Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 V 31



109 V 31

7. Auszug aus dem Urteil vom 14. Februar 1983 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen Bossard und Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern Regeste

    Art. 3 Abs. 4 lit. d ELG. Die vom Bezüger von Ergänzungsleistungen
geleisteten Krankenkassenbeiträge sind unbeschränkt und in der
tatsächlichen Höhe vom anrechenbaren Einkommen in Abzug zu bringen.
Gesetzmässigkeit von Rz. 233 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen
verneint, wonach die Krankenkassenprämien lediglich im Rahmen
einer Versicherung für Krankenpflege in der allgemeinen Abteilung
abzugsberechtigt sind (Erw. 2).

    Art. 3 Abs. 4 lit. e und Abs. 4bis ELG. Für den Abzug bzw. die
Vergütung der Krankheitskosten gilt ein Selbstbehalt von Fr. 200.-- auch
dann, wenn die Berechtigung auf Ergänzungsleistungen nur während eines
Teils des Kalenderjahres bestand. Gesetzmässigkeit von Rz. 259 ff. der
Wegleitung über die Ergänzungsleistungen bejaht (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Versicherte bezog seit Oktober 1979 eine Ergänzungsleistung. Im
August 1980 ersuchte sie um Erhöhung dieser Leistung und um
eine Nachvergütung für die im vierten Quartal 1979 entstandenen
Krankheitskosten. Die Ausgleichskasse entsprach dem Erhöhungsbegehren
teilweise, lehnte aber die Berücksichtigung von Krankheitskosten ab. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess die Beschwerde der Versicherten
teilweise gut und wies die Sache zur Neuberechnung der Ergänzungsleistung
an die Ausgleichskasse zurück. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV)
erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Umstritten ist zunächst, in welchem Umfang die von der
Beschwerdegegnerin im Jahre 1979 geleisteten Krankenkassenbeiträge vom
anrechenbaren Einkommen in Abzug zu bringen sind. Nach Auffassung der
Ausgleichskasse und des BSV sind die Krankenkassenprämien gestützt auf
Art. 3 Abs. 4 lit. d ELG lediglich im Rahmen einer Versicherung für
Krankenpflege in der allgemeinen Abteilung zu berücksichtigen, weil
es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen habe, jeglichen Abzug
für Krankenversicherungen - also auch für die halbprivate oder private
Abteilung - zuzulassen. Demgegenüber vertreten die Vorinstanz und die
Beschwerdegegnerin den Standpunkt, die Krankenkassenbeiträge seien ohne
jede Beschränkung in ihrer tatsächlichen Höhe abzugsberechtigt; hiefür
massgebend sei der Wortlaut des revidierten Art. 3 Abs. 4 lit. d ELG
sowie die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung.

    b) Art. 3 Abs. 4 lit. d ELG sieht den Abzug der Beiträge an die
Krankenversicherung vom anrechenbaren Einkommen vor, ohne diesen Abzug
auf einen bestimmten Höchstbetrag zu beschränken, wie dies bei den
Prämien für die Lebens-, Unfall- und Invaliditätsversicherung der
Fall ist. Die wörtliche Auslegung der genannten Vorschrift ergibt,
dass die Krankenkassenbeiträge ohne jede Beschränkung in ihrer
tatsächlichen Höhe zum Abzug zugelassen werden müssen. Da der Wortlaut
der Bestimmung eindeutig und unmissverständlich ist, bleibt er massgeblich
(vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Band I, S. 137
mit Hinweisen). Entgegen der Annahme des BSV ist die Argumentation aus
dem Sinn und Zweck des Gesetzes praxisgemäss nur angebracht, wenn durch
Auslegung ein unklarer Text geklärt werden muss, was hier jedoch nicht
zutrifft (BGE 107 V 215 Erw. 2b, ZAK 1982 S. 364 Erw. 2b mit Hinweisen).
Im übrigen geht aus der bundesrätlichen Botschaft zur Gesetzesnovelle
vom 9. Oktober 1970 hervor, dass die Beiträge an die Krankenversicherung
nunmehr "unbeschränkt zum Abzug zugelassen werden" sollen, was vom
nationalrätlichen Berichterstatter ausdrücklich bestätigt wurde (BBl 1970 I
151; Amtl. Bull. 1970 N 501). Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass
der historische Gesetzgeber die abzugsberechtigten Krankenkassenbeiträge
auf den Tarif der allgemeinen Abteilung beschränken wollte. Demnach
bestätigen auch die Gesetzesmaterialien, was sich bereits aus dem
Wortlaut des Gesetzes ergibt: dass nämlich die gesamten Prämien ohne
jede Beschränkung zu berücksichtigen sind. Rz. 233 der ab 1. Januar 1979
gültigen Wegleitung über die Ergänzungsleistungen sowie die Nachträge
1 und 2 (gültig ab 1. Januar 1980 bzw. ab 1. Januar 1982) stehen mit
dieser Regelung nicht in Einklang und sind daher nicht anwendbar. Hieran
vermögen die vom BSV unter Hinweis auf Art. 8 Abs. 1 ELKV erhobenen
Einwendungen schon deshalb nichts zu ändern, weil die nähere Regelung
des Abzugs bzw. der Vergütung von Krankheitskosten nach Art. 3 Abs. 4
lit. e ELG auf einer Delegation des Gesetz- und des Verordnungsgebers
in Art. 3 Abs. 4bis ELG und Art. 19 ELV beruht, während für die hier
streitigen Krankenversicherungsbeiträge gemäss Art. 3 Abs. 4 lit. d ELG
keine solche Kompetenzdelegation besteht.

