Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 367



109 II 367

77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Juni 1983 i.S. E.
gegen E. (Berufung) Regeste

    Trennungsvereinbarung unter Ehegatten auf unbestimmte Zeit.

    Lehnt die Ehefrau ohne Nachweis der Voraussetzungen von Art. 170 Abs. 1
ZGB unter Berufung auf eine unter den Ehegatten vereinbarte Trennung
auf unbestimmte Zeit die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft ab,
kann der Ehemann erneut Scheidungsklage erheben, wenn er eine erste
Scheidungsklage gestützt auf die Trennungsvereinbarung zurückgezogen hat.

Sachverhalt

    A.- Alfred E. und Elsbeth N. gingen am 6. November 1953 miteinander die
Ehe ein. Im Rahmen eines von der Ehefrau angestrengten Eheschutzverfahrens
wurde der gemeinsame Haushalt aufgrund einer Parteivereinbarung am 6. Juni
1972 vorerst für sechs Monate aufgehoben. Ein Zusammenleben der Ehegatten
kam indessen nie mehr zustande.

    Am 22. April 1974 reichte Alfred E. eine Scheidungsklage ein. Während
des Scheidungsverfahrens schlossen die Parteien im August 1976 eine
schriftliche Vereinbarung, in welcher sie festhielten, dass sie seit dem
1. Juli 1972 getrennt gelebt hätten und dass ein weiteres Zusammenleben
nicht mehr denkbar sei, weshalb sie sich beide mit einer Trennung auf
unbestimmte Zeit einverstanden erklärten. Sie regelten die güterrechtlichen
Verhältnisse und einigten sich auf einen Unterhaltsbeitrag für die
Ehefrau. Die Gültigkeit der Vereinbarung wurde davon abhängig gemacht,
dass der Ehemann die Scheidungsklage zurückziehe. Am 5. November 1976
nahm das Zivilamtsgericht vom Rückzug der Klage Kenntnis und "genehmigte"
die zwischen den Ehegatten abgeschlossene Vereinbarung.

    Mit Schreiben vom 9. Mai 1979 richtete Alfred E. an seine Ehefrau
die Frage, ob sie bereit sei, das eheliche Zusammenleben wieder
aufzunehmen. Als die Antwort negativ ausfiel, erhob der Ehemann am
25. April 1980 erneut Scheidungsklage. Diese wurde vom Zivilamtsgericht mit
Urteil vom 18. Juni 1982 zurückgewiesen mit der Begründung, es seien keine
Tatsachen nachgewiesen worden, welche sich nach der ersten Scheidungsklage
zugetragen hätten und geeignet wären, die Ehe der Parteien gegenüber dem
Zeitpunkt des ersten Scheidungsverfahrens wesentlich anders erscheinen zu
lassen. Der zweiten Scheidungsklage stehe somit die res iudicata entgegen.

    Der Appellationshof des Kantons Bern wies eine Appellation des Klägers
ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

    Mit Berufung an das Bundesgericht verlangt der Kläger die Aufhebung
des Urteils des Appellationshofs und die Scheidung der Ehe der Parteien.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene
Urteil auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt der
ersten Scheidungsklage die Zerrüttung der Ehe der Parteien zu bejahen
gewesen wäre. Dem Klagerückzug des Ehemannes komme in prozessualer
Hinsicht die gleiche Bedeutung zu wie einem Scheidungsurteil. Eine
neue Scheidungsklage könne daher nur unter der Voraussetzung an die
Hand genommen werden, dass inzwischen neue Tatsachen eingetreten seien,
welche für sich allein oder doch zusammen mit den früher gewürdigten ein
wesentlich verändertes Bild der Ehe ergäben. Dies sei indessen hier nicht
der Fall, stütze sich doch die zweite Scheidungsklage des Ehemannes in
erster Linie auf die schon im Jahre 1976 festgestellte Zerrüttung. Dass
beide Ehegatten sich während der im August 1976 für unbestimmte Zeit
vereinbarten Trennung nicht weiter um die Ehe bemüht hätten, falle dagegen
nicht weiter ins Gewicht. Insbesondere könne nicht von Bedeutung sein,
dass der Kläger am 9. Mai 1979 die Beklagte mit eingeschriebenem Brief
zur Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts aufgefordert, sie dies am
21. Mai 1979 jedoch abgelehnt habe. Aus dieser Aufforderung ergebe sich
kein ehrliches Bemühen des Klägers um die Ehe, gebe dieser doch selber
zu, dass er im übrigen nie Kontakt mit der Beklagten gesucht habe. Auch
die Weigerung der Beklagten, zum Kläger zurückzukehren, stelle keine
neue Tatsache dar. In diesem Zusammenhang sei vor allem zu beachten,
dass die Ehegatten in ihrer Trennungsvereinbarung vom August 1976 selber
übereinstimmend festgestellt hätten, dass ein weiteres Zusammenleben nicht
mehr denkbar sei und dass die Beklagte durchaus wichtige Gründe gehabt
habe, nicht mehr an den ehelichen Wohnsitz zurückzukehren. Der Kläger
habe daher keine neuen Tatsachen vorzubringen vermocht, welche die Ehe
der Parteien gegenüber dem Zeitpunkt des Klagerückzugs im Jahre 1976 in
einem wesentlich veränderten Licht erscheinen liessen.

