Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 188



109 II 188

43. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Januar 1983 i.S. X. gegen Y.
(Berufung) Regeste

    Art. 153 Abs. 1 ZGB; Rentenanspruch des im Konkubinat lebenden
geschiedenen Ehegatten; Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen für
den Verlust dieses Anspruches.

    Dass die Lebensgemeinschaft des rentenberechtigten geschiedenen
Ehegatten mit einem Angehörigen des andern Geschlechts so stabil
und eng ist, dass sie jenem wirtschaftlich ähnliche Vorteile bietet
wie eine Ehe, und dass das Bestehen auf dem scheidungsrechtlichen
Unterhaltsbeitrag demnach als rechtsmissbräuchlich erscheint, hat
grundsätzlich der rentenbelastete Ehegatte nachzuweisen. Im Sinne
einer Tatsachenvermutung (mit Umkehrung der Beweislast) ist jedoch bei
einem Konkubinat, das im Zeitpunkt der Einleitung der Klage betreffend
Abänderung des Scheidungsurteils (Aufhebung des Unterhaltsbeitrages)
seit mindestens fünf Jahren gedauert hat, grundsätzlich anzunehmen, dass
die Voraussetzungen für den Verlust des Rentenanspruches erfüllt seien.

Sachverhalt

    A.- Die Ehe von A. X. und B. Y. wurde im Dezember 1974
geschieden. A. X. wurde dabei verpflichtet, der geschiedenen Ehefrau
einen Unterhaltsbeitrag gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB von Fr. 1'000.--
im Monat zu bezahlen.

    Nachdem B. Y. auf April 1978 eine neue Wohnung gemietet hatte,
schloss sie am 19. März 1978 mit C. Z. folgende schriftliche Vereinbarung:

    "1. ...

    2. Frau Y. ist bereit, Herrn Z., gegen eine monatlich im voraus zu
   bezahlende Entschädigung, d.h. der Hälfte des Mietzinses, die
   Mitbenützung des Wohnraumes zu gestatten, zudem wird Herrn Z. ein
   Zimmer, als sein

    Schlafzimmer zur alleinigen Benützung überlassen.

    3. Der Wohnraum ist von Frau Y. möbeliert und ist ihr alleiniges

    Eigentum. Das Zimmer von Herrn Z. ist von ihm möbeliert und ist sein
   alleiniges Eigentum.

    4. Solange Frau Y. und Herr Z. das Essen gemeinsam einnehmen,
   entschädigt Herr Z. an Frau Y. die Hälfte der entstehenden Essenskosten
   zum voraus, zur Zeit monatlich Fr. 350.--. Sollte der Haushalt monatlich
   mehr als Fr. 700.-- kosten, erklärt sich Herr Z. bereit, die Hälfte der

    Mehrkosten nachzuzahlen.

    5. Herr Z. erklärt sich auch bereit, die anfallenden Heizungs- und

    Warmwasser-Kosten, zur Hälfte an Frau Y. zu zahlen.

    6. Diese Vereinbarung ist je auf das Ende eines Monats, mit
   vorausgehender Kündigungsfrist von 30 Tagen auflösbar. Sie besteht im

    Original bei Frau Y., als Fotokopie beim Anwalt von Frau Y., sowie als

    Fotokopie bei Herrn Z."

    B. Y. und C. Z. leben seit dem 5. April 1978 zusammen. Das Verhältnis
zwischen den beiden ist auch intim geworden.

    Mit Eingabe vom 7. November 1979 erhob A. X. gegen B. Y. Klage mit
dem Rechtsbegehren, das Scheidungsurteil sei in dem Sinne abzuändern,
dass der der Beklagten zugesprochene Unterhaltsbeitrag mit sofortiger
Wirkung aufzuheben sei. Zur Begründung der Klage wurde vorgebracht, die
Beklagte lebe mit C. Z. in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, heirate
diesen aber nicht, um den Rentenanspruch nicht zu verlieren. Darin sei ein
offenbarer Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB zu erblicken.

    Bezirks- und Obergericht wiesen die Klage durch Urteile vom 16. Januar
1981 bzw. vom 8. April 1982 ab. Im Verlauf des zweitinstanzlichen
Verfahrens hatte die Beklagte erklärt, sie verzichte mit Wirkung ab
1. Januar 1982 auf die strittigen Unterhaltsbeiträge.

