Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 452



109 II 452

96. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Dezember 1983 i.S.
Adolf Forster AG gegen Hanspeter Krattiger (Berufung) Regeste

    Gültigkeit allgemeiner Geschäftsbedingungen, Ungewöhnlichkeitsregel;
Vertretungsbefugnis des bauleitenden Architekten nach SIA-Norm 118,
Ausgabe 1977.

    1. Anwendung der Ungewöhnlichkeitsregel, Voraussetzungen:

    - Schutz der schwachen oder unerfahrenen Vertragspartei (E. 5a).

    - Beurteilung der Ungewöhnlichkeit nach subjektivem und objektivem
Massstab (E. 5b).

    2. Art. 154 Abs. 3 und Art. 155 Abs. 1 der SIA-Norm 118 sind für einen
branchenfremden, "einmaligen" Bauherrn ungewöhnlich und daher unverbindlich
(E. 5c).

Sachverhalt

    A.- Die Adolf Forster AG plante 1980 den Bau eines Hühnerstalles in
Bürglen für etwa 20'000 Legehennen nach einer in der Schweiz neuartigen
Konzeption. Am 14. März 1980 schloss sie mit Hanspeter Krattiger zwei
Werkverträge; der eine betraf Zimmerarbeiten für Fr. 116'500.--, der
andere den Einbau der Stalleinrichtung für Fr. 64'700.--. Unterzeichnet
wurden die Verträge von Helfenstein, dem Geschäftsführer der Adolf Forster
AG, sowie von Krattiger und Architekt Engler, den die Bauherrin mit der
Bauleitung beauftragte.

    Beide Werkverträge enthalten insbesondere folgende Bestimmung:

    "4. Bestandteile des Werkvertrages

    ...

    "Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten des SIA, Norm 118, die in
   allen Teilen als bekannt vorausgesetzt werden und denen sich beide

    Parteien, Bauherr und Unternehmer, ausdrücklich unterwerfen."

    Nach Ausführung der Arbeiten sandte Krattiger dem Architekten einen
Entwurf der Schlussabrechnung, in welchem auch die Ausmasse aufgeführt
waren. Engler korrigierte die Rechnung, überprüfte mit Krattiger
die Ausmasse und schickte den Entwurf zur Reinschrift an Krattiger
zurück. Dieser liess darauf dem Architekten zuhanden der Adolf Forster AG
drei detaillierte Rechnungen zukommen, die alle das Datum des 10. Februar
1981 tragen. Sie berücksichtigten sämtliche Korrekturen, die Engler am
Entwurf vorgenommen hatte, und lauteten auf insgesamt Fr. 288'420.45. Die
Rechnung für Zimmerarbeiten belief sich auf Fr. 179'701.70, diejenige
für die Stalleinrichtung auf Fr. 43'535.20, und mit der dritten forderte
Krattiger Fr. 45'183.55 für die zusätzlichen Arbeiten. Engler visierte
die Rechnungen und gab sie am 12. Februar 1981 zur Zahlung an die Adolf
Forster AG weiter.

    Die Adolf Forster AG, die im Juni und Juli 1980 Akontozahlungen von
insgesamt Fr. 150'000.-- erbracht hatte, leistete den verbleibenden Betrag
von Fr. 138'420.45 nicht und teilte, nachdem sie von Krattiger gemahnt
worden war, diesem schriftlich mit, sie werde vorläufig nicht bezahlen,
weil der Bau noch kontrolliert werden müsse und die Rechnungen in vielen
Punkten nicht mit den Werkverträgen übereinstimmten.

    Im Juni 1981 erhob Krattiger beim Bezirksgericht Weinfelden Klage
gegen die Adolf Forster AG mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung von
Fr. 138'420.45 nebst Zins zu verpflichten. Da die Beklagte im Laufe des
Verfahrens eine Abschlagszahlung von Fr. 94'115.-- erbrachte, reduzierte
der Kläger seine Forderung entsprechend. Mit Urteil vom 22. Juli 1982
sprach das Bezirksgericht dem Kläger Fr. 44'305.45 nebst Zins zu.

