Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 145



110 Ib 145

25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15.
Februar 1984 i.S. Rainer Pflumm gegen Theodor Sager und Regierungsrat
des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 31. FPolG; Waldfeststellung.

    1. Verfahren: Eine selbständige Waldfeststellungsverfügung kann mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden; Legitimation (E. 1).

    2. Der bundesrechtliche Waldbegriff gemäss Art. 1 FPolV ist auch
für das kantonale Recht massgebend, insbesondere bei der Anwendung der
kantonalen Waldabstandsvorschriften (E. 2).

    3. Im vorliegenden Fall stellen die Flächen eines Waldweges und
eines durch diesen vom Gros des Waldes abgetrennten Streifens Waldareal
im Sinne des Forstpolizeirechtes dar (E. 4 und 5).

Sachverhalt

    A.- Theodor Sager ist Eigentümer der in Lostorf gelegenen Parzelle
Nr. 1098. Auf der gegen Süden abfallenden Parzelle befindet sich im oberen
nördlichen Teil ein 3-7 m tiefer Streifen mit einer Bestockung. Daran
schliessen sich weiter hangaufwärts gegen Norden ein sogenannter Waldweg
und darüber der Wald an.

    Es wurde beabsichtigt, auf dieser Parzelle ein Einfamilienhaus zu
erstellen. Im Baubewilligungsverfahren erhob Rainer Pflumm, Eigentümer
der südlichen Nachbarparzelle, Einsprache mit der Rüge, das Projekt halte
den nach kantonalem Recht erforderlichen Waldabstand nicht ein und der
massgebliche Waldrand verlaufe südlich des bestockten Streifens. Auf
Ersuchen der Bauverwaltung Lostorf prüfte das kantonale Forstdepartement
den Verlauf des Waldrandes auf der fraglichen Parzelle. Darauf stellte
der Regierungsrat des Kantons Solothurn mit Beschluss vom 8. Dezember
1981 fest, dass der massgebliche Waldrand nördlich des sogenannten
Waldweges verlaufe.

    Gegen diesen Beschluss reichte Rainer Pflumm beim Bundesgericht
Beschwerde ein. Er machte geltend, der Waldrand sei nicht gesetzmässig
festgelegt worden.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den Beschluss
des Regierungsrates auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Nach § 9 des Forstgesetzes des Kantons Solothurn haben Bauten
gegenüber dem Wald einen Abstand von 30 m einzuhalten. Im vorliegenden
Fall steht diese kantonale Waldabstandsbestimmung nicht in Frage. Streitig
ist vielmehr, wo die Waldgrenze bzw. der Waldrand liegt und von wo aus
demnach der kantonale Waldabstand zu messen ist.

    Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid festgestellt, dass
der Waldrand nördlich des Waldweges verlaufe. Er stützte seinen Entscheid
auf die Forstpolizeigesetzgebung des Bundes. Es handelt sich daher um
eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG, welche nach Art. 97 OG mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden kann
(BGE 108 Ib 509, 107 Ib 50, 352, 355). Die als Einsprache bezeichnete
Eingabe des Beschwerdeführers ist somit als Verwaltungsgerichtsbeschwerde
entgegenzunehmen.

    b) Die Parzelle des Beschwerdeführers ist nur durch eine
Erschliessungsstrasse vom Grundstück getrennt, auf dem der Verlauf
des Waldrandes streitig ist. Als Nachbar hat der Beschwerdeführer ein
besonderes und schutzwürdiges Interesse an der richtigen Festlegung des
Waldrandes. Er ist daher nach Art. 103 lit. a OG zur Beschwerde legitimiert
(nicht veröffentlichte E. 1 von BGE 108 Ib 509).

