Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IV 94



109 IV 94

26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Oktober 1983 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 111 StGB; Irrtum über den Kausalverlauf.

    Ein vollendetes Tötungsdelikt liegt auch dann vor, wenn der Täter
das Opfer mit Tötungsvorsatz angreift, dann an der vermeintlichen Leiche
weitere Handlungen ausführt (z.B. um sie zu beseitigen) und objektiv erst
dadurch den Tod verursacht. Unerheblich ist, ob diese weiteren Handlungen
auf einem von vornherein gefassten Plan beruhen, oder ob sich der Täter
erst nach der irrtümlich für wirksam gehaltenen Tötungshandlung dazu
entschliesst.

Sachverhalt

    A.- X. schlug am Abend des 19. April 1981 in seiner Wohnung in
Rheinfelden im Laufe eines Streites seine Ehefrau mit einem Beilhammer
nieder, indem er ihr zunächst zwei, während sie in die Knie zusammensank,
einen weitern und, als sie bewusstlos auf dem Boden lag, einen vierten
Schlag auf den Hinterkopf versetzte. Er schleppte dann die Frau, die er für
tot hielt, ins Badezimmer, trennte darauf mit Fleischmesser und Beilhammer
den Kopf ab und verpackte diesen in einen Plastiksack. Anschliessend
brachte er dem leblosen Körper Messerstiche bei und schnitt den Bauch auf,
so dass die Eingeweide herausquollen. Den derart verstümmelten Leichnam
liess er liegen und blieb noch bis zum 23. April 1981 in der ehelichen
Wohnung. Darauf reiste er nach Schweden, wo er bereits am 25. April 1981
verhaftet werden konnte.

    B.- Das Bezirksgericht Rheinfelden qualifizierte die Tötungshandlung
als Mord und verurteilte X. am 12. Juli 1982 wegen Mordes und Veruntreuung
(unter Annahme einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit) zu 18 Jahren
Zuchthaus.

    In teilweiser Gutheissung der Berufung des Verurteilten erklärte ihn
das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 28. April 1983 der
vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB sowie der Veruntreuung
schuldig und setzte die Strafe auf 15 Jahre Zuchthaus fest.

    C.- Gegen das Urteil des Obergerichts führt X.

    Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Begehren, Schuldspruch und Strafe
seien aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen

    "- zwecks Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Versuches
   der vorsätzlichen Tötung gemäss Art. 111 StGB in Verbindung mit Art.

    22 Abs. 1 StGB sowie wegen fahrlässiger Tötung im Sinne von Art.

    117 StGB in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 StGB

    - sowie zwecks erheblicher Reduktion der ausgefällten Zuchthausstrafe
   von 15 Jahren unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft."

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In tatsächlicher Hinsicht ist von folgenden für den Kassationshof
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz auszugehen:

    a) Der Beschwerdeführer versetzte seinem Opfer mit Tötungsvorsatz
vier Beilhammerhiebe auf den Hinterkopf. Diese Schläge hatten nach dem
ärztlichen Gutachten nicht den Tod zur Folge. Die Frau war aber bewusstlos
und wurde vom Beschwerdeführer - nach seinen nicht widerlegbaren Aussagen -
für tot gehalten.

    b) Eigentliche Todesursache war die Abtrennung des Kopfes. In dieser
Phase seiner Tat glaubte der Beschwerdeführer jedoch, die Frau sei bereits
tot, er zerschneide eine Leiche.

Erwägung 2

    2.- Gestützt auf diese Feststellungen über den Handlungsablauf wird
in der Nichtigkeitsbeschwerde die Auffassung vertreten, es seien bei der
rechtlichen Subsumtion zwei gesonderte Tötungshandlungen zu unterscheiden:
Die mit Tötungsvorsatz ausgeführten Beilhammerschläge hätten nicht zum
beabsichtigten Erfolg geführt, sie seien als vollendeter Tötungsversuch
zu erfassen (Art. 22 Abs. 1 StGB). Beim anschliessenden Zerschneiden des
für tot gehaltenen Körpers habe der Beschwerdeführer ohne Tötungsvorsatz
gehandelt, und die effektive Verursachung des Todes (durch die Abtrennung
des Kopfes) stelle daher eine fahrlässige Tötung dar (Art. 19 Abs. 2 StGB
in Verbindung mit Art. 117 StGB).

