Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IA 190



110 Ia 190

38. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. November
1984 i.S. L. AG gegen Kantone Wallis, Zürich, Tessin, Uri, Schwyz
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 46 Abs. 2 BV; Betriebsstätte einer Bauunternehmung.

    Die Unternehmung, die sich an einem Konsortium beteiligt, welches
ein umfangreiches Werk (Staudamm) während mehrerer Jahre erstellt und zu
diesem Zweck über feste Betriebseinrichtungen, eine eigene Geschäftsleitung
und eine separate Buchhaltung verfügt, hat am Orte der Werkausführung
eine Betriebsstätte, die im betreffenden Kanton die Steuerpflicht der
Unternehmung entstehen lässt. Dazu ist nicht erforderlich, dass die festen
Einrichtungen des Konsortiums der Erstellung mehrerer Werke unbestimmter
Anzahl dienen.

Sachverhalt

    A.- Die L. AG hat ihren statutarischen Sitz in Zürich und eine
Zweigniederlassung im Kanton Tessin. Seit Ende der sechziger bis Mitte der
siebziger Jahre war sie zu 7,5% am Konsortium für den Bau des Staudammes
Emosson (Wallis) beteiligt.

    Bereits am 4. Oktober 1967 teilte die Steuerverwaltung des Kantons
Wallis der L. AG mit, ihre Beteiligung am Konsortium Emosson sei als
Betriebsstätte anzusehen, weshalb ihr ab 1968 ein Steuererklärungsformular
zugestellt werde.

    In der Schlussabrechnung des Baukonsortiums wurde der L. AG im Jahr
1977 ein Gewinn von Fr. ... aus ihrer mehrjährigen Beteiligung am Bauwerk
zugewiesen, welcher rund 95% ihres gesamten Unternehmensgewinns des Jahres
1977 ausmachte.

    Am 11. April 1980 veranlagte das Steueramt der Stadt Zürich die L. AG
für das Jahr 1978. Die Steuerausscheidung entsprach einem von der L. AG
selber vorgelegten Ausscheidungsvorschlag und sah nebst einem Praecipuum
von 10% für den Sitzkanton Zürich eine Aufteilung des verbleibenden Gewinns
unter den Kantonen Zürich (0,791%), Tessin (97,702%), Schwyz (0,0239%)
und Uri (1,286%) vor, also keine Zuteilung an den Kanton Wallis. Die
Kantone Tessin, Schwyz und Uri besteuerten die L. AG entsprechend der
vom Kanton Zürich vorgenommenen Steuerausscheidung.

    Da der Kanton Wallis davon ausging, dass die L. AG während ihrer
Beteiligung am Baukonsortium im Kanton Wallis eine Betriebsstätte gehabt
hatte und somit für den aus dieser Beteiligung erzielten, im Jahr 1977
gutgeschriebenen Gewinn im Kanton Wallis steuerpflichtig sei, besteuerte
er die L. AG für einen Anteil von 91,315% des Gesamtunternehmensgewinns
des Jahres 1977. Eine gegen diese Veranlagung erhobene Einsprache wies
die Steuerverwaltung des Kantons Wallis am 5. Januar 1982 ab.

    Gegen diesen Einspracheentscheid erhob die L. AG mit Schreiben vom
29. Januar 1982 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 46
Abs. 2 BV. Sie stellt folgende Anträge:

    "1. Es sei festzustellen, dass in der Bemessung ihres im Kanton

    Wallis steuerbaren Gewinnes von Fr. ... eine unzulässige

    Doppelbesteuerung vorliege.

    2. Es sei die Beteiligung der Beschwerdeführerin am Konsortium

    Emosson wie eine Betriebsstätte der Beschwerdeführerin zu behandeln und
   daher der Anteil der Beschwerdeführerin am Gewinn des

    Gemeinschaftsunternehmens als Bestandteil des Gesamtgewinnes der

    Beschwerdeführerin zu besteuern.

    3. Es seien die Kantone Zürich, Tessin, Uri und Schwyz zur

    Neuveranlagung auf Grund des neuen, den Kanton Wallis einbeziehenden

    Verteilungsschlüssels aufzufordern.

    4. ..."

    In ihrer Vernehmlassung vom 31. März 1982 beantragt die
Steuerverwaltung des Kantons Wallis Abweisung der Beschwerde, soweit
sie sich gegen ihren Einspracheentscheid richtet. Sodann beantragt
sie, die interkantonale Steuerausscheidung des Kantons Zürich vom 11.
April 1980 sei aufzuheben und auf der Grundlage der direkten Methode eine
neue Steuerausscheidung vorzunehmen.

