Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 353



109 II 353

75. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Juni 1983 i.S. X.
gegen Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, DRS (Berufung)
Regeste

    Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (Art. 28 ZGB).

    1. Die Ausstrahlung eines Dokumentarspiels über Rundfunk, welches
die Person eines Straftäters zum Gegenstand hat, kann für diesen eine
Verletzung in den persönlichen Verhältnissen bedeuten, wenn damit
ein Geschehen, das durch den Zeitablauf bereits wieder zum Intim- und
Privatbereich geworden ist, erneut an die Öffentlichkeit gezerrt wird
(E. 3).

    2. Auch ein naher Angehöriger des Straftäters kann durch die
Ausstrahlung einer solchen Radiosendung in seinen persönlichen
Verhältnissen verletzt werden (E. 4).

Sachverhalt

    A.- X. ist der Sohn des in Zug wegen Mordes verurteilten und
am 25. August 1939 hingerichteten Paul Irniger. Am 7. Januar 1980
reichte X. beim Bezirksgericht Zürich gegen die Schweizerische Radio-
und Fernsehgesellschaft SRG, DRS, eine Klage wegen Verletzung seiner
persönlichen Verhältnisse gemäss Art. 28 ZGB ein. Er stellte den Antrag,
es sei der Beklagten richterlich zu verbieten, die Hörfolge über "Das Leben
und Sterben des unwürdigen Dieners Gottes und mörderischen Vagabunden Paul
Irniger", verfasst von Pil Crauer nach den Gerichtsakten und Erinnerungen
der Zeitgenossen, durch Rundfunk zu verbreiten und diese Hörfolge in
den Radioprogrammen zu publizieren oder andere, für die Öffentlichkeit
bestimmte Mitteilungen über den Inhalt der Sendereihe zu machen.

    Mit Urteil vom 19. Juni 1981 hiess das Bezirksgericht die Klage
gut und verbot demzufolge die Verbreitung der Hörfolge durch Rundfunk
sowie durch Publikation in Radioprogrammen oder durch andere, für die
Öffentlichkeit bestimmte Mitteilungen über den Inhalt der Sendereihe. Es
nahm an, dass die Ausstrahlung des Hörspiels das Pietätsgefühl des Klägers,
sein inneres Ehrgefühl und seine äussere Ehre widerrechtlich verletzen
würde. Dieser unbefugte Eingriff werde auch nicht durch zureichende
Gründe gerechtfertigt, da weder die Einwilligung des Verletzten noch ein
höherwertiges öffentliches Interesse gegeben seien.

    B.- Die Beklagte erhob beim Obergericht des Kantons Zürich Berufung
und verlangte die Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts sowie die
vollumfängliche Abweisung der Klage. Das Obergericht wies in seinen
Erwägungen darauf hin, dass sich auch die Frage stelle, ob das Ansehen
des Klägers durch eine Ausstrahlung des umstrittenen Hörspiels Schaden
nehmen würde. Doch sei dieser Frage nicht weiter nachzugehen, nachdem der
Kläger eine Schmälerung seines Ansehens ausdrücklich nicht habe geltend
machen wollen und auch den Schutz seiner Ehre nicht beansprucht habe. Im
übrigen gelangte das Obergericht zur Auffassung, der Kläger mache zu Recht
eine unbefugte Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte geltend und dürfe
deshalb darauf bestehen, dass die umstrittene Sendereihe über den Rundfunk
nicht verbreitet werde. Hingegen sei das zweite Begehren des Klägers, der
Beklagten sei zu verbieten, das Hörspiel in Radioprogrammen zu publizieren
oder andere, für die Öffentlichkeit bestimmte Mitteilungen über den Inhalt
der Sendereihe zu machen, zu wenig konkret umschrieben. Finde eine solche
Mitteilung statt, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob sie die Rechte
des Klägers verletze. Dementsprechend hiess das Obergericht die Berufung
am 22. Oktober 1982 teilweise gut; es verbot der Beklagten, die Hörfolge
über "Das Leben und Sterben des Paul Irniger" im Rundfunk auszustrahlen,
und wies die weiteren Begehren des Klägers ab.