    Das Obergericht hat eine solche Aufteilung der Tatausführung nach den
vom Täter behaupteten Vorstellungen über den Kausalverlauf in Erwägung
gezogen, aber schliesslich eine getrennte rechtliche Beurteilung der
einzelnen Tatphasen abgelehnt und das von vornherein auf Tötung gerichtete
Vorgehen als Einheit unter Art. 111 StGB subsumiert.

Erwägung 3

    3.- Diese Beurteilung des gesamten Tatvorgangs ohne Berücksichtigung
der irrtümlichen Annahmen des Täters über einzelne Elemente des
Kausalverlaufs wird mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten.

    a) Die Begründung der Beschwerde stützt sich auf eine in der Doktrin
vertretene Lehrmeinung, wonach die Tötung, welche nicht durch die mit
Tötungsvorsatz begangene Handlung, sondern erst durch die nachfolgende
Beseitigung der "Leiche" herbeigeführt wird, nur dann als vollendete
Tötung zu bestrafen ist, wenn der Täter von Anfang an beide Phasen
plante (z.B. Würgen und nachher Ins-Wasser-Werfen; Erstechen und dann
Eingraben der Leiche); falls sich der Täter aber erst nach Beendigung
der ersten Phase (Tötung) zur Beseitigung des für tot gehaltenen
Körpers entschliesse und dann effektiv die Todesursache setze, so komme
nur Bestrafung wegen (vollendeten) Versuchs der Tötung allenfalls in
Verbindung mit nachfolgender fahrlässiger Tötung in Frage (STRATENWERTH,
Schweiz. Strafrecht, AT I, Bern 1982, S. 156/157; WALDER, ZStrR 96/1979,
S. 137/138).

    b) Die Vorinstanz beruft sich auf die weitergehende Auffassung,
dass in allen diesen Fällen ein vollendetes Tötungsdelikt vorliege, auch
wenn sich der Täter darüber irrte, welche seiner einzelnen Handlungen den
von ihm gewollten Tod des Opfers zur Folge hatte (JESCHECK, Lehrbuch des
Strafrechts, 3. Aufl., S. 252; DREHER-TRÖNDLE, Strafgesetzbuch, 40. Aufl.,
N. 7 zu § 16 dStGB; BGHStr 14, 193; vgl. auch BGHStr 7, 329 f.).

    c) Bei der rechtlichen Qualifikation solcher Fälle ist davon
auszugehen, dass der Täter den Tod des Opfers herbeiführen wollte
und durch seine Handlungen die Todesursachen gesetzt hat. Mit der
Verurteilung wegen eines vollendeten Tötungsdeliktes wird ihm also
nicht ein Erfolg zur Last gelegt, der nicht seinem Willen entsprochen
hätte. Der dargelegte Meinungsstreit in der Doktrin und die Argumentation
in der Nichtigkeitsbeschwerde beziehen sich darauf, ob die Abweichung
des wirklichen Kausalverlaufs von der Vorstellung des Täters über die
Folgen seiner einzelnen Handlungen für die strafrechtliche Subsumtion von
Bedeutung sein soll. Nach den Grundsätzen des Schuldstrafrechts kann ein
solcher Irrtum über den Kausalverlauf für die Beurteilung nur wesentlich
sein, wenn die irrige Vorstellung die Schwere der Tat und das Mass des
Verschuldens des Täters in einem andern Lichte erscheinen lässt. Unter
diesem Aspekt ist es aber belanglos, d.h. strafrechtlich irrelevant, ob
ein Täter den ersten Schuss oder den ersten Schlag bereits für tödlich
gehalten hat, während die nachträgliche medizinische Feststellung
zeigt, dass erst ein zweiter, gegen den irrtümlich schon für tot oder
tödlich verletzt gehaltenen Körper gerichteter Schuss oder Schlag die
eigentliche Todesursache bildete. Der Täter wollte die Tötung; dass er
sie nicht genau so herbeiführte, wie er sich das vorstellte, sondern erst
durch eine zusätzliche, nach seiner Meinung für den Tod nicht kausale
Handlung, ist für das Mass der Schuld ohne Bedeutung und dieser Irrtum
daher strafrechtlich unwesentlich. Dass die beiden in Frage stehenden
Handlungen des Täters - die vorsätzliche Tötungshandlung, die den Tod nicht
zur Folge hatte, und eine spätere Handlung mit Tötungswirkung - zeitlich
eventuell nicht so nahe aufeinanderfolgen, sondern wie im vorliegenden
Fall als deutlich getrennte Phasen eines Handlungsablaufs betrachtet
werden können, ändert an der strafrechtlichen Beurteilung nichts. Den
Täter, der töten will, und der die zweite, den Tod tatsächlich bewirkende
Handlung nur deswegen ohne Tötungsvorsatz ausführt, weil er glaubt, das
Opfer sei infolge seines ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs
bereits tot, trifft wegen dieses Irrtums über den Kausalverlauf nicht ein
geringeres Verschulden, er ist in gleichem Masse strafwürdig, wie wenn -
gemäss seiner Vorstellung - schon die erste Phase seines Vorgehens zum
gewollten Erfolg geführt hätte.