    Die Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Thurgau,
das am 16. Dezember 1982 das erstinstanzliche Urteil bestätigte.

    Die Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt
mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut, hebt das Urteil
des Obergerichts auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne
der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Parteien haben in den Werkverträgen vom 4. März 1980
auf die SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977) über "Allgemeine Bedingungen für
Bauarbeiten" verwiesen und festgehalten, diese werde in allen Teilen
als bekannt vorausgesetzt. Die Beklagte hat die grundsätzliche Geltung
der SIA-Norm schon vor den kantonalen Gerichten nicht bestritten und
ihre Haltung im Berufungsverfahren nicht geändert. Sie ist jedoch
der Auffassung, unter den gegebenen Umständen verstosse die Anwendung
einzelner Vorschriften, nämlich von Art. 154 und 155, gegen Bundesrecht,
insbesondere gegen die Bestimmungen des Obligationenrechts über die
Stellvertretung und den einfachen Auftrag sowie gegen Art. 2 ZGB. Zur
Begründung führt sie aus, die der Bauleitung in den Art. 154 und 155
verliehene Befugnis zur Vertretung des Bauherrn gegenüber dem Unternehmer
laufe auf eine Generalbevollmächtigung in finanzieller Hinsicht hinaus,
die im Vertragsverhältnis zwischen Bauherr und bauleitendem Architekten
offensichtlich nicht Bestand habe, was der Unternehmer regelmässig
wisse. Die gegenteilige Meinung des Obergerichts sei um so stossender, als
die beiden Bestimmungen über die Vertretungsbefugnis des Architekten im
hinteren Drittel der umfangreichen SIA-Norm 118 für Bauarbeiten ständen,
ohne dass die SIA-Norm 102 für Arbeiten des Architekten eine analoge
Klausel und Generalvollmacht enthalte. Der Bauherr werde auf diese Weise
an der Nase herumgeführt.

    a) Das Obergericht legt zu dieser Frage dar, Art. 154 Abs. 3
der SIA-Norm 118 gebe der Prüfung der Schlussrechnung durch den
Bauleiter eine Tragweite, die sie ausserhalb der Vertragsnormalien nicht
habe. Denn ergäben sich bei der Prüfung keine Differenzen, so gelte die
Schlussabrechnung mit dem Prüfungsbescheid der Bauleitung als beidseitig
anerkannt und werde gemäss Art. 155 Abs. 1 zur Zahlung fällig. SCHWAGER
(Der Umfang der Architektenvollmacht, Baurecht 1980/3, S. 42) weise zwar
darauf hin, dass wohl die wenigsten Bauherren, die in den Werkverträgen
die SIA-Norm 118 als anwendbar erklärten, sich bewusst seien, wieweit
sie sich nach deren Wortlaut in finanzieller Hinsicht dem Architekten
auslieferten; aufgrund der Ungewöhnlichkeitsregel müsse deshalb häufig
gegenüber dem branchenunkundigen, "einmaligen" Bauherrn die Anwendung von
Art. 154/155 abgelehnt werden. Nach Ansicht des Obergerichts kann sich die
Beklagte jedoch nicht auf die Ungewöhnlichkeitsregel berufen, da sie weder
branchenunkundig sei noch als einmalige Bauherrin betrachtet werden könne.

