Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 387



110 Ib 387

62. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28.
November 1984 i.S. C. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internationale Rechtshilfe in Strafsachen.

    Voraussetzungen, unter denen der Beschuldigte zur Akteneinsicht (E. 2)
und zur Ergreifung eines Rechtsmittels (E. 3) legitimiert ist.

Sachverhalt

    A.- Die britischen Behörden führen eine Strafuntersuchung gegen
C. und Mitbeteiligte wegen Abgabebetruges. Im März 1983 stellte der
britische Zolluntersuchungsdienst beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP)
ein Rechtshilfebegehren, mit dem um Ermittlungen bei der Firma J. in
Zürich-Kloten und bei D. in Zürich ersucht wurde. Die Bezirksanwaltschaft
Bülach nahm auf Anordnung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich im
November 1983 bei der Firma J. und bei D. die verlangten Erhebungen vor;
diesen wohnten zwei britische Beamte bei. Am 16. Dezember 1983 hiess die
Staatsanwaltschaft die Rekurse der Firma J. und des D. in dem Sinne gut,
als sie die Bezirksanwaltschaft Bülach anwies, die bei den Rekurrenten
erhobenen Unterlagen zu versiegeln.

    Der in England angeschuldigte C. zog einen in Zürich niedergelassenen
Anwalt bei. Dieser ersuchte die Bezirksanwaltschaft Bülach am 20. Januar
1984 mündlich um Akteneinsicht. Das Gesuch wurde mit Verfügung vom gleichen
Tag abgewiesen. C. reichte hiergegen am 26. Januar 1984 bei der Zürcher
Staatsanwaltschaft Rekurs ein. Mit einer zweiten Eingabe vom gleichen
Tag ersuchte er um Erlass vorsorglicher Massnahmen in dem Sinne, dass die
englischen Behörden aufzufordern seien, alle ihnen von den schweizerischen
Behörden übergebenen Dokumente zurückzuerstatten und ihre Wahrnehmungen
während des Rechtshilfeverfahrens im englischen Verfahren nicht zu
verwenden. Die Staatsanwaltschaft trat mit Verfügung vom 10. Mai 1984 auf
den Rekurs (und sinngemäss auch auf das Massnahmebegehren) nicht ein. Aus
der Begründung ergibt sich, dass sie C. als weder zur Akteneinsicht noch
zur Ergreifung eines Rechtsmittels im Rechtshilfeverfahren legitimiert
betrachtet.

    C. hat gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das Recht der am Rechtshilfeverfahren beteiligten Personen
auf Akteneinsicht wird durch Art. 79 Abs. 3 des Bundesgesetzes
über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) abschliessend
geregelt. Wie hier ausdrücklich gesagt wird, gelten auch im kantonalen
Verfahren die entsprechenden Bestimmungen des Bundesrechts. Der Berechtigte
kann das Rechtshilfegesuch und die zugehörigen Unterlagen einsehen, soweit
dies für die Wahrung seiner Interessen notwendig ist. Dem Beschuldigten,
den die Rechtshilfemassnahme nicht persönlich trifft, steht dieses Recht
nur zu, wenn er in der Schweiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, und
nur im Interesse der Wahrung seiner Verteidigungsrechte im ausländischen
Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft nimmt an, der Beschwerdeführer
werde im vorliegenden Falle von der Rechtshilfemassnahme nicht persönlich
betroffen, weil ihm gegenüber keine prozessualen Zwangsmittel angewendet
worden seien. Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung,
er sei als Beschuldigter im Sinne der zürcherischen Strafprozessordnung
nach deren Bestimmungen, ferner nach Art. 4 BV und nach Art. 6 EMRK zur
Akteneinsicht befugt; mit der Auslegung von Art. 79 Abs. 3 IRSG setzt er
sich nicht im einzelnen auseinander.

