Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 109 II 15



109 II 15

5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Januar 1983 i.S. N.
und Mitbeteiligte gegen M. (Berufung) Regeste

    Unsittliche Zuwendung (Art. 20 Abs. 1 OR).

    Die Zuwendung eines verheirateten Mannes an seine Konkubinatspartnerin
ist nur dann unsittlich, wenn sie dazu bestimmt ist, das ehebrecherische
Verhalten zu fördern, wenn es sich also um ein eigentliches pretium stupri
handelt (E. 1).

    Obligatorisches Wohnrecht.

    Die Begründung eines unentgeltlichen obligatorischen Wohnrechts ist
zulässig (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Streit der Parteien dreht sich hauptsächlich um die Frage,
ob die verschiedenen Zuwendungen des Erblassers an die Beklagte gültig
seien. Die Kläger bestreiten die Gültigkeit der Zuwendungen vor allem
mit der Begründung, diese hätten sittenwidrigen Charakter gehabt.

    a) Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz lebten die Beklagte und der Erblasser während fast fünf Jahren
bis zu dessen Tod in eheähnlicher Lebensgemeinschaft im streitigen Haus
in L. Ob die Ehe des Erblassers mit seiner 17 Jahre älteren Ehefrau
im Zeitpunkt der Aufnahme des Konkubinats im April 1968 zerrüttet war,
hat die Vorinstanz offen gelassen. Dagegen hat sie festgestellt, ein
Einverständnis der Ehefrau mit dem Konkubinat sei trotz der Weiterführung
der Kontakte mit dem Erblasser nicht bewiesen. Ferner hat die Vorinstanz
festgehalten, dass die Beklagte, die sich während Jahren der Prostitution
hingegeben habe, auch noch zu Beginn des Konkubinats mit dem Erblasser mit
andern Männern Bekanntschaft gehabt habe, die ihr Geld gegeben hätten. Ein
eigentliches Dirnenleben zu jener Zeit sei aber nicht erwiesen. Auf der
andern Seite nahm die Vorinstanz auch nicht an, dass andere Gründe als
das Konkubinat den Erblasser zu den umstrittenen Vermögensdispositionen
zugunsten seiner Partnerin veranlasst hätten. Trotzdem hielt sie die
Zuwendungen nicht für ungültig, da mit ihnen kein unsittlicher Zweck
verfolgt worden sei.

    b) Demgegenüber weisen die Kläger darauf hin, das Bundesgericht habe
in gefestigter Rechtsprechung daran festgehalten, dass unentgeltliche
Zuwendungen im ehebrecherischen Konkubinat als unsittlich und damit nichtig
zu betrachten seien. Tatsächlich liegt diese Auffassung, allerdings
mit gewissen Einschränkungen, den Entscheidungen des Bundesgerichts
BGE 39 II 85 ff., 73 II 15 ff. und 93 II 161 ff. zugrunde. Der Umstand,
dass in den beiden zuletzt erwähnten Entscheidungen eine ehebrecherische
Beziehung zu beurteilen war, die nicht ohne weiteres auch als eheähnliche
Gemeinschaft bezeichnet werden kann, da eine solche Wohn-, Tisch- und
Geschlechtsgemeinschaft voraussetzt (vgl. BGE 71 IV 46 ff.; HAUSHEER,
ZBJV 116/1980, S. 99, und NOIR-MASNATA, Les effets patrimoniaux du
concubinage et leur influence sur le devoir d'entretien entre époux
séparés, Diss. Lausanne 1982, S. 7 ff., je mit gewissen Differenzierungen
zwischen Konkubinat und eheähnlicher Lebensgemeinschaft), hat dabei keine
Bedeutung. Denn was für die ehebrecherische Beziehung gilt, muss um so mehr
für die ehebrecherische eheähnliche Lebensgemeinschaft Geltung haben. In
BGE 93 II 165 hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zu dieser Frage
dahingehend zusammengefasst, dass eine unentgeltliche Zuwendung nicht schon
deswegen als unsittlich zu bezeichnen sei, weil ihr ein entsprechender
Beweggrund zugrundeliege; vielmehr müsse die Liberalität als solche
als unsittlich erscheinen, sei es, dass der Zuwendende ein solches
Resultat selber gewollt oder dass er es doch in Kauf genommen habe. So
sei eine Zuwendung im Rahmen einer ehebrecherischen Beziehung dann nicht
sittenwidrig, wenn sie das Verhalten des Zuwendungsempfängers nicht weiter
zu beeinflussen vermöge, beispielsweise weil dieser von einer Verfügung
von Todes wegen bis zum Tod des Zuwendenden keine Kenntnis erhalten
habe. Entscheidend für die Frage der Sittenwidrigkeit einer Liberalität
ist somit nicht die Tatsache des Ehebruchs des Zuwendenden, sondern die
Wirkung der Zuwendung auf den Zuwendungsempfänger; die Zuwendung muss
dazu bestimmt sein, das ehebrecherische Verhalten zu fördern (BGE 108 II
208). Die Sittenwidrigkeit einer Zuwendung unter Konkubinatspartnern ist
demzufolge nur dann zu bejahen, wenn es sich dabei um ein eigentliches
pretium stupri handelt.

