Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 202



109 II 202

47. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Februar 1983 i.S.
Rialto Film AG gegen Konkursmasse der Starfilm GmbH Zürich (Berufung)
Regeste

    Art. 936 ZGB; Fahrnisklage.

    Die Konkurseröffnung über eine Firma, die sich aufgrund von
Lizenzverträgen dem Filmverleih widmet, hat nicht automatisch das
Dahinfallen dieser Verträge und damit der Grundlage des Rechtsschutzes
gestützt auf Besitz zur Folge (E. 2).

    Diese Firma ist als Lizenznehmerin mittelbare Besitzerin der Filmkopien
und kann vom späteren bösgläubigen unmittelbaren Besitzer gemäss Art. 936
Abs. 1 ZGB die Herausgabe der Filme verlangen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Starfilm GmbH Zürich hat während längerer Zeit aufgrund von
Lizenzverträgen Filmverleih betrieben. Die auszuleihenden Filme befanden
sich indessen nicht bei ihr, sondern bei der Filmsped AG in Luzern.
Diese besorgte gegen Bezahlung die Lagerung der Filmkopien und den Verkehr
mit den einzelnen Kinobesitzern.

    Am 16. März 1982 wurde über die Starfilm GmbH der Konkurs eröffnet,
der vom Konkursamt Riesbach-Zürich geführt wird. Nach einem Unterbruch in
der Filmauslieferung nahm die Filmsped AG auf Ersuchen des Konkursamtes
den Filmversand nach der Konkurseröffnung auf Rechnung der Konkursmasse
wieder auf. Am 26. Mai 1982 teilte die Filmsped AG dem Konkursamt mit,
die Firmen Rialto Film AG und Elite Film AG seien unter ihrer Entlastung
in alle Rechte und Pflichten der zwischen ihr und der Starfilm GmbH
bzw. der Konkursmasse abgeschlossenen Lager- und Speditionsverträge
eingetreten. Gleichzeitig übergab sie dem Konkursamt zwei Listen,
in denen die Filmkopien aufgeführt waren, die sich bei den neuen
Auslieferungsfirmen befanden. Das Konkursamt erklärte sich damit in
seinem Schreiben vom 27. Mai 1982 nicht einverstanden und verlangte die
Herausgabe der Filmkopien, falls sich die Filmsped AG weigern sollte,
den bisherigen Vertrag weiterhin zu erfüllen.

    B.- Da zwischen der Konkursmasse der Starfilm GmbH und der Filmsped AG
über diese Fragen keine Einigung zustande kam, stellte die Konkursmasse am
11. Juni 1982 beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes
Zürich das Begehren, der Rialto Film AG sei im Sinne von § 222 Ziff. 2
der Zürcher Zivilprozessordnung zu befehlen, die einzeln aufgezählten
40 Filmkopien herauszugeben. Mit Verfügung vom 29. Juni 1982 trat der
Einzelrichter auf das Befehlsbegehren mangels klaren Rechts nicht ein.

    Die Konkursmasse gelangte daraufhin an das Obergericht des Kantons
Zürich. Dieses hiess den Rekurs mit Beschluss vom 17. September 1982
gut und befahl der beklagten Firma, der Rialto AG, der Klägerin die
umstrittenen 40 Filmkopien auf erstes Verlangen hin auszuhändigen.

    C.- Die Beklagte focht diesen Beschluss des Obergerichts mit einer
Berufung beim Bundesgericht an. Sie stellt den Antrag, der Entscheid
des Obergerichts sei aufzuheben und das Befehlsbegehren der Klägerin
abzuweisen, eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und
zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte wirft der Vorinstanz zunächst vor, sie habe zu Unrecht
angenommen, dass die Klägerin sich auf den Rechtsschutz von Art. 936 ZGB
berufen könne. Damit habe sie Bundesrecht verletzt. Die Beklagte gibt zwar
zu, dass die Starfilm GmbH aufgrund von Lizenzverträgen an den Filmkopien
berechtigt war. Indessen ist sie der Meinung, dass ein allfälliger, aus
dieser Berechtigung abgeleiteter Besitzesschutz mit der Konkurseröffnung
über die Starfilm GmbH ohnehin dahingefallen wäre, weil in diesem
Zeitpunkt zwischen der Klägerin und der Filmsped AG kein Vertrag mehr
bestanden habe. Die Filmsped AG habe die Filmkopien nun als Treuhänderin
für die Lizenzgeber bzw. Eigentümer besessen. Dabei übersieht die Beklagte
jedoch, dass ein Dahinfallen des Vertrages zwischen der Starfilm GmbH
und der Filmsped AG im Zeitpunkt der Konkurseröffnung, selbst wenn dies
nachgewiesen wäre, nicht bewirkt hätte, dass jede Rechtsbeziehung zwischen
den bisherigen Vertragsparteien aufgehört hätte und jeder Rückgabeanspruch
an beweglichen Sachen, die dem Vertragspartner nicht zu Eigentum übertragen
worden sind, ebenfalls hinfällig geworden wäre. Sollte aber die Behauptung
der Beklagten zutreffen, dass die Starfilm GmbH mit der Firma Cinétyp eine
Vereinbarung abgeschlossen habe, wonach im Konkursfall die Filmkopien
der Cinétyp übertragen werden sollten, so könnte die von dieser Firma
unabhängige Filmsped AG daraus für ihre Vertragsbeziehungen mit der
Starfilm GmbH gar nichts ableiten, da sie an einer solchen vertraglichen
Abmachung auf alle Fälle nicht beteiligt wäre. Indessen ist den Akten der
Vorinstanz klar und deutlich zu entnehmen, dass die Filmsped AG sich auch
nach der Konkurseröffnung über die Starfilm GmbH mit dem Konkursamt über
die Erfüllung der bisherigen Vertragsbeziehungen geeinigt hat. Von einer
Verletzung von Art. 8 ZGB kann diesbezüglich nicht die Rede sein.

