Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 IV 161



109 IV 161

45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. November
1983 i.S. X., Y. und Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Bern
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 139 Ziff. 2 StGB; qualifizierter Raub.

    Begriff der "besonderen Gefährlichkeit" in den Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4
aStGB und Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 nStGB.

Sachverhalt

    A.- Am 8. November 1981 wurde das Ehepaar G., das in R. eine
Tankstelle und einen kleinen Kiosk betreibt, kurz nach 19.00 Uhr bei
sich zu Hause von unbekannten Männern überfallen, zusammengeschlagen,
gefesselt und ausgeraubt. Den Tätern fielen dabei nebst einer Herrenuhr
und einem Goldvreneli Fr. 13'401.85 in die Hand. Der Arzt stellte bei Herrn
G. Unterblutungen und Schwellungen in der Mundhöhle, an der Oberlippe, an
einem Nasenflügel, am Hals, über dem Kehlknorpel, dem ganzen Schädelbereich
sowie im Bereich eines Schulterblatts fest, während Frau G. zahlreiche
Beulen und Schürfungen am Kopf, in der Mundhöhle, am Kiefergelenk und
am linken Handgelenk aufwies. An der Tat waren ausser einem unbekannt
gebliebenen Mann (der "Schwarze") die drei tunesischen Staatsangehörigen
X., Y. und Z. beteiligt. X. erhielt von der Beute Fr. 2'000.-, die übrigen
Täter je ca. Fr. 3'500.-.

    B.- Am 4. Mai 1983 sprach die Kriminalkammer des Kantons Bern Y. und
Z. des schweren Raubs gemäss Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 nStGB und X. dieses
und weiterer Delikte schuldig. Sie verurteilte die beiden ersteren zu je
vier, den letzteren zu viereinhalb Jahren Zuchthaus und alle drei zu je
zwölf Jahren Landesverweisung.

    C.- Die Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragen in
gesonderten Eingaben die Aufhebung des Urteils der Kriminalkammer und die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, damit sie bloss auf einfachen
Raub erkenne und die Freiheitsstrafen wesentlich herabsetze.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4 aStGB ist der Räuber wegen der
qualifizierten Tat zu bestrafen, wenn der Raub auf andere Weise
(als durch Bedrohung mit dem Tode, unter Verübung einer schweren
Körperverletzung oder durch bandenmässige Begehung) die besondere
Gefährlichkeit des Täters offenbart. Diese Voraussetzung wurde in ständiger
Rechtsprechung für gegeben erachtet, wenn die Art, wie der Täter vorging,
Charaktereigenschaften aufdeckte, die in einem Masse auf eine asoziale
Grundhaltung und sittliche Hemmungslosigkeit schliessen liessen, dass
befürchtet werden musste, der Täter werde auch bei anderer Gelegenheit
vor gleichen oder ähnlichen Handlungen nicht zurückschrecken. Dabei
durften auch sein Verhalten unmittelbar vor und nach der Tat sowie
Beweggründe und Vorleben mitberücksichtigt werden, soweit sie beim Täter
Charaktereigenschaften der vorgenannten Art aufzeigten und anzunehmen
war, diese hätten sich bei der zu beurteilenden Tat ausgewirkt (BGE 105
IV 183 E. 1a mit Verweisungen).

    Nach der neuen Fassung des Art. 139 StGB begeht der Täter gemäss
Ziff. 2 Abs. 3 einen schweren Raub, wenn er sonstwie durch die Art,
wie er den Raub begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart. Mit
dieser Formulierung wollte von der in Richtung eines Täterstrafrechts
gehenden Auslegung des bisherigen Textes abgerückt und die Qualifikation
allein davon abhängig gemacht werden, ob die konkrete Tat nach ihrem
Unrechts- und Schuldgehalt besonders schwer wiegt. Es sollte damit
eine gewisse Rückwendung zu den auf die Art der Tatbegehung bezogenen
Qualifikationsgründen der früheren kantonalen Rechte (z.B. Raub zur
Nachtzeit oder verbunden mit Einbruch oder Einsteigen, Raub mit Auflauern
u. dgl.; s. HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT S. 256) bewirkt und
die Gefährlichkeit des Täters nur noch mit den Tatumständen, etwa der
besonders kühnen, verwegenen, heimtückischen oder skrupellosen Art, wie er
die Tat begeht, begründet werden (Botschaft des Bundesrates, BBl 1980 I
1257; REHBERG, Grundriss/Strafrecht III, 3. Aufl., S. 150; STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, BT I, 3. Aufl., S. 206). Umstände in der
Persönlichkeit des Täters müssen somit ausser Betracht fallen.

    Von diesen Überlegungen ist auch die Vorinstanz ausgegangen, so dass
jedenfalls nicht gesagt werden kann, sie habe Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4
aStGB bzw. Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 nStGB unrichtig ausgelegt.