    b) Die von der Beklagten beanstandeten Art. 154 und 155 der SIA-Norm
118 bestimmen insbesondere, die vom Unternehmer der Bauleitung eingereichte
Schlussabrechnung sei innerhalb Monatsfrist von diesem zu prüfen und das
Ergebnis der Prüfung unverzüglich dem Unternehmer mitzuteilen; ergäben
sich bei der Prüfung keine Differenzen, so gelte die Schlussabrechnung
mit dem Prüfungsbescheid der Bauleitung als beidseitig anerkannt; die
durch die Schlussrechnung ermittelte Forderung des Unternehmers werde
mit dem Prüfungsbescheid der Bauleitung fällig und sei innert dreissig
Tagen zu bezahlen. Von der Beklagten nicht erwähnt werden Art. 33
Abs. 2 und Art. 34 Abs. 1, welche die Vertretungsbefugnis des Bauleiters
allgemein umschreiben und deshalb ebenfalls von Bedeutung sind. Danach
vertritt die Bauleitung den Bauherrn gegenüber dem Unternehmer, soweit
im Werkvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird; ferner
sind alle das Werk betreffenden Willensäusserungen der Bauleitung für
den Bauherrn rechtsverbindlich, insbesondere Weisungen, Bestellungen,
Bestätigungen und Planlieferungen; zudem nimmt die Bauleitung Mitteilungen
und Willensäusserungen für den Bauherrn rechtsverbindlich entgegen
(Art. 33 Abs. 2). Endlich obliegt der Bauleitung gemäss Art. 34 Abs. 1
die Prüfung der Rechnungen und des Werkes.

    Zweck der SIA-Norm 118 ist die Regelung des Vertragsverhältnisses
zwischen Bauherrn und Werkunternehmer. Das vom Schweizerischen Ingenieur-
und Architekten-Verein herausgegebene Regelwerk ist ein Schriftstück von
51 Druckseiten. Es umfasst insgesamt 190 Artikel, von denen die meisten
in mehrere Absätze unterteilt sind. Die Norm wurde von einer Kommission
ausgearbeitet, der vor allem Architekten und Ingenieure angehörten. Gemäss
ihrer Präambel soll sie den Abschluss und die Gestaltung von Verträgen
erleichtern und zudem bewirken, dass im Bauwesen möglichst einheitliche
Vertragsbedingungen verwendet werden.

Erwägung 4

    4.- Mit der Frage, ob der Richter die schwache oder unerfahrene Partei
vor allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie nicht gelesen oder in ihrer
Tragweite nicht begriffen hat, schützen soll, hat sich das Bundesgericht in
drei neuen, veröffentlichten Urteilen auseinandergesetzt. In BGE 108 II 418
E. 1b hielt es als Grundsatz fest, wer einen Vertragstext unterzeichne,
der auf allgemeine Geschäftsbedingungen verweise, sei in gleicher
Weise gebunden wie derjenige, der seine Unterschrift unter den Text der
allgemeinen Bedingungen selbst setze. Es komme deshalb nicht darauf an, ob
die betreffende Partei die allgemeinen Geschäftsbedingungen tatsächlich
gelesen habe. Dieser Grundsatz bedürfe indessen der Einschränkung
für den Fall, dass die Gegenpartei wisse oder nach der allgemeinen
Lebenserfahrung wissen müsse, dass der Erklärungsinhalt nicht gewollt
sei. Aus dieser Einschränkung, die sich auf das Vertrauensprinzip stütze,
habe ein Teil der Lehre die sogenannte Ungewöhnlichkeitsregel abgeleitet,
wonach von der pauschalen Zustimmung zu allgemeinen Geschäftsbedingungen
alle ungewöhnlichen Klauseln ausgenommen seien, insbesondere solche,
deren Inhalt von dem abweicht, was vernünftigerweise erwartet werden
dürfe. In jenem Fall wurde die Anwendung der Ungewöhnlichkeitsregel
indessen abgelehnt, im wesentlichen mit der Begründung, die Partei,
welche den Einbezug der allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Vertrag
veranlasst habe, habe aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung nicht
erkennen müssen, dass eine oder mehrere der darin enthaltenen Vorschriften
von der Gegenpartei nicht gewollt seien. Zu beachten ist, dass es sich
in jenem Fall, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wurde, nicht um
"Kunden-AGB", sondern um "Unternehmer-AGB" gehandelt hat.

