Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 418



109 II 418

88. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. November 1983 i.S.
B. gegen Verzinkerei Egnach AG (Berufung) Regeste

    Verjährung von Schadenersatzansprüchen gemäss Art. 679 ZGB.

    Schadenersatzansprüche, die sich auf Art. 679 ZGB stützen, unterliegen
der Verjährung gemäss Art. 60 OR, während der Anspruch auf Beseitigung
der zugrundeliegenden Schädigung unverjährbar ist. Die Verjährungsfrist
für den Schadenersatzanspruch beginnt daher nicht zu laufen, solange das
schädigende Ereignis, d.h. die übermässige Immission, andauert.

Sachverhalt

    A.- B. erwarb im Jahre 1964 in der Gemeinde Egnach eine Liegenschaft
und verlegte seinen Wohnsitz dorthin. Im gleichen Jahr wurde das
Nachbargrundstück an die Verzinkerei Egnach AG verkauft, welche darauf
ihren Verzinkereibetrieb errichtete. Der Ausbau der entsprechenden
Werkanlagen erfolgte in den Jahren 1965 bis 1967. Von Mitte November 1964
bis Ende Oktober 1966 war B. als Hilfsarbeiter in der Verzinkerei tätig. Er
beschwerte sich seit der Aufnahme des Werkbetriebs der Verzinkerei
über übermässige Lärmimmissionen. Trotzdem lehnte er drei Offerten der
Verzinkerei Egnach AG, seine Liegenschaft käuflich zu übernehmen, ab.

    Seit 1963 steht B. wegen einer endogenen Depression in psychiatrischer
Behandlung. Im Jahre 1971 stellten die Ärzte auch bei seiner Ehefrau eine
Depression exogen-reaktiver Natur fest.

    B.- Im März 1978 erhob B. gegen die Verzinkerei Egnach AG Klage
auf Feststellung und Unterlassung der übermässigen Lärmimmissionen
in der Zeit von 19.00 Uhr bis 07.00 Uhr sowie auf Schadenersatz im
Betrag von Fr. 119'844.90 zuzüglich Zins zu 5% seit dem 1. September
1974, unter Vorbehalt des Nachklagerechts mit Rücksicht auf weitere
Schadenersatzansprüche.

    Mit Urteil vom 25. September 1981 stellte das Bezirksgericht Arbon
fest, dass vom Grundstück der Beklagten übermässige Lärmimmissionen
ausgehen, und verpflichtete diese zur Ausführung verschiedener
lärmdämpfender Massnahmen. Dieses Teilurteil, das sich nicht mit der
Schadenersatzforderung befasste, wurde am 5. März 1982 vom Obergericht des
Kantons Thurgau bestätigt und ist inzwischen in Rechtskraft erwachsen. Es
ist damit hinsichtlich der lärmdämpfenden Vorkehren gegen die nach wie
vor übermässigen Lärmimmissionen vollstreckbar geworden.

    C.- Über die vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzforderung
entschied das Bezirksgericht Arbon mit Urteil vom 24. November 1982. Es
wies das entsprechende Rechtsbegehren ab mit der Begründung, die Forderung
sei im Sinne von Art. 60 Abs. 1 OR verjährt, sofern sie überhaupt zu
Recht bestehe.

    Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung an das Obergericht des
Kantons Thurgau, welche am 1. März 1983 abgewiesen wurde.

    D.- Der Kläger führt hiegegen beim Bundesgericht Berufung. Er beantragt
die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 1. März 1983 und die
Gutheissung seiner Schadenersatzforderung, eventuell die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zu
neuer Entscheidung.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil
auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an
die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Kläger wirft der Vorinstanz vor, sie habe gegen Bundesrecht
verstossen, indem sie angenommen habe, seine Schadenersatzforderung sei
bereits verjährt. Er bestreitet zwar nicht, dass der eingeklagte Betrag
sich im wesentlichen aus den Auslagen für ärztliche Behandlung in den
Jahren 1968 bis 1974 und aus dem Ersatz für seine von der Beklagten
widerrechtlich herbeigeführte Erwerbsunfähigkeit in den Jahren 1968
bis 1974 zusammensetzt und dass auch die Verursacherin des behaupteten
Schadens seit Jahren bekannt ist, so dass eine Schadenersatzforderung für
einen bestimmten Teilschaden gegenüber einem seit längerer Zeit bekannten
Schädiger geltend gemacht wird. Der Kläger geht indessen davon aus,
dass die im Jahre 1982 vom Obergericht als widerrechtlich festgestellten
Lärmimmissionen nach wie vor andauern und die Ursache empfindlicher
Beeinträchtigungen seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit wie auch der
Gesundheit seiner Ehefrau bilden. Das gesamte Ausmass des Schadens sei
daher noch nicht absehbar, weshalb die Verjährungsfrist von Art. 60 OR
nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung noch nicht zu laufen begonnen
habe, auch wenn gewisse Schadenspositionen bereits bekannt seien.

