Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 IA 1



110 Ia 1

1. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. März 1984
i.S. Dr. X gegen Staat Zürich, Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Steuerrechtliche Behandlung von börsenmässigen Komptant- und
Termindifferenzgeschäften im Kanton Zürich.

    1. Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht
nur rechtsgenügend erhobene Rügen; Anforderungen an die Substantiierung
von Verfassungsrügen (E. 2a).

    2. Die unterschiedliche steuerliche Behandlung von börsenmässigen
Komptant- und Termindifferenzgeschäften (Gewinne aus ersteren als
steuerfreie Kapitalgewinne und Gewinne aus den letzteren als steuerbares
Einkommen einzustufen) ist rechtsungleich und verletzt damit Art. 4 BV
(E. 4). Wie beim gewerbsmässigen Liegenschaftenhandel können börsenmässige
Kapitalgewinne unter Umständen auch dann der Einkommenssteuer unterworfen
werden, wenn das anwendbare Steuerrecht keine Kapitalgewinnsteuer kennt
(E. 5).

Sachverhalt

    A.- Im Kanton Zürich wurde 1970 die Steuerpflicht für realisierte
Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen durch Aufhebung von § 23
des zürcherischen Gesetzes über die direkten Steuern vom 8. Juli 1951
(StG; GS 631.1) abgeschafft. Seither werden Gewinne auf börsenmässigen
Komptantgeschäften nicht mehr mit der Einkommenssteuer erfasst.

    Rechtsanwalt Dr. X wurde am 20. September/2. Oktober 1978 für das
Steuerjahr 1974 mit einem Reineinkommen von Fr. 435'300.-, 1975 mit einem
solchen von Fr. 573'800.- und 1976 mit Fr. 515'000.- eingeschätzt. Dabei
waren abweichend von den Steuererklärungen von Dr. X Einkünfte aus
börsenmässigen Termindifferenzgeschäften, die der Steuerpflichtige
und seine Ehefrau in den Bemessungsjahren 1973-1975 über die Compagnie
Luxembourgeoise de la Dresdner Bank AG, Luxemburg, hatten abwickeln lassen,
gemäss der Praxis des Zürcher Verwaltungsgerichts als steuerbares Einkommen
erfasst sowie Prämien für eine Lebensversicherung als nicht geschäftsmässig
begründete Aufwendungen zum Erwerbseinkommen hinzugerechnet worden. Die
Steuerkommission Zürich hat diese Einschätzung am 13. Juni 1979 bestätigt.

    Die Steuer-Rekurskommission I des Kantons Zürich modifizierte
diese Einschätzung am 5. Februar 1980 wie folgt: Reineinkommen
1974 Fr. 571'400.-, 1975 Fr. 490'000.- und 1976 Fr. 509'000.-. Die
Rekurskommission bestätigte die vorgenommene Einkommensbesteuerung der
Termindifferenzgeschäfte und die Aufrechnung der Versicherungsprämien. Die
Abweichungen gegenüber der ursprünglichen Einschätzung ergaben
sich aufgrund der nunmehr vollständig eingereichten Unterlagen des
Dr. X. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat diese Einschätzung
am 13. November 1981 bestätigt.

    Mit fristgemässer staatsrechtlicher Beschwerde beantragt Dr. X dem
Bundesgericht:

    "Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 13.

    November 1981 sei aufzuheben, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen
   zulasten des Beschwerdegegners."

    Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 4 BV. Auf seine
einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen
eingegangen.

    Das Verwaltungsgericht sowie die Finanzdirektion des Kantons Zürich
beantragen die Abweisung der Beschwerde, sofern darauf einzutreten sei.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den letztinstanzlichen
Entscheid über die Festsetzung der Veranlagungsfaktoren für die kantonalen
Steuern ist, wenn die Steuerrechnung noch nicht vorliegt, verfrüht. Eine
solche Beschwerde wird jedoch nach der neusten Praxis des Bundesgerichts
nicht durch Nichteintreten erledigt, sondern ihre Behandlung wird
ausgesetzt, bis die Steuerrechnung vorliegt (BGE 108 Ia 286 ff.). Im
vorliegenden Fall sind indessen die Steuerrechnungen der Jahre 1974-1976
dem Steuerpflichtigen bereits zugestellt worden, wobei diese Rechnungen
als solche nicht angefochten worden sind. Die Beschwerde ist daher an
Hand zu nehmen.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Eingabe die wesentlichen
Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, "welche
verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind". Im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur
klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Der
Beschwerdeführer hat zu erklären, welches geschriebene oder ungeschriebene
verfassungsmässige Individualrecht seiner Ansicht nach verletzt worden
sein soll. Wirft der Beschwerdeführer der kantonalen Behörde z.B. vor,
sie habe mit der vorgenommenen Anwendung des kantonalen Rechts Art. 4
BV verletzt, so genügt es noch nicht, wenn er einfach behauptet, der
angefochtene Entscheid sei willkürlich; bei der Rechtsanwendungsrüge hat
der Beschwerdeführer vielmehr die Rechtsnorm, die qualifiziert unrichtig
angewandt bzw. nicht angewandt worden sein soll, zu bezeichnen und
anhand der angefochtenen Subsumtion im einzelnen zu zeigen, inwiefern der
Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation
in klarem und offensichtlichem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 107 Ia 114 mit zahlreichen
Hinweisen). Der Grundsatz der richterlichen Rechtsanwendung (iura
novit curia) findet somit im Bereiche der Verfassungsbeschwerde keine
Anwendung: Der Richter beschränkt sich ausschliesslich auf die Prüfung
der rechtsgenügend vorgebrachten Rügen.

