Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IA 43



110 Ia 43

6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
21. März 1984 i.S. Banco de la Nación, Lima gegen Banca cattolica del
Veneto, Vicenza, Betreibungsamt Zürich 1, Einzelrichter im summarischen
Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Völkerrechtliche Immunität von Organismen mit eigener
Rechtspersönlichkeit.

    Körperschaften, denen nach dem Recht ihres Sitzes eigene
Rechtspersönlichkeit zukommt, können grundsätzlich keine staatliche
Immunität beanspruchen. Ausnahmen sind nur denkbar, soweit solche
Körperschaften mit staatlicher Hoheitsgewalt (iure imperii) gehandelt
haben.

Sachverhalt

    A.- Der Banco de la Nación und die mit der Gruppe des Banco Ambrosiano
S.p.A., Mailand (Roberto Calvi), verbundene Banca cattolica del Veneto
traten 1979 in Geschäftsbeziehungen. Diese überwies dem Banco de la Nación
hohe Beträge als Festgeld auf bestimmte Zeit, die diese Bank zu einem
grossen Teil unter Erhöhung des Zinssatzes um 1/4% an Gesellschaften der
Ambrosiano-Gruppe weiterleitete.

    Im Sommer 1982 verfügten die italienischen Behörden die
Zwangsliquidation des Banco Ambrosiano. Der Banco de la Nación
anerkennt, dass in diesem Zeitpunkt ein Guthaben der Banca cattolica aus
Festgeldanlagen von 32,5 Mio. Dollar bestand. Er bestreitet jedoch für den
grösseren Teil dieser Summe seine Passivlegitimation, weil er diese Beträge
nur treuhänderisch entgegengenommen und an Firmen der Ambrosiano-Gruppe
weitergeleitet habe. Von einem von ihm als Selbstschuldner aufgenommenen
Betrag anerkennt er, zur Deckung von Schadenersatzansprüchen einen Teil
zurückbehalten zu haben.

    B.- Am 18. März 1983 erliess der Einzelrichter im summarischen
Verfahren am Bezirksgericht Zürich auf Begehren der Banca cattolica gegen
den Banco de la Nación einen Arrestbefehl für die Forderungssumme von
Fr. 64'087'667.--. Der Arrest sollte sämtliche Guthaben und Wertgegenstände
des Banco de la Nación bei verschiedenen Zürcher Banken erfassen. Bei
zwei der Banken wurden Guthaben des Banco de la Nación im Betrag von
Fr. 989'932.35 verarrestiert.

    C.- Der Banco de la Nación führt staatsrechtliche Beschwerde mit
dem Antrag, den Arrestbefehl infolge völkerrechtlicher Immunität des
Beschwerdeführers als ungültig zu erklären sowie Arrestbeschlag und
Zahlungsbefehl aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Nach den bisherigen Entscheiden (BGE 106 Ia 147 E. 3; 104 Ia
368 E. 2; 86 I 27 f.; 82 I 85 f.; 56 I 249 f.) können sich Körperschaften,
denen nach dem Recht ihres Sitzes eigene Rechtspersönlichkeit zukommt,
nicht auf die Immunität des hinter ihnen stehenden Staates berufen.
Das Bundesgericht hat in BGE 104 Ia 373 E. 3 Zweifel daran geäussert,
ob an dieser Rechtsprechung in jedem Falle festzuhalten sei, ohne jedoch
daraus Folgerungen zu ziehen. Die Zweifel wurden damit begründet, dass
heute im Rechtsleben den wirtschaftlichen Zusammenhängen allgemein grössere
Bedeutung beigemessen werde als noch vor Jahrzehnten, und es wurde auf
die Europäische Konvention über Staatenimmunität (SR 0.273.1) hingewiesen,
deren Art. 27 gegen die Annahme spreche, dass mit dem Staat eng verbundene
selbständige öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Körperschaften sich
von vornherein nicht auf die staatliche Immunität berufen könnten. Die
damals nur gestreifte Frage muss heute entschieden werden; denn da im
vorliegenden Fall im Unterschied zum früheren unbestrittenermassen eine
Binnenbeziehung des streitigen Rechtsverhältnisses zur Schweiz fehlt,
könnte sich der Beschwerdeführer auf die Immunität berufen, wenn diese
auch nichtstaatlichen Organisationen zukäme.