Erwägung 4

    4.- Bei der Anwendung jener Bestimmungen auf den konkreten Fall
ging die Kriminalkammer von folgendem Sachverhalt aus: Nach ihren
tatsächlichen Feststellungen, die den Kassationshof binden und daher
mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden können, wählten
sich die Täter ältere Leute als Opfer aus, die sich kaum mehr gut wehren
konnten. Durch einen von X. ausgeheckten Trick (Vorzeigen einer fiktiven
Adresse) und unter Ausnützung der Hilfsbereitschaft der Eheleute G.,
die ihnen von einer früheren Panne her bekannt war, verschafften sich
Y., Z. und ein Dritter Eingang in die Wohnung, schlugen hierauf die
nichtsahnenden Opfer nieder und fesselten sie, um sie zu bestehlen. Dabei
ergibt sich aus dem Befund des beigezogenen Arztes, dass die Täter ihre
Opfer in brutaler Weise geschlagen und überwältigt haben.

    a) Y. und Z. haben allein schon damit ihre besondere Gefährlichkeit
im Sinne des Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4 aStGB bekundet. Die Eheleute G.,
die sich kaum zur Wehr setzen konnten und von denen die Beschwerdeführer
auch selber nicht behaupten, dass sie ernstlichen Widerstand geleistet
hätten, hätten von den drei Tätern überwältigt und gefesselt werden
können, ohne dass sie durch brutale Schläge auch noch misshandelt werden
mussten. Wer sich zur Durchsetzung seiner diebischen Absicht einem nur zu
geringem Widerstand fähigen Opfer gegenüber derart benimmt, der wird im
Fall einer erheblicheren Gegenwehr auch nicht vor schwersten Angriffen
auf Leib und Leben von Menschen zurückschrecken. Er bekundet im Sinne
der Rechtsprechung zu Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4 aStGB eine Rücksichts-
und Hemmungslosigkeit, die befürchten lässt, dass er auch bei anderer
Gelegenheit zu gleichem oder ähnlichem Tun fähig und geneigt sein wird.

    b) Da die Vorinstanz zur Unterstellung der Tat unter die alte Fassung
des Gesetzes einzig und allein von den Tatumständen ausgegangen ist,
durfte sie diese ohne weiteres auch für die Subsumption des Raubs unter
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 nStGB heranziehen und aus der Art und Weise des
täterischen Vorgehens unbedenklich auf besondere Gefährlichkeit auch
im Sinne der neuen Bestimmung schliessen; Hinterlist und skrupellose
Gewalttätigkeit kennzeichnen nämlich das Verhalten von Y. und Z., das
denn auch verschuldensmässig ganz erheblich ins Gewicht fällt.

    Was die beiden in ihren Rechtsschriften dagegen vorbringen, schlägt
nicht durch. Insbesondere sind sie schon insoweit nicht zu hören, als sie
die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz oder ihre Beweiswürdigung
bemängeln (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Es muss deshalb namentlich bei
der verbindlichen Annahme der Vorinstanz sein Bewenden haben, wonach sich
Y. und Z. zusammen mit dem "Schwarzen" aktiv am Niederschlagen und Fesseln
der Opfer beteiligt haben. Im übrigen wäre es unter dem Gesichtspunkt des
Art. 26 StGB ohnehin belanglos, ob die verschiedenen Misshandlungen von
allen dreien oder von zweien oder nur von einem von ihnen begangen wurden,
bzw. welche Schläge der eine und welche der andere ausgeteilt hatte. Die
Art und Weise der Tatbegehung war so oder anders Ausdruck ihrer gemeinsamen
Aktion, an der sie als für das Ganze verantwortliche Mittäter teilgenommen
haben (BGE 102 IV 81 E. III 6a; 100 IV 4 E. 5c). Schliesslich ist nicht zu
übersehen, dass als Indiz für die besondere Gefährlichkeit auch der zur
Tatbegehung gehörende Umstand des Zusammenwirkens mehrerer in Betracht
fällt. Zwar hat die Vorinstanz bandenmässige Begehung im Rechtssinne
verneint. Doch auch ohne eine solche über die Einzeltat hinausreichende
Bindung darf der Zusammenschluss mehrerer Täter im Rahmen von Art. 139 in
der alten wie in der neuen Fassung berücksichtigt werden, vermehrt doch
das bewusste Zusammenwirken mehrerer an der Straftat regelmässig die
Gefährlichkeit der Rechtsbrecher, so dass andere Rechtsordnungen schon
diesen Umstand strafschärfend berücksichtigen (BGE 106 IV 113 E. 3c).