    Bezüglich der gerügten Doppelbesteuerung beantragt der Kanton Zürich
Abweisung der Beschwerde. Der Kanton Tessin beantragt dagegen, die
Beschwerde sei gutzuheissen und die Veranlagung der Beschwerdeführerin
dahingehend zu ändern, dass eine Doppelbesteuerung vermieden werde,
wobei der Kanton Wallis auch berücksichtigt werden müsse. Die Kantone
Uri und Schwyz haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt die Veranlagungen
aller beteiligten Kantone auf. Es stellt fest, dass die L. AG im Kanton
Wallis ein sekundäres Steuerdomizil hat, und fordert die beteiligten
Kantone zur Neuveranlagung im Sinne der Erwägungen auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin anerkennt mit ihren Rechtsbegehren den
Besteuerungsanspruch des Kantons Wallis. Sie verlangt aber im wesentlichen,
sie sei in den beteiligten Kantonen Wallis, Zürich, Tessin, Uri und Schwyz
nach einem neuen Verteilungsschlüssel zu besteuern. Es stellt sich damit
die Frage, ob für das Jahr 1977 im Kanton Wallis eine Betriebsstätte,
also ein sekundäres Steuerdomizil der Beschwerdeführerin, zu anerkennen
sei. Diese Frage ist nicht schon darum zu verneinen, weil im Jahr 1977 die
Anlagen und Einrichtungen des Konsortiums, an dem die Beschwerdeführerin
beteiligt war, nicht mehr im Betrieb waren. Die Tatsache, dass der Gewinn
aus der Beteiligung der Beschwerdeführerin erst im Jahr 1977 zugewiesen
wurde, ist ausschliesslich darauf zurückzuführen, dass das Konsortium erst
zu diesem Zeitpunkt abrechnete. Der Gewinn ist aber Resultat der früheren
Geschäftstätigkeit des Konsortiums im Kanton Wallis. Sollte das Konsortium
sich dort für seine Geschäftstätigkeit ständiger Anlagen und Einrichtungen
bedient haben, so muss für die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres
Gewinns aus der Beteiligung am Konsortium, einer einfachen Gesellschaft,
ein sekundäres Steuerdomizil im Kanton Wallis anerkannt werden: Die
Erträge einer einfachen Gesellschaft dürfen nach feststehender Praxis
bei den einzelnen Gesellschaftern grundsätzlich am Orte besteuert werden,
wo die Gesellschaft ständige Anlagen und Einrichtungen besitzt, die der
Geschäftstätigkeit dienen (BGE 66 I 154 ff.; 48 I 408 ff. E. 2; Urteil
vom 13. Juni 1967 in ASA 37 S. 234/5 E. 3).

Erwägung 3

    3.- Zur Begründung einer Betriebsstätte bedarf es nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung keiner eigentlichen
Geschäftsniederlassung (Filiale oder Zweigniederlassung) im
handelsrechtlichen Sinn; es genügt, dass das Unternehmen an einem Ort
ständige körperliche Anlagen oder Einrichtungen besitzt, mittels derer
sich ein qualitativ und quantitativ wesentlicher Teil des technischen
und kommerziellen Betriebs vollzieht (BGE 95 I 435 E. 3 mit Hinweisen;
LOCHER, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, in: Die Praxis
der Bundessteuern, III. Teil, § 8, I B, 2 Nr. 3; HÖHN, Interkantonales
Steuerrecht, § 10 I (1)).

    An die ständigen Anlagen und Einrichtungen eines Konsortiums von
Bauunternehmungen, die seiner Geschäftstätigkeit dienen, sind jedenfalls
nicht strengere Anforderungen zu stellen. Nicht umstritten ist, dass die
Anlagen und Einrichtungen des Konsortiums im Kanton körperlicher Natur
waren. Es liegt auch auf der Hand, dass die dort abgewickelten Tätigkeiten
qualitativ und quantitativ wesentlich und insbesondere auch für die
Beschwerdeführerin nicht bloss untergeordnet oder nebensächlich waren. Es
stellt sich aber die Frage, ob das Konsortium über ständige Anlagen und
Einrichtungen verfügte. Nur wenn auch diese Bedingung erfüllt ist, kann
die Steuerpflicht der Beschwerdeführerin im Kanton Wallis begründet werden.

