Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 275



110 Ib 275

48. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21.
September 1984 i.S. Fritz Gut gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Zulässigkeit von Ersatzbauten gemäss Landwirtschaftsgesetzgebung.

    Damit ein Stall durch einen neuen ersetzt werden darf, ist u.a.
vorausgesetzt, dass der im Sinne der Landwirtschaftsgesetzgebung zulässige
(Höchst-) Tierbestand nicht überschritten wird. Diese Voraussetzung ist
auch bei Zerstörung des Stalls durch höhere Gewalt zu beachten (Verneinung
einer Gesetzeslücke).

Sachverhalt

    A.- Fritz Gut ist Eigentümer und Bewirtschafter des Schlossgutes
Blidegg in Bischofszell im Halte von rund 60 ha; dazu kommen rund 10 ha
Land in Lieli/AG. Im August 1982 wurde der zum Schlossgut gehörende
Kälbermaststall im Neugut durch Brand zerstört. Am 20. November
1982 stellte Fritz Gut das Gesuch um Bewilligung von Stallbauten zum
Wiederaufbau des Stalles für 250 Mastkälber.

    Am 7. Januar 1983 wies das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)
das Gesuch ab, da der gesamte Tierbestand des Betriebes den zulässigen
Höchstbestand überschreite.

    Eine Verwaltungsbeschwerde gegen die Verfügung des BLW wurde
vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD) am 6. Mai 1983
kostenfällig abgewiesen.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 8. Juni 1983 beantragt Fritz
Gut, der Entscheid des EVD sei aufzuheben und die Stallbaubewilligung
sei zu erteilen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die ursprüngliche Fassung von Art. 19 Abs. 1 lit. b des
Landwirtschaftsgesetzes vom 3. Oktober 1951 (LwG; SR 910.1) ermächtigte
den Bundesrat, die nötigen Massnahmen zu ergreifen zur Anpassung
der Tierbestände an die betriebs- und landeseigene Futtergrundlage,
sofern die Absatzverhältnisse für vieh- und milchwirtschaftliche
Erzeugnisse oder andere wirtschaftliche Gründe es zwingend verlangten
(AS 1953, 1079). Gestützt auf diese Bestimmung erliess der Bundesrat
am 21. Dezember 1977 eine bis 31. Dezember 1979 befristete Verordnung
über die Bewilligung von Stallbauten (AS 1977, 2391; 1978, 742). Mit
der Einführung der Bewilligungspflicht für die Erstellung neuer und
die Erweiterung bestehender Ställe sollten weitere Vergrösserungen der
Tierbestände verhindert werden.

    Am 22. Juni 1979 wurde eine Änderung des Landwirtschaftsgesetzes
verabschiedet. Wie sich schon aus den Materialien ergibt (Botschaft
des Bundesrates vom 22. Dezember 1976, BBl 1977 I 73 ff.; Bericht
der Kommission des Nationalrates vom 7. September 1978, BBl 1978
II 1318 ff.), standen dabei Massnahmen zur Lenkung der Struktur der
Betriebe im Vordergrund. Da sich das Ziel ausgeglichener Produktions-
und Absatzverhältnisse nicht allein durch die Anpassung der Produktion
an die betriebs- und landeseigene Futtergrundlage erreichen liess, galt
es, die Anpassung der Tierbestände unmittelbar mit den Produktions-
und Absatzmöglichkeiten zu verknüpfen. Dabei musste der Bundesrat
Steuerungsmöglichkeiten erhalten, um drohenden Entwicklungen rechtzeitig
begegnen zu können. Zu diesem Zwecke sah der Gesetzgeber in den
Art. 19a-f LwG verschiedene Massnahmen vor. In Art. 19a lit. a wurde der
Bundesrat ermächtigt, eine Höchstzahl für die verschiedenen Nutztierarten
festzusetzen und von Betriebsinhabern, die mehr Tiere halten, Abgaben zu
erheben. Für die Festsetzung der Höchstzahl ist von einem Tierbestand
auszugehen, der bei rationeller Haltung eine wirtschaftliche Existenz
ermöglicht (Art. 19b Abs. 1). Betriebe, deren Tierbestände die Höchstzahl
bei ihrem Inkrafttreten überschritten, sind während einer angemessenen
Frist, längstens während 12 Jahren, von der Abgabe zu befreien (Art. 19b
Abs. 4). In Art. 19d wird der Bundesrat ermächtigt, die Bewilligungspflicht
für Stallbauten weiterzuführen, allerdings mit anderen Kriterien als bisher
(vgl. BBl 1978 II 1333). In der Bewilligung wird, unter Beachtung der
allgemeinen Höchstbestände gemäss Art. 19a lit. a und Art. 19b, eine Zahl
von Tieren festgelegt, bei deren Überschreiten der Inhaber eine Abgabe
zu entrichten hat (Art. 19d Abs. 2). Stallbauten ohne Erweiterung des
Tierbestandes werden bewilligt, sofern die Höchstzahl nicht überschritten
wird (Art. 19d Abs. 4).