    In einem späteren Urteil (BGE 109 II 118 E. 2) hat das Bundesgericht
nach einem Hinweis auf die Literatur zur Ungewöhnlichkeitsregel
deren Anwendung in Würdigung der konkreten Umstände wiederum
abgelehnt. Schliesslich hat es sich in BGE 109 II 216 E. 2 ausführlich
mit den zum Teil voneinander abweichenden Lehrmeinungen befasst, ohne
dazu Stellung zu nehmen, weil diese Unterschiede keinen Einfluss auf den
Verfahrensausgang hatten.

    Auch im vorliegenden Fall erübrigt sich eine Stellungnahme zur Frage,
ob und inwieweit der Richter neben der Geltungs- eine Inhaltskontrolle von
allgemeinen Geschäftsbedingungen vornehmen kann, wie dies von der Lehre
teilweise gefordert wird (dazu zuletzt CARL BAUDENBACHER, Wirtschafts-,
schuld- und verfahrensrechtliche Grundprobleme der allgemeinen
Geschäftsbedingungen, Zürich 1983, S. 282 ff.). Vielmehr ist auf Grund der
Besonderheit des vorliegenden Falles zu entscheiden, ob sich die Beklagte
auf die Ungewöhnlichkeitsregel berufen darf. Inhaltliche Gesichtspunkte
können dabei insofern eine Rolle spielen, als eine Anwendung dieser Regel
um so eher berechtigt ist, je stärker eine Klausel die Rechtsstellung
des Vertragspartners beeinträchtigt.

Erwägung 5

    5.- a) Wie bereits erwähnt, kann sich in der Regel nur die schwache
oder unerfahrene Partei auf die Ungewöhnlichkeitsregel berufen. Dass
die Beklagte in wirtschaftlicher oder anderer Hinsicht im Vergleich zum
Kläger als schwächere Partei zu betrachten ist, wird von der Vorinstanz
nicht festgestellt und ergibt sich nicht aus den Akten. Als schwächere
Partei muss allerdings auch diejenige gelten, welche unabhängig von
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder anderen Umständen, die
sie als stärkere Partei erscheinen lassen, gezwungen ist, allgemeine
Geschäftsbedingungen als Vertragsbestandteil zu akzeptieren, weil sie
andernfalls kaum einen Vertragspartner findet. Da es in der Baubranche
üblich ist, beim Abschluss von Werkverträgen über umfangreiche Arbeiten
die SIA-Norm 118 als anwendbar zu erklären, wäre das auch im vorliegenden
Fall denkbar. Darüber fehlen indessen tatsächliche Feststellungen des
Obergerichts; zudem behauptet die Beklagte nicht, sie habe sich in
einer solchen Lage befunden. Damit wird entscheidend, ob die Beklagte
als unerfahrene Partei gelten kann. Da die gleiche Frage auch bei
der Prüfung, ob die angefochtenen Artikel der SIA-Norm 118 als für die
Beklagte ungewöhnlich zu betrachten sind, eine Rolle spielt, ist sie im
Zusammenhang damit zu beantworten.

    b) In der Lehre wird die Meinung vertreten, die Ungewöhnlichkeit
sei individuell, das heisst aus der Sicht des Zustimmenden zur Zeit
des Vertragsabschlusses zu beurteilen; für einen Branchenfremden
könnten deshalb auch branchenübliche Klauseln ungewöhnlich sein
(SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 499 zu Art. 1 OR; GIGER, Geltungs- und
Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, S. 35; GAUCH,
Vorgeformte Baubedingungen, Baurecht 1979/1, S. 5). Dem ist grundsätzlich
beizustimmen. Auf die individuellen Vorstellungen des Zustimmenden darf
jedoch nur soweit abgestellt werden, als sie der Gegenpartei erkennbar
sind, denn wie bereits dargelegt muss bei der Beurteilung der Frage das
Vertrauensprinzip wegleitend sein. In der Literatur wird denn auch mit
Recht gefordert, die Ungewöhnlichkeitsregel nur dann anzuwenden, wenn
neben der subjektiven Voraussetzung des Fehlens von Branchenerfahrung
die betreffenden Klauseln objektiv beurteilt einen geschäftsfremden
Inhalt aufweisen (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 499 zu Art. 1 OR; GIGER, aaO,
S. 34). Dabei sind unter geschäftsfremden Bestimmungen solche zu verstehen,
die zu einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters führen oder in
erheblichem Masse aus dem gesetzlichen Rahmen des Vertragstypus fallen.