    b) Die neuere Lehre scheint einhellig der Auffassung zuzuneigen,
es bestehe kein Anlass, die Staatenimmunität auf selbständige Institute
von der Art des Beschwerdeführers auszudehnen. So bemerken SCHAUMANN
UND HABSCHEID in ihrem Bericht an die 2. Studienkommission der Deutschen
Gesellschaft für Völkerrecht (Karlsruhe 1968, S. 171), eine Gesellschaft,
die als juristisch selbständige Person zu qualifizieren sei, unterliege
grundsätzlich der inländischen Gerichtsbarkeit. Ebenso eindeutig erklären
VERDROSS/SIMMA, staatliche Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit
genössen keine Autonomie (Universelles Völkerrecht, Berlin 1976,
S. 568). Andere Autoren (so ANTOINE FAVRE, Principes du Droit des gens,
Fribourg 1974; MÜLLER/WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., Bern
1982, und MENZEL/IPSEN, Völkerrecht, 2. Aufl., München 1979) erwähnen beim
Problem der Immunität ausländischer Staaten neben dem Staat bestehende
Organisationen mit juristischer Persönlichkeit überhaupt nicht. LUDWIG
GRAMLICH hat dem Problem der staatlichen Immunität von Zentralbanken eine
Abhandlung gewidmet. Seine Ausführungen lassen sich dahin zusammenfassen,
dass derartige Banken jedenfalls keine Immunität ratione personae
beanspruchen können, während ihre Immunität ratione materiae von Fall
zu Fall zu prüfen bliebe (Rabels Zeitschrift für ausländisches und
internationales Privatrecht, 1981, S. 545 ff., bes. S. 579/80, 581/2).

    Nach Art. 27 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über
Staatenimmunität "schliesst der Ausdruck Vertragsstaat einen Rechtsträger
eines Vertragsstaates nicht ein, der sich von diesem unterscheidet und die
Fähigkeit hat, vor Gericht aufzutreten, selbst wenn er mit öffentlichen
Aufgaben betraut ist". Abs. 2 dieser Bestimmung lautet dahin, die in
Abs. 1 bezeichneten Rechtsträger könnten vor den Gerichten anderer
Vertragsstaaten wie eine Privatperson in Anspruch genommen werden;
doch könnten diese Gerichte nicht über in Ausübung der Hoheitsgewalt
(iure imperii) vorgenommene Handlungen entscheiden.

    Unter Berücksichtigung der Auffassung der zitierten Autoren sowie des
Europäischen Übereinkommens, das zwar hier nicht anwendbar ist, aber als
Ausdruck neuerer völkerrechtlicher Tendenzen Beachtung verdient, ist die
in BGE 104 Ia 373 dargelegte Rechtsauffassung dahin zu verdeutlichen,
dass Organismen mit eigener Rechtspersönlichkeit grundsätzlich keine
staatliche Immunität beanspruchen können und dass Ausnahmen nur denkbar
sind, soweit sie mit staatlicher Hoheitsgewalt (iure imperii) gehandelt
haben. Weitere Ausführungen über den Ausnahmefall erübrigen sich,
da die Parteien übereinstimmend und zutreffend davon ausgehen, bei den
zwischen ihnen abgewickelten Bankgeschäften handle es sich nicht um eine
hoheitliche Tätigkeit. Dieses die Immunität eher einschränkende Ergebnis
ist allein praktisch befriedigend. Es wäre unbillig, wenn eine finanziell
eng mit einem ausländischen Staat verbundene Bank in internationalen
Finanztransaktionen mit den privatrechtlich organisierten Banken
beliebig in Wettbewerb treten dürfte, sich aber den gerichtlichen und
vollstreckungsrechtlichen Folgen unter Berufung auf Immunität entziehen
könnte.