Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 V 229



109 V 229

40. Urteil vom 3. November 1983 i.S. Scherrer gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Regeste

    Art. 1, 5, 45 Abs. 1 und 2 lit. g, 55 VwVG: Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung, die vom kantonalen Richter der Beschwerde gegen
eine Verfügung der SUVA entzogen worden ist.

    - Art. 55 VwVG ist auf das Verfahren der SUVA anwendbar. Die SUVA hat
daher allfälligen Beschwerden gegen ihre Verfügungen, die den Empfänger
nicht zu einer Geldleistung verpflichten, die aufschiebende Wirkung
ausdrücklich zu entziehen, wenn sich diese nicht entfalten soll.

    - Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Zwischenverfügung
einer letzten kantonalen Instanz, womit in Anwendung kantonalen Rechts
der Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde angeordnet wird, ist
zulässig, wenn sich die Zwischenverfügung richtigerweise auf Bundesrecht
hätte stützen müssen.

    - Nicht wieder gutzumachender Nachteil in casu verneint.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 24. Februar 1982 eröffnete die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihrem Versicherten Heinrich Scherrer,
die ihm seit April 1973 gewährte Rente werde mit Wirkung ab 1. Mai 1982
revisionsweise aufgehoben.

    B.- Heinrich Scherrer beschwerte sich gegen diese Verfügung und
stellte u.a. den Antrag, die SUVA sei anzuweisen, ihm die Rente während
der Prozessdauer unverändert auszurichten.

    Mit Zwischenentscheid vom 21. Februar 1983 wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern das Begehren um Ausrichtung der Rente während der
Dauer des Verfahrens gestützt auf § 131 des luzernischen Gesetzes über
die Verwaltungsrechtspflege vom 3. Juli 1972 (VRG/LU) ab.

    C.- Heinrich Scherrer lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei
die SUVA anzuweisen, ihm die Rente während des Beschwerdeverfahrens
unverändert auszurichten. Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die SUVA beantragt, auf die Beschwerde
sei nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidg.  Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen
Verfügungen im Sinne von Art. 97 und 98 lit. b-h OG auf dem
Gebiet der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffs der mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97 OG
auf Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen
der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes
stützen (und im übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher
umschriebene Voraussetzungen erfüllen). Dazu zählen nach der Rechtsprechung
auch Verfügungen, die sich richtigerweise auf öffentliches Recht des Bundes
hätten stützen müssen (BGE 107 Ib 397 mit Hinweisen). Verfügungen im Sinne
dieser Umschreibung können nach dem Wortlaut des zweiten Absatzes von
Art. 5 VwVG auch Zwischenverfügungen sein, insoweit sie den Anforderungen
des vorangehenden ersten Absatzes entsprechen. Zudem verweist Art. 5
Abs. 2 VwVG bezüglich der Zwischenverfügungen auf Art. 45 des gleichen
Gesetzes, laut dem nur solche Zwischenverfügungen anfechtbar sind, die
einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 45
Abs. 1 VwVG). Dieser grundsätzliche Vorbehalt gilt als Voraussetzung
für die Zulässigkeit eines selbständigen, der Endverfügung vorangehenden
Beschwerdeverfahrens, insbesondere für alle in Art. 45 Abs. 2 VwVG - nicht
abschliessend - aufgezählten Zwischenverfügungen. Für das letztinstanzliche
Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung
offensteht (BGE 105 V 267 Erw. 1, 104 V 176 Erw. 1, 98 V 220 f. mit
Hinweisen; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 140 ff.).

Erwägung 2

    2.- a) Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich
gegen den kantonalen Zwischenentscheid vom 21. Februar 1983, worin das
Begehren um unveränderte Ausrichtung der Rente während der Dauer des
Verfahrens abgewiesen wurde. Der vorinstanzliche Zwischenentscheid stützt
sich indessen formell nicht auf Bundesrecht, sondern ist in Anwendung
kantonalen Verfahrensrechts ergangen (§ 131 VRG/LU). Verfügungen,
die sich auf kantonales Recht stützen, unterliegen grundsätzlich der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht nicht
(vgl. Erw. 1 hievor). Hingegen fragt es sich, ob der angefochtene
Zwischenentscheid richtigerweise auf Bundesrecht beruhen müsste und die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde daher zulässig sei.

    Nach Art. 1 Abs. 1 VwVG findet dieses Gesetz Anwendung auf
das Verfahren in Verwaltungssachen, die durch Verfügungen von
Bundesverwaltungsbehörden in erster Instanz oder auf Beschwerde zu
erledigen sind. Als Behörden im Sinne dieser Bestimmung gelten u.a. die
autonomen eidgenössischen Anstalten oder Betriebe (Art. 1 Abs. 2 lit. c
VwVG). Die SUVA ist eine autonome eidgenössische Anstalt im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 lit. c VwVG. Auf ihr Verfahren ist daher grundsätzlich das
VwVG anwendbar.