    Gestützt auf die neuen Bestimmungen des LwG erliess der Bundesrat
am 10. Dezember 1979 eine neue Verordnung über die Bewilligung von
Stallbauten (AS 1979, 2064), die zusammen mit der Gesetzesnovelle
am 1. Januar 1980 in Kraft trat. In Art. 4 der Verordnung wurden die
Tierzahlen für den höchstzulässigen Gesamtbestand festgelegt (u.a. 200
Mastkälber), wobei die Bestände mehrerer Tierarten zusammen nicht mehr als
hundert Prozent ausmachen dürfen. Bewilligungen für Ersatz- und Umbauten,
mit denen keine Vergrösserung des bisherigen Tierbestandes verbunden ist,
werden erteilt, wenn der Gesamtbestand nach Art. 4 nicht überschritten wird
(Art. 5 Abs. 1 lit. a) und weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Diese
Bestimmungen wurden in die neue Stallbauverordnung vom 26. August 1981
(VBS; SR 916.016) übernommen.

Erwägung 4

    4.- Wenn auch das Bundesgericht an das LwG und die durch dieses
gedeckte VBS gebunden ist, hat es doch über deren verfassungskonforme
Interpretation zu wachen. Der Beschwerdeführer bestreitet zu Recht nicht,
dass die fraglichen Normen an sich eine Bewilligung seines Gesuches
verbieten, da die wesentliche Voraussetzung für die Bewilligung jeglicher
Stallbauten, dass der zulässige Tierbestand nicht überschritten wird,
fehlt. Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, es liege eine
Gesetzeslücke darin, dass keine Ausnahme für die Bewilligung von
Ersatzbauten für abgebrannte (durch höhere Gewalt zerstörte) Bauten
vorgesehen sei. Der Gesetzgeber habe dieses Problem offensichtlich nicht
bedacht und deshalb aus Versehen unterlassen, es zu regeln.

    Mit der Revision des LwG wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die
Betriebe, welche die seiner agrarpolitischen Zielsetzung entsprechende
Grössenordnung übersteigen, reduziert werden. Es sollte also nicht bloss
in Zukunft eine weitere Vergrösserung bestehender Betriebe über diese
Grössenordnung hinaus verhindert werden, sondern auch die bestehenden
Betriebe sollten auf die gewünschte Grösse zurückgebracht werden. Für
diese besteht also keine "Bestandesgarantie". Darum gelten die in der VBS
festgelegten Betriebsgrössen ab sofort, Neu- und Ersatzbauten über der
zulässigen Grössenordnung dürfen nicht mehr bewilligt werden. Einzig für
die bestehenden Stallbauten, die keiner Erneuerung bedürfen, wurde eine
Übergangsregelung geschaffen. Sie dürfen die Tierbestände, die über der
zulässigen Höchstgrenze liegen, noch bis zum 1. Januar 1992 halten; ab 1.
Januar 1992 haben sie auf jedem zuviel gehaltenen Tier eine Abgabe zu
entrichten, welche die Haltung nicht bewilligter Tiere unwirtschaftlich
macht (Art. 19a LwG; Art. 7 der Verordnung über die Höchstbestände in der
Fleisch- und Eierproduktion vom 26. August 1981, SR 916.344). Mit der
Übergangsfrist soll erreicht werden, dass das vorhandene Stallvolumen,
soweit es über die zulässigen Bestände hinausgeht, noch amortisiert werden
kann, damit bezüglich der vorhandenen Investitionen keine materielle
Enteignungssituation entsteht. Nach der gesetzlichen Regelung gelten
bestehende Bauten nach der Übergangszeit als im Mittel abgeschrieben.