    b) Der Beschwerdeführer wählt einen unzutreffenden Ausgangspunkt. Er
ist im Kanton Zürich keiner Straftat beschuldigt und untersteht
nicht dessen Strafhoheit. Vielmehr wird in diesem Kanton gegen ihn ein
Verwaltungsverfahren durchgeführt (BGE 109 Ib 157 E. 3b mit Hinweisen),
dessen Formalitäten weitgehend - mit Bezug auf die Akteneinsicht sogar
abschliessend - durch das Bundesverwaltungsrecht geregelt werden. Damit
können dem Beschwerdeführer weder nach kantonalem Strafprozessrecht
noch nach Art. 4 BV mehr Rechte zustehen, als sie ihm das einschlägige
eidgenössische Verwaltungsgesetz - das IRSG - gewährt. Ebensowenig kann er
sich auf Art. 6 EMRK berufen, der sich auf Prozesse über zivilrechtliche
Ansprüche und zur Hauptsache auf Strafverfahren bezieht. Grossbritannien
ist der EMRK angeschlossen. Es darf somit davon ausgegangen werden,
dass dem Beschwerdeführer im Strafverfahren die von der Konvention
gewährleisteten Rechte, namentlich dasjenige auf Akteneinsicht zur
Vorbereitung seiner Verteidigung, eingeräumt werden.

    c) Tritt man trotz Fehlen einer substantiierten Rüge auf die
Frage der Auslegung von Art. 79 Abs. 3 IRSG ein, so ist diejenige der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, der auch das BAP beipflichtet,
nicht zu beanstanden. Der Wendung "dem Beschuldigten, den die
Rechtshilfemassnahme nicht persönlich trifft" würde ein vernünftiger Sinn
abgehen, wenn man sie dahin verstehen wollte, jede Rechtshilfemassnahme
treffe automatisch den Beschuldigten. Gemeint sein kann somit nur
derjenige Beschuldigte, der sich in der Schweiz selbst einer konkreten
Massnahme zu unterwerfen hat, wie etwa einer Hausdurchsuchung oder einer
Aktenedition. Das setzt in der Regel voraus, dass sich der Beschuldigte in
der Schweiz aufhält, doch sind Ausnahmen denkbar (z. B. Durchsuchung des
unbewohnten Ferienhauses des Beschuldigten in der Schweiz; Beschlagnahme
von ihm gehörenden Gegenständen im ersuchten Staat). Die hier in Frage
stehenden Rechtshilfemassnahmen (Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von
Dokumenten bei der Firma J. und bei D.) richten sich ausschliesslich
gegen Dritte; der Beschwerdeführer wird von ihnen nicht persönlich
betroffen. Bei dieser Sachlage stünde ihm nach Art. 79 Abs. 3 IRSG ein
Anspruch auf Akteneinsicht nur dann zu, wenn er in der Schweiz seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hätte, und ausserdem nur im Interesse der Wahrung
seiner Verteidigungsrechte im ausländischen Strafverfahren. Da es schon
am ersten Erfordernis fehlt, kann dahingestellt bleiben, ob die zweite
Bedingung erfüllt wäre, d.h. ob C. das Einsichtsrecht im Interesse der
Wahrung seiner Verteidigungsrechte im englischen Strafverfahren ausüben
wolle. Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Gesagten mit Recht angenommen,
dem Beschwerdeführer stehe kein Anspruch auf Akteneinsicht zu.

Erwägung 3

    3.- Es ist im weiteren zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft die
Legitimation des Beschwerdeführers zum Rekurs gegen die Verfügung der
Bezirksanwaltschaft Bülach betreffend Verweigerung der Akteneinsicht mit
Recht verneint hat.

