Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IB 141



110 Ib 141

24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
30. Mai 1984 i.S. Dr. Erich Gayler und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat
des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 24 RPG; Ausnahmebewilligung.

    Der Neubau eines freistehenden Ferieneinfamilienhauses ausserhalb
der Bauzonen als Ersatz für den Abbruch ehemals bewohnter Anbauten eines
andern Gebäudes gilt nicht als Wiederaufbau i.S.v. Art. 24 Abs. 2 RPG
(E. 3b) und kann mangels Standortgebundenheit auch nicht nach Art. 24
Abs. 1 RPG bewilligt werden (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- Erich Gayler, Rudolf Gayler, Birgit Staiger und Franziska
Jaisli sind gemeinschaftliche Eigentümer der Liegenschaft "Weidhof"
in Landschlacht am Ufer des Bodensees. Der ausserhalb der Bauzone
gelegene "Weidhof" umfasst unter anderem ein Herrschaftshaus und
einen Landwirtschaftsbetrieb. Die Eigentümer beabsichtigen, das in
der Lichtung eines Parkgehölzes stehende Herrschaftshaus baulich zu
sanieren. Dabei sehen sie auf fachkundigen Rat hin vor, den aus dem
vergangenen Jahrhundert stammenden klassizistischen Hauptteil instand
zu stellen und die später hinzugefügten, stilistisch fragwürdigen
Anbauten Nord und West abzubrechen. Als Ersatz für diese Anbauten
wollen sie in 35 m Entfernung in westlicher Richtung am jenseitigen
Rand des Parkgehölzes ein Ferieneinfamilienhaus bauen. Das Amt für
Raumplanung des Kantons Thurgau verweigerte am 11. Juni 1982 die nach
Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG)
erforderliche Ausnahmebewilligung. Eine dagegen gerichtete Beschwerde der
Grundeigentümer wies der Regierungsrat des Kantons Thurgau mit Beschluss
vom 18. Oktober 1983 ab. Die Grundeigentümer führen gegen diesen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragen,
den angefochtenen Regierungsratsbeschluss aufzuheben und ihnen die
Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG auch für den Bau des projektierten
Einfamilienhauses zu erteilen; eventuell sei die Angelegenheit zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist
die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Art. 22 Abs. 1 lit. a RPG setzt für die Erteilung einer
Baubewilligung voraus, dass die Bauten und Anlagen dem Zweck der
Nutzungszone entsprechen. Abweichend davon können Errichtung und
Zweckänderung von Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen nach
Art. 24 Abs. 1 RPG ausnahmsweise bewilligt werden, wenn deren Zweck einen
Standort ausserhalb der Bauzone erfordert (lit. a) und keine überwiegenden
Interessen entgegenstehen (lit. b). Gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG kann das
kantonale Recht gestatten, Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu
ändern oder wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der
Raumplanung vereinbar ist.

    a) (Feststellung, dass der "Weidhof" trotz der Einwendungen der
Beschwerdeführer nicht in einer Bauzone liegt.)

    b) Die Beschwerdeführer sind indessen der Meinung, eine Baubewilligung
hätte als Ausnahmebewilligung nach Art. 24 Abs. 2 RPG und der kantonalen
Einführungsgesetzgebung erteilt werden müssen.

    Wie erwähnt kann das kantonale Recht gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG
gestatten, Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu ändern oder wieder
aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar
ist. Ob ein Bauvorhaben unter Art. 24 Abs. 2 RPG fällt, beurteilt sich
ausschliesslich nach dieser Vorschrift. Erneuerung, teilweise Änderung
und Wiederaufbau sind bundesrechtliche Begriffe. Das kantonale Recht kann
nur bestimmen, ob und allenfalls inwieweit bauliche Massnahmen innerhalb
des bundesrechtlich begrenzten Rahmens im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG
bewilligt werden dürfen. Mit dieser Regelung will das Bundesrecht den
Kantonen ermöglichen, ihren besonderen Verhältnissen Rechnung zu tragen
(BGE 108 Ib 54 E. 3b, 361 E. 3a, je mit Hinweisen).

    Der projektierte Neubau eines Ferieneinfamilienhauses stellt weder
eine Erneuerung, eine teilweise Änderung noch einen Wiederaufbau im
Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG dar. Alle drei auf die Substanzerhaltung
ausgerichteten Arten baulicher Massnahmen setzen voraus, dass ein Baukörper
an einem bestimmten Standort schon besteht und dass seine Identität
grundsätzlich gewahrt wird (BGE 108 Ib 55/56 E. 3c; 107 Ib 241/242 E. 2b
aa mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind aber beim Neubau eines nach
Ausmass, Erscheinungsform und Stil völlig verschiedenen Wohnhauses 35 m
entfernt vom teilweise abzubrechenden Altbau nicht gegeben. Namentlich
kann es sich hier nicht um einen Wiederaufbau handeln. Das projektierte
Ferienhaus mag in einem gewissen Sinn als Ersatzbaute für verlorengehenden
Wohnraum betrachtet werden. Indessen wird aus diesem Ersatzbau auch dann
kein Wiederaufbau im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG, wenn die Ersatzbaute
das gesamte Sanierungsprojekt zu fördern vermöchte und im Volumen nicht
einmal die Hälfte der vom Altbau abzubrechenden Anbauten ausmacht. Eine
zu weitgehende Berücksichtigung zonenfremder Bauten widerspräche dem
Zweck des Raumplanungsgesetzes.

    Liegt das Projekt eines Einfamilienhauses aber ausserhalb des
bundesrechtlichen Rahmens von Art. 24 Abs. 2 RPG, so ist nicht mehr zu
prüfen, ob und allenfalls inwieweit es nach kantonalem Recht bewilligt
werden dürfte. Das Bauvorhaben kann schon nach Art. 24 Abs. 2 RPG
nicht bewilligt werden. Da sich dessen Unzulässigkeit bereits daraus
ergibt, dass es weder eine Erneuerung, eine teilweise Änderung noch
einen Wiederaufbau darstellt, so braucht nicht mehr geprüft zu werden,
ob es mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar wäre.

    Eine bundesrechtskonforme Auslegung des Raumplanungsgesetzes
dient der Verfassungsbestimmung von Art. 22 quater BV. Sie kann daher
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer die in Art. 22ter BV
gewährleistete Eigentumsgarantie nicht verletzen. Abgesehen davon wäre
es dem Bundesgericht nach Art. 113 Abs. 3 BV verwehrt, das Bundesgesetz
über die Raumplanung auf seine Vereinbarkeit mit der Bundesverfassung
zu überprüfen.

    Bei dieser Sach- und Rechtslage ist keine Verletzung von Bundesrecht
dargetan, weshalb die Beschwerde sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem
Eventualbegehren abzuweisen ist.

    c) Durfte den Beschwerdeführern keine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 Abs. 2 RPG erteilt werden, so könnte es sich nur noch fragen,
ob eine solche gemäss Art. 24 Abs. 1 RPG denkbar wäre. Der Regierungsrat
hat diese Möglichkeit indessen mit Recht verneint, da das projektierte
Ferienhaus offensichtlich nicht auf den vorgesehenen Standort ausserhalb
des Baugebiets in der Landwirtschaftszone und im Landschaftsschutzgebiet
angewiesen ist. Die Beschwerdeführer fechten diese Argumentation zu Recht
nicht an; auch insoweit könnte von einer Bundesrechtsverletzung keine
Rede sein.