    Daraus ergibt sich klar, dass Neuinvestitionen nicht mehr gemacht
werden dürfen, und zwar unabhängig davon, ob ein früherer Stall wegen
Baufälligkeit, Unwirtschaftlichkeit oder Zerstörung durch höhere
Gewalt ersetzt werden soll. Bei der Zerstörung durch einen Brand ist
die vorhandene Investition, die an sich während der Übergangszeit noch
hätte genützt werden können, zunichte geworden. Es würde der ratio legis
widersprechen, wenn in solchen Fällen eine Neuinvestition getätigt werden
dürfte, welche in der verbleibenden Übergangszeit nicht mehr abgeschrieben
werden könnte und zur Haltung eines Tierbestandes diente, der nach der
schon jetzt geltenden Regelung nicht zulässig ist. Diese Regelung liegt
sowohl im öffentlichen Interesse (agrarpolitische Zielsetzung des LwG)
als im Interesse des Betroffenen, der damit gehindert wird, Investitionen
zu machen, die nicht mehr voll genutzt werden können. Dies gilt vor
allem auch für die Entschädigung, die er von der Brandversicherung
erhält. Zwar ist es richtig, dass die Versicherungsleistung im Falle des
Nichtwiederaufbaus niedriger ist als im Falle des Wiederaufbaus. Auch mag
es häufig zutreffen, dass nach einem Brand noch gewisse Anlagen bestehen,
die bei einem Wiederaufbau genutzt werden können; der Beschwerdeführer
macht dies geltend für Erschliessungsanlagen und Jauche- und Mistgrube,
die nutzlos würden. Dies hindert nicht, dass die Neuinvestition
insgesamt weit über dem liegt, was noch vorhanden ist. So betragen die
Totalkosten des Wiederaufbaus gemäss Baugesuch Fr. 482'500.--; daran
würde der Beschwerdeführer von der Versicherung lediglich Fr. 397'000.--
erhalten. Im Falle des Nichtwiederaufbaus beträgt die Entschädigung
der Brandversicherung Fr. 240'000.--, die aber anderweitig sinnvoll
verwendet werden können. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, was
der Beschwerdeführer mit dem - grundsätzlich heute schon unzulässigen -
übersetzten Tierbestand bis zum 1. Januar 1992 noch verdienen bzw. als
"direktkostenfreien Beitrag an die fixen Kosten" des Gesamtbetriebes
abzweigen könnte; denn solche Überlegungen würden auch gelten, wenn ein
baufälliger oder unwirtschaftlicher Stall ersetzt werden sollte.

    Damit ergibt sich, dass bei richtiger Auslegung sowohl nach dem
Wortlaut wie nach der ratio legis eine Gesetzeslücke nicht vorliegt,
wenn Ersatzbauten über den zulässigen Tierbestand hinaus ganz allgemein
nicht zugelassen werden, auch nicht bei Zerstörung bisheriger Stallungen
durch höhere Gewalt.

    Zum gleichen Resultat führt auch ein Vergleich mit der Regelung
im Raumplanungsrecht. Obwohl hier - im Gegensatz zur Regelung der
höchstzulässigen Tierbestände und der Stallbaubewilligung - eine echte
Besitzstandsgarantie in dem Sinne gilt, dass nutzungszonenwidrige Bauten
weiter bestehen dürfen, können solche Bauten nach ihrer Zerstörung von
Bundesrechts wegen ebenfalls nicht mehr aufgebaut werden. Art. 24 Abs. 2
des Raumplanungsgesetzes (SR 700) hat einzig die Kantone ermächtigt,
durch das kantonale Recht ausdrücklich zu gestatten, Bauten und Anlagen
zu erneuern, teilweise zu ändern oder wieder aufzubauen, wenn dies mit
den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Ein Wiederaufbau
hängt also von der besondern Voraussetzung kantonaler Ausnahmebestimmungen
ab und darf auch in diesem Falle nur gestattet werden, wenn öffentliche
Interessen dem nicht entgegen stehen (vgl. die nicht veröffentlichten
Entscheide des Bundesgerichts vom 16. Dezember 1981 i.S. Müller und
Koller c. Regierungsrat Thurgau und vom 5. Mai 1982 i.S. Frei c.
Verwaltungsgericht Bern, wo beide Male der Wiederaufbau durch Brand
zerstörter, nicht standortbedingter Bauten ausserhalb der Bauzone
verweigert wurde). Im Landwirtschaftsrecht würden - wie oben gezeigt -
einem Wiederaufbau in jedem Falle öffentliche Interessen entgegenstehen.