Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 280



110 Ib 280

49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 31. Oktober 1984 i.S. Mac Charra gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde/erstinstanzlicher Entscheid) Regeste

    Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13.
Dezember 1957 (EAÜ).

    1. Begriff des Ausnahmegerichtes im Sinne des schweizerischen
Vorbehaltes zu Art. 1 EAÜ. Der irische "Special Criminal Court" stellt
kein solches Ausnahmegericht dar (E. 5).

    2. Einwand des politischen Delikts. Einwand für ein Sprengstoff-Delikt
abgewiesen, weil sich das Vergehen nicht gegen den ersuchenden, sondern
gegen einen Drittstaat richtete und die eingesetzten Mittel nicht in
angemessenem Verhältnis zum verfolgten politischen Ziel standen (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Die Botschaft der Irischen Republik stellte beim Eidgenössischen
Departement für auswärtige Angelegenheiten ein Gesuch um Auslieferung
des irischen Staatsangehörigen Seamus Mac Charra wegen Verstössen gegen
das Sprengstoffgesetz. Mac Charra widersetzte sich der Auslieferung und
machte unter anderem geltend, die ihm zur Last gelegten Vergehen seien
politische Delikte und er werde in Irland vor ein Ausnahmegericht gestellt
werden. Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) bewilligte die Auslieferung
unter dem Vorbehalt des Entscheides des Bundesgerichts zur Frage des
politischen Deliktes. Mac Charra hat hiegegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde
eingereicht, welche das Bundesgericht zusammen mit dem Einwand des
politischen Deliktes abweist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Der Verfolgte behauptet, er würde nach der Auslieferung
in Irland vor ein Ausnahmegericht gestellt; die Auslieferung sei
demgemäss nicht zu bewilligen. Nach dem Vorbehalt der Schweiz zu
Art. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EAÜ) wird die
Auslieferung verweigert, wenn der ersuchende Staat nicht die Zusicherung
abgibt, dass die Beurteilung durch ein Gericht erfolge, das nach den
Vorschriften der Gerichtsorganisation allgemein für die Rechtsprechung
in Strafsachen zuständig sei. Der Begriff des Ausnahmegerichtes wird
in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eher eng ausgelegt. Als
Ausnahmegerichte gelten Gerichte, die ausserhalb der verfassungsmässigen
Gerichtsorganisation stehen und nur für einen oder mehrere konkrete Fälle
gebildet werden. In einem die Republik Zaire betreffenden Urteil hat das
Bundesgericht ausgeführt, ein Spezialgericht, das nach Verfassung oder
Gesetz allgemein in bestimmten Fällen über bestimmte Anschuldigungen zu
entscheiden habe, sei kein Ausnahmegericht. Das Verbot der Auslieferung
bei drohender Beurteilung durch Ausnahmegerichte beziehe sich vielmehr im
wesentlichen auf Gerichte, die erst nach Begehung der Tat eingesetzt würden
und die über Strafkompetenzen verfügten, die jene der ordentlichen Gerichte
des ersuchenden Staates überstiegen (BGE 99 Ia 552 E. 1b). Aufgrund dieser
Rechtsprechung hat das Bundesgericht in neuester Zeit die argentinischen
Gerichte zur Zeit der Militärdiktatur sowie die türkischen Militärgerichte
nicht als Ausnahmegerichte betrachtet (BGE 108 Ib 409 E. 7a; 109 Ib 68
E. 4).

    Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) hat in seinem Entscheid vom
18. Juli 1984 ausgeführt, der "Special Criminal Court" in Dublin, der
die Anklage gegen Seamus Mac Charra zu beurteilen haben werde, könne
wohl hinsichtlich seiner staatsrechtlichen Stellung den türkischen
Militärgerichten etwa gleichgestellt werden. Der Verfolgte bemängelt
diesen Satz als blosse Vermutung. Es ist einzuräumen, dass die Begründung
des angefochtenen Entscheides in diesem Punkt etwas knapp ausgefallen
ist. Indessen hat die Irische Botschaft sowohl dem Vertreter des Verfolgten
als auch dem BAP nachträglich einen ausführlichen Bericht über die Natur
des "Special Criminal Court" zugestellt; in den beiden letzten Eingaben
des Verfolgten wird dazu Stellung genommen. Ein allfälliger Mangel des
erstinstanzlichen Entscheides müsste daher heute als geheilt gelten.