    C.- Gegen dieses Urteil führt die Beklagte Berufung an das
Bundesgericht. Sie stellt den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen
Urteils und auf Abweisung der Klage.

    Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit überhaupt auf
sie einzutreten sei.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen
des Obergerichts über die der Klage zugrunde liegenden tatsächlichen
Verhältnisse handelt es sich bei der Sendereihe über "Das Leben und Sterben
des unwürdigen Dieners Gottes und mörderischen Vagabunden Paul Irniger"
um ein Dokumentarspiel. Die Vorinstanz führt dazu aus, ein solches
Spiel erhebe den Anspruch, Zeitgeschichte wirklichkeitsgetreu und -
zumindest was die mitgeteilten Fakten anbelange - ohne künstlerische
Verfremdung wiederzugeben (EGLOFF, Dokumentarspiel, öffentliches
Informationsinteresse und Persönlichkeitsschutz, ZBl 83/1982,
S. 55 f.). Aufgrund zeitgenössischer Dokumente - im wesentlichen
Berichterstattungen und Kommentaren in Zeitungen sowie amtlicher Akten
- werde eine historisch verbürgte Handlung rekonstruiert. Sie werde
hauptsächlich in der Form von Zitaten aus diesen Quellen dargestellt,
indessen durch Spielhandlungen, Monologe und Gespräche unter beteiligten
Personen ergänzt, die zwar der Phantasie des Hörspielverfassers entstammen,
deren Inhalt sich aber auf das vorhandene Urkundenmaterial abstütze.

    Das hier umstrittene Dokumentarspiel enthalte nicht nur eine umfassende
und detaillierte Beschreibung der Herkunft, der familiären Verhältnisse,
des Lebens und der Delikte von Paul Irniger. Das Hörspiel gehe weit
darüber hinaus. So offenbare Paul Irniger Pater Gabriel in seiner
"Beichte" sein innerstes Wesen und seine tiefsten Empfindungen. Dabei
kämen die Schuldgefühle, die ihn seit frühester Jugend bedrängten, sowie
seine religiösen und sexuellen Probleme zur Sprache. In dem von Paul
Irniger zuhanden der Urner Gerichtsbehörden im Jahre 1936 verfassten
Lebenslauf versuche dieser, die Vergangenheit aufzuarbeiten und einen
neuen Lebensanfang zu finden. In einem Gutachten des Gerichtspsychiaters
M. finde sich eine Analyse der Persönlichkeit Paul Irnigers, die sich vor
allem mit seiner Skrupelhaftigkeit und seinen Schuldgefühlen befasse.
Weiter enthalte das Hörspiel den mit einem persönlichen Bekenntnis und
dem Ausdruck der Sühnebereitschaft verbundenen Rückzug der Appellation
gegen das ausgesprochene Todesurteil sowie die letzten Wünsche des zum
Tod Verurteilten an die Behörden des Kantons Zug, ferner seine letzten
Briefe an die Mutter und an eine Erzieherin. Schliesslich sei auch vom
Abschiedsbrief seiner Schwester die Rede. Die Szene der Hinrichtung werde
bis ins einzelne geschildert. Zusammenfassend könne festgehalten werden,
dass das Dokumentarspiel die Persönlichkeit Paul Irnigers bis in die
intimsten Details ausleuchte; insbesondere seien auch dessen Verhalten
und Reaktionen angesichts des nahen Todes Gegenstand der Betrachtung.