    a) Massgebend ist Art. 21 Abs. 3 IRSG. Danach können Personen,
gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet, Verfügungen nur
anfechten, wenn eine Massnahme sie persönlich trifft oder sie in ihren
Verteidigungsrechten im Strafverfahren beeinträchtigen könnte. Wie diese
Bestimmung auszulegen ist, ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut. In
der Botschaft des Bundesrates zum IRSG wurde zum damaligen Art. 18 Abs. 2
des Entwurfes, der keine materielle Änderung erfahren hat und als Art. 21
Abs. 3 Gesetz geworden ist, lediglich bemerkt, er entspreche Art. 16
Abs. 2 des Bundesgesetzes zum Rechtshilfevertrag mit den USA (BBl 1976 II
S. 480). Vergleicht man den Wortlaut der beiden Bestimmungen, so trifft
dies zwar nicht genau zu. Die Vorschriften stimmen jedoch insofern überein,
als beide die Rechtsmittelbefugnis des Beschuldigten einschränken. Der
Bundesrat hielt in seinen Erläuterungen zu Art. 16 Abs. 2 des
Bundesgesetzes zum Rechtshilfevertrag mit den USA fest, der Beschuldigte,
gegen den sich das zur Rechtshilfe Anlass gebende Strafverfahren richte,
könne Rechtsmittel nur ergreifen, wenn eine Rechtshilfehandlung die ihm
nach amerikanischem Recht zustehenden Verteidigungsrechte beeinträchtigen
könnte (BBl 1974 II S. 641). In der Botschaft zum IRSG führte er zum
Kapitel "Innerstaatliches Verfahren; Rechtsschutz" u.a. aus, Gegenstand
dieses Rechtsschutzes solle nur die Möglichkeit sein, sich gegen Eingriffe
in Freiheitsrechte zu wehren, nicht aber die Prüfung der Notwendigkeit
und Zweckmässigkeit der Durchführung des Rechtshilfeverfahrens (BBl 1976
II S. 457). Der Beschwerdeführer macht unter Hinweis auf das in BGE 103
Ia 208 ff. publizierte Urteil geltend, das Bundesgericht habe in seiner
Rechtsprechung zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen die Legitimation
des Beschuldigten zur staatsrechtlichen Beschwerde bejaht. Das ist
richtig. Unzutreffend ist hingegen die Ansicht des Beschwerdeführers, "die
dort entwickelten Grundsätze" seien "im IRSG kodifiziert worden". Vielmehr
hat das IRSG, wie das BAP in der Beschwerdeantwort mit Recht ausführt,
gerade im Gebiet der Rechtsmittel eine neue Ordnung vorgesehen. Danach ist
gegen kantonale Rechtshilfeverfügungen ein kantonales Rechtsmittel und
hernach die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig
(Art. 23 und Art. 25 Abs. 1 IRSG). Was die Legitimation des Beschuldigten
zum letztgenannten Rechtsmittel betrifft, so gilt jedoch nicht Art. 103
lit. a OG. Das ergibt sich aus der bundesrätlichen Botschaft zum IRSG. Es
wird dort ausgeführt, die verwaltungsgerichtliche Beschwerde erscheine
allgemein als das der Materie am besten entsprechende Rechtsmittel, doch
seien die Art. 97 ff. OG "nicht ohne weiteres anwendbar", da insbesondere
die "Regelung der Legitimation und der Beschwerdegründe nicht durchwegs
passen würde". Die erforderlichen Anpassungen seien aber mit wenigen
und einfachen Bestimmungen zu erzielen (BBl 1976 II S. 458). Damit wird
zum Ausdruck gebracht, dass die gesetzgebende Behörde hinsichtlich der
Legitimation des Beschuldigten zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine
Ausnahme von Art. 103 lit. a OG machen und ihm die Beschwerdebefugnis nur
zuerkennen wollte, wenn eine Massnahme ihn persönlich trifft oder ihn in
seinen Verteidigungsrechten im ausländischen Strafverfahren beeinträchtigen
könnte. Diese Einschränkung der Legitimation des Beschuldigten, wie sie
in Art. 21 Abs. 3 IRSG vorgesehen ist, gilt, da die Vorschrift unter
dem Titel "Gemeinsame Bestimmungen" im Abschnitt über den "Rechtsschutz"
steht, auch für das kantonale Rechtsmittel.