    b) Ungenügend substantiiert ist die Beschwerde zunächst
hinsichtlich der nicht zum Abzug zugelassenen Versicherungsprämien. Der
Beschwerdeführer, der diesbezüglich willkürliche Gesetzesanwendung zu
behaupten scheint, unterlässt es sogar, die Bestimmung des Steuergesetzes
zu nennen, die seiner Ansicht nach willkürlich angewendet bzw. willkürlich
nicht angewendet worden sein soll. Auf die Rüge ist somit nicht
einzutreten.

    Im übrigen ist entgegen der Ansicht von Verwaltungsgericht und
Finanzdirektion auf die Sache einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Unbegründet ist die Rüge der willkürlichen Verletzung
von § 71 StG. Es ist hiefür auf die zutreffenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts zu verweisen, denen nichts Wesentliches beizufügen ist.

Erwägung 4

    4.- Das Verwaltungsgericht ist der Ansicht, Gewinne aus
Termindifferenzgeschäften wie sie der Beschwerdeführer auf Devisen-,
Wertschriften- und Edelmetalltransaktionen erzielt habe, seien generell
der Einkommenssteuer nach § 19 StG zu unterwerfen.

    a) Zunächst ist festzuhalten, dass aus dem Bundesgerichtsentscheid
vom 10. März 1983 (publiziert in ASA 1984, S. 511 f.), den das
Verwaltungsgericht zitiert und der auch die steuerrechtliche Beurteilung
von Termindifferenzgeschäften zum Gegenstand hatte, nichts Wesentliches
für den vorliegenden Fall abgeleitet werden kann: Die Praxis des
Verwaltungsgerichts konnte wegen der im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG mangelhaften Eingabe des damaligen Beschwerdeführers nur in einem sehr
beschränkten Sinne überprüft werden.

    b) Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Gesetzesanwendung durch
das Verwaltungsgericht, weil es die von ihm erzielten Gewinne steuerlich
anders behandle als entsprechende Gewinne aus Komptantgeschäften. Das
Verwaltungsgericht erklärt, die steuerlich unterschiedliche Behandlung
(Gewinne aus Komptantgeschäften als steuerfreie Kapitalgewinne und Gewinne
aus Termindifferenzgeschäften als steuerbares Einkommen einzustufen)
rechtfertige sich deshalb, weil beim Termindifferenzgeschäft kein Kapital
investiert, sondern lediglich eine Kaufpreisschuld begründet werde, die
vor Fälligkeit mit dem Verkaufserlös verrechnet werde: Solche Gewinne
könnten nicht als Kapitalgewinne qualifiziert werden, da anders als
beim Komptantgeschäft gar keine Kapitalanlage erfolge; nur auf einer
Kapitalanlage sei aber, so argumentiert das Verwaltungsgericht sinngemäss,
ein Kapitalgewinn begrifflich möglich.

    Mit dieser Unterscheidung verstösst das Verwaltungsgericht indessen
gegen Art. 4 BV, lassen sich doch für diese keine sachlich haltbaren
Gründe finden. Mit beiden Geschäftsarten erstrebt der Anleger den
gleichen wirtschaftlichen Erfolg, nämlich durch das Ausnützen von
Kursschwankungen einen Gewinn zu erzielen. Auch das Argument, beim
Termindifferenzgeschäft werde anders als beim Komptantgeschäft keine
Kapitalanlage getätigt, überzeugt nicht: Zwar begnügen sich die Banken
beim Termindifferenzgeschäft mit der Bereitstellung eines Deckungskapitals,
welches der Abdeckung allfälliger Verluste dient, doch braucht es auch beim
Komptantgeschäft nicht stets eine tatsächliche Investition eigener Mittel;
das Komptantgeschäft kann auch mit Krediten durchgeführt werden. Die
unterschiedliche Besteuerung von Komptant- und Termindifferenzgeschäften
ist rechtsungleich und verletzt damit Art. 4 BV.

