Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 315



109 II 315

66. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1983 i.S. Besmer
und Schnüriger gegen Grundbuchamt Goldau und Kantonsgericht des Kantons
Schwyz Regeste

    Einsicht in das Grundbuch (Art. 970 ZGB).

    Um seine Rechte im Enteignungsverfahren ordnungsgemäss anmelden zu
können, bedarf der Enteignete keiner Einsicht in sämtliche Kaufverträge
über die im betreffenden Gebiet liegenden Grundstücke.

Sachverhalt

    A.- Im Zusammenhang mit dem Enteignungsverfahren des Eidgenössischen
Militärdepartementes in Rothenthurm ersuchte die Aktiengesellschaft für
Rechtsschutz in Enteignungssachen mit Schreiben vom 29. April 1983 das
Grundbuchamt Goldau für ihre Klientschaft, ihr Fotokopien sämtlicher Kauf-
und Tauschverträge über annähernd 100 näher bezeichnete Grundstücke
zuzustellen. Als Gesuchsteller wurde einzig Adolf Besmer namentlich
genannt. Mit Verfügung vom 3. Mai 1983 lehnte das Grundbuchamt das
Gesuch ab.

    B.- Gegen diese Verfügung beschwerten sich Adolf Besmer und Hermann
Schnüriger beim Kantonsgericht des Kantons Schwyz. Sie machten im
wesentlichen geltend, ihr Interesse im Sinne von Art. 970 ZGB ergebe
sich daraus, dass sie vom Enteignungsverfahren in Rothenthurm betroffen
seien. Es sei ihnen daher in sämtliche Register und dazugehörige Belege,
somit auch in die Kaufverträge, bezüglich derjenigen Grundstücke Einsicht
zu geben, die vom Eidgenössischen Militärdepartement bisher freihändig
erworben worden seien. Die Kenntnis der bisher bezahlten Preise sei deshalb
von grosser Wichtigkeit, weil sie ihre Forderungen im Enteignungsverfahren
in Geld zu beziffern hätten. Sie dürften dabei nicht Phantasiepreise
fordern, da sie sonst riskierten, dass der grundsätzlich vom Enteigner
geschuldete Ersatz für die anwaltschaftliche Vertretung im Einsprache-
und Schätzungsverfahren nicht oder nur reduziert zugesprochen werde. Sie
bedürften deshalb möglichst genauer Kenntnisse über sämtliche geldwerten
Leistungen, die in der letzten Zeit anlässlich von Handänderungen im
betroffenen Gebiet vereinbart worden seien.

    Mit Entscheid vom 19. Juli 1983 wies das Kantonsgericht die Beschwerde
ab.

    C.- Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts haben Adolf Besmer und
Hermann Schnüriger Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
erhoben, mit dem Antrag, das Grundbuchamt Goldau anzuweisen, die verlangten
Auszüge zu erstellen.

    Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden könne, währenddem das Grundbuchamt und das
Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in ihren Vernehmlassungen
auf Abweisung schlechthin schliessen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführer weisen selber darauf hin, sie hätten im
Enteignungsverfahren für den Waffenplatz Rothenthurm ihre Einsprachen
innerhalb der Einsprachefrist mittlerweile erhoben, so dass die
Informationen, die sie vom Grundbuchamt Goldau verlangt hätten, ihnen
für die Einsprache nicht mehr dienen könnten. Insofern sei für sie
somit das Rechtsschutzinteresse dahingefallen. Vom Erfordernis eines
aktuellen Interesses wird indessen dann abgesehen, wenn sonst nie
rechtzeitig ein endgültiger Entscheid in Grundsatzfragen herbeizuführen
wäre oder wenn die Entscheidung in der Sache aus andern Gründen als
angebracht erscheint (BGE 106 Ib 112 E. 1b, mit Hinweisen). So verhält
es sich hier. Das Bundesgericht könnte die Frage, ob die Expropriaten
während der Auflage- und Einsprachefrist im Enteignungsverfahren
(Art. 30 des Enteignungsgesetzes) bei den Grundbuchämtern Einsicht in
Kaufverträge nehmen können, wegen der Dauer des bundesgerichtlichen und
des vorangehenden kantonalen Beschwerdeverfahrens nie entscheiden, wenn
ein aktuelles Interesse an der Beschwerdeführung verlangt würde. Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat angenommen, der Umfang des Einsichtsrechts
von Dritten in das Grundbuch sei im Lichte des öffentlichen Glaubens des
Grundbuchs im Sinne von Art. 970 Abs. 3 und 973 ZGB zu bestimmen. Dieses
Prinzip verlange nur, dass der Interessent aus dem Grundbuch die Rechte
an den Grundstücken gemäss Art. 942 Abs. 1 ZGB ersehen könne. Erhalte
er Aufschluss über alle dinglichen Rechte und Lasten, so sei dem
Schutzgedanken, der der Öffentlichkeit des Grundbuchs zugrunde liege,
Genüge getan. Zu diesen Rechten oder Lasten zähle der Kaufpreis eines
Grundstücks nicht. Es sei deshalb nicht geboten, jedem Gesuchsteller,
der ein Interesse nachweise, den Kaufpreis, den der Eigentümer seinerzeit
bezahlt habe, bekanntzugeben. Der Eigentümer könne seinerseits vielmehr
ein offensichtliches Interesse daran haben, dass dieser Preis nicht
genannt werde. Überhaupt könne sich die Pflicht des Grundbuchamtes zur
Einsichtgabe nur auf denjenigen Inhalt der Grundbuchakten erstrecken, der
sich im Rahmen des Eintrages auf das dingliche Recht beziehe, nicht aber
auf obligatorische oder sonstige Abmachungen in Kaufverträgen, Erbteilungen
usw. Denn die Grundbuchbelege seien nur für die Ergänzung und Auslegung
der eingetragenen dinglichen Rechte und Lasten von Bedeutung, weshalb
Abmachungen zwischen Parteien, die sich nicht auf dingliche Rechte bezögen,
für das Grundbuch im Sinne von Art. 942 Abs. 1 ZGB unerheblich seien.

    Auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement weist in seiner
Vernehmlassung darauf hin, aus der Zweckbestimmung des Grundbuchs ergebe
sich keine Begründung eines Anspruchs auf Einsichtnahme durch dritte, am
Vertragsschluss nicht beteiligte Personen in die Grundbuchbelege, soweit
diese nicht für die Ermittlung des genauen Inhalts von dinglichen oder
vorgemerkten persönlichen Rechten herangezogen werden müssten. Dies gelte
grundsätzlich für alle Vertragsbestimmungen schuldrechtlicher Natur, die
als solche nur Wirkungen unter den Vertragsparteien entfalten könnten. Dem
Interessen eines Dritten an der Einsichtnahme stehe ein schutzwürdiges
Interesse der Vertragsparteien entgegen, dass Drittpersonen nicht
ohne weiteres durch das Grundbuchamt von Vertragsbestimmungen Kenntnis
erhielten, welche lediglich unter den Vertragsparteien gälten. Dem Schutz
der letzteren gebühre in diesem Fall eindeutig der Vorrang (vgl. die
ausführliche Begründung dieses Standpunktes in VPB 44/1980 Nr. 115).

