Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IV 84



109 IV 84

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. September
1983 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Fortgesetztes Delikt.

    Gesetzliche Grundlage der durch die Rechtsprechung entwickelten
Rechtsfigur. Praktische Auswirkungen.

Sachverhalt

    A.- S. hat als Filialdirektor der D. AG bei der Firma K.  unter
zahlreichen Malen Geschäftsguthaben direkt einkassiert und die so
erhaltenen Beträge nicht abgeliefert, sondern für sich verbraucht. So hat
er 1972 fünfmal, 1973 sechsmal, 1974 dreizehnmal, 1975 sechsmal, 1976
siebenmal, 1977 sechsmal, 1978 dreimal, 1979 fünfmal, 1980 siebenmal
und 1981 einmal Geldbeträge zwischen Fr. 2'000.-- und Fr. 42'000.--,
insgesamt Fr. 846'000.--, in die eigene Tasche gesteckt. Um sein Verhalten
zu vertuschen, unterliess es S., die erhaltenen Gelder als Einnahmen
verbuchen zu lassen.

    B.- Am 24. Mai 1983 verurteilte das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft S. in Bestätigung des Urteils des Strafgerichts Baselland
wegen fortgesetzter Veruntreuung und fortgesetzter Urkundenfälschung zu
zwei Jahren Gefängnis.

    C.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, die Figur
des fortgesetzten Delikts, die im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen
sei und eine blosse Konstruktion der Praxis darstelle, um das Verfahren
zu vereinfachen und Unbilligkeiten, die sich bei Anwendung des Art. 68
StGB ergeben könnten, zu vermeiden, wirke sich in seinem Fall erheblich
nachteilig aus und sei deshalb abzulehnen; Veruntreuungsdelikte
verjährten nämlich nach Ablauf von fünf Jahren, was bedeute, dass die
von ihm vor dem 6. April 1977 begangenen Veruntreuungen verjährt wären
und die strafrechtlich relevante Deliktssumme lediglich Fr. 276'000.--
betrüge, wenn man nicht von einem Kollektivdelikt ausgehe. Bei Bejahung
des Fortsetzungszusammenhangs dagegen beginne die Verjährung erst am
8. Dezember 1981 zu laufen mit der Folge, dass alle Veruntreuungen
bis ins Jahr 1972 zurück bei einem Deliktsbetrag von Fr. 846'000.--
strafrechtlich verfolgt werden könnten. Im übrigen finde das fortgesetzte
Delikt keine Grundlage im Gesetz und verstosse deshalb gegen den Grundsatz
"nulla poena sine lege".

    a) Mit dem letztgenannten Einwand verkennt der Beschwerdeführer, dass
sich in Art. 71 Abs. 3 StGB ein gesetzlicher Anhalt für die Rechtsfigur
des fortgesetzten Delikts findet. Nach dieser Bestimmung beginnt die
Verjährung, wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen
Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem er die letzte Handlung ausführt. Wie
sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, wurde unter jener Tätigkeit vom
Gesetzgeber eine Mehrheit von strafbaren Handlungen verstanden, die zu
einem einzigen Delikt zusammengefasst werden sollten (s. die Darlegung
der Entwicklungsgeschichte bei W. A. KNECHT, Das fortgesetzte Delikt
im schweizerischen Strafrecht, Diss. BE 1969, S. 1-13). Dass dieser
Gedanke im StGB begrifflich nicht genauer gefasst wurde, rechtfertigt
nicht den Schluss, er entbehre jeder gesetzlichen Grundlage. Das StGB
enthält zahlreiche Begriffe, die der eingehenderen Umschreibung durch
den Richter bedürfen, ohne dass dies als Mangel an einer gesetzlichen
Grundlage verstanden würde. Was unter dem Begriff der zu verschiedenen
Zeiten ausgeführten strafbaren Tätigkeit im Sinne des Art. 71 Abs. 3 StGB
zu verstehen sei, ist deshalb Auslegungsfrage. Ausgelegt werden kann aber
das Strafgesetz auch zu Lasten des Angeklagten, sofern dies dem Sinn und
Zweck der Norm entspricht (BGE 95 IV 73 E. 3a).

    b) Zuzugestehen ist dem Beschwerdeführer, dass die Rechtsfigur
des in einer langjährigen Praxis ausgeformten fortgesetzten
Delikts (statt vieler BGE 107 IV 81, 105 IV 13, 102 IV 77/78)
sich hinsichtlich der Verfolgungsverjährung für den Täter ungünstig
auswirken kann. Anderseits ist jedoch nicht zu übersehen, dass dieser
bei Annahme eines fortgesetzten Delikts nicht der Strafschärfung des
Art. 68 Ziff. 1 StGB unterliegt. Es kann deshalb nicht gesagt werden,
die Anwendung der genannten Rechtsfigur wirke sich im Ergebnis durchwegs
zum Nachteil des Angeklagten aus. Entsprechend hebt denn auch die im
Schrifttum gegen das fortgesetzte Delikt vorgetragene Kritik nicht
nur die nachteiligen Folgen im Rahmen der Verjährung hervor, sondern
ebensosehr jene als ungerechtfertigt empfundene Privilegierung des
Täters (SCHULTZ, Einführung in den Allg. Teil des Strafrechts, Bd. I,
4. Auflage, 1982, S. 131; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Allgemeiner
Teil I, 1982, S. 436 N. 19). Die Nichtunterstellung unter Art. 68 Ziff. 1
StGB ist jedoch in casu dem Beschwerdeführer zugute gekommen, so dass
keineswegs mit Sicherheit angenommen werden kann, der Sachrichter hätte den
Beschwerdeführer wegen der nach dem 6. April 1977 verübten Veruntreuungen,
die noch in bedeutender Zahl begangen wurden und einen Deliktsbetrag von
mehr als Fr. 270'000.-- erreichen, zu einer unter zwei Jahren Gefängnis
liegenden Strafe verurteilt; das Verschulden ist nämlich auch so noch ein
schweres, und die Wiederholung der Tat hätte eine entsprechende Schärfung
gerechtfertigt. Im übrigen hat das Bundesgericht in Kenntnis der erwähnten
Kritik seine Praxis zum fortgesetzten Delikt immer wieder bestätigt,
und es besteht heute kein zwingender Grund, von ihr abzugehen, zumal sie
gerade auch im vorliegenden Fall nicht zu einem stossenden Ergebnis führt,
das ein Aufgeben der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts gebieten würde.