    b) Im Gegensatz zur Regelung betreffend die Akteneinsicht
(Art. 79 Abs. 3 IRSG) genügt es nach Art. 21 Abs. 3 IRSG für die
Rechtsmittelbefugnis des Beschuldigten, wenn eine der beiden erwähnten
Voraussetzungen alternativ gegeben ist. Das erstgenannte Erfordernis,
wonach eine Massnahme den Beschuldigten persönlich treffen muss, kann
wohl nicht anders verstanden werden als bei der Auslegung von Art. 79
Abs. 3 IRSG. Dort kann, wie ausgeführt, mit jener Umschreibung nur
derjenige Beschuldigte gemeint sein, der sich in der Schweiz einer
Rechtshilfehandlung, namentlich einer Zwangsmassnahme, zu unterziehen
hat. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, da sich die verlangten
Massnahmen ausschliesslich gegen Dritte richten.

    Es stellt sich die Frage, ob die andere Voraussetzung gegeben ist,
d.h. ob die betreffenden Massnahmen den Beschwerdeführer in seinen
Verteidigungsrechten im englischen Strafverfahren beeinträchtigen
könnten. Die gesetzgebende Behörde nahm offenbar an, es gebe Fälle,
in denen durch die Rechtshilfe als solche die Verteidigungsrechte des
Beschuldigten im ausländischen Strafverfahren direkt beeinträchtigt
werden könnten. Dies träfe z.B. dann zu, wenn der schweizerische
Rechtshilferichter einen Zeugen abhören würde und der Beschuldigte
nach dem ausländischen Prozessrecht keine Möglichkeit mehr hätte, an
den Zeugen Ergänzungsfragen stellen zu lassen oder eine Konfrontation zu
verlangen. Man könnte auch an den Fall denken, dass ein ausländischer Staat
einem Beschuldigten keine Gelegenheit gäbe, in die auf dem Rechtshilfeweg
erhaltenen Akten Einsicht zu nehmen. Wie dem auch sei, jedenfalls steht
ausser Frage, dass der Beschuldigte darlegen muss, inwiefern durch die
Rechtshilfe seine Verteidigungsrechte im ausländischen Strafverfahren
beeinträchtigt werden könnten. Das hat der Beschwerdeführer nicht getan. Er
bringt in seiner Beschwerde diesbezüglich vor, die "gesetzeswidrigen
Übergriffe" der Rechtshilfebehörden hätten sich gehäuft und dadurch
werde seine Rechtsstellung "mit Bestimmtheit beeinträchtigt". Das genügt
aber unter dem Gesichtspunkt des Art. 21 Abs. 3 IRSG nicht, hätte doch
sonst - wie das BAP in der Beschwerdeantwort zutreffend feststellt -
jeder Beschuldigte die Möglichkeit, mit der blossen Behauptung, das
IRSG sei verletzt und Beweise seien gesetzwidrig beschafft worden, ein
Rechtsmittel gegen die Gewährung der Rechtshilfe als solche zu ergreifen,
auch wenn die Vollzugsmassnahme in der Schweiz ihn weder persönlich trifft
noch in seinen Verteidigungsrechten im ausländischen Strafverfahren
beeinträchtigt. Eine solche Auslegung wäre mit dem Sinn und Zweck des
Art. 21 Abs. 3 IRSG unvereinbar.

    Nach dem Gesagten hat die Staatsanwaltschaft mit Recht angenommen,
es sei keine der in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen gegeben,
weshalb dem Beschwerdeführer die Befugnis fehle, gegen die Verfügung der
Bezirksanwaltschaft Rekurs einzulegen und im Rahmen des Rekursverfahrens
ein Begehren um Erlass vorsorglicher Massnahmen zu stellen. Die vorliegende
Beschwerde erweist sich somit als unbegründet.