Erwägung 3

    3.- Beide Vorinstanzen haben angenommen, dass Paul Irniger selber, wenn
er noch leben würde, durch eine solche Darstellung seiner Persönlichkeit
in seinem Privat- und Geheimbereich verletzt würde. Richtig ist, dass
Paul Irniger in den Jahren, da er wegen seiner schweren Verbrechen
allgemeines Aufsehen erregt hatte, eine Person der Zeitgeschichte
war, was ein tieferes Eindringen in seine Persönlichkeit und seine
Lebensgeschichte zu rechtfertigen vermochte. Daraus darf indessen nicht
geschlossen werden, dass die Person eines Straftäters der Öffentlichkeit
für alle Zukunft in gleichem Masse zugänglich bleibe. Der Straftäter
ist nicht zu jenen Personen zu zählen, die wegen ihrer Stellung in der
Öffentlichkeit, beispielsweise als Träger höchster politischer oder
militärischer Funktionen, von allgemeinem Interesse sind, so dass ihnen
kaum ein Privat- und Geheimbereich verbleibt (REHBINDER, Schweizerisches
Presserecht, Bern 1975, S. 84 f.). Auch wenn der Straftäter zunächst
dem Zeitgeschehen angehört, so verlangt bereits das mit dem Strafvollzug
verknüpfte Ziel der Resozialisierung, dass das dem normalen Lauf der Dinge
entsprechende Vergessen eintreten kann. Allerdings können Straftaten als
solche in mehrfacher Hinsicht von bleibendem Interesse sein und Gegenstand
verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen bilden, wie der allgemeinen
Geschichtsschreibung, des Strafrechts und der Strafrechtsgeschichte oder
der Kriminologie. Indessen darf auch in diesem Zusammenhang nicht ausser
acht gelassen werden, dass die Person eines bestimmten Straftäters nur in
beschränktem Rahmen den anerkannten wissenschaftlichen Zielen allgemein
zugänglich bleiben darf. Es ist daher auch im wissenschaftlichen Bereich
eine gleichermassen anonyme Behandlung der besondern Täterpersönlichkeit
angezeigt, wie dies bei der Veröffentlichung von Strafurteilen zur
Information der interessierten Berufskreise der Fall ist. Vermöchte Paul
Irniger auch heute noch wie zur Zeit seiner Straftaten die Diskussion
um die Todesstrafe zu aktualisieren, so hätte das keineswegs zur Folge,
dass die Persönlichkeit dieses Straffälligen bis in alle Einzelheiten
des Privat- und Intimbereichs weiterhin einer umfassenden Öffentlichkeit
preisgegeben werden müsste.

    Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Vergessen eines
besondern Straftäters, der vor Jahrzehnten vorübergehend zu einer
Person der Zeitgeschichte geworden war, nie vollständig sein kann,
weil einzelne, die ein besonderes Interesse an Ereignissen von ehemals
zeitgeschichtlicher Bedeutung haben, diese in Erinnerung behalten
oder aufgrund von allgemein zugänglichen Informationsquellen erneut
in Erfahrung bringen können. Es macht aber einen Unterschied aus, ob
die grundsätzlich zunehmendem Vergessen anheimfallende Vergangenheit
in bezug auf die Intim- und Privatsphäre eines bestimmten Straftäters
nicht sofort ausgelöscht werden kann oder ob eine noch nicht völlig
ausgelöschte Vergangenheit durch ein elektronisches Massenmedium
erneut in das Bewusstsein einer grossen Öffentlichkeit gebracht wird,
wie dies durch die Ausstrahlung der umstrittenen Hörspielreihe im
Radio der Fall wäre. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, im
Strafprozess stehe schon der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit, der ja
auch dem Schutz des Straftäters diene, seinem Geheimhaltungsinteresse
entgegen. Dem Schutz der Privatsphäre kommt grundsätzlich grössere
Bedeutung zu als dem Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit. Dieser kann
nur insoweit Beachtung finden, als er seinen Zweck, vorab die Kontrolle
der Gerichtstätigkeit durch das Volk, noch verwirklichen kann. Doch
ist bei der Berichterstattung durch die Massenmedien bereits eine
gewisse Zurückhaltung geboten. Heute wird denn auch wieder vermehrt
die Pranger-Wirkung der Namensnennung in den Massenmedien und die
damit verbundene Gefährdung der Resozialisierung in Erinnerung gerufen
(GROSSEN, La protection de la personnalité en droit privé, ZSR 1960 II
S. 73a ff. und 79a ff.; SCHERER, Justiz und Massenmedien. Kontrollierende
oder kontrollierte Medienöffentlichkeit? Zeitschrift für ausländisches
öffentliches Recht und Völkerrecht, 39/1979, S. 44 ff.; BGE 64 I 173
ff., MKGE 9 Nr. 176 und BVerfGE 35, 232 i.S. Lebach). In der Regel
wird daher mit Recht ein gewisser zeitlicher Zusammenhang zwischen
der Berichterstattung und dem Prozessablauf gefordert, was sich
schon aus der Funktion der Berichterstattung als einem notwendigen
Ersatz für die unmittelbare Gerichtsöffentlichkeit ergibt. Nach
Verfahrensabschluss und dem Verstreichen jener Zeitspanne, die für den
der Berichterstattung eigenen Übermittlungsvorgang einzuräumen ist,
lässt es sich vom Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit her nicht mehr
rechtfertigen, jemanden in der Öffentlichkeit mit einem Strafverfahren
in Zusammenhang zu bringen. Abgesehen von Ausnahmefällen, in denen die
Veröffentlichung einem bedeutenden öffentlichen Interesse entspricht, sind
daher nachträgliche Berichterstattungen nach den allgemeinen Grundsätzen
des Persönlichkeitsschutzes zu beurteilen (GROSSEN, aaO S. 94a f.; HÜNIG,
Probleme des Schutzes des Beschuldigten vor den Massenmedien, Diss. Zürich
1973, S. 142 f.; SCHULTZ, Der Grundsatz der Öffentlichkeit im Strafprozess,
SJZ 69/1973, S. 132 ff.; HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen
Strafprozessrechts, S. 127). Dementsprechend müssen auch Gerichtsurteile
und Auszüge daraus nach Abschluss des Verfahrens für die Öffentlichkeit
insgesamt grundsätzlich unzugänglich bleiben (vgl. MKGE 9 Nr. 176).

    Stünde hier der Persönlichkeitsschutz des Straftäters Paul Irniger
selber zur Diskussion, könnte sich die Beklagte auch nicht auf ein
höherwertiges Interesse berufen, das den grundsätzlich unbefugten Eingriff
in die Intim- und Privatsphäre dieses Straftäters zu rechtfertigen
vermöchte. Zwar hat die Presse, wie das Bundesgericht schon im Jahre
1911 festgehalten hat, nach wie vor den Auftrag, dem Leser bestimmte,
die Allgemeinheit interessierende Tatsachen zur Kenntnis zu bringen,
ihn über politische, ökonomische, wissenschaftliche, literarische und
künstlerische Ereignisse aller Art zu orientieren, auf die praktische
Lösung eines die Öffentlichkeit beschäftigenden Problems hinzuwirken, über
die Staatsverwaltung und insbesondere über die Verwendung der öffentlichen
Gelder Aufschluss zu verlangen, allfällige Missbräuche im Gemeinwesen
aufzudecken usw. (BGE 37 I 377). Damit ist aber nicht auch erstellt,
dass sich die Massenmedien mit Rücksicht auf ihren anerkannten Auftrag
gegenüber der Öffentlichkeit auf einen umfassenden Rechtfertigungsgrund
berufen könnten, der auch den Intim- und Privatbereich des einzelnen
Bürgers einschliessen würde (LÜCHINGER, Der privatrechtliche Schutz der
Persönlichkeit und die Massenmedien, SJZ 70/1974, S. 321 ff., insbes. S.
326). Beim hier zu beurteilenden Dokumentarspiel geht es vor allem
um die Unterhaltung des Hörerpublikums, was sich auch daraus ergibt,
dass die Abteilung Unterhaltung von Radio DRS Pil Crauer den Auftrag
für die Hörspielfolge erteilt hat. Böten die Person und das Leben von
Paul Irniger unabhängig von seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung als
Straftäter ein besonderes literarisches Interesse, so stünde zwar einer
Stoffbearbeitung in anderer Kunstform der Persönlichkeitsschutz nicht ohne
weiteres entgegen. Anders verhält es sich dagegen bei einem Dokumentarspiel
der dargelegten Art, in dem die unverfremdete Persönlichkeit Paul Irnigers
im Mittelpunkt steht und bis in ihre innersten Bereiche ausgeleuchtet wird.