    Nach diesem objektiven Massstab beurteilt sind die von der Beklagten
beanstandeten Vorschriften ungewöhnlich. Da mit einem Werkvertrag die
gegenseitigen Rechte und Pflichten von Bauherrn und Unternehmer geregelt
werden sollen, erscheint eine damit der Bauleitung verliehene umfassende
Vollmacht in bezug auf finanzielle Verpflichtungen verglichen mit dem
gesetzlichen Vertragstypus als geschäftsfremd. Im vorliegenden Fall drängt
sich jedoch in Anbetracht des Umstandes, dass in den Werkverträgen auf die
Vertretung der Beklagten durch den bauleitenden Architekten hingewiesen
wird, eine differenzierte Betrachtungsweise auf. Damit erweiterte die
Beklagte den Vertragsinhalt und gab dem Kläger zu erkennen, dass der
Bauleiter zur Vornahme von Handlungen in ihrem Namen berechtigt sei. Daraus
durfte der Kläger indessen nicht auf eine Generalvollmacht des Architekten
für jede beliebige Rechtshandlung im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben
schliessen, denn der Umfang der Vertretungsbefugnis wurde damit nicht
festgelegt (vgl. SCHWAGER, Der Architekt als Vertreter des Bauherrn,
Baurecht 1980/2, S. 23/24). Soweit mit der SIA-Norm 118 die Vollmacht
des bauleitenden Architekten zur Vornahme von Handlungen, welche die
eigentliche Bauleitung betreffen, näher geregelt wird, können deren
Bestimmungen nicht als geschäftsfremd beurteilt werden. Dagegen sind die
Art. 154 Abs. 3 und Art. 155 Abs. 1, in welchen der Bauleitung umfassende
Vertretungsbefugnis in finanziellen Belangen verliehen wird, mit der in
den Werkverträgen vom 14. März 1980 festgehaltenen Vertragserweiterung
nicht mehr vereinbar und daher geschäftsfremd.

    c) Zu entscheiden bleibt somit, ob auch die subjektiven Voraussetzungen
für die Anwendung der Ungewöhnlichkeitsregel gegeben sind. Von Bedeutung
ist dabei vor allem die Frage, ob die Beklagte vor dem Abschluss der
Werkverträge mit dem Kläger über Erfahrungen in Bausachen verfügte. Denn
wie SCHWAGER zutreffend festhält, muss ein branchenfremder, "einmaliger"
Bauherr nicht damit rechnen, dass der bauleitende Architekt aufgrund der
SIA-Norm 118 befugt ist, ihn durch die Anerkennung der Schlussabrechnung
zur Zahlung des vom Unternehmer damit geforderten Betrages zu verpflichten
(Baurecht 1980/2 S. 24 und 1980/3 S. 42). Das muss jedenfalls dann
gelten, wenn die Bauabrechnung den im Werkvertrag festgelegten Preis
um nahezu zwei Drittel bzw. um mehr als Fr. 100'000.-- übersteigt, wie
das im vorliegenden Fall geschehen ist. Bei dieser Sachlage kann auch
der Unternehmer nicht in guten Treuen annehmen, der Bauherr sei damit
einverstanden, dass der bauleitende Architekt die Abrechnung genehmigt,
ohne ihn über die Kostenüberschreitung und deren Ursachen auch nur zu
orientieren. Das Obergericht führt dazu mit Recht aus, der Bauherr ziehe
den Architekten zu als Fachmann für die Planung und Projektierung sowie
für die Leitung und Überwachung der Bauausführung durch die Unternehmer;
den Entscheid über finanzielle Verpflichtungen behalte er sich aber im
Normalfall selbst vor, da es dazu nicht das besondere Fachwissen des
Architekten brauche; als Grundsatz gelte deshalb, dass der Architekt
für rechtsgeschäftliche Erklärungen im Namen des Bauherrn, die diesem
erhebliche finanzielle Verpflichtungen auferlegen, einer ausdrücklichen
Ermächtigung bedürfe (vgl. dazu neben SCHWAGER, Baurecht 1980/3 S. 36/37,
auch REBER, Rechtshandbuch, 4. Aufl., S. 259/60 und 261). Ein Bauherr ohne
Bauerfahrung, der nicht auf die besondere Regelung der Art. 154 und 155 der
SIA-Norm 118 aufmerksam gemacht worden ist, wird deshalb davon ausgehen,
die Vertretungsbefugnis des Bauleiters sei in diesem Sinne beschränkt.