    Auch in anderem Zusammenhang hat die Rechtsprechung nicht
einfach deshalb jeden Rechtsschutz versagt, weil eine eheähnliche
Lebensgemeinschaft, und sei es eine ehebrecherische, betroffen war
(vgl. dazu HAUSHEER, ZBJV 116/1980, S. 99 ff. und ZBJV 118/1982, S. 98
ff.; ferner DESCHENAUX/TERCIER, Le mariage et le divorce, 2. Aufl.,
S. 152 ff.). So hat das Bundesgericht in BGE 108 II 204 ff. beispielsweise
zugelassen, dass Konkubinatspartner ihre gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen, auch wenn sie Grundlage der eheähnlichen Lebensgemeinschaft
bildeten, mindestens im Zeitpunkt der Auflösung des Konkubinats nach den
Regeln der einfachen Gesellschaft rechtlich ordnen können, ohne dass die
Liquidationsgesellschaft wegen ihres Zweckes als unsittlich bezeichnet
werden könnte (vgl. auch BGE 106 III 11 ff.). Die Rechtsprechung trägt
damit dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung, der in den vergangenen
Jahrzehnten mit Bezug auf die eheähnliche Lebensgemeinschaft eingetreten
ist. Dass diese Art des Zusammenlebens in jüngster Zeit zu einer
verbreiteten und von der Gesellschaft - ungeachtet der in einigen
kantonalen Rechtsordnungen noch weiter bestehenden Konkubinatsverbote -
weitgehend tolerierten Erscheinung geworden ist, ist notorisch.