    Dass der Vater des Klägers, würde er heute noch leben, selber gestützt
auf Art. 28 Abs. 1 ZGB verlangen könnte, dass die Beklagte die Verbreitung
des Dokumentarspiels "Das Leben und Sterben des unwürdigen Dieners Gottes
und mörderischen Vagabunden Paul Irniger" über Rundfunk unterlasse,
steht somit ausser jedem Zweifel.

Erwägung 4

    4.- a) Zu prüfen bleibt indessen die Frage, ob auch der Sohn
des tatsächlich nicht mehr lebenden Paul Irniger, der im Alter von
sieben Jahren durch Namensänderung den Namen X. angenommen hat, sich
auf Art. 28 ZGB berufen und gegen die Ausstrahlung der Sendereihe zur
Wehr setzen könne. Mit den Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass nach
schweizerischer Rechtsauffassung der Persönlichkeitsschutz mit dem Tode
einer Person (Art. 31 Abs. 1 ZGB) sein Ende findet. Wird in den Intim-
und Privatbereich einer nicht mehr lebenden Person eingegriffen, so
kann Art. 28 ZGB nicht mehr in ihrem Namen angerufen werden. Obwohl
nicht zu bestreiten ist, dass gewisse Verletzungen der Persönlichkeit
auch nach dem Tode noch möglich bleiben, wie etwa das Ansehen gegenüber
Dritten, so entfällt mit dem Ende der Rechtsfähigkeit im Zeitpunkt des
Todes auch notwendigerweise die Klagelegitimation. Das schliesst jedoch
nicht aus, dass nahe Angehörige für den Schutz der den Tod überdauernden
Persönlichkeitsgüter besorgt sind, indem sie sich hiefür auf ihr eigenes
Persönlichkeitsrecht berufen, das mindestens in einem gewissen Umfang
auch die Wahrung des Ansehens naher Verwandter zum Gegenstand haben kann
(BGE 104 II 235 E. 5b und 101 II 191 mit weiteren Hinweisen). In BGE
104 II 225 ff. hat es das Bundesgericht als zulässig erachtet, dass die
Witwe und die Kinder eines in seiner Ehre angegriffenen Kunsthändlers in
eigenem Namen die Persönlichkeitsverletzung durch eine Presseäusserung
rügen, die sich gegen den inzwischen Verstorbenen richtete und von diesem
selber noch gestützt auf Art. 28 ZGB und mit Strafklage zum Gegenstand
eines richterlichen Verfahrens gemacht worden war. Es führte aus, dass es
den nächsten Angehörigen nur auf diese Weise möglich sei, das Ansehen des
Ehemannes und Vaters zu schützen und so ihre innere Verbundenheit mit dem
Verstorbenen zu wahren. Das Bundesgericht hat aber auch ein den nächsten
Angehörigen um ihrer Persönlichkeit willen zustehendes Recht, über das
Schicksal des Leichnams zu bestimmen, bejaht, sofern der Verstorbene nicht
zu Lebzeiten selber darüber verfügt hat. Dieses Recht der Angehörigen
beruht auf der engen Verbundenheit mit dem Verstorbenen und schützt
die sich daraus ergebende besondere Gefühlsbeziehung (BGE 101 II 191
mit Literaturhinweisen). In BGE 70 II 130 ff. hat das Bundesgericht
schliesslich entschieden, die Witwe des Malers Hodler werde durch das
Ausstellen eines Bildes, das ihren Mann auf dem Totenbett zeige, in ihren
persönlichen Verhältnissen verletzt. Der Tod eines Angehörigen müsse dem
Intim- oder Privatbereich seiner nächsten Verwandten zugerechnet werden,
damit die enge Verbundenheit zwischen dem Verstorbenen und seinen nächsten
Angehörigen nicht gestört werde.

