Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 187



110 Ib 187

31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 4. April 1984 i.S. M. gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Auslieferung an die Niederlande. Art. 14 EAÜ, Art. 5 EAÜ und Art. 3
Abs. 3 IRSG.

    Grundsatz der Spezialität. Konnexität zwischen Auslieferungsdelikten
und fiskalischen Tatbeständen. Bestätigung der Praxis.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Das Hauptgewicht der Ausführungen des Beschwerdeführers liegt
auf der Behauptung, es gehe den niederländischen Behörden ausschliesslich
oder doch im wesentlichen darum, ihn wegen Fiskalvergehen zu verfolgen;
das Fiskalstrafverfahren sei zur Erreichung seiner Auslieferung
in ein gemeinrechtliches Strafverfahren "umfunktioniert" worden.
Die ausführlichen Darlegungen des Beschwerdeführers über die von ihm
beherrschten niederländischen Gesellschaften und deren Geschäftsverkehr
mit der Schweiz stehen mit dieser Behauptung im Zusammenhang.

    b) Der Beschwerdeführer verkennt die Tragweite des Grundsatzes der
Spezialität, der das gesamte Auslieferungsrecht beherrscht und in Art. 14
EAÜ seinen Ausdruck gefunden hat. Demnach darf der Ausgelieferte wegen
Taten, die er allenfalls vor der Übergabe begangen hat und für welche
die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, im ersuchenden Staat nicht
verfolgt werden. Dieser Schutz gilt bis zum Ablauf von 45 Tagen nach
seiner endgültigen Freilassung (Art. 14 Ziff. 1 EAÜ). Da die Schweiz
wegen Fiskalstraftatbeständen die Auslieferung nicht bewilligt (Art. 5
EAÜ in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 IRSG), kommt eine Bestrafung des
Beschwerdeführers wegen Tatbeständen dieser Art durch die Niederlande
nicht in Betracht, es wäre denn, er bliebe nach endgültiger Haftentlassung
freiwillig während mehr als 45 Tagen in diesem Lande.

    c) Der Beschwerdeführer weist auf Zusammenhänge zwischen dem
gemeinrechtlichen und dem Fiskalstrafverfahren hin, die übrigens auch von
den niederländischen Behörden nicht in Abrede gestellt werden. Indessen
ändert dies nichts daran, dass hier einzig zu prüfen ist, ob die
Voraussetzungen der Auslieferung für ein gemeinrechtliches Delikt oder
für mehrere derartige Tatbestände gegeben sind.

    Das Bundesgericht hat schon lange vor dem Inkrafttreten des IRSG und
auch vor dem Beitritt der Schweiz zum EAÜ entschieden, bei Konnexität
zwischen Auslieferungsdelikten und fiskalischen Tatbeständen sei nicht
ausschlaggebend, auf welcher Gruppe das Schwergewicht liege; vielmehr
sei die Auslieferung für die gemeinrechtlichen Tatbestände zu bewilligen
unter der Bedingung, dass der Verfolgte für die Fiskaldelikte nicht
bestraft werden dürfe und dass diese auch nicht als Strafschärfungsgrund
berücksichtigt werden dürften. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall
der unechten Gesetzeskonkurrenz, d.h. dann, wenn der Tatbestand eines
Nichtauslieferungsdeliktes denjenigen des Auslieferungsdeliktes nach allen
Seiten umfasst, so dass das Auslieferungsdelikt im Nichtauslieferungsdelikt
aufgeht (BGE 92 I 287; 78 I 246 mit Hinweisen). Der Bundesrat trug
dieser gefestigten Praxis dadurch Rechnung, dass er im Entwurf zum IRSG
Auslieferung und Rechtshilfe nur als unzulässig erklären wollte für Taten,
die ausschliesslich auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet
seien oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische
Massnahmen verletzten (BBl 1976 II 492, Art. 3 Abs. 3). Die ständerätliche
Kommission strich in der Folge das Wort "ausschliesslich". Indessen
erklärte ihr Berichterstatter, Ständerat (heute Bundesrat) Egli, diese
Streichung habe keineswegs die Bedeutung, dass bei gemischten Delikten
eine Auslieferung oder sonstige Rechtshilfe verunmöglicht werden sollte,
wobei er ohne Kritik auf die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung
verwies und die Bedeutung des Grundsatzes der Spezialität hervorhob
(Amtl. Bull. StR 1980 215). Diese Äusserung blieb unwidersprochen, und im
Nationalrat wurde über die hier interessierende Frage nicht diskutiert. Es
kann somit davon ausgegangen werden, dass durch das IRSG hinsichtlich der
Behandlung von Auslieferungsgesuchen, die sich sowohl auf gemeinrechtliche
als auch auf damit konkurrierende fiskalische Tatbestände beziehen,
keine Änderung der bisherigen Praxis herbeigeführt werden sollte.