Erwägung 3

    3.- Ob die Regel, dass nicht der Auslegung eingetragener Rechte
dienende Grundbuchbelege grundsätzlich der Einsicht entzogen sind,
auch in einem Fall wie dem vorliegenden gelte, kann offen bleiben,
da das von den Beschwerdeführern geltend gemachte Interesse eine
Einsichtnahme ohnehin nicht zu rechtfertigen vermag. Nach den zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz sind die Beschwerdeführer nämlich auch
ohne die von ihnen verlangte Einsicht in die Kaufverträge mit andern
Grundeigentümern im Gebiet des geplanten Waffenplatzes Rothenthurm in
der Lage, ihre Rechte im Enteignungsverfahren zu wahren. Sie erhalten im
Schätzungsverfahren ohnehin Kenntnis von den Vergleichspreisen, da der
Präsident der Schätzungskommission nach Art. 48 Abs. 2 der Verordnung
für die eidgenössischen Schätzungskommissionen verpflichtet ist, die
in der Gegend bezahlten Güterpreise festzustellen, und er nach Art. 72
Abs. 1 des Enteignungsgesetzes zu diesem Zweck in die öffentlichen Bücher
Einsicht nehmen kann. Sollten die Bechwerdeführer der Auffassung sein,
für die Ermittlung des Grundstückwertes seien nicht nur die in andern
Fällen bezahlten Kaufpreise, sondern auch die vereinbarten geldwerten
Nebenleistungen massgebend, so können sie im Schätzungsverfahren
entsprechende Beweisanträge stellen. Sie bedürfen deswegen keiner Einsicht
in sämtliche Bedingungen der in Frage kommenden Kaufverträge. Entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführer ist es keineswegs widersprüchlich,
wenn ihnen die Einsicht in diese Kaufverträge verweigert wird mit der
Begründung, sie erhielten ja ohnehin Kenntnis von den Vergleichspreisen;
der Präsident der Schätzungskommission hat den Parteien unter Wahrung der
schutzwürdigen Interessen Dritter nur jene Elemente bekanntzugeben, die
für die Schätzung von Bedeutung sind, währenddem ihnen die Einsichtnahme
Kenntnis vom gesamten Inhalt der fraglichen Verträge vermitteln würde.

    Die Beschwerdeführer haben ihr Gesuch im kantonalen Verfahren freilich
damit begründet, dass sie schon vor dem Schätzungsverfahren Kenntnis von
den im betroffenen Gebiet abgeschlossenen Kaufverträgen haben müssten,
da sie sonst nicht in der Lage seien, ihre Entschädigungsforderung
ordnungsgemäss anzumelden, und da sie im Falle des Überklagens riskierten,
kostenpflichtig zu werden. Nach Art. 114 Abs. 2 des Enteignungsgesetzes
werden die Kosten des Enteignungsverfahrens indessen nur dann dem
Enteigneten auferlegt, wenn die geltend gemachte Forderung offensichtlich
übersetzt ist. Entsprechendes gilt nach Art. 115 Abs. 3 des Gesetzes
für die Auferlegung einer Parteientschädigung. Um eine Forderung
stellen zu können, die nicht offensichtlich übersetzt ist, bedürfen die
Beschwerdeführer keiner detaillierten Kenntnis sämtlicher in der Gegend
abgeschlossener Kaufverträge. Es genügt, wenn ihnen der Verkehrswert
ihrer Grundstücke der Grössenordnung nach bekannt ist. Das ist hier ohne
Zweifel der Fall, zumal da es sich um Landwirtschaftsland handelt. Für
solches Land pflegen keine Phantasiepreise bezahlt zu werden. Im übrigen
haben die Eigentümer nach Art. 36 lit. a des Enteignungsgesetzes zwar
ihre Forderungen innert der Eingabefrist zu beziffern; doch ist die
Schätzungskommission nach Art. 72 Abs. 2 des Gesetzes bei der Festsetzung
der Höhe der Enteignungsentschädigung nicht an die Anträge der Parteien
gebunden. Daraus folgt, dass die im Gesetz verlangte Bezifferung der
Entschädigungsforderung kein Gültigkeitserfordernis für die Anmeldung
darstellt (BGE 97 I 182 E. 3c), sondern im Grunde genommen auf eine blosse
Meinungsäusserung des Enteigneten über die Höhe des Schadens hinausläuft
(BGE 71 I 302). Die Beschwerdeführer würden daher auch dann keinen Nachteil
erleiden, wenn sie mangels genauer Kenntnis der Vergleichspreise ihre
Forderung zu niedrig beziffern würden. Die Einsicht in die im betroffenen
Gebiet abgeschlossenen Kaufverträge ist somit für die Anmeldung der
Entschädigungsforderung nicht erforderlich, weshalb die kantonalen Behörden
das Gesuch der Beschwerdeführer zu Recht abgewiesen haben.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.