    Nach dem Bericht der Irischen Botschaft vom 25. Juli 1984, auf den sich
sowohl das BAP als auch der Verfolgte berufen und dessen Inhalt daher als
unbestritten gelten kann, handelt es sich beim "Special Criminal Court"
um ein durch Gesetz von 1972 eingesetztes, ständiges Gericht, das aus drei
Berufsrichtern zusammengesetzt ist und ohne die Mitwirkung von Geschworenen
urteilt. Dem Gericht steht die Beurteilung einer Reihe bestimmter, in einer
speziellen Liste aufgezählter Tatbestände zu; es handelt sich dabei um
Verbrechen und Vergehen gegen den Staat oder die öffentliche Sicherheit,
die nach Auffassung des irischen Gesetzgebers durch die ordentlichen
Gerichte nicht zweckmässig beurteilt werden können. Im weiteren können
dem "Special Criminal Court" auch andere Straftaten zur Beurteilung
zugewiesen werden, wenn die ordentlichen Gerichte im Hinblick auf eine
wirksame Rechtspflege und auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung dafür als nicht geeignet erscheinen. Für Personen, die vor den
"Special Criminal Court" gestellt werden, gelten die nämlichen Gesetze,
die auch auf andere Angeschuldigte Anwendung finden, und die Urteile
dieses Gerichtes können ebenso wie jene der ordentlichen Gerichte an
das Strafappellationsgericht ("Court of Criminal Appeal") weitergezogen
werden. Der Vollzug von Strafen, welche der "Special Criminal Court"
ausgefällt hat, erfolgt häufig in Gefängnissen mit einem besonders
hohen Sicherheitsgrad; doch können die Verurteilten auch in gewöhnliche
Vollzugsanstalten oder in offene Institutionen eingewiesen werden.

    Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen fällt der irische
"Special Criminal Court" nicht unter den Begriff des Ausnahmegerichtes
im Sinne der schweizerischen Rechtsprechung. Weder handelt es sich um
ein erst nachträglich zur Beurteilung bereits begangener Straftaten
eingesetztes Gericht, noch verfügt es über Kompetenzen, welche
diejenigen eines ordentlichen Gerichtes überstiegen. Der Hinweis des
Verfolgten auf eine Äusserung von "Amnesty international", wonach der
Prozentsatz der Schuldsprüche beim "Special Criminal Court" höher liege
als bei anderen Gerichten, ändert hieran nichts. Die Ursache dieser
Erscheinung kann durchaus in der Art der zur Beurteilung gelangenden
Fälle liegen. Ebensowenig kann dem Verfolgten beigepflichtet werden,
wenn er vorbringt, schon der Umstand, dass der "Special Criminal Court"
ohne Geschworene tage, schliesse jede Kontrolle über die Rechtmässigkeit
des Verfahrens aus. In den meisten schweizerischen Kantonen bestehen
keine Geschworenengerichte mehr oder ist ihre Zuständigkeit auf einen
engen Bereich beschränkt, ohne dass sich sagen liesse, die schweizerische
Strafjustiz entziehe sich deshalb der öffentlichen Kontrolle oder genüge
gar rechtsstaatlichen Anforderungen nicht. Auch die Tatsache, dass ein
besonderes Gericht zur Hauptsache Straftaten mit politischem Einschlag
zu beurteilen hat, hat für die Schweiz nichts Stossendes; es genügt,
hiezu auf die Art. 340-342 StGB in Verbindung mit dem Bundesgesetz über
den Bundesstrafprozess zu verweisen. Der irische "Special Criminal Court"
kann somit - selbst wenn man einen etwas strengeren Massstab anlegen wollte
als in BGE 109 Ib 66 ff. - nicht als Ausnahmegericht bezeichnet werden.