Erwägung 2

    2.- Das Waldareal ist Schutzobjekt der eidgenössischen
Forstgesetzgebung (Art. 31 Abs. 1 FPolG). Der Begriff des Waldes wird
in Art. 1 FPolV näher umschrieben. Danach gilt als Wald jede mit
Waldbäumen und -sträuchern bestockte Fläche, die Holz erzeugt oder
geeignet ist, Schutz- und Wohlfahrtswirkungen auszuüben. Als Wald
gelten auch unbestockte Flächen wie Holzlagerplätze und Waldstrassen
(Art. 1 Abs. 2 FPolV); Aushiebe für forstliche Anlagen gelten nicht
als Rodung (Art. 25 Abs. 2 FPolV). Dieser Waldbegriff, wie er in der
Bundesgesetzgebung umschrieben ist, gilt grundsätzlich auch für die
kantonale Gesetzgebung, wo diese an den Wald rechtliche Folgen anknüpft;
insbesondere kann die kantonale Gesetzgebung den Waldbegriff nicht enger
umschreiben als das Bundesrecht. Es ist daher im vorliegenden Fall im
Hinblick auf die Anwendung der kantonalen Waldabstandsbestimmungen nach
dem eidgenössischen Forstpolizeirecht zu prüfen, ob die hier streitigen
Flächen Wald darstellen.

Erwägung 4

    4.- Der Waldweg ist vom Grundeigentümer Theodor Sager im Einverständnis
mit dem Forstdienst geschaffen worden. Er wird Holzabfuhrweg genannt
und dient als Plattform zur Holzbearbeitung. (...) Entscheidend ist,
dass die kantonale Forstbehörde die forstliche Zweckbestimmung des Weges
anerkannt hat und ihn als "Waldstrasse" (Art. 1 Abs. 2 FPolV) oder als
"forstliche Anlage" im Sinne von Art. 25 Abs. 2 FPolV betrachtet. Damit
steht fest, dass ihr Einverständnis für die Erstellung dieser Anlage
nicht als Zweckentfremdungsbewilligung, d.h. nicht als Rodungsbewilligung
im Sinne von Art. 25 Abs. 1 FPolV, gemeint war und auch nicht gelten
kann. Demzufolge sind die vom Grundeigentümer für die Anlage des Weges
getätigten Aushiebe nicht als Rodung zu betrachten, welche die fragliche
Fläche für immer ihrem Zweck entfremdet und das Waldareal entsprechend
vermindert hätte. Liegt aber keine bewilligte Rodung vor, so blieb die
ausgehauene Fläche Teil des Waldareals. Soweit im angefochtenen Entscheid
die Fläche des Waldweges, d.h. die Holzbearbeitungsplattform nicht zum
Waldareal gezählt und der Waldrand bergseits des Waldweges festgesetzt
wird, liegt eine Verletzung von Bundesrecht vor.

Erwägung 5

    5.- Der Regierungsrat hat die Bestockung, die unterhalb des Waldweges
verblieben ist, nicht als Wald im Sinne von Art. 1 FPolV betrachtet,
sondern als Hecke eingestuft, die unter dem Schutz kantonalen Rechtes
stehe. Wie oben dargelegt worden ist, beurteilt sich die Waldqualität
einer Bestockung nach der Bundesgesetzgebung. Es bleibt daher zu prüfen,
ob die streitige Bestockung als Wald im Sinne von Art. 1 FPolV betrachtet
werden muss.

    In dieser Hinsicht hat die kantonale Instanz den rechtserheblichen
Sachverhalt nicht vollständig abgeklärt. Eine im bundesgerichtlichen
Beschwerdeverfahren durchgeführte genaue und vollständige forstliche
Bestandesaufnahme hat nun die erforderlichen Einzelheiten festgestellt.
(Ausführungen darüber, dass nach dem vom Bundesgericht eingeholten Bericht
des eidgenössischen Forstinspektors der Streifen südlich des Waldweges
Bestandteil des überliegenden Waldes ist.)

    Die Auffassung des eidgenössischen Forstinspektors erscheint
überzeugend. Sie beruht auf einer genauen Bestandesaufnahme und Analyse
der bestehenden Bestockung. Demgegenüber hat der Regierungsrat lediglich
auf den Waldinventarplan abgestellt, ohne sich mit dem bestehenden Wuchs
näher auseinanderzusetzen. Daher ist entgegen dem angefochtenen Entscheid
die Bestockung unterhalb des Waldweges als Waldareal im Sinne von Art. 1
FPolV zu betrachten.