    d) Das Obergericht stellt zur Frage der Bauerfahrung der Beklagten
vor Abschluss der Werkverträge fest, sie sei nicht branchenunkundig und
könne auch nicht als "einmalige" Bauherrin betrachtet werden, wie bereits
in anderem Zusammenhang erwähnt worden sei. An der betreffenden Stelle
führt es aus, der Geschäftsführer der Beklagten sei in Bausachen nicht
unerfahren; wollte man nicht auf ihn abstellen, so wäre der Beklagten
entgegenzuhalten, dass sie als versierte Handelsfirma die Usanzen des
Baugewerbes kenne. Mit der Berufung wird gerügt, diese Annahmen fänden in
den Akten nicht die geringste Stütze. Die Stallbaute Bürglen sei der erste
Neubau gewesen, den die Beklagte an die Hand genommen habe; sie sei eine
reine Produktionsgesellschaft, der nicht weitergehende Baufachkenntnisse
als einer Normalbauherrschaft entgegengehalten werden könnten; gegenteilige
Behauptungen seien im Prozess nicht vorgebracht worden. Nach Auffassung
der Beklagten sind die Feststellungen des Obergerichts unter Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen und verstossen
zudem gegen die Dispositionsmaxime.

    Auf die Rüge der Verletzung der Dispositionsmaxime kann nicht
eingetreten werden. Deren Geltung wird ausschliesslich vom kantonalen
Prozessrecht geregelt, dessen Anwendung im Berufungsverfahren nicht
überprüfbar ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 89 II 62 mit Hinweisen,
81 II 147). An die tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, der
Geschäftsführer der Beklagten sei in Bausachen nicht unerfahren, ist
das Bundesgericht grundsätzlich gebunden (Art. 55 Abs. 1 lit. c und
Art. 63 Abs. 2 OG). Diese Feststellung trifft das Obergericht indessen
im Zusammenhang mit der Erörterung der Frage, ob es Sache der Beklagten
gewesen sei, für die Einholung von Nachtragsofferten zu sorgen. Sie bezieht
sich auf die Behauptung des Geschäftsführers der Beklagten, er habe
wohl das Werk sowie die Zusatzarbeiten gekannt und sie auch gewünscht,
sich über die Kosten aber keine Gedanken gemacht und diese auch nicht
einschätzen können. Deshalb darf daraus nicht gefolgert werden, dass
Helfenstein über Branchenkenntnisse verfügte und ihm die Art. 154 und
155 der SIA-Norm 118 bekannt sein mussten.

    Ebenfalls tatsächliche Verhältnisse betrifft die Feststellung
des Obergerichts, die Beklagte sei eine versierte Handelsfirma. Der
daraus gezogene Schluss, sie kenne die Usanzen des Baugewerbes, beruht
dagegen auf allgemeiner Lebenserfahrung und kann deshalb überprüft
werden (BGE 107 II 274/5 mit Hinweisen). Er lässt sich in dieser
absoluten Form offensichtlich nicht halten. Nicht jede "versierte"
Handelsfirma verfügt zwangsläufig über Bauerfahrung und kennt darum die
Usanzen des Baugewerbes. Aus dem Gesellschaftszweck der Beklagten, der
gemäss Handelsregistereintrag in der Produktion von und dem Handel mit
landwirtschaftlichen Gütern, insbesondere im Betrieb von Geflügelfarmen
besteht, ist nichts Gegenteiliges abzuleiten. Im übrigen wird auch nicht
ersichtlich, warum das Obergericht annimmt, die Beklagte könne nicht als
"einmalige" Bauherrin betrachtet werden. Auf die allgemeine Lebenserfahrung
lässt sich diese Feststellung jedenfalls nicht stützen.

