Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 V 23



109 V 23

4. Auszug aus dem Urteil vom 2. März 1983 i.S. Jud gegen Ausgleichskasse
des Schweizerischen Baumeisterverbandes und Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 4 und 28 IVG.

    - Bedeutung der Invaliditätsschätzungen von SUVA und
Militärversicherung für die Invaliditätsbemessung in der
Invalidenversicherung (Erw. 2a, Bestätigung und Präzisierung der Praxis).

    - Eine unterschiedliche Beurteilung kann sich u.a. daraus ergeben,
dass die Renten der SUVA praxisgemäss abgestuft oder befristet
werden können, wogegen in der Invalidenversicherung eine antizipierte
Invaliditätsbemessung grundsätzlich nicht zulässig ist (Erw. 2b).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt ausgeführt hat,
stimmt der Invaliditätsbegriff in der Invalidenversicherung mit demjenigen
in der obligatorischen Unfallversicherung und in der Militärversicherung
grundsätzlich überein. In allen drei Bereichen bedeutet er die durch
einen versicherten Gesundheitsschaden verursachte durchschnittliche
Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem für den Versicherten
in Betracht fallenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. Folglich muss
die Invaliditätsschätzung, auch wenn sie für jeden Versicherungszweig
grundsätzlich selbständig vorzunehmen ist, in der Invalidenversicherung,
in der obligatorischen Unfallversicherung und in der Militärversicherung,
bezogen auf den gleichen Gesundheitsschaden, zum gleichen Ergebnis führen
(BGE 106 V 88 Erw. 2b). Nach den Verwaltungsweisungen (Rz. 288.1 der
Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit, gültig ab 1. Januar 1979)
dürfen die Invalidenversicherungs-Kommissionen demgemäss keinen höheren
(und folgerichtig auch keinen niedrigeren) Invaliditätsgrad annehmen
als die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) oder die
Militärversicherung, sofern nicht ein anderer Gesundheitsschaden zu
beurteilen ist.

    Die genannte Verwaltungsweisung beinhaltet indessen nicht
mehr als eine Koordinationsregel zuhanden der Durchführungsorgane
der Invalidenversicherung. Auch bei gleichem Gesundheitsschaden
ist der Entscheid der SUVA oder der Militärversicherung für die
Invalidenversicherung nicht verbindlich. Ungeachtet des übereinstimmenden
Invaliditätsbegriffes kann die unterschiedliche gesetzliche Regelung oder
Rechtspraxis zu einer abweichenden Invaliditätsbemessung führen. Dies
kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass die Renten der SUVA
nach geltendem Recht nur beschränkt (Art. 80 Abs. 2 KUVG), diejenigen
der Invalidenversicherung aber gemäss Art. 41 IVG grundsätzlich
jederzeit revidierbar sind (EVGE 1968 S. 190, BGE 106 V 89 oben). Eine
unterschiedliche Beurteilung kann sich auch dann rechtfertigen, wenn die
SUVA gemäss Gerichts- und Verwaltungspraxis die Rente bereits anlässlich
ihrer Festsetzung abstuft oder befristet (BGE 106 V 50), wogegen in der
Invalidenversicherung eine antizipierte Invaliditätsschätzung grundsätzlich
nicht zulässig ist (BGE 97 V 58). Schliesslich kann ein Entscheid der SUVA
oder der Militärversicherung dann für die Invalidenversicherung nicht
massgebend sein, wenn die Invaliditätsschätzung auf einem Rechtsfehler
oder einer nicht vertretbaren Ermessensausübung beruht. Für derartige
Fälle sehen die Verwaltungsweisungen zu Recht vor, dass das Bundesamt
für Sozialversicherung, welchem die Invalidenversicherungs-Kommission die
Sache zu unterbreiten hat, von der Invaliditätsschätzung durch SUVA oder
Militärversicherung abweichen kann.

    b) Mit der Verfügung vom 15. Januar 1980 hat die SUVA dem
Beschwerdeführer eine Rente aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 50%
ab 7. September 1979 und von 40% ab 1. Oktober 1980 zugesprochen. Sie
stützte sich dabei auf die erwähnte Praxis, wonach die Rente abgestuft
oder befristet werden kann, wenn bereits anlässlich der Rentenfestsetzung
vorauszusehen ist, dass sich die Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf
die Erwerbsfähigkeit zufolge Anpassung und Angewöhnung des Versicherten
an die Unfallfolgen in absehbarer Zeit vermindern oder ausgleichen
werden. Weil die SUVA im Zeitpunkt der Rentenherabsetzung keine
Neuüberprüfung des Anspruchs vorgenommen hat, ist der Invaliditätsgrad
von den Invalidenversicherungs-Organen im Rentenrevisionsverfahren
zu Recht unabhängig vom Entscheid der SUVA festgesetzt worden. Die
Invalidenversicherungs-Kommission hat die Sache allerdings entgegen
den Verwaltungsweisungen nicht dem Bundesamt für Sozialversicherung
unterbreitet; dies bleibt jedoch ohne Einfluss auf die Beurteilung der
vorliegenden Streitfrage.