    Unbehelflich ist sodann auch der Einwand der Beklagten, die Klägerin
habe sich gar nicht auf den Vertrag mit der Filmsped AG und damit auch
nicht auf Besitz berufen, sondern nur auf konkursrechtlich begründeten
Gewahrsam. Dieser stellt aber nicht einen selbständigen Rechtstitel dar. Er
kann vielmehr seinerseits nur auf gemeinrechtlicher Grundlage beruhen. Dem
Gewahrsam gemäss Art. 106 ff. SchKG kommt nur insofern eine selbständige
Bedeutung zu, als er für die Parteirollenverteilung im Widerspruchsprozess
massgebend ist.

Erwägung 3

    3.- Im weitern macht die Beklagte geltend, wollte man annehmen,
dass im Zeitpunkt der Übernahme der Filmkopien durch die Beklagte ein
Vertrag zwischen der Klägerin und der Filmsped AG bestanden hätte,
so wäre diesem nicht zu entnehmen, dass die Klägerin Besitzerin der
umstrittenen Kopien gewesen sei. Sie wäre höchstens bei Konkursausbruch
als Lizenznehmerin Besitzdienerin gewesen, wobei auch dies fraglich sei,
da die Klägerin die Filme nie selber in Händen gehabt habe. Inwiefern
aber die Vorinstanz nur von Besitzdienerschaft hätte ausgehen dürfen
und damit den bundesrechtlichen Begriff des Besitzes verkannt habe,
legt die Beklagte nicht näher dar. Indessen kann nicht die Rede davon
sein, dass ein Lizenznehmer von Filmen diese in einem derart intensiven
Abhängigkeitsverhältnis vom Besitzer in seiner tatsächlichen Gewalt hätte,
dass sie dem jederzeitigen Zugriff des Besitzers zugänglich blieben
(BGE 58 II 375). Dazu kommt im vorliegenden Fall, dass die Starfilm GmbH
einerseits ihren Besitzwillen zum Ausdruck gebracht hat und anderseits über
die Filmkopien keine unmittelbare Gewalt ausgeübt hat. Beides schliesst
aber blosse Besitzdienerschaft aus (HINDERLING, Der Besitz, in Schweiz.
Privatrecht, Bd. V/1 S. 421 f.). Dagegen wird vom Gesetz nicht nur
derjenige als Besitzer anerkannt, der eine direkte Sachherrschaft ausübt,
sondern auch jener, der gestützt auf ein dingliches oder obligatorisches
Recht nur mittelbar für sich oder einen andern die tatsächliche Gewalt über
eine Sache ausüben lässt (Art. 920 Abs. 1 ZGB). Im übrigen handelt es sich
bei der Frage, ob die Klägerin Besitzerin der Filmkopien sei oder nicht,
um eine Rechtsfrage, die einer Beweiserhebung nicht zugänglich ist, so
dass auch in dieser Hinsicht nicht von einer Verletzung von Art. 8 ZGB
durch die Vorinstanz gesprochen werden kann.

