Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IA 205



110 Ia 205

40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18.
Dezember 1984 i.S. Gemeinde Flims gegen X. und Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Gemeindeautonomie. Erschliessungsbeiträge; Kostenverteilschlüssel.

    1. Autonomie der Bündner Gemeinden auf dem Gebiet der Erhebung von
Erschliessungsabgaben (E. 2b).

    2. Verletzung der Gemeindeautonomie

    a) durch Überschreitung der Prüfungsbefugnis durch die kantonale
Behörde (E. 4b und c);

    b) durch sachlich nicht haltbare Änderung eines Kostenverteilschlüssels
(E. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Gemeinde Flims erhebt für den Bau einer Erschliessungsstrasse
von den Eigentümern der erfassten Grundstücke Mehrwertbeiträge. Der auf
die Privaten entfallende Anteil wird nach drei verschiedenen Kriterien
veranlagt: zu 45% (Fr. 442'354.--) nach der Grundstücksfläche, zu 25% (Fr.
245'752.--) nach der Bruttogeschossfläche und zu 30% (Fr. 294'902.--) nach
der benützten Strassenlänge. Bei der Veranlagung nach der Grundstücksfläche
und nach der Bruttogeschossfläche wird zwischen zwei Zonen unterschieden;
der nach der Benützungslänge zu bemessende Anteil wird im Gebiet innerhalb
des Perimeters gleichmässig veranlagt.

    Nach diesem Kostenverteilschlüssel hat X. als einer der betroffenen
Grundeigentümer einen Beitrag von Fr. 15'883.70 zu bezahlen. Er rekurrierte
gegen den entsprechenden Perimeterentscheid der Baubehörde Flims an das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Er begründete die beantragte
Herabsetzung des Beitrags im wesentlichen damit, dass der Ausbau eines
entfernteren Strassenabschnitts massive Kunstbauten erfordert habe; diese
Kosten dürften ihm nicht im gleichen Verhältnis angerechnet werden. Das
Verwaltungsgericht hiess den Rekurs teilweise gut. Es stellte fest, dass
es sich rechtfertige, die von den Grundeigentümern zu tragenden Kosten
wie folgt anders aufzuteilen: zu 30% nach der Grundstücksfläche, zu 25%
nach der Bruttogeschossfläche und zu 45% nach der Benützungslänge.

    Die Gemeinde Flims führt staatsrechtliche Beschwerde beim
Bundesgericht. Sie rügt eine Verletzung der Gemeindeautonomie und
beantragt, den angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Graubünden aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das
kantonale Recht dafür keine abschliessende Ordnung trifft, sondern diese
ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei
eine erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Ist diese Voraussetzung
erfüllt, so kann die Gemeinde mit staatsrechtlicher Beschwerde beanstanden,
die kantonale Behörde habe im Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis
überschritten, oder sie sei bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen
oder bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen,
in Willkür verfallen. Steht eine spezielle Bestimmung des Verfassungsrechts
in Frage, so kann verlangt werden, dass die kantonale Behörde diese nicht
unrichtig anwende oder auslege (BGE 109 Ia 45 E. 2b mit Hinweisen).

    b) Wie das Bundesgericht wiederholt festgestellt hat, sind die
Bündner Gemeinden in weiten Bereichen der Raumplanung und des Bauwesens
autonom (BGE 104 Ia 126 E. 2b; 103 Ia 185 E. 2a; 100 Ia 204 E. 2c; ZBl
81/1980, S. 26; 79/1978, S. 61; 78/1977, S. 221; 77/1976, S. 59). Der
geschützte Autonomiebereich umfasst auch das raumplanerische Teilgebiet
der Erschliessung und deren Finanzierung. So sind die Gemeinden berechtigt
und verpflichtet, Erschliessungspläne aufzustellen (Art. 18 lit. b des
Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973). Sie
können eigene Regelungen über Erschliessungsabgaben erlassen (Art. 1 Abs. 2
des Perimetergesetzes des Kantons Graubünden vom 28. September 1980,
PG; Art. 7 lit. d der Verordnung über die Durchführung und Finanzierung
der Erschliessung und das Verfahren bei Gesamtumlegungen vom 1. Oktober
1974). Soweit solche Bestimmungen fehlen, ist das Perimetergesetz anwendbar
(Art. 1 Abs. 2 Satz 2 PG). Bei unvollständigen Bestimmungen der Gemeinden
sind die Verfahrensvorschriften des Perimetergesetzes hilfsweise anwendbar
(Art. 1 Abs. 3 PG). Die Grundsätze und die Ausnahmen der Beitragsbemessung
sind in den Art. 3 und 4 PG enthalten. Die Art. 5 bis 10 PG enthalten
Vorschriften über Erstattungspflicht, Beitragspflicht, Fälligkeit,
gesetzliches Pfandrecht und Zahlung, Rechtsmittel sowie Veränderung der
Verhältnisse.