Erwägung 4

    4.- a) Das Bundesgericht anerkennt in konstanter Rechtsprechung
der Bautätigkeit dienende Anlagen (bspw. Baubüros, Aufbereitungsanlagen
für Strassenbelag) als ständige körperliche Einrichtungen und damit als
Betriebsstätten, wenn sie der Ausführung mehrerer Werkverträge dienen und
auf (unbestimmte) Dauer angelegt sind (LOCHER, aaO, § 8, I D, 2 Nr. 9;
BGE 95 I 435 ff. E. 3; 62 I 139 E. 2; Urteil vom 13. Juni 1967 in ASA
37 S. 234 E. 3). Nicht als Betriebsstätte anerkannt wurden bisher jedoch
regelmässig Baustellen und Baubüros, wenn sie zur Ausführung bloss eines
einzelnen Bauwerks errichtet wurden (LOCHER, aaO, § 8, I D, 2 Nrn. 5,
7, 8, 10, 11, 13), selbst wenn das einzelne Bauwerk eine Bauzeit von
mehreren Jahren erforderte (BGE 41 I 441/2, bestätigt in BGE 67 I 95/6;
vgl. zudem LOCHER, aaO, § 8, I D, 2 Nr. 11).

    In der kantonalen Praxis wird diesem Grundsatz allerdings nicht
durchwegs nachgelebt (HÖHN, aaO, S. 152, FN 38). Das Bundesgericht hat in
zwei in den Jahren 1968 und 1969 entschiedenen Fällen unter Hinweis auf die
Kritik verschiedener Autoren denn auch die Möglichkeit einer Praxisänderung
nicht ausgeschlossen (BGE 94 I 332 E. 3e; 95 I 437 E. 3). Es musste damals
dazu allerdings nicht weiter Stellung nehmen, da die Steuerhoheit der
betroffenen Kantone sich schon aus anderen Gründen ergab.

    b) Gegen die Anerkennung einer Baustelle, die zur Erstellung eines
einzigen - wenn auch umfangreichen - Werks dient, als ständige Anlage
oder Einrichtung im Sinne des doppelbesteuerungsrechtlichen Begriffs der
Betriebsstätte wurde immer eingewendet, dies würde zu einer Zersplitterung
der Steuerpflicht führen (LOCHER, aaO, § 8, I D, 2 Nrn. 5 und 11; BGE 94 I
332 E. 3e). Es wurde aber durchaus eingeräumt, dass Billigkeitserwägungen
gerade bei der Errichtung grösserer Werke an sich für eine Berücksichtigung
des Kantons sprächen, in dem das Werk erstellt wird (LOCHER, aaO).

    In der Tat sind es namentlich die Bergkantone, wo besonders
bedeutende Bauprojekte realisiert werden, deren Ausführung längere
Zeit beansprucht. Die mit dem Bau beauftragten spezialisierten
Unternehmungen, die häufig aus anderen Kantonen beigezogen werden müssen,
erzielen bei der Ausführung solcher Werke bedeutende Gewinne, die der
Besteuerung durch den Kanton, auf dessen Gebiet das Werk ausgeführt
wird, entzogen sind (JEAN-MARC RIVIER, L'imposition des entreprises
internationales, thèse Lausanne 1964, S. 68). Viele Kantone sind
schon seit langem dazu übergegangen, in die Konzessionserteilungen
etwa an Elektrizitätsgesellschaften die Auflage aufzunehmen, dass alle
Bauarbeiten an im Kanton ansässige Unternehmungen zu vergeben sind, bzw. an
solche Unternehmungen, die im Kanton eine die Steuerpflicht begründende
Zweigniederlassung errichten (RIVIER, aaO; Bericht des Eidg. Finanz- und
Zolldepartements zum Vorentwurf vom 5. April 1961 zu einem Bundesgesetz
über das Verbot der Doppelbesteuerung, S. 8 oben). Wie gesehen handhaben
die Kantone sodann teilweise die Betriebsstätte-Praxis weniger restriktiv,
als sie nach den - durchwegs älteren - Entscheiden des Bundesgerichts galt
(vgl. vorne E. 4a).

