Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 400



109 II 400

84. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1983 i.S.
X. gegen Z. (als Berufung behandelte staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Sicherstellung der Miterben durch einen nutzniessungsberechtigten Erben
(Art. 464, 760 ff. ZGB).

    1. Der Entscheid der letzten kantonalen Instanz, durch den ein
nutzniessungsberechtigter Erbe zur Sicherstellung der Miterben verpflichtet
wird, ist grundsätzlich mit Berufung anfechtbar (E. 1).

    2. Das Sicherstellungsbegehren kann durch einen einzigen Erben
eingereicht werden, doch müssen sich die Miterben dazu äussern können;
soweit diese weder dem Begehren beitreten noch sich von vornherein einem
darüber ergehenden Urteil unterziehen wollen, sind sie auf der Seite des
Beklagten in den Prozess einzubeziehen (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Der am 7. August 1977 verstorbene A. X. hinterliess als gesetzliche
Erben seine Ehefrau B. X.-Y. sowie neun Kinder. Durch das Urteil des
Bundesgerichts (II. Zivilabteilung) vom 31. März 1982 wurde die zu seinem
Nachlass gehörende landwirtschaftliche Liegenschaft rechtskräftig zum
Ertragswert der Tochter C. Z.-X. zu Eigentum zugewiesen. Im übrigen
blieb der Nachlass ungeteilt. In einem vom 12. März 1969 datierten
Testament hatte der Erblasser unter anderem verfügt, dass seine Ehefrau
von seinem Nachlassvermögen einen Viertel zu Eigentum und drei Viertel
zur lebenslänglichen Nutzniessung erhalten soll.

    Auf Begehren von C. Z.-X. ordnete das zuständige
Bezirksgerichtspräsidium mit superprovisorischer Verfügung vom
25. August 1982 an, dass verschiedene Banken die auf den Namen des
Erblassers, der Ehefrau oder der Erbengemeinschaft lautenden Guthaben
vorläufig zu sperren hätten. Nach durchgeführtem Verfahren wurde das
von C. Z.-X. gegen ihre Mutter gestellte Sicherstellungsbegehren durch
Verfügung des Gerichtspräsidiums vom 20. Dezember 1982 geschützt; die
superprovisorisch angeordnete Sperre wurde bestätigt, wobei festgehalten
wurde, dass B. X.-Y. lediglich ermächtigt sei, über den jeweiligen Zins
zu verfügen.

    Eine von B. X.-Y. gegen die bezirksgerichtliche Verfügung eingereichte
Beschwerde wies die Rekurs-Kommission des Obergerichtes des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 11. März 1983 ab.

    Diesen Entscheid hat B. X.-Y. mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV beim Bundesgericht angefochten.

    Am 17. November 1983 hat die erkennende Abteilung beschlossen, die
als staatsrechtliche Beschwerde bezeichnete Eingabe von B. X.-Y. werde
als Berufung und die Vernehmlassung von C. Z.-X. als Berufungsantwort
entgegengenommen. Die Berufungsverhandlung ist heute durchgeführt worden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde
nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch
Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde
gerügt werden kann.

    a) Streitig ist zwischen den Parteien die Sicherstellung
erbrechtlicher Ansprüche im Sinne des Art. 464 in Verbindung mit den
Art. 760 ff. ZGB durch die am ganzen Nachlass nutzniessungsberechtigte
Beklagte. Im Gegensatz zu gewissen andern im Zivilgesetzbuch vorgesehenen
Sicherungsmassnahmen, etwa zu den vorsorglichen Massregeln gemäss Art. 594
Abs. 2 ZGB zu Gunsten eines Vermächtnisnehmers, handelt es sich hier um
einen ganz bestimmten materiell-rechtlichen Anspruch. Das wird daraus
ersichtlich, dass der zur Sicherstellung der Miterben Verpflichtete unter
Umständen auch zu einer eigenen Leistung wie der Pfandbestellung oder der
Bürgschaft angehalten werden kann. Die gerichtliche Auseinandersetzung
über einen solchen Anspruch ist als Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne der
Art. 44 und 46 OG zu bezeichnen (vgl. BGE 104 II 140). Aus dieser Sicht
ist gegen den angefochtenen Entscheid somit die Berufung gegeben.