Erwägung 3

    3.- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts unterliegen
Schadenersatzansprüche, die sich auf Art. 679 ZGB stützen, der Verjährung
gemäss Art. 60 OR (BGE 107 II 140, 81 II 445/46 und 68 II 375). Nach dieser
Bestimmung sind eine relative Verjährungsfrist von einem Jahr von dem Tag
hinweg, wo der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des
Ersatzpflichtigen erlangt hat, und eine absolute Frist von zehn Jahren,
vom Tage der schädigenden Handlung an gerechnet, zu beachten. Im Gegensatz
dazu gilt der Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung der Schädigung
gemäss Art. 679 ZGB als unverjährbar. Er setzt indessen voraus, dass
ein als fortdauernde Störung wirkender Zustand beseitigt werden kann
oder eine weitere widerrechtliche Einwirkung zu verhindern ist (BGE 81
II 446 f. mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit dem Beseitigungsanspruch
hat sich unter anderem die Frage gestellt, ob mit dem Begriff der
Schädigung im Sinne von Art. 679 ZGB der Erfolg der Einwirkung auf dem
geschädigten Grundstück oder die schädigende Handlung bzw. der schädigende
Zustand auf dem Ausgangsgrundstück gemeint sei. Das Bundesgericht hat
diese Frage in BGE 107 II 136 E. 3 dahingehend beantwortet, dass der
geschädigte Grundeigentümer mit der Beseitigungsklage des Art. 679
ZGB nur die Beseitigung des den Schaden verursachenden Zustandes auf
dem Ausgangsgrundstück, nicht aber die Wiederherstellung des früheren
Zustandes seines verletzten Eigentums verlangen könne. Es hielt dafür,
dass angesichts des mit Art. 679 und 684 ZGB vom Gesetzgeber verfolgten
Zwecks von den Vorrichtungen und Anlagen auszugehen sei, von denen
die Immissionen herrühren. Mit der Beseitigungsklage des Art. 679 ZGB
soll der Eigentümer des Ausgangsgrundstücks dazu verhalten werden, sein
Eigentumsrecht in einer Weise auszuüben, die keine unerlaubten Einwirkungen
auf das Nachbargrundstück mehr zur Folge hat. Die Klage richte sich somit
gegen die Art der Bewirtschaftung des Ausgangsgrundstücks. Sollten dagegen
die Folgen der übermässigen Immissionen auf dem geschädigten Grundstück
beseitigt werden, so könne nur die Schadenersatzklage angestrengt werden
(BGE 107 II 136 E. 3a und b).

    Indessen besteht zwischen dem Beseitigungsanspruch und demjenigen auf
Schadenersatz insofern ein unmittelbarer Zusammenhang, als der auf dem
geschädigten Grundstück eingetretene Schaden auf die dem Beseitigungs-
und allenfalls dem Unterlassungsanspruch zugrundeliegende übermässige
Immission zurückzuführen ist. Das schädigende Ereignis, das die als Schaden
zu bezeichnenden Folgen auf dem Nachbargrundstück hervorbringt, ist die
dem unverjährbaren Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch unterliegende
widerrechtliche Immission auf dem Ausgangsgrundstück. Daraus folgt
für die allein verjährbare Schadenersatzforderung, dass grundsätzlich
keine Verjährungsfrist läuft, solange das schädigende Ereignis andauert
(BGE 107 II 140 und 81 II 448 mit Hinweis). Das Bundesgericht schränkt
diese Betrachtungsweise in BGE 81 II 448 insofern ein, als es festhält,
eine Verjährung könne nur dann nicht zu laufen beginnen, wenn und solange
kein abgeschlossener Schaden vorliege. Dieser Vorbehalt bedeutet indessen
nur eine Verdeutlichung und nicht eine eigentliche Einschränkung des oben
Gesagten. Das Bundesgericht verweist nämlich an dieser Stelle auf BGE 55
II 253 E. 2. Aus diesem Urteil ergibt sich aber mit aller Deutlichkeit,
dass der behauptete Schaden nur dann als abgeschlossen betrachtet werden
soll, wenn die schädigende Handlung bzw. das schädigende Ereignis schon vor
der Einreichung der Schadenersatzklage aufgehört hat. Damit wird auch die
in der kantonalen Rechtsprechung vereinzelt vertretene Meinung abgelehnt,
wonach es für die Verjährung einer Schadenersatzforderung aufgrund einer
übermässigen Immission nur auf den Beginn des schädigenden Ereignisses
ankomme, nicht aber auf das Andauern der widerrechtlichen Immission
(vgl. das in BGE 81 II 448 zitierte Urteil der Genfer Cour de Justice,
in SJ 1945 S. 412).