Erwägung 6

    6.- a) Der Verfolgte macht weiter geltend, bei der ihm zur Last
gelegten Straftat handle es sich um ein politisches Delikt, weshalb
nach Art. 3 EAÜ die Auslieferung nicht erfolgen dürfe. Der Ausschluss der
Auslieferung wegen politischer Delikte ist auch im internen schweizerischen
Recht vorgesehen (Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über internationale
Rechtshilfe in Strafsachen); er bildet seit jeher einen wesentlichen
Grundsatz des Auslieferungsrechts (vgl. dazu SCHULTZ, Das schweizerische
Auslieferungsrecht, S. 407 ff.). Der Entscheid über diesen Einwand steht,
wie eingangs dargelegt, dem Bundesgericht als einziger Instanz zu.

    b) Während der Verfolgte in seiner Einsprache an das BAP lediglich
in allgemeiner Form geltend machte, er sei "aktiver Sympathisant der
nordirischen Katholiken", lässt er seinen erwähnten Standpunkt vor
Bundesgericht einlässlicher begründen. Er macht zunächst geltend,
Sprengstoffdelikte seien praktisch immer politisch motiviert; sie
seien daher zwar nicht den absolut, wohl aber den relativ politischen
Delikten zuzurechnen. Dies gelte insbesondere auch für das irische
Recht, dessen Gesetzgebung im Bereich der Sprengstoffe im Jahre 1972
gerade im Zusammenhang mit der politischen Lage des Landes bzw. mit
dem Wiederaufflammen der bürgerkriegsähnlichen Wirren im benachbarten
Nordirland verschärft worden sei.

    Zu seiner persönlichen Lage lässt der Verfolgte vorbringen, es gehe
ihm weniger um seine Sympathien für den Katholizismus als um die Befreiung
Nordirlands von Grossbritannien, das er als "Besetzer" bezeichnet. Davon
abgesehen habe er sich immer für Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit
nach sozialistischem Vorbild eingesetzt. Von 1937 bis 1955 sei er Mitglied
der Kommunistischen Partei gewesen, und er habe im Zweiten Weltkrieg im
antifaschistischen Widerstand gekämpft. Anfangs der Siebzigerjahre habe
er sich der Sinn-Fein-Partei angeschlossen, welche die Unabhängigkeit
Nordirlands von Grossbritannien und dessen Vereinigung mit der Irischen
Republik unter einem sozialistischen Gesellschaftssystem anstrebe. Mit der
legalen Sinn-Fein verbunden sei die illegale irisch-republikanische Armee
(IRA), welche die nämlichen Ziele mit Waffengewalt erreichen wolle. Er,
der Verfolgte, sei sogar Mitglied des Zentralkomitees der Sinn-Fein
gewesen. Wegen ideologischer Meinungsverschiedenheiten sei er jedoch 1973
aus dieser Partei ausgetreten und habe zusammen mit anderen Personen eine
neue Partei gegründet, die IRSP (Irisch-republikanisch-sozialistische
Partei). Auch diese Partei besitze einen illegalen bewaffneten Flügel,
nämlich die INLA (Irish national liberation army). Dieser kämpfe für
dieselbe Sache wie die IRA. Mit dem Austritt aus der Sinn-Fein und der
Gründung einer neuen Partei habe sich der Verfolgte viele politische
Feindschaften zugezogen.

    Die Tatsache, dass die beiden Parteien, denen der Verfolgte angehört
hat bzw. angehört, je eine eigene Armee besässen, zeige auf, dass
es ihnen wirklich darum gehe, die Macht im Staat zu erkämpfen. Zu den
dabei eingesetzten Waffen gehörten häufig auch Sprengstoffe. Wenn er
somit entgegen dem irischen Gesetz Sprengstoffe aufbewahrt habe, dann
hätten diese der Unterstützung des Kampfes der von ihm mitbegründeten
Partei gedient. Die Tat sei deshalb als politisches Delikt zu werten. Da
sie im übrigen keine Verletzung von Leib und Leben von Menschen oder
von fremdem Eigentum zur Folge gehabt habe, sei die Voraussetzung der
Verhältnismässigkeit erfüllt.

    c) Absolut politische Delikte stellen nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes jene strafbaren Handlungen dar, die gegen die
politische und soziale Organisation des Staates gerichtet sind und bei
denen der Angriff auf den Staat und dessen grundlegende Einrichtungen
zum objektiven Tatbestand gehören. Strafbare Handlungen, bei denen
die zweite Voraussetzung nicht erfüllt ist, gelten nicht als absolut
politische Delikte, selbst wenn sie ebenfalls in der Absicht verübt
worden sind, die politische und soziale Organisation des Staates zu
beeinträchtigen oder zu zerstören (BGE 109 Ib 71 E. 6a; 106 Ib 308
E. 3b). Es ist offensichtlich und wird vom Verfolgten auch anerkannt,
dass die erwähnten Voraussetzungen hier nicht gegeben sind. Ein absolut
politisches Delikt liegt somit nicht vor.