    e) Demnach steht weder fest, dass Helfenstein, dessen Wissen und
Erfahrung der Beklagten anzurechnen sind, in Bausachen erfahren war,
noch ist bekannt, ob die Beklagte als "einmalige" Bauherrin betrachtet
werden muss und deshalb die Usanzen des Baugewerbes nicht kennt. Unter
diesen Umständen kann nicht abschliessend beurteilt werden, ob die Beklagte
sich darum nicht auf die Ungewöhnlichkeitsregel berufen darf, weil in den
Werkverträgen ausdrücklich festgehalten ist, die Bestimmungen der SIA-Norm
118 seien den Parteien bekannt. Das müsste sich die Beklagte, sollte sie
schon vor Abschluss der Verträge über Erfahrung in Bausachen verfügt haben,
entgegenhalten lassen. Andernfalls wäre wegen dem Umfang und der Gestaltung
der SIA-Norm 118 eine differenzierte Betrachtungsweise angebracht. Obschon
die Norm vorwiegend Vorschriften über das Verhältnis zwischen Bauherrn und
Unternehmer enthält, muss auch einer damit nicht vertrauten Vertragspartei
allein schon bei der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses in die Augen
springen, dass sie daneben auch Bestimmungen über die Vertretung des
Bauherrn durch die Bauleitung umfasst. Aus den Art. 33 bis 36, die im
Inhaltsverzeichnis unter dem Titel "Vertretung der Vertragsparteien"
aufgeführt werden, geht allerdings nur hervor, dass die Bauleitung den
Bauherrn bezüglich Handlungen, welche die Leitung und Überwachung der
Bauausführung betreffen, mit unbeschränkter Vollmacht vertritt (Art. 33
und 34). Dagegen lassen diese Vorschriften nicht erkennen, dass die
Bauleitung auch die Befugnis haben soll, den Bauherrn in finanzieller
Hinsicht zu verpflichten. Denn in Art. 34 Abs. 1 wird lediglich bestimmt,
der Bauleitung obliege die Prüfung der Rechnungen. Die wesentlich weiter
gehenden Bestimmungen von Art. 154 Abs. 2 und Art. 155 Abs. 1, deren
genauer Inhalt aufgrund des Inhaltsverzeichnisses nicht erkennbar ist,
müssten für eine Partei ohne Bauerfahrung als ungewöhnlich beurteilt
werden.

    Für die Rechtsauffassung der Beklagten sprechen schliesslich die
konkreten Umstände des Falles. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich,
welcher den Bauleiter daran hinderte, die Schlussabrechnung von der
Beklagten genehmigen zu lassen. Wegen der massiven Kostenüberschreitung
hätten im Gegenteil sowohl Architekt Engler wie auch der Kläger selbst
erkennen müssen, dass sich die Einholung der Genehmigung aufdrängte. Zu
beachten ist schliesslich, dass das SIA-Regelwerk in sich widersprüchlich
ist, weil in der SIA-Norm 102 betreffend die Beziehungen zwischen Bauherrn
und Architekt keine den Art. 154 und 155 der SIA Norm 118 entsprechende
Ermächtigung des Architekten vorgesehen ist. Auch wenn im vorliegenden
Fall offen ist, ob zwischen Architekt Engler und der Beklagten die
Anwendung der SIA-Norm 102 vereinbart und ob die Beklagte durch die
mangelnde Kongruenz der beiden SIA-Ordnungen irregeführt worden ist,
ist das Fehlen einer entsprechenden Klausel in der SIA-Norm 102 doch ein
Indiz dafür, dass sie für den Bauherrn ungewöhnlich sein kann.