    d) Die Behörden der Niederlande haben ihr Auslieferungsgesuch von
Anfang an nicht auf Tatbestände gestützt, die nach schweizerischer
Auffassung als solche fiskalischer Natur zu betrachten wären. Schon
im Auslieferungsbegehren vom 9. Juni 1983 führte die Botschaft aus,
sie erkläre, dass es im vorliegenden Falle nicht um Steuerdelikte gehe
und dass der Beschwerdeführer deshalb nach seiner Auslieferung nicht
wegen derartiger Delikte verfolgt werden würde. Das BAP durfte sich auf
diese Erklärung verlassen. Die Tatsache, dass die niederländischen
Behörden die schweizerischen im Jahre 1981 um rogatorische
Befragung des Beschwerdeführers ausschliesslich zum Tatbestand der
Gewässerverschmutzung ersucht haben, ändert hieran nichts. Selbst wenn
im Zusammenhang mit Fiskaldelikten um Rechtshilfe ersucht und diese
aufgrund des schweizerischen Rechtes verweigert worden wäre, stünde
einem späteren Auslieferungsgesuch wegen gemeinrechtlicher Delikte nichts
entgegen. Hinzu kommt, dass die niederländische Botschaft die vorstehend
erwähnte Erklärung im Laufe des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens
in noch umfassenderer Form wiederholt hat. Sie hat in einem Schreiben vom
9. Februar 1984, das dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht wurde,
ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe "den fiskalen Teil des Verdachtes"
fallen gelassen, um die Auslieferung zu erwirken. Der Beschwerdeführer
werde nach seiner Auslieferung nicht (im Original unterstrichen) wegen
Fiskaldelikten verfolgt werden, und das Spezialitätsprinzip werde völlig
respektiert werden.

    Damit ist die Auffassung des Beschwerdeführers, es gehe den
niederländischen Behörden eben im Kern doch um Fiskaldelikte,
widerlegt. Ihr Standpunkt hinsichtlich der Verfolgung derartiger
Tatbestände wird durch die Auslieferung sogar geschwächt, kann doch
während der ununterbrochenen Anwesenheit des Beschwerdeführers in
seinem Heimatstaat die Verfolgung dieser behaupteten Verfehlungen -
vorbehältlich der in Art. 14 Ziff. 2 EAÜ aufgezählten konservatorischen
Massnahmen - nicht weitergeführt werden. Dem Auslieferungsbegehren
aus dem in diesem Abschnitt erörterten Grunde nicht zu entsprechen
hiesse den niederländischen Behörden ein Handeln wider besseres Wissen
unterstellen. Dies kann aber gegenüber einem Staat, der mit der Schweiz
durch völkerrechtliche Verträge verbunden ist, nicht in Frage kommen, um so
weniger, als dem Bundesgericht kein Fall bekannt ist, in dem die Behörden
der Niederlande gegen den Grundsatz der Spezialität verstossen hätten. In
diesem Sinne hat das Bundesgericht auch in einem Urteil vom 2. März 1983
i.S. B. und vdSt. entschieden (vgl. zum Grundsätzlichen auch BGE 104 Ia 58
f.). Der Einwand, die Auslieferung habe deshalb zu unterbleiben, weil ihr
in Wirklichkeit fiskalische Motive zugrunde lägen, ist daher abzulehnen.