    b) Es steht ausser Zweifel, dass die Verurteilung wegen Aufsehen
erregender Straftaten nicht nur für den Täter selber eine schwere Belastung
bedeutet, sondern dass dadurch auch seine nächsten Angehörigen stark
in Mitleidenschaft gezogen werden können. Dass dem tatsächlich so ist,
geht auf eindrückliche Weise aus dem im umstrittenen Dokumentarspiel
wiedergegebenen Abschiedsbrief der Schwester von Paul Irniger hervor. In
der Regel geht es dabei um das Selbstwertgefühl der Angehörigen und ihr
Ansehen in der Gesellschaft. Aber gerade diese Rechtsgüter stehen im
vorliegenden Fall nicht zur Diskussion, da der Kläger ausdrücklich darauf
verzichtet hat, den Schutz seiner Ehre anzurufen. Er beruft sich vielmehr
auf sein Pietätsgefühl und seine innere Verbundenheit mit seinem Vater
und macht geltend, sein Gefühlsleben sowie seine psychische Integrität
würden verletzt, wenn die Vergangenheit erneut ans Licht gezerrt würde.

    Es geht dem Kläger somit nicht darum, historische Ereignisse als
solche auszulöschen oder eine unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu
rechtfertigende Beschäftigung mit ihnen zu unterbinden. Er ist vielmehr
bestrebt, zu verhindern, dass ein Geschehen, das durch den Zeitablauf
wieder zum Intim- und Privatbereich geworden ist, erneut der Öffentlichkeit
preisgegeben werde. Aus den von der Vorinstanz getroffenen tatsächlichen
Feststellungen geht klar hervor, wie sehr das Dokumentarspiel in die
Intimsphäre des Straftäters Paul Irniger eingreift. Dass auch sein Sohn
durch eine öffentliche Verbreitung des Dokumentarspiels im Radio sich in
seiner psychischen Integrität verletzt fühlen muss, kann nicht bestritten
werden. Er würde durch diese Ausstrahlung in seiner inneren Verbundenheit
mit seinem Vater nachhaltig betroffen, auch wenn die Familiengemeinschaft
infolge des Todes von Paul Irniger nur noch auf eine geistig-ideelle
Beziehung beschränkt bleibt. Dabei kann es auch nicht darauf ankommen,
ob das Verhältnis der Angehörigen zum Verstorbenen besonders innig
oder eher gespannt war. Es kann daher auch nicht eingewendet werden,
der Kläger habe seinen Vater gar nicht gekannt. Dass er sich mit seinem
Vater innerlich sehr verbunden fühlt, geht unter anderem daraus hervor,
dass zwischen Vater und Sohn, der selber straffällig geworden ist, eine
gewisse Schicksalsverwandtschaft zutage getreten ist. Wie die Vorinstanz
festgestellt hat, neigt der Kläger noch heute dazu, sich mit seinem
Vater sehr stark zu identifizieren. Dieser ist für ihn "Vorbild" und
Bezugsperson. Es ist anzunehmen, dass sich diese Neigung noch verstärken
würde, wenn die Persönlichkeit seines Vaters in allen Einzelheiten erneut
der Öffentlichkeit preisgegeben würde. Dadurch würde seine Selbstfindung
erschwert und seine Resozialisierung erheblich gefährdet. Da es um den
Schutz engster Gefühlsbeziehungen und innerer Verbundenheit zwischen
nächsten Angehörigen geht, kann es entgegen der Meinung der Beklagten nicht
darauf ankommen, dass die Beeinträchtigung des psychischen Gleichgewichts
des Klägers allenfalls gemildert werden könnte, wenn dieser die umstrittene
Rundfunksendung nicht anhören würde. Die Verletzung in den persönlichen
Verhältnissen liegt allein in der erneuten Berichterstattung durch ein
Massenmedium begründet, weil schon dieser Umstand für sich betrachtet
nächste Angehörige betrifft, ohne dass auf die besonderen Auswirkungen
einer direkten Auseinandersetzung mit der den Intim- und Privatbereich
berührenden Rundfunksendung geachtet werden müsste.