    Schon der Vorentwurf zum Ausführungsgesetz zu Art. 46 Abs. 2 BV
vom 5. April 1961 sah in Art. 8 lit. e vor, dass eine Bauausführung
oder Montage, deren Dauer zwölf Monate übersteigt, die Annahme
einer Betriebsstätte rechtfertige. Diese Bestimmung trug der Kritik
verschiedener Bergkantone Rechnung, die diese im Rahmen einer Umfrage
des Eidg. Finanz- und Zolldepartements im Hinblick auf das geplante
Ausführungsgesetz zu Art. 46 Abs. 2 BV äusserten (Bericht des EFZD zum
Vorentwurf, S. 7 und 8).

    Bei dieser Ausgangslage kann heute nicht mehr die These vertreten
werden, den berechtigten Interessen von Kantonen mit grossen Baustellen
ginge in jedem Fall ein gewichtigeres Interesse daran vor, die
Zersplitterung der Steuerpflicht zu verhindern. In dieser Hinsicht bedarf
die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung, wie bereits in früheren
Urteilen angedeutet (BGE 94 I 332 E. 3e; 95 I 437 E. 3), einer Änderung.

    c) Das Erfordernis der "Beständigkeit" der Baustellen-Einrichtungen
kann nicht mehr in dem Sinn rein zeitlich verstanden werden, dass nur
Einrichtungen als Betriebsstätten anerkannt werden, die auf unbestimmt
lange Dauer angelegt sind. Zwar spielt das zeitliche Element insofern
eine Rolle, als während bloss kürzerer Zeit bestehenden Baustellen
regelmässig von vornherein schon wirtschaftlich keine derart grosse
Bedeutung zukommt, dass sich eine Steueraufteilung rechtfertigte. Gegen
eine so weitgehende Aufsplitterung der Steuerpflicht sprechen tatsächlich
Gründe der Praktikabilität. Aufwendige Grossprojekte (Grossüberbauungen,
Staudämme etc.), bei denen eine längere Bauzeit von mehr als bloss einigen
wenigen Jahren schon technisch durch Art und Umfang des zu erstellenden
Werks bedingt ist, können jedoch jenen zeitlich enger befristeten
Baustellen nicht gleichgestellt werden. Es rechtfertigt sich bei solchen
Grossbaustellen heute nicht mehr, den Baustellen-Kanton steuerlich leer
ausgehen zu lassen.

    Kriterien für die "Beständigkeit" von Einrichtungen auf Baustellen
sind somit nicht so sehr absolute zeitliche Limiten, als vielmehr die
wirtschaftliche Bedeutung des Bauwerks und die Art und Organisation der
Einrichtungen am Ort. Handelt es sich dabei nicht bloss um die üblichen
mobilen Anlagen, die eine leistungsfähige Bauunternehmung vorübergehend
auf ihren Baustellen einzusetzen pflegt (wie z.B. Kräne und Kranbahnen,
Zementsilos, Garderobe-, Material- und Baubürobaracken u.ä.), sondern um
mehrere Jahre bestehende und womöglich für die Unternehmung errichtete
Zufahrtsstrassen, Seilbahnen, Aufbereitungsanlagen, Kantinen, Werkspitäler,
Maschinenparks, Reparaturwerkstätten und Bauleitungsbüros, die eine
Zusammenarbeit mehrerer Bauunternehmungen nahelegen, so rechtfertigt
es sich, von "ständigen" und nicht bloss provisorischen Anlagen und
Einrichtungen und somit von einer die Steuerpflicht im Kanton begründenden
Betriebsstätte der beteiligten Bauunternehmungen zu sprechen.

    d) Der Staudamm in Emosson wurde in rund 10jähriger Arbeit durch ein
Konsortium, eine von verschiedenen Bauunternehmungen gebildete einfache
Gesellschaft, erstellt. Das Konsortium zog eine selbständige Organisation
ausschliesslich zum Zweck der Erstellung eines Bauwerks auf. Es hatte
eine Geschäftsleitung und führte für die Baustelle separat Buch. Faktisch
handelte es sich daher beim Konsortium um ein eigentliches Unternehmen mit
festen eigenen Betriebseinrichtungen, das während Jahren ein Grossprojekt
verwirklichte. Es konnte zwar als einfache Gesellschaft nicht Steuersubjekt
sein, jedoch begründete es in der beschriebenen Ausgestaltung und nach
dem Umfang des Bauwerks eine Betriebsstätte der beteiligten einzelnen
Unternehmungen. Damit ist die Beschwerdeführerin für das Jahr 1977 kraft
ihrer Beteiligung am Konsortium grundsätzlich anteilsmässig im Kanton
Wallis steuerpflichtig.