    Das Perimetergesetz regelt die Erhebung von Erschliessungsbeiträgen
nicht abschliessend. Für die Beitragsbemessung werden lediglich einige
allgemeine Grundsätze aufgestellt, in deren Rahmen der Gemeinde ein grosser
Spielraum verbleibt. Das Gesetz beschränkt sich auf die Forderung, dass
die Gemeinden die Beiträge nach schematischen Massstäben berechnen, die
soweit als möglich eine genaue Berücksichtigung der Vor- und Nachteile
gestatten. Es überlässt es jedoch den Gemeinden, diese Massstäbe
aufzustellen und im einzelnen zu regeln. Bei der Festsetzung des vom
Gemeinwesen und des von den Privaten zu tragenden Kostenanteils haben
die Gemeinden einen erheblichen Spielraum. Art. 1 Abs. 2 PG ermächtigt
denn auch die Gemeinden ausdrücklich, unter Beachtung von Art. 2
und 3 sowie 5 bis 10 PG eigene Vorschriften zu erlassen. Hinsichtlich
eigener Verfahrensbestimmungen sieht das Perimetergesetz überhaupt keine
Einschränkung vor. Den Bündner Gemeinden steht somit auf dem Gebiet der
Erschliessungsabgaben sowohl in bezug auf die Rechtssetzung als auch auf
die Rechtsanwendung eine erhebliche Entscheidungsfreiheit zu; sie sind
somit autonom.

Erwägung 3

    3.- Das Verwaltungsgericht begründet die streitige Änderung des
Kostenverteilschlüssels damit, dass die beschwerdeführende Gemeinde eine
Rechtsverletzung begangen habe, indem sie nur 30% der Gesamtkosten der
Strasse nach der Benützungslänge veranlagt habe. Sie habe der Tatsache,
dass der Strassenbau im Gebiet "Plaunca" weit höhere Kosten als im Gebiet
"Caglims" verursacht habe, nicht genügend Rechnung getragen.

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Verwaltungsgericht habe
ihre Autonomie namentlich durch eine willkürliche Anwendung von Art. 24
des Baugesetzes der Gemeinde Flims vom 27. März 1977 (BauG) verletzt. Der
vom Verwaltungsgericht angeordnete Verteilschlüssel führe zu stossenden
Ergebnissen, weshalb der Entscheid sich auch sachlich nicht vertreten
lasse. Das Gericht habe anstelle des Ermessens der Beschwerdeführerin,
das dieser nach Art. 24 BauG und Art. 1 Abs. 2 PG zustehe, sein eigenes
Ermessen gesetzt und damit willkürlich gehandelt.

Erwägung 4

    4.- a) Die Gemeinde Flims verfügt in den Art. 22 bis 30 BauG über eine
kommunale Regelung für die Erhebung von Erschliessungsabgaben. Gemäss
Art. 24 BauG werden die Strassenbeiträge in der Regel nach Massgabe der
Grundstücksfläche verteilt; wenn nicht das gesamte Perimetergebiet in
der gleichen Bauzone liegt, richten sich die Beiträge nach der zulässigen
Ausnützung (Abs. 1). Innerhalb des Perimetergebiets werden in der Regel
verschiedene Zonen ausgeschieden, wobei Grundstücke, die unmittelbar
an die Strasse grenzen, die höchsten Beiträge zu entrichten haben
(Abs. 2). Diesen Kriterien ist die Beschwerdeführerin gefolgt, indem
sie sowohl die Grundstücksfläche als auch die Bruttogeschossfläche in die
Beitragsberechnung einbezogen und verschiedene Zonen ausgeschieden hat. Als
weiteres Kriterium hat sie die Benützungslänge der Strasse berücksichtigt,
was im Baugesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

    Mit diesem Vorgehen ist die Beschwerdeführerin sowohl den Anforderungen
von Art. 3 PG als auch jenen von Art. 24 BauG nachgekommen. Welche dieser
Kriterien die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall anzuwenden hatte
und wie die Kosten danach zu verlegen waren, ist eine Frage des Ermessens.

    b) Das Verwaltungsgericht führt nicht aus, gegen welche Vorschrift
oder gegen welchen Rechtsgrundsatz die Beschwerdeführerin verstossen haben
soll. Im Ergebnis hebt es jedoch einen Ermessensentscheid der Gemeinde auf.

    Gemäss Art. 53 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im
Kanton Graubünden vom 9. April 1967 kann mit dem Rekurs unter anderem
jede Rechtsverletzung einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens geltend gemacht werden (lit. a). Diese Regelung schliesst somit
die Angemessenheitsprüfung aus.

    c) Perimeterbeiträge sind Vorzugslasten. Als solche sind sie
einerseits nach den zu deckenden Kosten oder Kostenanteilen zu bemessen
und andererseits auf die Nutzniesser der öffentlichen Einrichtung
nach Massgabe des wirtschaftlichen Sondervorteils zu verlegen, der dem
Einzelnen erwächst (BGE 98 Ia 171/172 E. 2 mit Hinweisen). Zur Schätzung
des Wertzuwachses einer Liegenschaft hat die Praxis schematische, nach
der Durchschnittserfahrung aufgestellte Massstäbe geschaffen, die leicht
zu handhaben sind. Dass solche Massstäbe zulässig sind, ist in Lehre und
Rechtsprechung anerkannt (BGE 98 Ia 174 E. 4b mit Hinweis).