    Unter Erneuerung des im kantonalen Verfahren gestellten Antrages
hat der Kläger gegen den obergerichtlichen Entscheid beim Bundesgericht
Berufung erhoben.

    Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 153 Abs. 1 ZGB hört die Pflicht zur Entrichtung einer
Rente im Sinne von Art. 151 ZGB auf, wenn der berechtigte Ehegatte sich
wieder verheiratet. Das Bundesgericht ist in seiner jüngeren Rechtsprechung
davon ausgegangen, es stelle einen offenbaren Rechtsmissbrauch dar, wenn
der rentenberechtigte Ehegatte nach der Scheidung mit einem Angehörigen des
andern Geschlechts eine eheähnliche Lebensgemeinschaft eingehe, diesen aber
nur deswegen nicht heirate, um der gesetzlichen Folge des Rentenverlustes
auszuweichen (BGE 106 II 2 E. 1; 104 II 155 f.). Voraussetzung für die
Annahme von Rechtsmissbrauch ist freilich, dass der Rentenberechtigte
aus der neuen Gemeinschaft ähnliche Vorteile zieht, wie sie ihm die Ehe
bieten würde, dass also anzunehmen ist, der neue Partner biete ihm Beistand
und Unterstützung, wie Art. 159 Abs. 3 ZGB es von einem Ehegatten fordert
(BGE 106 II 4). Dabei kann es selbstverständlich nicht darum gehen, ob der
Konkubinatspartner dem rentenberechtigten Ehegatten einen weggefallenen
scheidungsrechtlichen Unterhaltsbeitrag durch eigene finanzielle Leistungen
vollwertig zu ersetzen vermöchte und dazu auch gewillt wäre; im Falle einer
Wiederverheiratung erlischt die Unterhaltspflicht des früheren Ehegatten
ohne weiteres von Gesetzes wegen, und zwar auch dann, wenn keine Gewähr
dafür besteht, dass der Unterhalt in der neuen Ehe den Umfang desjenigen
in der geschiedenen Ehe erreicht.

Erwägung 2

    2.- Derjenige, der sich auf Art. 2 Abs. 2 ZGB beruft, trägt
grundsätzlich die Beweislast hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten,
aus denen er einen Rechtsmissbrauch ableitet. In einem Fall wie dem
vorliegenden hat der Kläger somit nachzuweisen, dass die Beklagte mit
einem anderen Mann eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist, die ihr
ähnliche Vorteile bringt wie eine Ehe, und dass sie ihren Partner nur
deshalb nicht heiratet, weil sie den Rentenanspruch nicht untergehen
lassen will. Es ist einzuräumen, dass es in der Regel schwer fallen
dürfte, diesen Nachweis zu erbringen. Die Abklärung der Frage, ob die
neue Lebensgemeinschaft so eng sei, dass der Konkubinatspartner des
Rentenberechtigten bereit wäre, diesem Beistand und Unterstützung zu
gewähren, wie es für einen Ehegatten gestützt auf Art. 159 Abs. 3 ZGB
gesetzliche Pflicht ist, bietet erhebliche Schwierigkeiten. Es geht um eine
persönliche Haltung, die nur sehr schwer erfassbar ist und eigentlich nur
dann voll zum Ausdruck kommt, wenn sich der Partner in einer Notsituation
befindet. Wo ernsthaftere Probleme noch nie eintraten, ist man deshalb
auf eine blosse Prognose angewiesen; es sind künftige Erwartungen in die
Beurteilung miteinzubeziehen. Als objektives Kriterium ist dabei die Dauer
des Konkubinats von einer gewissen Bedeutung. Je länger ein Konkubinat
gedauert hat, desto eher ist nämlich in der Regel die Annahme berechtigt,
die Partner fühlten sich moralisch verpflichtet, sich gegenseitig wie
Ehegatten beizustehen. Bei der Beurteilung des Einzelfalles ergeben sich
jedoch naturgemäss Abgrenzungsschwierigkeiten. Um diesen zu begegnen,
rechtfertigt sich eine Tatsachenvermutung in dem Sinne, dass bei
einem Konkubinat, das im Zeitpunkt der Einleitung der Klage betreffend
Abänderung des Scheidungsurteils (Aufhebung des Unterhaltsbeitrages)
schon seit mindestens fünf Jahren dauert, grundsätzlich anzunehmen
ist, die Beziehung zwischen den beiden Partnern sei so stabil und eng,
dass die im Abänderungsverfahren beklagte Partei in einer allfälligen
künftigen Notlage von ihrem neuen Partner Unterstützung und Beistand
erwarten könne und dass sie von einer Heirat nur deshalb absehe, um den
scheidungsrechtlichen Unterhaltsanspruch nicht untergehen zu lassen. Es
darf in aller Regel davon ausgegangen werden, dass mit zunehmender Dauer
der eheähnlichen Lebensgemeinschaft die Enttäuschung über das Scheitern
der früheren Ehe an Bedeutung verliert und immer weniger als ernsthafter
Grund für eine Nichtwiederverheiratung erscheint. Das Gesagte hat jedoch
nicht zur Folge, dass der rentenberechtigte Ehegatte nicht den Gegenbeweis
antreten könnte. Es muss ihm vielmehr die Möglichkeit offenstehen darzutun,
dass das Gemeinschaftsverhältnis nur lose ist oder dass andere Gründe
für die Nichtwiederverheiratung verantwortlich sind.