    c) Soll der Rechtsschutz aber nur dort versagt werden, wo eine
unentgeltliche Zuwendung an einen Konkubinatspartner ein eigentliches
pretium stupri darstellt, so gilt es zu beachten, dass die Rechtsprechung
bei der Umschreibung dieses Begriffs Zurückhaltung übt. So hat das
Bundesgericht in BGE 85 II 378 ff. darauf hingewiesen, dass nicht von
einer Unzuchtsentschädigung gesprochen werden könne, wenn ein Mann seine
Konkubinatspartnerin testamentarisch begünstige, die ihn während seiner
Krankheit nicht verlassen hatte, sondern ihm bis zum Tod beigestanden
war, so dass die geschlechtlichen Beziehungen gegenüber der von der
Partnerin erwiesenen Pflege mit der Zeit in den Hintergrund getreten
waren. Damit konnte nicht gesagt sein, dass eine unentgeltliche Zuwendung
an einen Konkubinatspartner nur durch ein ethisch besonders hochstehendes
Verhalten vom Makel der Unsittlichkeit befreit werden könne. Zuwendungen
unter Lebenden und solche von Todes wegen, die im Rahmen der verfügbaren
Quote bleiben, bedürfen grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigung:
sie können vielmehr den verschiedenartigsten Zwecken zugeführt werden,
die ethisch keineswegs hoch einzustufen sind. Der Hinweis auf die in
jenem Fall angenommene moralische Unterstützungspflicht zwischen den
Konkubinatspartnern konnte daher nur den Sinn haben, dass eine eheähnliche
Lebensgemeinschaft nicht leichthin auf blosse geschlechtliche Beziehungen
eingeschränkt werden kann. Welche Bedeutung der Geschlechtsgemeinschaft
im Einzelfall zukommt, kann nicht allgemein gesagt werden, weder in der
Ehe noch in der eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Dass aber gerade auch
in einer gefestigten eheähnlichen Gemeinschaft in der Beziehung zwischen
Mann und Frau neben dem Geschlechtlichen anderes von Bedeutung sein kann,
lässt sich im Ernst nicht bestreiten. Alsdann kann aber auch nicht einfach
davon ausgegangen werden, jede unentgeltliche Zuwendung führe in einer
solchen Gemeinschaft ohne weiteres dazu, dass die Geschlechtsgemeinschaft
weitergeführt oder doch begünstigt werde. Im vorliegenden Fall ist zudem
nicht zu übersehen, dass die Beklagte ihre nach eigenen Angaben äusserst
lukrative Dirnentätigkeit der eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit dem
Erblasser "geopfert" hat, was allein schon darauf hinweist, wieviel ihr
diese Beziehung bedeutete. Die Vorinstanz hat denn auch festgestellt, dass
der Erblasser und die Beklagte echte menschliche Beziehungen pflegten,
die über das rein Sexuelle hinausgingen. Unter diesen Umständen verstösst
es nicht gegen Bundesrecht, wenn die Vorinstanz den streitigen Zuwendungen
den Charakter des pretium stupri absprach. Diese Zuwendungen sind daher
grundsätzlich gültig, weshalb die Berufung der Kläger im Hauptpunkt
abzuweisen ist.

Erwägung 2

    2.- Was das der Beklagten zugesprochene obligatorische Wohn- und
Benützungsrecht an der im Eigentum der N. AG stehenden Liegenschaft in L.
anbetrifft, beanstandet die N. AG, die dadurch allein beschwert ist,
das Urteil der Vorinstanz nicht etwa deswegen, weil sie in Ziffer 6 des
Dispositivs unmittelbar zur Schuldnerin dieses Rechts erklärt worden ist,
obwohl nicht sie, sondern ihr Alleinaktionär N. es eingeräumt hatte. Sie
macht vielmehr einzig geltend, ein unentgeltliches Wohnrecht könne entgegen
der Auffassung der Vorinstanz nicht als obligatorisches Recht, sondern
nur in der Gestalt einer Dienstbarkeit begründet werden; zudem bedürfe
seine Einräumung der öffentlichen Beurkundung, an der es hier fehle. Es
ist indessen kein Grund ersichtlich, weshalb in diesem Zusammenhang
die das schweizerische Obligationenrecht kennzeichnende Inhaltsfreiheit
nicht gelten sollte. Dass ein obligatorisches Wohnrecht nur gegen Entgelt
errichtet werden könne, hat das Bundesgericht entgegen der Behauptung
der Kläger in BGE 82 II 337 nicht gesagt. Sollte in der unentgeltlichen
Einräumung eines obligatorischen Wohnrechts auch ein Schenkungsversprechen
zu erblicken sein, das zu seiner Gültigkeit nach Art. 243 Abs. 1 OR der
schriftlichen Form bedarf, so wäre diese Form in den beiden Urkunden
vom 21. Juni 1968 eingehalten worden. Da am Grundstück der N. AG kein
dingliches Recht errichtet worden ist, besteht schliesslich keinerlei
Anlass, für das Geschäft die öffentliche Beurkundung zu verlangen. Die
Hauptberufung erweist sich daher auch in diesem Punkt als unbegründet.