    c) Zu entscheiden bleibt demnach noch, ob die Qualifikation der
besonderen Gefährlichkeit auch auf X. zutrifft. Dass dieser als Mittäter
am Raub beteiligt gewesen ist, kann nach den verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz schlechterdings nicht zweifelhaft sein. Er ist es gewesen,
der die Idee hatte, den Eheleuten G. Geld wegzunehmen. Er ist mit den
anderen zu diesem Zweck von B. nach R. gefahren und, nachdem er sich
auf der Hinfahrt mit Y. gestritten hatte, deswegen zunächst nicht mehr
mitmachen wollte und in der Folge nach B. zurückfuhr, nach Aussöhnung mit
Y. erneut nach R. zurückgekehrt, um die Tat auszuführen. Er hat sodann den
Trick mit der fiktiven Adresse inszeniert und es damit seinen Komplizen
ermöglicht, in die Wohnung einzudringen. Wenn er diese in der Folge selber
nicht betreten hat, weil er - wie die Vorinstanz verbindlich feststellt -
befürchtete, die Eheleute G. könnten ihn erkennen, und nicht etwa - wie
in der Beschwerde behauptet wird -, weil er Gewissensbisse gehabt hätte,
blieb er doch während der ganzen Aktion in der Nähe der Wohnung und
verlangte, als der Überfall gelungen war, seinen Teil an der Beute. Er
hat also klarerweise in derart massgebender Weise an der Tat mitgewirkt,
dass er neben den anderen als Hauptbeteiligter dasteht (BGE 108 IV 92
E. 2a), zumal ihm auch bewusst war, dass Y., Z. und der "Schwarze" zur
Durchsetzung ihrer diebischen Absicht Gewalt anwenden würden.

    Damit ist freilich die Frage der besonderen Gefährlichkeit des X. noch
nicht entschieden, hatte dieser doch an den brutalen Gewalttätigkeiten,
welche allein schon die übrigen Mittäter als besonders gefährlich
erscheinen liessen, selber nicht unmittelbar teilgenommen. Sie wäre dennoch
unzweifelhaft zu bejahen, wenn festgestellt wäre, dass X. wusste, dass
seine Komplizen ihre Opfer in der beschriebenen Art misshandeln würden
oder dass er solche Gewalttätigkeiten für möglich hielt und sie für den
Fall ihrer Begehung als Mittel zur Erlangung von Beute in Kauf nahm. Das
trifft indessen nicht zu. Die Vorinstanz stellt lediglich fest, es sei
dem Beschwerdeführer bewusst gewesen, dass Y., Z. und der "Schwarze"
die Eheleute G. überwältigen würden. Daraus folgt noch nicht, dass er
auch mit unnötigen Brutalitäten gerechnet und diese gebilligt habe;
denn zur Gewaltanwendung nach Art. 139 StGB bedarf es nicht notwendig so
schwerwiegender Gewalttätigkeiten, wie sie im vorliegenden Fall begangen
wurden. Das brutale Vorgehen seiner Komplizen bei Ausführung des Raubs kann
deshalb nicht als Indiz für die Gefährlichkeit des X. herangezogen werden.

    Indessen kann sich der durch das Qualifikationsmerkmal der besonderen
Gefährlichkeit geforderte erhöhte Unrechts- und Schuldgehalt nach dem oben
Gesagten auch im Rahmen der engeren Fassung des neuen Art. 139 Ziff. 2
Abs. 3 StGB aus besonderer Heimtücke und Rücksichtslosigkeit, aus dem
Zusammenwirken mehrerer Täter u. dgl. ergeben. In casu trifft gerade
den Beschwerdeführer X. in besonderem Masse der Vorwurf skrupelloser
Hinterhältigkeit. Nachdem er eine Woche zuvor anlässlich einer Panne
die Hilfsbereitschaft der Eheleute G. erfahren hatte, indem diese an
einem Samstag Abend sich nicht nur darum bemühten, dass X. und seinen
damaligen Begleitern die Dienste der Touring-Hilfe zustatten kamen,
sondern überdies die fünf Männer, welche lange auf diese Hilfe warten
mussten, höchst gastfreundlich in ihre Wohnung aufnahmen und bewirteten,
wählte er nunmehr gerade diese Menschen als Opfer seines deliktischen
Vorhabens aus; denn die Idee, die Ehegatten G. zu bestehlen, stammte -
wie die Vorinstanz verbindlich feststellt - von ihm. Damit nicht genug:
Wiederum war er es, der den Trick mit der fiktiven Adresse ausheckte, um
die Opfer hinters Licht zu führen und seinen Komplizen deren Überwältigung
zu ermöglichen. All das zeugt von einer seltenen Rücksichtslosigkeit und
Heimtücke in der Verfolgung des deliktischen Plans, bei welcher X. nach
dem Gesagten nicht nur als die eigentliche treibende Kraft erscheint,
sondern auch eine besondere Beharrlichkeit an den Tag gelegt hat (Streit
mit Y., Rückfahrt nach B., Aussöhnung und Rückkehr an den Tatort). Dass
er sich überdies zur Begehung des Raubs mit drei anderen zusammentat,
bestätigt den sich bereits aus den vorgenannten Umständen ergebenden
Schluss auf eine besondere Gefährlichkeit im Sinne des Art. 139 StGB in
seiner neuen, aber auch in seiner alten Fassung; denn wer so vorgeht,
wie es X. getan hat, von dem ist zu befürchten, dass er auch bei anderer
sich bietender Gelegenheit vor gleichen oder ähnlichen Handlungen nicht
zurückschrecken wird.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.