Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 73



109 II 73

18. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1983 i.S. Baumgartner gegen
Cisullo (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Zuständigkeit des Richters des Unfallortes für Zivilklagen aus
Motorfahrzeug- und Fahrradunfällen, Art. 84 SVG.

    Von Art. 84 SVG werden alle zivilrechtlichen Klagen erfasst, die ihren
direkten Grund im Unfallgeschehen haben und nach haftpflichtrechtlichen
Gesichtspunkten zu beurteilen sind. Darunter fällt auch die Klage, mit
der bereits bezahlter Schadenersatz wegen eines behaupteten Irrtums über
die Rechtslage bei einem Unfall zurückgefordert wird.

Sachverhalt

    A.- Am 26. Juni 1981 kollidierte Josef Baumgartner als Lenker eines
Personenwagens mit dem von Claudio Cisullo geführten Motorfahrrad
in Egliswil, Bezirk Lenzburg. Am 6. August 1981 bezahlte er den am
Motorfahrrad entstandenen Sachschaden von Fr. 109.--. Nachträglich
machte er geltend, er habe sich über die Rechtslage geirrt und ,forderte
von Cisullo den Betrag von Fr. 109.-- zurück. Auf seine am Wohnort des
Beklagten eingereichte Klage trat indessen das Bezirksgericht Bremgarten
mit Entscheid vom 18. August 1982 wegen örtlicher Unzuständigkeit nicht
ein, und das Obergericht des Kantons Aargau wies eine Beschwerde des
Klägers mit Urteil vom 23. November 1982 ab. Beide kantonalen Instanzen
hielten dem Kläger entgegen, er hätte gemäss Art. 84 SVG bei dem für den
Unfallort zuständigen Bezirksgericht Lenzburg klagen müssen.

    Baumgartner führt beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde
mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Eine
Beschwerdeantwort ist nicht eingeholt worden.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer bringt ausschliesslich vor, das Obergericht
habe die Gerichtsstandsbestimmung des Art. 84 SVG willkürlich
angewendet. Gemäss Art. 68 Abs. 1 lit. b OG kann die Verletzung von
Vorschriften des Bundesrechts über die örtliche Zuständigkeit mit der
Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist in diesem Fall unzulässig (Art. 84 Abs. 2 OG). Da aber die
Rüge des Beschwerdeführers auch den Vorwurf einschliesst, das Obergericht
habe Art. 84 SVG verletzt, ist seine Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde
entgegenzunehmen.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 84 SVG sind Zivilklagen aus Motorfahrzeug- und
Fahrradunfällen beim Richter des Unfallortes anzubringen. Mit dieser
gegenüber dem früher geltenden Art. 45 MFG erheblich erweiterten Fassung
sollten nach einheitlicher Rechtslehre möglichst alle zivilrechtlichen
Streitigkeiten erfasst werden, die ihren direkten Grund im Unfallgeschehen
haben und nach haftpflichtrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen
sind (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 3. Aufl., Bd. II/2,
S. 686 ff.; BUSSY, SJK 921, S. 2 ff.; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de
la circulation routière, N. 1.1-2.7 zu Art. 84 SVG). Lediglich bei
Klagen, die ihren Klagegrund nicht aus dem Unfallgeschehen herleiten
und bei deren Beurteilung nicht in erster Linie haftpflichtrechtliche,
sondern versicherungsrechtliche Gesichtspunkte massgebend sind, stellen
die angeführten Autoren die Anwendbarkeit von Art. 84 SVG teilweise
in Frage, wobei aber darauf hingewiesen wird, dass diese Auslegung zu
einer uneinheitlichen Regelung führe, die dem Willen des Gesetzgebers
zuwiderlaufe. Wie es sich damit verhält, kann hier offen bleiben.
Es besteht kein Grund, eine Klage, wie sie im vorliegenden Fall zur
Beurteilung steht, von der Regel des Art. 84 SVG auszunehmen. Der
Beschwerdeführer, der seinen Rückforderungsanspruch auf Rechtsirrtum
stützt, muss mit seiner Klage zunächst dartun, dass der Unfallhergang
in haftpflichtrechtlicher Hinsicht keine Verantwortlichkeit seinerseits
begründet. Erst wenn das feststeht, hat er überdies nachzuweisen, dass
er dem Beschwerdegegner den Schaden irrtümlich ersetzt hat. In erster
Linie und zur Hauptsache hängt die Klage demnach mit dem Unfallgeschehen
zusammen, und sie ist nach den haftpflichtrechtlichen Vorschriften des
Strassenverkehrsgesetzes zu beurteilen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die staatsrechtliche Beschwerde wird als Nichtigkeitsbeschwerde
entgegengenommen und abgewiesen.