    c) Ist nach dem Ausgeführten eine Verletzung des Klägers in seinen
persönlichen Verhältnissen durch die Ausstrahlung des umstrittenen
Hörspiels zu bejahen, so stellt sich die Frage, ob sich die Beklagte auf
einen Rechtfertigungsgrund berufen könne. Dies wäre einmal der Fall, wenn
der Kläger auf die Geltendmachung des Persönlichkeitsschutzes verzichtet
hätte. Ein solcher Verzicht ist jedoch nicht nachgewiesen und darf auch
nicht aus der Tatsache abgeleitet werden, dass sich der Kläger nicht zur
Wehr gesetzt hat, als vor mehr als sechs Jahren eine Tageszeitung den Fall
Paul Irniger unbefugterweise wieder aufgerollt hatte. Der Kläger hat sich
zwar nachträglich sogar in einem Interview mit dieser Zeitung über sein
Verhältnis zu seinem Vater geäussert. Wie aber die beiden Vorinstanzen
mit Recht festgehalten haben, darf daraus nicht auf eine Einwilligung des
Klägers mit der Ausstrahlung der vorliegenden Hörfolge geschlossen werden,
gegen die sich der Kläger ausdrücklich zur Wehr gesetzt hat. Ebensowenig
darf aus der Tatsache, dass sich der Kläger nachträglich auch nicht gegen
das in Buchform publizierte Dokumentarspiel wendet, gefolgert werden,
er sei mit dessen Verbreitung über Rundfunk einverstanden. Es steht dem
Verletzten frei zu entscheiden, bei welcher Gelegenheit er sich auf seinen
Persönlichkeitsschutz berufen will. Dass ein Buch niemals die gleiche
Verbreitung finden kann wie eine über Rundfunk ausgestrahlte Hörfolge,
leuchtet denn auch ein. Es ist daher verständlich, dass sich der Kläger
vor allem durch die Radiosendungen betroffen fühlt und sich dagegen zur
Wehr setzt.

    Die Beklagte beruft sich ausdrücklich auf ein allgemeines öffentliches
Interesse, dass in radiogemässer Form über die jüngere Vergangenheit
berichtet werde, und auf ihren Bildungsauftrag. Ferner verweist sie
zu ihrer Rechtfertigung auch auf die heute wieder in Gang gekommene
Diskussion über die Todesstrafe. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es
weder für die Bedürfnisse einer allgemeinen Geschichtsschreibung noch für
eine sachbezogene Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe
im bürgerlichen Strafrecht eines derart weitgehenden Eingriffs in die
von der geltenden Rechtsordnung geschützten persönlichen Verhältnisse
eines nächsten Angehörigen von Paul Irniger bedarf. Dazu kommt, dass
weder die Geschichtsschreibung noch die Diskussion über eine allgemeine
Wiedereinführung der Todesstrafe hauptsächlicher Zweck des umstrittenen
Dokumentarspiels ist. Auch eine in jüngster Zeit stärker in Erscheinung
tretende Sozialgeschichtsschreibung, die sich vermehrt der Darstellung
des Alltags in einer bestimmten Zeitspanne zuwendet, ist nicht einfach
dem Dokumentarspiel gleichzusetzen, das der Kläger nicht durch Rundfunk
verbreitet wissen will. Die Vorinstanz hat daher auch kein Bundesrecht
verletzt, wenn sie das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, insbesondere
eines allgemeinen öffentlichen Interesses an Radiosendungen aus dem
Bereiche der Zeitgeschichte, verneint hat.