    b) Die Berufung ist grundsätzlich erst gegen Endentscheide zulässig
(Art. 48 OG). Die Rekurs-Kommission des Obergerichtes bestätigte
einen Entscheid, der im summarischen Verfahren gemäss den § 193
ff. der thurgauischen Zivilprozessordnung ergangen war. Bezüglich des
(summarischen) Befehlsverfahrens, wie es bis Ende 1976 im Kanton Zürich in
Kraft stand, nahm das Bundesgericht an, dass obergerichtliche Entscheide
betreffend Befehlsbegehren auf dem Wege der Berufung an das Bundesgericht
weitergezogen werden könnten, sofern das Begehren gutgeheissen und der
Beklagte zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet worden sei, ohne
dass dadurch zwangsläufig ein ordentliches Verfahren ausgelöst worden
sei. Den endgültigen Charakter solcher Entscheidungen erblickte das
Bundesgericht darin, dass die dem Beklagten auferlegte Verpflichtung
in der Regel doch während längerer Zeit ihre Wirkungen entfalte und
sogar Gegenstand von Vollstreckungsmassnahmen bilden könne (vgl. BGE
102 II 62 E. 2; 100 II 288 f. E. 1; dazu auch WURZBURGER, Les conditions
objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, Diss. Lausanne 1964,
S. 194). Diese Voraussetzungen sind beim hier angefochtenen Entscheid
der obergerichtlichen Rekurs-Kommission erfüllt.
   c) ...

    d) Die falsche Wahl oder Bezeichnung eines Rechtsmittels an das
Bundesgericht schadet der betreffenden Partei nicht, wenn ihre Eingabe den
gesetzlichen Anforderungen des allein zulässigen Rechtsmittels genügt (so
BGE 95 II 378 E. 2 und 3 bezüglich einer als staatsrechtliche Beschwerde
zu behandelnden Berufung und BGE 103 II 71 f. E. 2 hinsichtlich einer
staatsrechtlichen Beschwerde, die als Nichtigkeitsbeschwerde zu behandeln
war). Die Beklagte wirft der obergerichtlichen Rekurs-Kommission eine
willkürliche Anwendung der Art. 464 bzw. 760 ff. ZGB vor. Sie rügt mithin
eine Verletzung von Bundesprivatrecht im Sinne von Art. 43 OG. Ihre
Eingabe ist demnach als Berufung entgegenzunehmen.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 602 Abs. 2 ZGB werden die Erben Gesamteigentümer
der Erbschaftsgegenstände; unter Vorbehalt der vertraglichen oder
gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse verfügen sie über
die Rechte der Erbschaft gemeinsam. Das Prinzip der Gesamthandschaft
gilt auch dann, wenn gegenüber einem nutzniessungsberechtigten Erben
die Sicherstellung erbrechtlicher Ansprüche auf dem Prozessweg erwirkt
werden soll. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein einzelnes Mitglied
einer Erbengemeinschaft von den Miterben an der Durchsetzung seines
Sicherstellungsanspruches gehindert werden könnte oder dass bei einer
Weigerung der Miterben, sich dem Sicherstellungsbegehren eines einzelnen
anzuschliessen, im Sinne von Art. 602 Abs. 3 ZGB ein Erbenvertreter zu
bestellen wäre. Eine Sicherstellung im Sinne von Art. 464 ZGB muss jeder
einzelne Erbe unabhängig von den andern verlangen können. Da jedoch vor der
Teilung die Erbanteile der einzelnen Erben noch nicht ausgeschieden sind,
bezieht sich eine Sicherstellung der erwähnten Art naturgemäss auf den
ganzen Nachlass. Unter dem Gesichtspunkt des Gesamthandprinzips genügt es
bei dieser Sachlage, dass sich sämtliche Erben zum Sicherstellungsbegehren
äussern und, soweit sie weder dem Begehren beitreten noch sich von
vornherein einem darüber ergehenden Urteil unterziehen wollen, auf der
Seite des Beklagten am Prozess teilnehmen (vgl. BGE 74 II 215 ff.,
insbes. S. 217 E. 3, worin es um die Anfechtung eines Kaufvertrages
betreffend eine zum Nachlass gehörende Liegenschaft ging, der zwischen
einem Erben und den übrigen Mitgliedern der Erbengemeinschaft abgeschlossen
worden war).

    Im vorliegenden Fall sind die Miterben der Parteien in keiner
Weise in das Verfahren einbezogen worden. Die für das klägerische
Begehren erforderliche Sachlegitimation ist mithin nicht gegeben, so
dass der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Klage abzuweisen ist
(vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 139).