Erwägung 3

    3.- a) Des weitern ist zu prüfen, ob der Beschwerdegegnerin aufgrund
von Art. 3 Abs. 4 lit. e in Verbindung mit Abs. 4bis ELG ein Anspruch auf
Nachvergütung der in den Monaten Oktober bis Dezember 1979 entstandenen
Krankheitskosten zusteht. Die Vorinstanz ging davon aus, dass der seit
Oktober 1979 ergänzungsleistungsberechtigten Beschwerdegegnerin für das
vierte Quartal des Jahres 1979 lediglich ein anteilmässiger Selbstbehalt
von Fr. 50.-- anzurechnen sei, woraus sich unter Berücksichtigung
eines Kostenbetrages von Fr. 117.25 eine Krankheitskostenvergütung von
Fr. 67.25 ergebe. Die Ausgleichskasse verweigerte demgegenüber eine
Vergütung der Krankheitskosten mit der Begründung, diese überstiegen
den nach Art. 3 Abs. 4bis ELG geltenden Selbstbehalt von Fr. 200.--
nicht, und berief sich hiefür auf die Verwaltungsweisungen (Wegleitung
über die Ergänzungsleistungen, gültig ab 1. Januar 1979, Rz. 259 ff.,
insbesondere Rz. 266).

    b) Dazu bemerkt das BSV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass
der Selbstbehalt von Fr. 200.-- für das ganze Kalenderjahr und unabhängig
davon gelte, wann die Ergänzungsleistungs-Berechtigung eintrete. Der
Ergänzungsleistungs-Bezüger habe nämlich die Möglichkeit, auch
Krankheitskosten, die vor Einreichung der Ergänzungsleistungs-Anmeldung
entstanden seien, geltend zu machen, sofern die entsprechenden Belege
innert zwölf Monaten seit Rechnungsstellung der Durchführungsstelle
eingereicht würden. Der Beschwerdegegnerin wären denn auch die
Rechnungen der Monate Januar bis September 1979 vergütet worden, wenn sie
rechtzeitig eingereicht worden wären, was jedoch nicht der Fall gewesen
sei. In sinngemässer Anwendung der Verwaltungsweisungen sei es daher
nicht zulässig, allein auf das letzte Vierteljahr abzustellen und den
Selbstbehalt pro rata temporis auf Fr. 50.-- festzusetzen.

    c) Der Auffassung des BSV ist beizupflichten. Zwar ist der Richter
an die Weisungen, welche die administrativen Aufsichtsbehörden den
verfügenden Durchführungsstellen erteilen, nicht gebunden. Indes
besteht für ihn kein Anlass, diese Weisungen bei der Beurteilung
des Einzelfalles zu übergehen, soweit sie gesetzmässig sind bzw. (in
Ermangelung gesetzlicher Vorschriften) mit den allgemeinen Grundsätzen
des Bundesrechts in Einklang stehen (BGE 99 V 39). Das trifft auf die
genannten Weisungen des BSV über die zeitlich massgebenden Krankheitskosten
zu, beruhen sie doch auf sachgemässer Abwägung der aus Gesetzmässigkeit
und Rechtsgleichheit sich ergebenden Erfordernisse einerseits sowie der
Notwendigkeit verwaltungsmässiger Praktikabilität anderseits.

    Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass die Ausgleichskasse bei
der Ermittlung der Krankheitskosten einen Selbstbehalt von Fr. 200.--
berücksichtigt und eine Vergütung der geltend gemachten Kosten verweigert
hat. An diesem Ergebnis vermögen die Ausführungen der Vorinstanz
deshalb nichts zu ändern, weil die hier streitige Frage des Eintritts
bzw. Erlöschens der Bezugsberechtigung im Verlaufe eines Kalenderjahres
weder im ELG noch in den dazugehörigen Verordnungen geregelt wurde.