    Weder aus diesen Grundsätzen noch aus dem kantonalen Perimetergesetz
oder dem kommunalen Baugesetz ergibt sich, dass für die Bemessung
der Beiträge auch allfällige Unterschiede in den Baukosten einzelner
Strassenabschnitte zu berücksichtigen gewesen wären. Das Verwaltungsgericht
verlangt denn auch die Berücksichtigung dieser verschieden hohen
Kosten lediglich dadurch, dass der nach Benützungslänge zu bemessende
Anteil erhöht wird. Es ist der Ansicht, dass auch dann nicht von einer
gerechten Kostenverteilung die Rede sein könne, wenn bei Berücksichtigung
der benützten Strassenlänge von den Anstössern im Gebiet "Plaunca"
doppelt so hohe Beiträge verlangt würden als von den Eigentümern der
am andern Ende der Strasse gelegenen Grundstücke. Seiner Auffassung
nach könne das Verhältnis eins zu zwei nicht stimmen, weshalb der
Kostenverteilschlüssel geändert werden müsse. Das Gericht stellt
jedoch nicht fest, in welchem wirklichen Verhältnis die Kosten der
beiden Strassenabschnitte zueinander stehen; es nennt überhaupt keine
Zahlen. Solche Angaben lassen sich weder aus andern Erwägungen noch
aus den Akten ermitteln. Das Verwaltungsgericht wäre jedoch nur dann
berechtigt, in den Ermessensentscheid der Gemeinde einzugreifen, wenn ihr
Kostenverteilschlüssel zu derart unhaltbaren Ergebnissen führen würde, dass
dessen Ausgestaltung als Überschreitung oder als Missbrauch ihres Ermessens
bezeichnet werden müsste. Ein solches Ergebnis lässt sich jedoch weder
auf Grund der verwaltungsgerichtlichen Erwägungen noch anhand der Akten
ausmachen. Ebensowenig geht aus dem angefochtenen Entscheid hervor, welche
tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen den neuen Kostenverteilschlüssel
rechtfertigen und aus welchen Gründen dieser im Gegensatz zu jenem der
Gemeinde für alle beteiligten Grundeigentümer gerechter sein solle. Das
Verwaltungsgericht hat daher mit dem angefochtenen Entscheid sein eigenes
Ermessen anstelle desjenigen der Beschwerdeführerin gesetzt und dadurch
seine Prüfungsbefugnis überschritten. Das verwaltungsgerichtliche Urteil
verletzt somit die Autonomie der Gemeinde Flims, weshalb es in Gutheissung
der Beschwerde aufzuheben ist.

Erwägung 5

    5.- Der angefochtene Entscheid ist indessen auch sachlich nicht
haltbar. Der Beschwerdegegner hat im Rekursverfahren die geringeren Kosten
des Strassenabschnitts im Bereich ihres Grundstücks geltend gemacht und
deshalb eine Herabsetzung des Beitrags verlangt. Das Verwaltungsgericht
nimmt an, den gerügten Fehler mit einer Erhöhung des Kostenanteils nach
der benützten Strassenlänge berichtigen zu können. Dazu hat es diesen
Anteil von 30% auf 45% erhöht und jenen nach der Grundstücksfläche von 45%
auf 30% gesenkt. Die verschiedene Höhe der Ausbaukosten für die einzelnen
Strassenabschnitte hat jedoch sachlich weder etwas mit dem Kostenanteil
nach der Strassenlänge noch nach der Bruttogeschossfläche zu tun. Wohl hat
im konkreten Fall die Änderung des Verwaltungsgerichts den Beschwerdegegner
bessergestellt, weil die für ihn massgebende Benützungslänge lediglich 20 m
beträgt. Diese Änderung bringt jedoch notwendigerweise eine sachlich nicht
gerechtfertigte Schlechterstellung für viele andere Grundeigentümer. Die
Beschwerdeführerin hat diese Folgen in Berechnungen dargestellt; sie sind
vom Verwaltungsgericht unwidersprochen geblieben. Auch der Beschwerdegegner
hat anerkannt, dass der verwaltungsgerichtliche Verteilschlüssel zu
unbefriedigenden Ergebnissen führt.

    Der angefochtene Entscheid ist demnach mit sachlichen Gründen nicht
vertretbar. Er verletzt auch insoweit die Autonomie der Gemeinde Flims;
er ist auch aus diesem Grund aufzuheben.