    d) Als relativ politisches Delikt gilt eine Tat dann, wenn sie nach den
Umständen, namentlich nach den Beweggründen und Zielen des Täters, einen
vorwiegend politischen Charakter hat. Ein solcher wird dann angenommen,
wenn die strafbare Handlung im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staate
ausgeführt oder wenn sie verübt wurde, um jemanden dem Zwang eines jede
Opposition ausschliessenden Staates zu entziehen. Zwischen solchen Taten
und den angestrebten Zielen muss eine enge, direkte und klare Beziehung
bestehen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Verletzung fremder
Rechtsgüter in einem angemessenen Verhältnis zum politischen Ziel steht und
dass die auf dem Spiel stehenden politischen Interessen wichtig genug sind,
um die Tat mindestens einigermassen verständlich erscheinen zu lassen.

    Im vorliegenden Falle steht kein gegen die Regierung des ersuchenden
Staates gerichtetes Delikt in Frage. Indessen schliesst der Umstand, dass
die Tat nicht gegen diesen, sondern gegen das Regime eines Drittstaates
gerichtet ist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Einrede
des politischen Deliktes nicht aus. Allerdings kommt ihr nicht dasselbe
Gewicht zu wie bei Angriffen gegen Persönlichkeiten oder Einrichtungen des
ersuchenden Staates selbst, ist doch die Gefahr wesentlich geringer, dass
sich die Gerichte bei der Beurteilung der Tat von politischen Erwägungen
beeinflussen liessen bzw. der Verfolgte allgemein seiner politischen
Anschauungen wegen einer Erschwerung seiner Lage ausgesetzt wäre (BGE
106 Ib 299/300).

    Es ist verständlich, dass der Verfolgte seine Tat als eine politische
betrachtet, und es liegen ihr auch zweifellos politische Motive zugrunde.
Indessen genügt dies nach den vorstehenden Darlegungen nicht, um
die Einrede des politischen Deliktes im Sinne des schweizerischen
Auslieferungsrechtes als begründet anzuerkennen. Einzuräumen ist
zwar, dass die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat im Rahmen des
Kampfes um die Macht in einem Nachbarstaate des ersuchenden Staates
(Grossbritannien/Nordirland) lag, und es lässt sich auch die Annahme
vertreten, zwischen ihr und den angestrebten Zielen bestehe ein
verhältnismässig enger Zusammenhang. Indessen muss entgegen dem Standpunkt
des Verfolgten verneint werden, dass hier die beabsichtigte Verletzung
fremder Rechtsgüter in einem angemessenen Verhältnis zum politischen
Ziel stand und dass die auf dem Spiele stehenden politischen Interessen
die Tat mindestens als einigermassen verständlich erscheinen lassen. Die
Verwendung explosiver Materialien für politische Sabotage-Akte bringt -
verglichen mit dem Einsatz von Schusswaffen - eine erhöhte Gemeingefahr
mit sich; sie wird im Regelfalle nicht nur die politischen Machthaber,
sondern auch eine unbestimmte Zahl von am politischen Kampf nicht oder
höchstens am Rande beteiligten Personen an Leib und Leben verletzen oder
mindestens gefährden. Die Geschichte der vergangenen rund zwölf Jahre
zeigt denn auch eindrücklich, dass die IRA und ihr nahestehende bewaffnete
Organisationen in Nordirland Terrorakte auch gegen die Zivilbevölkerung
verüben, offenbar in der Absicht, das britische Regime zu verunsichern
und es bei der Bevölkerung in Misskredit zu bringen. Dem Standpunkt des
Verfolgten, wonach sich die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung
nicht gegen Leib und Leben von Personen gerichtet habe, kann nicht
beigepflichtet werden; er steht sogar bis zu einem gewissen Grade in
Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen über die Tätigkeit der INLA,
der er angehört, und über deren Kampfmethoden. Der Besitz von Sprengstoffen
zu nichtfriedlichen Zwecken wird gerade deshalb unter Strafe gestellt,
weil der Besitzer damit dessen spätere Verwendung im Einsatz gegen Personen
oder Sachen unterstützt, auch wenn er die Einzelheiten des beabsichtigten
Einsatzes nicht kennt. Der Einwand des politischen Deliktes ist demnach im
vorliegenden Falle mangels Verhältnismässigkeit zwischen dem angestrebten
Ziel und dem einzusetzenden Mittel zu verwerfen.