    Ob mit dem Ober- und dem Kassationsgericht davon ausgegangen werden
kann, die Starfilm GmbH bzw. ihre Konkursmasse sei als Lizenznehmerin
der umstrittenen Filmkopien als mittelbare selbständige Besitzerin zu
betrachten oder ob nicht vielmehr für die Klägerin wie für die Filmsped AG
unselbständiger Besitz anzunehmen ist, so dass selbständiger Besitz allein
den Eigentümern und Lizenzgebern der Filmkopien zukäme, kann dahingestellt
bleiben. Die Vorinstanz hat auf jeden Fall mit Recht erklärt, auch als
mittelbare Besitzerin stünde der Klägerin neben andern Rechtsbehelfen auch
der Anspruch auf Herausgabe gemäss Art. 936 Abs. 1 ZGB gegen den späteren
bösgläubigen unmittelbaren Besitzer zu (BGE 47 II 269 E. 1; STARK, N. 31
zu Art. 920 und N. 7 zu Art. 936 ZGB; HINDERLING, aaO, S. 503). Jeder
frühere selbständige oder unselbständige, mittelbare oder unmittelbare
Besitzer verfügt nämlich über die Fahrnisklage und zwar gegen jede Person,
die bösgläubig Besitz erworben hat. Dem kann auch nicht entgegengehalten
werden, die Beklagte leite ihren Besitz nicht von der Klägerin, sondern
von einem zwischen diesen beiden eingeschobenen Besitzer ab, der entweder
auf seinen unmittelbaren Besitz verzichtet oder den früheren mittelbaren
Besitzern gegenüber einen Vertrauensbruch begangen hat (BGE 47 II 269
E. 1; HINDERLING, aaO, S. 503). Es kann daher nicht auf die Tatsache
ankommen, dass die Filmsped AG nur mit der Starfilm GmbH bzw. deren
Konkursmasse einerseits und allenfalls mit der Beklagten anderseits in
einem Vertragsverhältnis steht, so dass zwischen den beiden Letztgenannten
keine vertragliche Beziehung gegeben ist. Wäre dem nicht so, müsste die
Fahrnisklage weitgehend ihren Zweck verfehlen, der darauf ausgerichtet ist,
"in der äussern Gestalt des dinglichen Rechts an der Sache, im Besitz,
auch zugleich über das Recht zu verhandeln" (Erläuterungen zum ZGB 1914,
Bd. II, S. 377), worin auch der Streit um besseres Recht zwischen zwei
Besitzern eingeschlossen sein muss. Bei diesem Streit aber leitet die
Starfilm GmbH bzw. ihre Konkursmasse ihren früheren mittelbaren Besitz
keineswegs aus ihrem Vertrag mit der Filmsped AG, sondern vielmehr aus
ihren vertraglichen Vereinbarungen mit den Lizenzgebern und Eigentümern
der Filmkopien ab. Das Rechtsverhältnis zwischen der Filmsped AG und der
Starfilm GmbH bzw. deren Konkursmasse ist daher entgegen der Ansicht
der Beklagten nur insofern von Bedeutung, als es allenfalls auch über
ihren bösgläubigen Besitzerwerb Aufschluss zu geben vermag. Die für das
Bundesgericht verbindliche Beweiswürdigung der Vorinstanz hat denn auch zur
Feststellung geführt, dass angesichts der engverschlungenen Verhältnisse
im Bereiche der schweizerischen Filmbranche und der Verflechtung der
in ihr tätigen Personen die Rechtsbeziehungen zwischen der Starfilm
GmbH bzw. deren Konkursmasse und der Filmsped AG auch der Beklagten
ohne weiteres erkennbar waren. Was in der Berufungsschrift dagegen
vorgebracht wird, bedeutet nichts anderes als eine im Berufungsverfahren
unzulässige Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung. Inwiefern
ein rechtserheblicher Gegenbeweis in Verletzung von Art. 8 ZGB nicht
zugelassen worden wäre, wird nicht näher dargetan.

    Das Obergericht hat auch kein Bundesrecht verletzt, wenn es aus einem
solchen Beweisergebnis den rechtlichen Schluss gezogen hat, dass der von
der Filmsped AG der Klägerin gegenüber begangene Vertrauensbruch, indem sie
ohne deren Zustimmung die Filmkopien an die Beklagte weitergegeben hat,
für diese erkennbar sein musste, so dass sie sich für ihren eigenen, von
der Filmsped AG abgeleiteten Besitz nicht mehr auf ihren guten Glauben
berufen konnte. Zum mindesten wäre es der Beklagten zumutbar gewesen,
sich beim Konkursamt über die vertraglichen Beziehungen der Starfilm GmbH
nach der Konkurseröffnung zu erkundigen, wenn sie an deren Weiterdauer
irgendwelche Zweifel hegte. Auch der Beklagten musste klar sein, dass
mit der Konkurseröffnung nicht einfach jede Rechtsbeziehung zwischen
der Filmsped AG und der Starfilm GmbH aufgehört haben konnte. Für deren
Weiterdauern sprach schon der Konkursbeschlag, der mit der Konkurseröffnung
eingetreten war, der im übrigen aber angesichts der nach Art. 936 Abs. 1
ZGB gegebenen Rechtslage nicht weiter beachtlich ist, es sei denn im
Zusammenhang mit dem Entscheid, den das zuständige Konkursamt über die
Weiterführung des Filmverleihs zu treffen hatte. Soweit dem Konkursamt
aber im Interesse der Gläubiger die Weiterführung des Verleihs als geboten
erschien, kann entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht gesagt werden,
dieser Entscheid sei rechtsmissbräuchlich, weil es sich um eine unnötige
Rechtsausübung handle.

    Was die Beklagte in der Berufungsschrift sonst noch vorbringt, ändert
nichts daran, dass sie die Filmkopien nicht in gutem Glauben besessen hat
und somit verpflichtet ist, diese der Klägerin als früherer Besitzerin
herauszugeben.