Erwägung 3

    3.- Diese Betrachtungsweise der Vorinstanz hat zur Folge, dass
der von den Parteien vereinbarten Trennung auf unbestimmte Zeit,
die dann allerdings vom Zivilamtsgericht, jedoch ohne materielle
Prüfung, "genehmigt" worden ist, eine Wirkung zukommen soll, die selbst
diejenige eines vom Richter gestützt auf Art. 147 ZGB ausgesprochenen
Trennungsurteils bei weitem übertrifft. Bei einer gerichtlichen Trennung
auf unbestimmte Zeit kann nach Ablauf von drei Jahren von beiden Ehegatten
die Scheidung verlangt werden. Nach Art. 148 Abs. 1 ZGB muss die Scheidung
ausgesprochen werden, auch wenn nur ein Ehegatte sie verlangt, es sei
denn, dass sie auf Tatsachen gegründet werde, die ausschliesslich den
nunmehr die Scheidung verlangenden Ehegatten als schuldig erscheinen
lassen. Indessen ist gestützt auf Art. 148 Abs. 2 ZGB die Scheidung auch in
diesem Falle auszusprechen, wenn der andere Ehegatte die Wiedervereinigung
verweigert. Lehnt die Beklagte im vorliegenden Fall die Wiederaufnahme
der ehelichen Gemeinschaft ernsthaft ab, müsste die Ehe geschieden werden,
sofern das Getrenntleben auf einem richterlichen Trennungsurteil beruhen
würde. Dass das für eine lediglich unter den Parteien vereinbarte Trennung
nicht gelten soll, erscheint als stossend. Es darf nicht übersehen werden,
dass einer solchen Trennungsvereinbarung unter den Ehegatten nicht die
Bedeutung zukommen kann, dass damit der eheliche Haushalt für alle Zeiten
aufgehoben sei. Angesichts der mit der Ehe grundsätzlich verbundenen
beidseitigen Pflicht des Zusammenlebens kann die Aufnahme des gemeinsamen
Haushalts nicht gegen den Willen eines Ehegatten auf die Dauer abgelehnt
werden, es sei denn, der sich dem Zusammenleben widersetzende Ehegatte
könne sich auf Art. 170 Abs. 1 ZGB berufen. Ist dies nicht der Fall und
lehnt ein Ehegatte oder lehnen beide ein weiteres Zusammenleben ab, so
kann dieses Verhalten nicht einfach mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt
werden, es seien sich beide Gatten über die Tatsache, dass ihre Ehe
zerrüttet sei, einig. Damit würde dem Umstand nicht Rechnung getragen,
dass trotz der Zerrüttung die Ehe nicht geschieden worden ist und demnach
für die Ehegatten die grundsätzliche Pflicht zur Führung eines gemeinsamen
Haushalts weiterbesteht.

    Die von den Parteien im August 1976 geschlossene Vereinbarung über
die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft auf unbestimmte Zeit ist unter
den gegebenen Umständen bundesrechtswidrig. Die Vorinstanz hätte daher
dem Abschreibungsbeschluss, den das Zivilamtsgericht am 5. November
1976 aufgrund dieser Vereinbarung und des Klagerückzugs des Ehemannes
erliess, nicht die Wirkung einer bereits beurteilten Streitsache zumessen
dürfen. Die Einrede der res iudicata ist daher zu verwerfen, was zur
Folge hat, dass die Scheidungsklage materiell geprüft werden muss. Dies
führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides und zur Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur materiellen Behandlung.