Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IA 27



110 Ia 27

3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Mai 1984
i.S. S. gegen Regierungsrat von Appenzell A.Rh. (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; unentgeltliche Rechtspflege.

    Voraussetzungen des Anspruchs einer bedürftigen Partei auf Bestellung
eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Scheidungsprozess.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts hat eine
bedürftige Person in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess
unmittelbar aufgrund von Art. 4 BV Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege
und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines
solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf (BGE 104 Ia 32 E. 2
und 73 E. 1, 99 Ia 327 E. 2, mit Hinweisen). Ob dieser Anspruch verletzt
sei, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei (BGE 105 Ia 113).

    Dass der Beschwerdeführer bedürftig und sein Prozessstandpunkt
nicht aussichtslos ist, bestreitet der Regierungsrat nicht. Er ist
jedoch der Auffassung, der Beschwerdeführer bedürfe zur Führung des
Scheidungsprozesses keines Rechtsbeistandes. Zwar könne es für ihn
schwierig sein, die Zumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe zu belegen und
gleichzeitig die Persönlichkeit der Ehefrau zu respektieren. Doch werde
ihm die Achtung vor der Partnerin bei der Wahl seiner Beweisofferten
und der Darlegung seines Parteistandpunktes den rechten Weg weisen. Im
Kanton Appenzell seien reine Laiengerichte tätig, und in den ländlichen,
leicht überschaubaren Verhältnissen nehme der Instruktionsrichter im
Untersuchungsverfahren recht weitgehende Abklärungen von Amtes wegen
vor und sei unbeholfenen Parteien behilflich. Aus dem Protokoll der in
Abwesenheit der Anwälte durchgeführten Instruktionsverhandlung vor dem
Kantonsgericht ergebe sich, dass beide Parteien ihren Standpunkt selbst
hinreichend darzulegen vermöchten. Hinsichtlich des Beschwerdeführers
sei festzustellen, dass dessen Ausführungen und Beweisanträge zum Verlauf
der Ehe wie auch die Darstellung der finanziellen Situation den Richter
durchaus instand setzten, die erforderlichen weiteren Untersuchungen
und Abklärungen vorzunehmen. Eine Benachteiligung des Beschwerdeführers
gegenüber der Klägerin sei nicht ersichtlich. Auch der Umstand, dass der
von ihm frei ernannte Rechtsbeistand verschiedene Eingaben verfasst habe,
begründe noch nicht die Notwendigkeit der Prozessführung durch einen
Anwalt. Der Instruktionsrichter hätte die nötigen Informationen ohne
weiteres durch eine Einvernahme des Beschwerdeführers beschaffen können,
zumal keine komplexen Rechtsfragen streitig seien. Ebensowenig vermöge die
Ergreifung einer Rechtsverweigerungsbeschwerde gegen den Massnahmerichter
an die Justizaufsichtskommission des Obergerichts die Notwendigkeit der
Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu begründen.

    Diese Begründung ist mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
nicht vereinbar. Danach schliesst der Umstand, dass ein Prozess
im Untersuchungsverfahren durchgeführt wird, die Beigabe eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht zum vornherein aus. Ob ein
Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung besteht, hängt auch da,
wo die Offizialmaxime gilt, davon ab, wie leicht die sich im Prozess
stellenden Fragen zu beantworten sind, ob die gesuchstellende Partei
rechtskundig ist und ob sich die Gegenpartei ihrerseits von einem Anwalt
vertreten lässt; eine gewisse Zurückhaltung ist am Platz, wenn es in einem
familienrechtlichen Prozess nur noch um die finanziellen Nebenpunkte geht
(BGE 104 Ia 77, präzisiert in BGE 107 Ia 8). Im vorliegenden Fall drängt
sich die unentgeltliche Verbeiständung schon unter dem Gesichtspunkt
der "Waffengleichheit" auf, steht doch fest, dass die Klägerin von
Anfang an durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Die Gewährung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist aber auch deswegen gerechtfertigt,
weil offensichtlich ist, dass es angesichts der weit auseinanderliegenden
Standpunkte der Parteien zu einer Kampfscheidung kommen dürfte, in der
nicht einfach zu lösende Fragen zu regeln sind, und weil der Prozess
für den Beschwerdeführer in persönlicher Hinsicht von grosser Bedeutung
ist. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer über keinerlei Rechtskenntnisse
verfügt. Selbst unter der Herrschaft der Offizialmaxime wäre er daher
überfordert, wenn er sich ohne Rechtsbeistand zu den sich stellenden Fragen
der Zerrüttung und der Zumutbarkeit der von ihm angestrebten Weiterführung
der Ehe äussern müsste. Auch zeigt der bisherige Verlauf des Verfahrens,
dass bereits vorsorgliche Massnahmen, namentlich die Kinderzuteilung, zu
Schwierigkeiten geführt haben. Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf
hin, dass er als Mann von einfacher Herkunft und Schulbildung kaum in der
Lage ist, die gerichtliche Praxis bezüglich solcher Massnahmen selbst
zu überblicken, die zweckdienlichen Eingaben und Abänderungsanträge zu
formulieren und allfällige Rechtsmittel einzulegen.

    Mit seinem Entscheid verletzte der Regierungsrat somit den unmittelbar
aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Beigabe
eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, weshalb die Beschwerde insoweit
gutzuheissen ist. Ob er darüber hinaus auch die Bestimmungen der kantonalen
Zivilprozessordnung über das Armenrecht in willkürlicher Weise anwandte,
braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden.