundesrat zu Art.
2 lit. b EÜR gleichen Inhalts ausgeführt hat, macht eine solche Bestimmung
einen besonderen Vorbehalt bezüglich der Fälle von Bannbruch überflüssig
(zit. Botschaft, aaO).

    c) Nach Art. 4 BGRUS entscheidet über die sog. Rechtshilfe nach
Ermessen gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a des Vertrags nicht das BAP, sondern
das Departement, unter Vorbehalt der Beschwerde an den Bundesrat.
Im Einverständnis mit dem Departement hat das BAP beschlossen, die
Frage dem Departement erst zu unterbreiten, wenn der konkrete Umfang der
Rechtshilfe feststeht, d.h. wenn die kantonale Ausführungsbehörde dem
BAP die Schriftstücke übermittelt haben wird. Die Beschwerdeführerin 1
ist der Auffassung, dass das BAP in diesem Punkt eine Zwischenverfügung
gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. a BGRUS hätte erlassen sollen; der Aufschub
des Entscheids sei unökonomisch und könnte die Beschwerdeführerin der
Beschwerdemöglichkeit berauben. Diese Rügen sind teils unerheblich,
teils unzulässig.

    Vorweg ist fraglich, ob die Beschwerdeführerin 1 im jetzigen
Verfahrensstadium ein aktuelles Interesse daran hat, sich über eine
Verletzung des Art. 11 Abs. 1 lit. a BGRUS zu beschweren. Auf jeden Fall
hätte sie aber glaubhaft machen müssen, dass einer der in Art. 11 Abs. 1
lit. a erwähnten Sachverhalte gegeben sei, da sich in den Akten hiefür
keine ernsthaften Anhaltspunkte finden. Das hat sie indessen im ganzen
Verwaltungsverfahren nicht getan. Was die Weigerung des Departements
angeht, sogleich über die Anwendung des Art. 3 des Vertrags zu befinden,
ist nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben,
sondern die Rechtsverzögerungsbeschwerde gemäss Art. 70 VwVG an den
Bundesrat.

Erwägung 5

    5.- Nach Art. 4 Abs. 2 des Vertrags genügt es für die Anwendung von
Zwangsmassnahmen (hier: Aufhebung des Bankgeheimnisses) nicht, dass die
Handlungen, die das Ersuchen betrifft, nach dem Recht beider Staaten
die objektiven Merkmale eines Straftatbestandes erfüllen; es ist weiter
erforderlich, dass die Handlungen einem der Tatbestände unterfallen,
die in der dem Vertrag beigefügten Liste aufgeführt sind. Es steht fest,
dass die im Rechtshilfeersuchen umschriebenen Tatsachen in keiner der
35 Nummern dieser Liste erwähnt werden, insbesondere auch nicht in
Nummer 30. In einem solchen Fall entscheidet gemäss Art. 4 Abs. 3 des
Vertrags die Zentralstelle des ersuchten Staates, ob die Bedeutung der Tat
Zwangsmassnahmen rechtfertigt. Das BAP, das schweizerische Zentralstelle
ist, nahm an, das treffe zu. Es hat einerseits die objektive Schwere
der Widerhandlung berücksichtigt, insbesondere Dauer und Umfang der
deliktischen Tätigkeit sowie die Strafdrohung in Art. 77 Abs. 3 ZG und
Art. 6 des Bundesbeschlusses über aussenwirtschaftliche Massnahmen,
anderseits den Umstand, dass die Angeschuldigten gewerbsmässig gehandelt
und vermutlich wissentlich die schweizerischen Vorschriften über den
Schutz des Bank- und Geschäftsgeheimnisses ausgenützt haben, um ihr Tun
zu verheimlichen.

    Art. 10 Abs. 2 lit. a des Vertrags, auf den der Botschafter der
Vereinigten Staaten in seinem Brief vom 25. Mai 1973 an Botschafter
Weitnauer Bezug nimmt, spricht von "einer schweren Straftat", während in
Art. 4 Abs. 3 des Vertrags von der "die Bedeutung der Tat" die Rede ist. In
beiden Fällen hat indessen die Würdigung der Bedeutung bzw. Schwere der Tat
nach den konkreten Umständen des einzelnen Rechtshilfefalls zu geschehen.

    Dabei steht der Zentralstelle ein recht weites Ermessen zu. Das
Bundesgericht auferlegt sich daher bei der Überprüfung ihres Entscheids
eine gewisse Zurückhaltung (Urteil Unigestion S.A. vom 26. Januar
1983, E. 6a; vgl. BGE 107 Ib 257 oben). Es greift nur ein, wenn die
Verwaltungsbehörde ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat. Das
trifft hier nicht zu. Das BAP hat eine vernünftige Würdigung der Umstände
der Widerhandlungen und der durch diese bewirkten Rechtsgüterverletzung
vorgenommen. Das Bundesgericht hat nicht an deren Stelle seine eigene
Würdigung zu setzen. Die Annahme des BAP, Zwangsmassnahmen gemäss Art. 4
Abs. 3 des Vertrags seien gerechtfertigt, ist somit nicht zu beanstanden.