    Gemäss Art. 55 Abs. 1 VwVG hat die Beschwerde aufschiebende
Wirkung. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift kann die Vorinstanz
einer allfälligen Beschwerde gegen eine Verfügung, die nicht eine
Geldleistung zum Gegenstand hat, die aufschiebende Wirkung entziehen;
dieselbe Befugnis steht der Beschwerdeinstanz oder, wenn es sich um
eine Kollegialbehörde handelt, ihrem Vorsitzenden nach Einreichung
der Beschwerde zu. Eine Geldleistung im Sinne dieser Bestimmung
haben Verfügungen nur dann zum Gegenstand, wenn sie den Empfänger der
Verfügung zu einer vermögensrechtlichen Leistung verpflichten (BGE 99
Ib 219 Erw. 4, RSKV 1981 Nr. 445 S. 78). Da im vorliegenden Fall die
Verfügung der SUVA vom 24. Februar 1982 den Beschwerdeführer nicht zu
einer Geldleistung verpflichtete, wäre ein Entzug der Suspensivwirkung
durch die Anstalt an sich zulässig gewesen. Davon hat sie jedoch keinen
Gebrauch gemacht. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen
Verfügungen der SUVA kann entgegen der Auffassung von Beschwerdegegnerin
und Vorinstanz nicht sinngemäss entzogen werden. Diese berufen sich zu
Unrecht auf das (unveröffentlichte) Urteil Bolt vom 7. Dezember 1976,
wo für Ausgleichskassen, welche dem VwVG nicht unterstehen, ein bloss
sinngemässer Entzug des Suspensiveffekts als zulässig bezeichnet wurde;
diese Rechtsprechung ist durch den am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen
Art. 97 Abs. 2 AHVG überholt. Der Entzug des Suspensiveffekts muss durch
die Anstalt ausdrücklich verfügt werden, wenn sich die aufschiebende
Wirkung nicht entfalten soll. Schliesslich vermag der Einwand der
SUVA nichts zu ändern, angesichts der sechsmonatigen Beschwerdefrist
könnte der Suspensiveffekt negative Konsequenzen zur Folge haben,
namentlich hinsichtlich der Pflicht zur allfälligen Weiterausrichtung
von aufgehobenen oder herabgesetzten Versicherungsleistungen. Diese
befürchteten Auswirkungen treten nicht ein, wenn einer Beschwerde die
aufschiebende Wirkung ausdrücklich entzogen wird.

    Der kantonale Zwischenentscheid vom 21. Februar 1983 hat demzufolge
nicht die Abweisung eines Wiederherstellungsbegehrens zum Gegenstand,
sondern beinhaltet einen Entzug der aufschiebenden Wirkung von Amtes
wegen. Da auf das Verfahren letzter kantonaler Instanzen, die gestützt auf
öffentliches Recht des Bundes nicht endgültig verfügen, Art. 55 Abs. 2 VwVG
über den Entzug der aufschiebenden Wirkung Anwendung findet (Art. 1 Abs. 3
VwVG), hätte sich der angefochtene Zwischenentscheid nicht auf kantonales,
sondern richtigerweise auf Bundesrecht stützen müssen. Weil ferner die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen die Endverfügung offensteht,
ist auf die Beschwerde gegen den vorinstanzlichen Zwischenentscheid
einzutreten, wenn er einen irreparablen Nachteil bewirken kann.

    b) Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil liegt nach der
Rechtsprechung vor, wenn die plötzliche Einstellung der Rentenzahlungen
den Versicherten aus dem finanziellen Gleichgewicht bringen und zu
kostspieligen oder sonstwie unzumutbaren Massnahmen zwingen könnte.

    Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Denn
der Beschwerdeführer erzielt nach eigenen Angaben gegenüber der
SUVA vom 11. Januar 1982 seit anfangs Januar 1982 ein jährliches
Erwerbseinkommen von Fr. 41'600.--. Hinzu kommt die Rente der SUVA, die
gemäss nachträglicher Eingabe des Beschwerdeführers vom 20. September
1983 im gleichen Zeitpunkt monatlich Fr. 1'045.-- (= Fr. 12'540.--
im Jahr) betrug. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden,
dass die Einstellung der Rentenzahlungen den Beschwerdeführer aus
dem finanziellen Gleichgewicht wirft. Somit bewirkt der Entzug der
aufschiebenden Wirkung keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten. An
diesem Ergebnis vermögen die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter
dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung erhobenen Einwendungen nichts
zu ändern.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.