    d) Die oben erwähnte, in der Lehre vertretene Auffassung, eine
vollendete Tötung könne in solchen Fällen nur dann angenommen werden,
wenn die zweite, vermeintlich am Leichnam ausgeführte, aber in Wahrheit
tötungswirksame Handlung schon von vornherein (als Akt der Beseitigung
der Leiche) geplant gewesen sei (STRATENWERTH, WALDER, aaO), trifft eine
vom Schuldprinzip her nicht begründbare Unterscheidung. Ob ein Täter,
der die gewollte Tötung nicht, wie er glaubt, durch die ersten Handlungen
herbeigeführt hat, nun die effektiv den Tod verursachende Behandlung des
für tot gehaltenen Körpers (Vergraben, Zerschneiden, ins Wasser werfen)
gestützt auf einen von vornherein gefassten Plan ausführt, oder ob er
sich erst nach der irrtümlich für wirksam gehaltenen Tötungshandlung zu
dem den Tod verursachenden weitern Verhalten entschliesst, vermag keine
unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung zu begründen: In beiden
Fällen will der Täter von Anfang an den Tod des Opfers und er führt
in beiden Fällen diesen Tod nicht durch jene Handlungen herbei, die
er mit Tötungsvorsatz ausführt, sondern durch nachfolgende Handlungen,
die er als Tötungsdelinquent an der vermeintlichen Leiche begeht. Der
Irrtum über den Kausalverlauf ist in beiden Fällen unwesentlich: Ein
zur Tötung entschlossener Täter verursacht vorsätzlich oder zumindest
eventualvorsätzlich den Tod seines Opfers. Dass er im Moment, als er die -
gemäss nachträglicher Feststellung - objektiv zum Tode führende Ursache
setzte, der Meinung war, der gewollte deliktische Erfolg sei bereits
vorher eingetreten, vermag ihn in keiner Weise zu entlasten.

    e) In Fällen wie dem hier zu beurteilenden dürfte zudem eine andere
Argumentation in der Regel zum gleichen Ergebnis führen. Wollte man die
beiden Handlungsphasen bei der Subsumtion strikte trennen, dann wären
bezüglich der zweiten Phase folgende Überlegungen anzustellen: Wer einem
Opfer, das er töten will und mit Schlägen auf den Kopf reglos gemacht hat,
den Kopf abtrennt, ohne zu kontrollieren, ob das Opfer noch lebt oder
bereits tot ist, der nimmt zumindest im Sinne des dolus eventualis in
Kauf, dass er seine eindeutig todbringende Verstümmelung nicht an einem
Leichnam, sondern an einer noch lebenden Person ausführt. Nach seinem von
vornherein gefassten Vorsatz ist es für ihn im Grunde genommen auch ohne
Bedeutung, ob der Tod bereits eingetreten ist oder eventuell erst durch
die nachfolgende Verstümmelung verursacht wird.

    f) Der angefochtene Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tötung verletzt
daher kein Bundesrecht. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat
der Beschwerdeführer beim Angriff auf seine Frau mit Tötungsvorsatz
gehandelt. Dass er den Tod der Frau nicht schon mit den Beilhammerschlägen
verursachte, wie er angeblich glaubte, sondern erst mit dem Abtrennen des
Kopfes, ändert aus den dargelegten Gründen am Mass der Schuld und an der
rechtlichen Subsumtion nichts.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.