    Der Festsetzung einer zeitlichen Limite mag etwas Willkürliches
anhaften. Doch ist das Abstellen auf ein objektiv, d.h. in zeitlicher
Hinsicht klar umschriebenes Kriterium um der Rechtssicherheit willen
geboten. Die Aufstellung einer Tatsachenvermutung im erwähnten Sinn
mit Umkehrung der Beweislast nach fünfjähriger Konkubinatsdauer ändert
selbstverständlich nichts daran, dass eine Abänderungsklage unter
besonderen Umständen schon vor Ablauf der angeführten Frist gutzuheissen
ist. Es kann eine eheähnliche Lebensgemeinschaft schon von Anfang an oder
jedenfalls nach kürzerer Zeit auf Dauer angelegt und von einem grossen
gegenseitigen Verantwortungsbewusstsein getragen sein, auch wenn dies
nicht der Regel entspricht.

Erwägung 3

    3.- Was den hier zu beurteilenden Fall betrifft, so hatte die
Beklagte im Zeitpunkt der Klageeinleitung erst etwas mehr als ein Jahr
mit Z. zusammengelebt. Dass ihr Beharren auf dem im Scheidungsurteil
zugesprochenen Unterhaltsbeitrag gleichwohl rechtsmissbräuchlich wäre,
vermag der Kläger nicht darzutun. In Würdigung der von ihm festgestellten
tatsächlichen Gegebenheiten, namentlich des Vertrages mit Z., gelangte
das Obergericht zum Schluss, dass Z. der Beklagten nicht mehr zuwende
als das, was als angemessene Entschädigung für die von ihr erbrachten
Leistungen betrachtet werden müsse. Es könne der Beklagten unter diesen
Umständen nicht der Vorwurf gemacht werden, sie nehme von zwei Männern
gleichzeitig denselben finanziellen Beistand in Anspruch. Diese Auffassung
des Obergerichts verstösst nicht gegen Bundesrecht.

    Sodann hält das Obergericht fest, es bestünden keine Indizien dafür,
dass die Beklagte im Notfall von Z. einen ähnlichen Beistand zu erwarten
hätte wie von einem Ehemann. Es gelangt zum Schluss, dass nicht gesagt
werden könne, die Beklagte und Z. seien an sich ehewillig und ausserdem
imstande, sich gegenseitig Beistand zu leisten, und die Beklagte würde
Z. nur deshalb nicht heiraten, weil sie vom Kläger unterstützt werde und
Z. nicht belasten wolle. Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang auf
die Erklärung von Z. hin, er habe durch die Scheidung nach 25jähriger Ehe
einen grossen Schock erlitten und werde durch die Scheidung finanziell
dermassen in Anspruch genommen, dass er keine Möglichkeit sehe, in eine
neue Ehe einzutreten. Die Beklagte habe ihrerseits geäussert, sie habe
nach den erlebten Enttäuschungen keine ernsthafte Bekanntschaft gesucht;
sie stehe mit Z. nur in einem lockeren Verhältnis. Das Obergericht hebt
weiter auch das Alter der Beklagten und von Z. hervor, um zu bekräftigen,
dass die Gründe, welche die beiden Partner dafür anführten, dass sie
nicht heiraten würden, als glaubwürdig erschienen. Die Vorbringen des
Klägers sind auch in diesem Punkt nicht geeignet, eine Verletzung von
Bundesrecht darzutun.