    Nun sind gegen diese Betrachtungsweise der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung in der jüngeren Doktrin gewisse Vorbehalte angemeldet
worden (siehe SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-,
Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I § 60 S. 125 ff.). Dieser Autor
weist darauf hin, dass der Schadenersatzanspruch bei wiederholten und
fortgesetzten Delikten, aber auch bei Dauer- und Zustandsdelikten einer
Gesamtverjährung unterliegen sollte. Doch macht auch er eine Ausnahme
für jene Fälle, in denen die Natur des verletzten Rechtsgutes einen
Verzicht und damit auch die Verjährung künftiger Ansprüche ausschliesst
oder besondere Regeln entgegenstehen, wozu namentlich die meisten
Gefährdungen der körperlichen Integrität und anderer Persönlichkeitsgüter,
auf deren Schutz ihr Träger nicht bindend verzichten kann, gehören
(SPIRO, aaO, S. 128). Solche Persönlichkeitsgüter liegen aber auch der
Schadenersatzforderung des Klägers zugrunde, verlangt er doch Schadenersatz
wegen der durch die übermässigen Immissionen bewirkten Beeinträchtigung
seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit.

Erwägung 4

    4.- Der Kläger hat nun seine Schadenersatzansprüche in einem
Zeitpunkt geltend gemacht, da die mit Urteil des Obergerichts vom 5. März
1982 rechtskräftig als übermässig und damit widerrechtlich beurteilten
Lärmimmissionen vom Grundstück der Beklagten noch andauerten. Es handelte
sich auch nicht um blosse Folgewirkungen einer unzulässigen Immission,
wie dies für den BGE 81 II 439 ff. zugrundeliegenden Sachverhalt zutraf
(dazu LIVER, N. 216 f. zu Art. 737 ZGB, und ZBJV 1983/119 S. 115
ff.), sondern um andauernden übermässigen Lärm. Eine Verjährung des
Schadenersatzanspruchs konnte deshalb nicht eintreten. Aber auch während
des Prozesses konnte die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen,
solange die übermässigen Lärmimmissionen noch andauerten bzw. andauern,
was mindestens bis zum Eintritt der Rechtskraft des ersten Teilurteils
des Obergerichts vom 5. März 1982 der Fall war, nach Meinung des Klägers
aber heute noch zutrifft.

    Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass mit der
Schadenersatzklage nur Schadensposten geltend gemacht werden, die bereits
abgeschlossen sind und sich zum Teil nicht mehr wiederholen können, wie
das für die Erwerbsunfähigkeit des Klägers, der inzwischen ins AHV-Alter
eingetreten ist, in den Jahren 1968 bis 1974 zutrifft. Der Kläger
bemerkt mit Recht unter Hinweis auf BGE 92 II 1 ff., dass die einzelnen
Schadensposten, die derselben unerlaubten Handlung entspringen, nicht
voneinder zu unterscheidende besondere Schäden darstellen, sondern nur
Bestandteile eines einzigen Schadens sind, der erst verwirklicht ist, wenn
sein in chronologischer Reihenfolge letzter Teil eingetreten ist. Diese
Rechtsprechung wird mit dem Hinweis auf den Zweck des Instituts der
Verjährung begründet. Unbesehen des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit auf
seiten des Schädigers soll nämlich der Geschädigte angesichts der kurzen
gesetzlichen Verjährungsfristen nicht gezwungen sein, ein einheitliches
Schadensereignis mit unterschiedlichen Schadensfolgen in einer Vielzahl
von Prozessen geltend zu machen. Ein solches mühsames Vorgehen würde
der Rechtssicherheit nicht dienen, welche das Institut der Verjährung zu
fördern bezweckt (BGE 92 II 5).

    Nach dem Ausgeführten hat die Vorinstanz die vom Kläger geltend
gemachte Schadenersatzforderung zu Unrecht als verjährt betrachtet und die
Klage demzufolge abgewiesen. Ist die Verjährung des Anspruchs noch nicht
eingetreten, so hat das Obergericht die Klage materiell zu behandeln. Das
angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur materiellen
Beurteilung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.