    c) Das Verwaltungsgericht glaubt ferner, Termindifferenzgeschäfte
stünden dem Spiel und der Wette sachlich nahe, was, wie bei
Lotteriegewinnen, die steuerliche Erfassung als Einkommen gemäss §
19 StG rechtfertige. Der Beschwerdeführer qualifiziert auch diese
Gesetzesauslegung zu Recht als willkürlich.

    Beim Termindifferenzgeschäft riskiert der Anleger substanzielle
Vermögensverluste, wogegen der Teilnehmer an einer Lotterie ausser dem
Verlust seines Einsatzes nur gewinnen kann. Termindifferenzgeschäfte
können aber auch nicht dem Spiel und der Wette gleichgesetzt werden, weil
sie angeblich "nicht auf gesicherter Würdigung des Marktes, sondern auf
spekulativen Zukunftserwartungen" beruhen (RB 1978 Nr. 29): So gut wie
beim Termingeschäft, kann auch der im Komptantgeschäft erzielte Gewinn
auf einer "spekulativen Zukunftserwartung" beruhen. Die Bestimmung der
Natur eines Gewinnes aufgrund der (vermuteten) Absichten des Veräusserers
ist sodann ohnehin nicht sachgerecht und läuft auf eine unerwünschte
Gesinnungsschnüffelei der Steuerbehörden hinaus (vgl. dazu THOMAS CHRISTEN,
Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen im basellandschaftlichen
und baselstädtischen Steuerrecht, Diss. Basel 1983, S. 14).

    Damit lässt sich die ungleiche steuerliche Behandlung von
Termindifferenz- und Komptantgeschäften auch nicht aufgrund eines
Vergleiches mit Spiel und Wette von Art. 4 BV halten.

    d) Der angefochtene Entscheid ist daher im Hinblick auf die Besteuerung
der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Termindifferenzgeschäfte aufzuheben
und zur Neubeurteilung dieser Frage an das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich zurückzuweisen.

Erwägung 5

    5.- Die Aufhebung des angefochtenen Entscheids hinsichtlich der
Besteuerung der strittigen Börsengeschäfte bedeutet nun aber noch nicht,
dass die dabei erzielten Gewinne nach Ansicht des Bundesgerichts steuerfrei
bleiben müssen. Das Verwaltungsgericht wird bei der Neubeurteilung der
Sache zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer mit seinen Börsengeschäften
nicht über die blosse Verwaltung seines Privatvermögens hinausgegangen und
damit einem eigentlichen Nebenerwerb nachgegangen ist. Die Erträgnisse
aus dieser Erwerbstätigkeit könnten danach (z.B. nach § 19 lit. b StG)
mit der Einkommenssteuer erfasst werden, wobei der Umstand, dass der
Beschwerdeführer die Geschäfte nicht selbst abwickelte, sondern über eine
beauftragte Bank tätigen liess, bei der rechtlichen Beurteilung keine
entscheidende Rolle spielen dürfte. Mit dieser rechtlichen Konzeption
liesse sich eine gleichartige steuerliche Behandlung von Komptant- und
Termindifferenzgeschäften verwirklichen. Im übrigen ist hier anzufügen,
dass auch Gewinne aus gewerbsmässigem Liegenschaftenhandel etwa im Bereiche
der direkten Bundessteuer der Einkommenssteuer und nicht nur den kantonalen
bzw. kommunalen Grundsteuern unterliegen; nach der bundesgerichtlichen
Praxis ist dabei Gewerbsmässigkeit anzunehmen, wenn ein Steuerpflichtiger
über den Rahmen blosser Vermögensverwaltung oder die Ausnützung zufällig
sich bietender Gelegenheiten hinaus planmässig Liegenschaften kauft und
verkauft (vgl. dazu H. MASSHARDT, Wehrsteuerkommentar, Zürich 1980, S. 85).

Erwägung 6

    6.- Gemäss der bundesgerichtlichen Praxis steht dem nicht durch
einen Rechtsanwalt vertretenen Beschwerdeführer ungeachtet des Umstandes,
dass er selbst Rechtsanwalt ist, keine Parteientschädigung zu.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Soweit auf die Beschwerde eingetreten werden kann, wird sie im Sinne
der Erwägungen teilweise gutgeheissen.