Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IA 95



110 Ia 95

20. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31.
August 1984 i.S. X. gegen Anwaltskammer des Kantons Bern (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV. Anwaltsrecht.

    Disziplinarische Verantwortlichkeit des Anwalts, der ein offensichtlich
übersetztes Honorar verlangt. Die Disziplinierung setzt ein Verschulden,
jedoch keine Absicht voraus (Präzisierung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nicht mit
Überforderungsabsicht gehandelt, weshalb eine Disziplinierung nach BGE
98 Ia 257 f. ausgeschlossen sei.

    a) Disziplinarsanktionen gegenüber Anwälten setzen in subjektiver
Hinsicht den Nachweis eines Verschuldens voraus (DUBACH, Das
Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 70/1951, 25a; WEGMANN, Die
Berufspflichten des Rechtsanwalts unter besonderer Berücksichtigung
des zürcherischen Rechts, Diss. Zürich 1969, 87; HENGGELER, Das
Disziplinarrecht der freiberuflichen Rechtsanwälte und Medizinalpersonen,
Diss. Zürich 1976, 50). Die Beweislast dafür obliegt nach anerkannten
Grundsätzen der Disziplinarbehörde.

    b) In zwei unveröffentlichten Urteilen vom 29. November 1943 und
vom 28. Januar 1946 entschied das Bundesgericht, ein Anwalt, der
ein offensichtlich übersetztes Honorar verlange, könne jedenfalls dann
disziplinarisch bestraft werden, wenn er bösgläubig handle, wobei mit dem
bösen Glauben eine Überforderungsabsicht gemeint gewesen sein dürfte. Dass
nur Bösgläubigkeit eine Disziplinierung zu rechtfertigen vermöge, kann -
entgegen BGE 98 Ia 258 - keinem der beiden Entscheide entnommen werden.

    In BGE 98 Ia 258 stellte das Bundesgericht fest, die
Aufsichtskommission habe die angefochtene Ordnungsbusse einzig mit dem
Hinweis auf die Überforderung begründet. Die objektive Überforderung als
solche vermag nun freilich noch keine Disziplinierung zu rechtfertigen,
der Nachweis eines Verschuldens ist - wie erwähnt - unabdingbar. Das
Bundesgericht hatte daher in casu gar keine Veranlassung, sich über die für
eine Disziplinierung erforderliche Verschuldensform auszusprechen. Unter
diesen Umständen darf BGE 98 Ia 258 für den vorliegenden Zusammenhang
keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.

    c) Die Wahrung des Vertrauens in den Anwaltsstand und das öffentliche
Interesse daran, dass der Anwalt seine Monopolstellung nicht auf Kosten
des rechtsuchenden Publikums ausnützt und übersetzte, vom Laien oft nur
schwer als solche erkennbare Honorarforderungen stellt, lassen es als
sachlich gerechtfertigt erscheinen, auf der subjektiven Seite auch blosse
Fahrlässigkeit genügen zu lassen. Jedenfalls dann, wenn ein Anwalt die
durchschnittliche Sorgfalt hat vermissen lassen, die von jedem Anwalt in
guten Treuen verlangt werden darf und muss, steht einer Disziplinierung
unter Verschuldensgesichtspunkten nichts im Wege.